Veronika Bennholdt-Thomsen
itps@tgkm.uni-bielefeld.de
Ethnologin und Soziologin,
hat lange Jahre in Mexiko
gelebt und geforscht. Sie ist
Leiterin des außeruniversitären
"Instituts für Theorie und Praxis
der Subsistenz, e.V.", Bielefeld
und Honorarprofessorin an der
Universität für Bodenkultur,
Wien.
Publikationen
There is an Alternative:
Subsistence and Worldwide Resistence to Corporate
Globalization, hrsg. Zusammen mit Nicholas Faraclas u. Claudia von Werlhof,
Zed Books, London/New York 2001;
FrauenWirtschaft.
Juchitán – Mexikos Stadt der Frauen, zusammen mit Mechtild Müser und
Cornelia Suhan, Frederking und Thaler Verlag, München 2000;
Das
Subsistenzhandbuch.
Widerstandskulturen in Europa, Asien und
Lateinamerkika, hrsg. zusammen mit Brigitte Holzer und Christa Müller,
promedia Verlag, Wien 1999;
Eine Kuh für
Hillary.
Die Subsistenzperspektive, zusammen mit Maria Mies,
Verlag Frauenoffensive, München 1997.
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Aurora-Magazin: Frau
Bennholdt-Thomsen, wie kommt man als Wissenschaftlerin dazu, sich mit
Landwirtschaft zu beschäftigen?
Bennholdt-Thomsen:
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Zwar als Tochter des Dorfschullehrers,
aber ich war immer auf den Höfen unterwegs, in den Ställen, auf den Feldern,
bei den Bäuerinnen in der Küche. Das ist sicher ein Grund. Der andere ist
mein Studium der Sozialanthropologie (Völkerkunde) in Mexiko. Die
indianische Bevölkerung ist bäuerlich und ihre vordringlichsten Probleme
hängen mit der Zerstörung ihrer Landwirtschaft durch die Entwicklungspolitik
zusammen. Darüber habe ich geforscht. Und siehe da, bei uns in Europa ist
die Lage ganz ähnlich.
Aurora-Magazin:
Worin liegt Ihrer Meinung nach der Grund, dass sich so wenige
Intellektuelle mit dem Thema Land bzw. Landwirtschaft befassen?
Bennholdt-Thomsen:
Na ja, es bringt halt kein Prestige. An den Universitäten wird kaum über die
ländliche Gesellschaft nachgedacht, sprich, die Agrarsoziologie ist im
Aussterben, wie die Bäuerinnen und Bauern auch. Die haben auch kein Ansehen
in der Gesellschaft und kaum Fürsprecher. Unsere Wissenschaften sind
insgesamt fast ausschließlich technik- und fortschrittsgläubig, im modernen,
d.h. aktuell im neoliberalen Sinn. In dieser Weise befasst man sich sehr
wohl mit der Landwirtschaft, nämlich an den landwirtschaftlichen Hochschulen
und Fakultäten. Die sind doch letztlich alle nur auf Produktions- und
Profitsteigerung ausgerichtet.
Aurora-Magazin:
Sie schreiben an einer Stelle etwas wie mir scheint Bemerkenswertes,
nämlich dass "das größte Problem unserer Epoche darin besteht, dass wir
über keinen befreienden Diskurs jenseits des sozialistischen und des
bürgerlich-kapitalistischen verfügen. Beide sind städtisch, beide sind
technikgläubig, beide sehen Freiheit nur jenseits des Reiches der
Notwendigkeit, jenseits der Naturabhängigkeit." – Könnten Sie das noch
etwas näher ausführen und skizzieren, auf welchen Grundlagen eine
"zukünftige Gesellschaft" Ihrer Ansicht nach gebaut werden müsste.
