In seinem 1965 auf Englisch erschienenen Werk 'Propaganda:
The Formation of
Mens Attitudes weist Jacques Ellul darauf hin, dass Intellektuelle in
ganz besonderem
Maße für Propaganda anfällig seien, weil sie a) ständig große Mengen
nicht nachprüfbarer
Informationen zu sich nehmen, b) glauben, über alles und jedes eine
Meinung haben zu
müssen, und c) der Auffassung sind, sich eine eigene Meinung bilden zu
können. Auch wenn
ich mich nicht als Intellektuellen (ich stelle mir darunter gänzlich Lebensfremde vor)
bezeichnen würde, Elluls Anfälligkeitskriterien für Propaganda erfülle ich ohne jeden
Zweifel. Es kommt jedoch gelegentlich vor (selten genug, wie ich leider annehmen
muss), dass ich merke, dass ich irregeführt werde. Hier zwei Beispiele.
Von Hans Durrer
...Vor einigen Monaten hat die BBC die von den Redenschreibern von George W. Bush erfundene 'Axis of Evil für eine Serie mit dem Titel 'Holidays in the Axis of Evil genutzt. Im Januar 2004 habe ich mir die Berichte aus Nordkorea und Kuba angesehen.
Ich war noch nie in Nordkorea. Aus den Medien habe ich die Vorstellung, dass es ein Land bar jeder Freude ist, und die Leute dort kaum zu essen haben. Und dass dort ein organisierter Führerkult herrscht, man mit Oppositionellen nicht gerade zimperlich umgeht, und dass das Regime seine Fachleute beauftragt hat, nukleare Waffen herzustellen und das Land deshalb von den Amerikanern (es soll betont werden: den im Norden des amerikanischen Kontinents ansässigen) wohl nicht angegriffen werden wird.
An diesem Bild hat auch der BBC-Bericht nichts geändert. Dazugelernt habe ich, dass es in Nordkorea Sandstrände gibt, und dass auch Westler, die glauben, über den Führer des Landes Witze machen zu können, schnell hinter Gitter landen.
Über Kuba hingegen habe ich nichts, rein gar nichts gelernt, was ich nicht schon wusste. Ich habe mir den Bericht zusammen mit meiner Frau, die aus Havanna stammt, angesehen. Als schon nach kurzer Zeit die Bar eingeblendet wurde, wo Hemingway seine Drinks zu sich zu nehmen pflegte, stöhnte sie ("siempre lo mismo") zum ersten Mal auf. Als dann verschiedene Interviews folgten und die Gesprächspartner immer entweder Schwarze oder Mulatten waren, hatte sie genug. Man könnte meinen, es gebe keine Weißen auf Kuba, ereiferte sie sich. Kein Wunder, guckten hier in der Schweiz alle immer ganz ungläubig, wenn sie ihnen sage, sie sei Kubanerin, wenn im Fernsehen nur immer Schwarze und Mulatten gezeigt würden.
"Der Ethnologe und Schriftsteller Fernando Ortiz ... schätzte in den vierziger Jahren, dass weit über die Hälfte der Gesamtbevölkerung 'negroid und Mulatten seien. Nach dem Sieg der Revolution wurde Kuba 'schwärzer: Die Geburtenraten der Weißen sanken, und sie bilden die überwiegende Mehrheit der Emigranten" (Alfred Herzka: Kuba. Abschied vom Kommandanten?)
Als der Reporter einmal seine vom Staat bestellte Führerin fragte, ob junge Kubaner es vorzögen, auf den Zuckerrohrfeldern oder im Tourismus zu arbeiten?, antwortete diese: Auf den Zuckerrohrfeldern, und zwar aus Tradition. Da müsste der Mann doch stocken, vielleicht sogar nachfragen, schließlich muss man kein Kuba-Experte sein, um diese Antwort als reinstes Wunschdenken abzutun Jobs im Tourismus gehören in Kuba zu den begehrtesten Jobs; des Verdienstes, der Trinkgelder, der gelegentlichen Hotelverpflegung, der Möglichkeit, Ausländer kennen zu lernen wegen. Der BBC-Reporter fragte nicht einmal nach.
Am 27. Juli 2004 schrieb Lisa Erdmann auf Spiegel Online unter dem Titel "Von der Revolution zur Prostitution", George W. Bush werfe der Regierung in Havanna vor, sie unterstütze den Sextourismus. Obwohl weder das Katholische Missionswerk Missio noch Amnesty International über Informationen verfügten, dass die kubanische Regierung die Prostitution aktiv unterstütze, gehe deren Vermutung gleichwohl dahin, "dass diese Form der Devisenbeschaffung geduldet wird und staatliche Stellen nichts dagegen unternehmen manchmal allerdings etwas dafür: Vor fünf Jahren wurden mehrere leitende Mitarbeiter des kubanischen Tourismus-Ministeriums nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft entlassen, weil sie Sextourismus begünstigt haben sollen."
Die Logik dieser Argumentation drängt sich einem nicht gerade auf: würde die Regierung die Prostitution wirklich dulden, würde sie wohl kaum leitende Mitarbeiter des Tourismus-Ministeriums, die diese Devisenbeschaffung offenbar gefördert haben, entlassen. Wahr ist jedoch das Gegenteil, wahr ist, dass man in Havanna immer mal wieder zu hören kriegt (und in Havanna verlässt man sich darauf, was man zu hören kriegt), dass die Polizei wieder einmal Jagd macht auf jineteras, sie einfange und aufs Land zur Arbeit schicke.
Die eigentliche Härte ist jedoch der Schluss dieses Berichts, der im Wesentlichen besagt: Ob etwas wahr ist oder nicht, konstruieren lässt sich da allemal was. Im Original:
"Doch wie viel an Bushs Vorwurf der aktiven Förderung der Prostitution auch dran ist pikant ist grade dieses Thema allemal. Schließlich hatten der von Washington protegierte Diktator Batista und die Mafia Kuba zum Bordell und Vergnügungsviertel der USA umfunktioniert. Das endete erst mit Castros Revolution 1959. Doch 45 Jahre später ist Kuba offenbar wieder da angekommen, wovon sich die Menschen auf der Insel einmal befreien wollten."
Ob diejenigen, die diese Revolution mitgetragen haben, das auch so sehen, ist einigermaßen fraglich. Und auch die ehemaligen Bordellbesitzer in Miami werden das wohl nicht ganz so sehen. Anders gesagt: Dieses Thema ist nicht pikant, es ist frei erfunden.
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