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Waschechte Kanadierin im Dickicht

Stille Lawine nördlich der Großen Seen.

Von Vasile V. Poenaru
(19. 10. 2019)

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Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com


geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

 

 

 

Anno 1998 hatte es mich
mit Frau und Klein-
kind nach Kanada
verschlagen.

 

 

 

 

 

 

In der prächtigen Provinz
Ontario kam kürzlich –
höchstwahrscheinlich infol-
ge einer zeitweiligen geist-
igen Vernebelung der
Wählerschaft – ein furcht-
barer Depp an die Macht.

 

 

 

 

 

 

 

"I’m going on a trip on
my favourite rocket ship,
flying through the sky,
little Einstein"

 

 

 

 

 

 

 

Dies ist meine Heimat.
My home and native land.
Wahlheimat par excel-
lence.

 

 

 

 

 

 

 

"Lifestyle change!", hatte
Lavinia den Wölfen zuge-
rufen, als wir auf einem
hölzernen Steg ein paar
wenige Meter über ihnen
entlang liefen.

 

 

 

 

 

 

Folgt man der diskreten
Landstraße, so taucht
irgenwann auch das
schöne Ottawa am Horizont
auf: our nation’s capital.

 

 

 

 

 

 

"Nanu! Wos moch’n
ma jetzt?"

 

 

 

 

 

 

Denn Kanadier sein, das
heißt bei uns zuerst und
vor allem eben auch:
Österreicher sein.

 

 

 

 

 

 

 

Auf einmal fällt mir ein,
 ass Lavinias Kätzchen, das
sich dieser Tage irgendwo
in den unergründlichen
Weiten unserer guten alten
kanadischen Wildnis
verlaufen hatte.

 

   "Vati, du holst mir meine Bücher, und ich hol dir deine Zeitschriften. Deal?" Und schon begibt sich meine Lavinia zum Zeitschriftenregal. Es ist nicht das erste Mal.

Sie kehrt eine Minute später mit The Walrus, Newsweek, The Economist, The New Yorker und noch einer dünnen Zeitschrift zurück, die, wie sie meint, quite empfehlenswert aussehe. Stimmt. Ein Blick rein kann nicht schaden.

Doch zunächst geht’s Richtung Kinderabteilung. Ich hole gleich mal ein paar tolle Kinderbücher, die von meinem väterlichen Standpunkt betrachtet quite empfehlenswert aussehen. Durchaus empfehlenswert. Und jetzt lesen wir, was das Zeug hält. Reading time @ Chapters. Hugendubel auf gut Kanadisch.

Meine Tochter Lavinia ist die einzige gebürtige Kanadierin in der Familie. The real deal. The one and only. From coast to coast to coast gibt es keinen einzigen Grizzly, keinen Bieber, keinen Moose, keinen Ahorn und keinen Fluss, der so sehr kanadisch sei wie meine Lavinia. Okay, zugegeben, diese Formulierung ist vom Modus her a little bit Französisch; na ja, a bisserl, doch das gehört zur Sache. N’est ce pas?

Als sie geboren wurde, wohnten "wir anderen" schon seit fast zehn Jahren in Toronto. Anno 1998 hatte es mich nämlich mit Frau und Kleinkind nach Kanada verschlagen. Mein Sohn Theodor war damals fast zwei. Jetzt studiert er an der University of Toronto. Zu der einen oder der anderen Party des German Department hab ich ihn ja schon ab Mitte der Nullerjahre öfters mal mitgenommen, nur so, damit er sich von klein auf bestens im Dickicht der U of T auskenne. Auf den akademischen Alltag in der nahen, fernen nordamerikanischen Wildnis.

   Man schreibt das Jahr 2019. Abgesehen von der Politik ist alles in bester Ordnung. In der prächtigen Provinz Ontario kam nämlich kürzlich – höchstwahrscheinlich infolge einer zeitweiligen geistigen Vernebelung der Wählerschaft – ein furchtbarer Depp an die Macht. Doug Ford. Politician with no reason. Direkt aus dem Steinalter. Welch böser Traum!

Ein Albtraum am Lake Ontario? Nein. Bloß miese Realität. Alltag auf Widerruf. Tagespolitik. Was soll's.