Bennholdt-Thomsen:
Wir verfügen über keinen pro-bäuerlichen Diskurs. Damit ist sowohl die Weise
gemeint, in der geredet wird, als auch die Weise, wie gehandelt wird, in der
Politik wie beim Einkaufen. In Frankreich ist man wenigstens noch stolz auf
den eigenen Käse, der, ganz bäuerlich, in jeder Region anders ist. Vor
diesem Hintergrund sperrt sich auch die französische Politik gegen manche
sinnlose Hygienevorschrift im Rahmen der WTO, die doch nur die
großindustrielle Produktion und Vereinheitlichung fördert. Ich meine, dass
die Franzosen deshalb auch in der Lage sind, ihr eigenes Kino, ihre Filme
gegenüber der Vereinnahmung durch Hollywood zu schützen. Das hängt irgendwie
zusammen. Auch unsere Gesellschaften in Österreich und Deutschland brauchen
den bäuerlichen Eigensinn und die bäuerliche Vielfalt, dann ginge es uns
besser. Da ist Österreich sowieso noch viel besser dran als Deutschland. Die
Industrialisierung hat zur Proletarisierung geführt, zur Verwandlung der
Arbeitenden in Lohnarbeiter/ Lohnarbeiterinnen. Darin
ist zweifelsfrei eine Zurichtung der Menschen enthalten; sie werden viel
stärker gleichgeschaltet, eben wie Rädchen in einer Maschine, die
funktionieren müssen. Kein Wunder, wenn die Befreiungsidee ebenfalls davon
infiziert ist. Das war die sozialistische Idee: Die gleichgeschalteten
Massen sollten die Macht übernehmen. In so einem Denken kommt die Vielfalt
der Menschen, der Natur, der Landschaften und eben der Bauern und Bäuerinnen
nicht vor. Oder sie werden sogar als bedrohlich, weil vorgeblich rückständig
empfunden. Das können wir selbst bei den aufgeklärtesten sozialistischen
Denkern finden, wie z.B. bei Ernst Bloch oder André Gorz, wie eben schon
beim alten Marx selbst. Sie wettern gegen Hierarchie, Macht und Herrschaft,
dennoch glauben sie fest an den Maschinenfortschritt und ergo auch an die
gleichgeschalteten Rädchen, an Zentralisierung und Produktionsschlacht. Was
daran befreiend sein soll, habe ich nie verstanden.
Aurora-Magazin:
Ist die "Grün-Bewegung" Ihrer Ansicht nach ein Ausdruck für einen
positiven, richtigen "Diskurs der Befreiung"?
Bennholdt-Thomsen:
Sie könnte es sein, oder besser gesagt, sie hätte es sein können. Denn so,
wie sich die Entwicklung abzeichnet, sind die Grün-Bewegten dabei,
entscheidende Chancen zu vertun. Es fehlt eine ernsthafte
Fortschrittskritik, eine Kritik der Produktionssteigerung, wie eben
beschrieben. Vor allem legt man sich keine Rechenschaft darüber ab, welche
gravierenden Probleme in dem Glauben an "je-mehr, je-schneller, je-größer
umso besser" enthalten sind. Und welche Probleme in den
Austauschbeziehungen, der Art der Vermarktung. So wollen selbst viele
Biobauern mit ihren Produkten unbedingt in den Supermarkt. Das wird zu einem
Biobauern-Sterben führen, wie es auch sonst zum Bauernsterben geführt hat –
und damit zur Verödung der Kulturlandschaft, zu ihrer Entfremdung zum
Erlebnispark, ja insgesamt zu einem unglaublichen Kulturverlust. Schließlich
wurzelt die europäische Kultur seit Jahrtausenden in der bäuerlichen Kultur.
Aurora-Magazin:
Jeder einigermaßen vernünftig wirtschaftende Bauer bestellt heutzutage
seine Felder mit dem Traktor, ist die Kritik an Technik und Städtischem
nicht also in Wahrheit realitätsfern und rückwärtsgewandt? Anders
gefragt: Ist dieses Reden vom "Unsegen der Stadt und der Maschinen" (wie
es etwa bei Knut Hamsun, K.H. Waggerl und in jüngerer Zeit: Ivan Illich
nachzulesen ist) nicht ein Neinsagen gegen eine Realität, die uns,
sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, lieb und teuer geworden ist?
Bennholdt-Thomsen:
Jein. Weder die Stadt noch Maschinen sind in meinen Augen ein Unsegen,
sondern es sind diese Städte und diese Maschinen. Jede Gesellschaft baut
sich ihre Städte und ihre Maschinen nach ihren Vorstellungen und Visionen.