Unsere Großen Seen sind immer noch großartig, unser CN-Turm immer noch hoch genug, der Sky Dome (seit geraumer Zeit Rogers Center genannt) ist immer noch himmlisch, meine Tochter Lavinia immer noch die beste Fährtenleserin weit und breit. In der Tat eine waschechte Kanadierin. Ein waschechter Waschbär im Dickicht.

Derzeit schreibt Lavinia gerade an ihrer neuen Story: Eine elegante Katze, deren Namen ich inzwischen leider schon wieder vergessen habe, ist eines Tages irgendwo in North York, Toronto spurlos verschwunden. Alarmstufe Rot! Ein gewiefter französischstämmiger Hund namens Pierre spürt die Katze auf. Bald wird alles wieder gut. Vive le Quebec! Vive le Canada! Also hatte es doch eine Spur gegeben. Ich denke, Pierre ist der beste Privatdetektiv weit und breit.

   Man schreibt das Jahr 2014. "I’m going on a trip on my favourite rocket ship, flying through the sky, little Einstein", singt meine gerade mal siebenjährige Tochter Lavinia in einer flotten Boeing 747 unserer guten alten Air Canada. München liegt hinten, wo die g’schätzten Bayern ihr sagenhaft cooles bayerisches Bier trinken und ihrer Freistaatlichkeit gedenken, der Atlantische Ozean tief unten, wo die Blauen Wale Wal-Tennis spielen, die extra von Tadoussac, Quebec, den ach! … wundersam heimeligen Sankt-Lorenz-Strom flussabwärts geschwommen sind, um uns zu sehen, und Toronto winkt am Horizont. Gleich da. Hi!

Heimat bist du großer Söhne. Okay, großer Töchter und Söhne. That’s it. Dies ist die Heimat meiner Tochter. Das kommt: Dies ist meine Heimat. My home and native land. Wahlheimat par excellence. Es gibt keinen festeren Bund zwischen Land und Leuten, es gibt keine höheren Bäume, keinen reineren Wein, ja keinen besseren Ort zum Lesen, zum Atmen, als man es nördlich der Großen Seen miterleben darf. Margaret Atwood, Michael Oondatje, Yann Martel und so weiter.

Der Erie stürzt über die allerprächtigsten Fälle der Welt in den Niagara River. Der Niagara River, über ihm die Niagara Parkway, eine der prächtigsten Straßen der Welt, mündet in den Lake Ontario, the greatest of our Great Lakes. Dieser wiederum spendet unserem guten alten St.-Lorenz-Strom so viel Wasser, dass sich der Strom flussabwärts von der idyllischen Île D`Orléans zu einem zunehmend breiten Trichter ausweitet, der, wie sich bald genug herausstellt, den Wunsch hegt, ein Ästuar zu werden; ab Tadoussac (etwa 200 weitere Kilometer "down the river") tummeln sich darin fröhliche Blaue Wale. Allesamt schön brav und multikulturell.

   Parc Omega befindet sich etwa in der Mitte der "scenic route" von Ottawa nach Mont Tremblant, dem "Bebenden Berg" im Massiv Laurentides. Ein paar Kilometer von Château Montebello entfernt. Freilich könnte man dabei auch Highway 417 nehmen. Richtung Osten. Bis Montreal, dem kanadischen Königsberg. Und dann halt Autoroute 15 Richtung Norden. Aber in diesem Fall würde man eben nicht an Parc Omega vorbei fahren.

Und in Parc Omega gibt’s Rentiere, Büffel, Bären, Wölfe, Wildschweine und so weiter und so fort. Außer den Bären und den Wölfen läuft alles, was vier Beine hat, frei über die Wildlife-Park-Straße. Was heißen will: sämtliche "Insassen" außer den Karnivoren.

Besucht haben wir den Wildlife Park dreimal. Lediglich das letzte Mal rammte ein g’schätzter Herr Büffel one unseren getreuen Chevy Malibu. Seitwärts. Meine Tür. Alles gut?

Alles gut. Vor allem, weil der Motor, der aus ungeklärten Gründen zu der Zeit seit einem Tag immer wieder mal "starb", um dann jeweils problemlos "aufzuerstehen", uns nicht auf der Strecke bleiben ließ. Merci, l’engine! Wie gesagt: Chevy. Unser braver, sparsamer, sanfter Hatatitla. Made in Canada. Kein Bayerischer Mistkasten.

"Lifestyle change!", hatte Lavinia den Wölfen zugerufen, als wir auf einem hölzernen Steg ein paar wenige Meter über ihnen entlang liefen. Ein paar frische Blätter spendete sie auch. Just in case. Falls die Wölfe sich mal urplötzlich entscheiden sollten, den vegetarischen Spezies beizutreten. Man kann ja nie wissen.

   Und weiter geht’s! Mont Tremblant wartet schon auf uns. Kanadische Anschauungsweise en français. Rundumadum. Berg und Tal. Anzuschauen überall. Irgendwo im grünen Wald geht Pierre wohl gerade mal seinen Geschäften nach.

Spürsinn. Man schreibt das Jahr 2015. Über allen Wäldern nördlich der Großen Seen ist ruh. Im Algonquin Park, Ontario spürest du kaum einen Hauch. Die Seetaucher schweigen auf der Dollar-Münze. Eingeprägt à jamais. Ins kollektive Bewusstsein aller Kanadier.

Lavinia im Conservation Center des Parks. Das Center ist strategisch auf einer Anhöhe platziert. Von dort aus kann jeder mit ein bisschen Glück die Wildlife beobachten. Drei Stunden von Toronto entfernt. An der Highway 60. Folgt man der diskreten Landstraße, so taucht irgendwann auch das schöne Ottawa am Horizont auf: our nation’s capital. Denn wie schon Wildtöter einst mit Engagement festlegte: "O, Canada, we stand on guard for thee."

For thee. Altenglisch. Freilich war’s dabei aber nicht Wildtöter, doch Wache stehen wollen wir trotzdem unbeirrt weiter. This is the true North strong and free.

Wir haben im Hidden Valley Resort Logis genommen. Wie es ja schon der Name verrät, befindet es sich in einem recht gut verborgenen Tal. Die nächstgelegene Stadt heißt Huntsville. Früher war das wohl eine Ortschaft der Jäger.

   Einen Katzensprung down the road Richtung Huntsville befindet sich Deerhurst Resort, wo einst (d.h. vor knapp zehn Jahren) die g’schätzten Vertreter der G7 in aller Ruhe und Naturverbundenheit zusammentreffen durften, um Grundlegendes zum wichtigen Welt-und-Umwelt-Thema "Nanu! Wos moch’n ma jetzt?" abzuhaken, indes die restlichen Vertreter der G20 im guten alten Toronto mit weniger profundem Gedankengut vorlieb nehmen durften.

Allerlei mehr oder weniger schweigsame Vögel wurden von Lavinia in Algonquin Park gesichtet und auch gleich mal säuberlich dokumentiert. In allen Wipfeln reichlich Material für "Show and Tell". Und wenn es sonst gar keine waschechten Waschbären im Dickicht mehr gäbe, so wären wir nichtsdestoweniger immer noch welche. Und zwar in orbe ultima. Denn Kanadier sein, das heißt bei uns zuerst und vor allem eben auch: Österreicher sein.

Action und show time. Show and tell. Erzähl mir was. Tell a simple story. Im Dickicht. Da, wo der Dichter einst das Teil vom Ur-Theil abhackte. Meine Lavinia? Mit dabei.

Lifestyle change. Spürsinn und Lifestyle change.

   Und auf einmal fällt mir ein, dass Lavinias Kätzchen, das sich dieser Tage irgendwo in den unergründlichen Weiten unserer guten alten kanadischen Wildnis verlaufen – oder eben auch "ver-klettert" – hatte (und jetzt mal echt, also ein paar Millionen Seen, sowas ist nicht von der Hand zu weisen), ja möglicherweise durchaus "la Belle Maguelone" sein könnte, die, so wissen es die weisen Krieger an den Lagerfeuern, in den fernen Untiefen der Zeitlichkeit von einem gewissen Pierre gefunden ward. Auf dass die beiden forever more à jamais gemeinsam der untergehenden Sonne nachblicken. Pierre de Provence. Pierre de Provence et la Belle Maguelone.

Holla, wir schreiben! We’re around. In der immerdar so wundersam gemächlich ausklingenden Dinglichkeit des Gemüts. Canadian-style. Was sonst? Es gibt uns. Es gibt uns ganz bestimmt. Es wird uns immer geben.

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