Das Problem sind die Megastädte, ist das Auto, dieses unsinnigste
Massentransportmittel aller Zeiten (Millionen fahren mit ihrem eigenen Auto
in dieselbe Richtung, dann steht es in extra gebauten Hochhäusern und
zubetonierten Plätzen, den ganzen Tag lang herum usw.), die schlechte,
hierarchische Beziehung zwischen Stadt und Land und so fort. Mit anderen
Worten, andere Städte und andere Technologie ist möglich, wir müssen sie nur
denken.
Aurora-Magazin:
Wie müsste man vom Land reden, um ihm gerecht zu werden? Und welches
"Reden vom Land können Sie nicht mehr hören?"
Bennholdt-Thomsen:
Ich kann die gegenseitigen Schuldzuweisungen von Stadt und Land nicht mehr
hören: Von Bauern /Bäuerinnen an DIE Konsumenten – damit meinen sie die dort
in der Stadt, und von den anderen, den StädterInnen an die Bauern, weil sie
sie entweder für rückständig oder für Umweltverseucher oder Lieferanten
vergifteter Nahrungsmittel (Nitrate, BSE ...) oder was weiß ich alles
Schlechte halten. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Sind die Bäuerinnen und Bauern etwa keine Konsumenten? Was und wo kaufen die
denn ein? Freilich unterliegen sie Zwängen, zumal der EU-Politik, aber sie
stützen das Ganze doch auch durch ihre völlig irrationale Solidarität mit
denjenigen VertreterInnen der eigenen Verbände, die für die Großen und die
Industrie Politik machen, sodaß immer noch mehr kleine und – übrigens stets
größere – mittlere Höfe aufgeben müssen. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Aurora-Magazin:
Allem Anschein nach waren die Menschen noch nie "städtischer" und
"naturfremder" als heute. Selbst in Nationen wie Indien, in denen sehr
viele Leute am Land und von der Landwirtschaft leben, hat das Landleben
keinen sonderlichen Wert mehr. Glauben Sie persönlich, dass es in
absehbarer Zeit zu einer "Wiederentdeckung" des Ländlichen, Regionalen
und Bäuerlichen kommen wird?
Bennholdt-Thomsen:
Ja! Kurz und bündig.
Aurora-Magazin:
Maria Mies, Ihre wissenschaftliche Freundin und wichtige
Subsistenztheoretikerin, meint, dass man das Land "kulturell und
ökonomisch wieder aufwerten müsse". Wie könnte das Ihrem Ermessen nach
gelingen?
Bennholdt-Thomsen:
Ich bin mir nicht so sicher, dass ich das so ausdrücken würde. Maria Mies
vermutlich auch nicht, bzw. das klingt etwas aus dem Zusammenhang gerissen.
Da denkt man heutzutage doch ganz schnell an irgendwelche Werbe- oder
Imagekampagnen. Die laufen sowieso bereits und sind völlig un-Sinn-ig. Es
geht nicht darum, das Land aufzuwerten, sondern darum, es nicht länger
abgetrennt zu betrachten. Unser aller Wurzeln stecken in der Erde, von daher
kommt unsere Nahrung. Die Tatsache, dass dieses Bewusstsein immer mehr
ausgemerzt wird, in der Stadt wie auf dem Land, ist ein
gesamtgesellschaftliches Problem: So als würde das künstlich-technisch
Hergestellte uns am Leben halten, so als könnte man Geld essen, so als
bräuchten wir die Gentechnik, so als bräuchten wir Massenställe oder
künstliche Besamung, damit am Schluß ein Stier 100 000 Nachkommen hat und
eine Kuh schon nach 3 Jahren geschlachtet wird, weil sie so anfällig
geworden ist. Aber gleichzeitig wird dann Werbung für Biodiversität gemacht,
womöglich noch von demselben Pharmakonzern, der die Saatzuchtunternehmen
aufgekauft hat und die Antibiotika für die Tierzucht bereit hält. Was für
ein Zynismus, was für eine Volksverdummung!...
Aurora-Magazin:
Frau Bennholdt-Thomsen, vielen Dank für das Gespräch!
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