Und
zurück ins 14. Jahrhundert. Denn ich befinde mich im Jahr 1396. Im Gegensatz
zu anderen Ländern richtet sich die Islamische Republik Iran nach dem
persischen Sonnenkalender. So müssen für die Umrechnung vom gregorianischen
Kalender 622 Jahre abgezogen werden. Ebenfalls in frühere Zeiten
zurückversetzen lassen kann man sich bei dem Besuch von Susa,
Tschoga-Sambil, Bischapur, Nain, Shiras, Yazd, Isfahan, Pasargadae und
natürlich der Ruinen-Stadt Persepolis. Mit seinen siebzehn
Unesco-Weltkulturstätten blickt das Land heute auf mehr als siebentausend
Jahre Geschichte zurück.
Einzigartige Diamant- und
Edelsteinkronen, prachtvolle Zepter und Schwerter, ein Pfauenthron und eine
vierunddreißig Kilogramm schwere Weltkugel aus purem Gold, deren Kontinente
aus Smaragden und Rubinen bestehen. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus!
Solch atemberaubende Schmuckstücke befinden sich gut gesichert hinter
meterdicken Panzertüren in den Räumen der Teheraner Zentralbank. Das
iranische Juwelenmuseum ist zusammen mit dem Golestan-Palast, der mit seinen
prunkvollen Spiegelmosaiken zu unzähligen Selfies einlädt, eines der
eindrucksvollsten Attraktionen, die ich auf meiner zweiwöchigen Rundreise
durch den Iran erlebt habe. Doch das Aufregendste in Teheran bleibt für mich
die U-Bahn-Fahrt. Einmalig sind die eigenen Frauenabteile, auf denen "women
only" ganz deutlich zu sehen ist. Trotz der überfüllten Waggons herrscht
darin ein basarähnliches geschäftiges Treiben. Denn während der Fahrt
drängeln sich Frauen in schwarzen Umhängen zwischen den Fahrgästen durch,
die Ohrringe, Armbänder, Halsbänder und Haarschmuck verkaufen. Die
U-Bahn-Fahrt wird nie langweilig.
Nur
dreihundert Kilometer westlich von Teheran entfernt, wirkt Hamadan im
Vergleich zu der von Abgasen maßlos geplagten Hauptstadt wie eine grüne
Oase. Schon bei der Einfahrt in die zu Füßen des Zagros-Gebirges gelegene
Ortschaft wird deutlich, dass ich mich in einem Skiort befinde. Ein
Kreisverkehr mit einer Skisprungschanzen-Miniatur-Skulptur, ein anderer mit
einer lächelnden Schneemann-Figur auf Skiern. Auch Doppelmayr lässt grüßen.
Im Zentrum liegt eine sorgfältig gepflegte Grünanlage, üppig mit Turngeräten
ausgestattet. Darauf üben sich in Tschador gehüllte Frauen in sportlichen
Aktivitäten. Sie sind zu sehr in ihre Bewegungen vertieft, um unserer
Reisegruppe Aufmerksamkeit zu schenken.
Im Gegensatz dazu werden
wir auf dem Hauptplatz von einer Schulgruppe wortwörtlich überfallen.
Kreischend stürzen sich die sechsunddreißig Mädchen in rosafarbenen
Schuluniformen auf uns. Ob es an unserer Bekleidung liegt? Eine Iranreise
bedeutet auch für Touristinnen immer Kopftuch, knöchellange Hosen und
langärmelige, nicht körperbetonte Oberbekleidung zu tragen. Wie erwartet,
ergreifen unsere männlichen Begleiter die Flucht. "Welcome to Iran. Where
are you from? What is your name? Do you like Iran?" Diese Fragen sollten wir
als (offensichtliche) Ausländer mehrmals am Tag zu hören bekommen. Jung oder
alt, die Iraner und Iranerinnen sind herzliche und weltoffene Menschen. Sie
suchen den Kontakt, wollen Fotos machen, scheuen sich nicht, den einen oder
anderen zu einer Tasse Tee oder einem Brettspiel im Park einzuladen. Mit
solch einfachen Mitteln bemühen sie sich, das schlechte Image des Iran in
der westlichen Welt zu verbessern.
Gastfreundschaft
wird groß geschrieben. Dass dabei auch Fallen auf den europäischen Reisenden
lauern, konnte ich mir nicht vorstellen. Ta'arof heißt die besondere
Form der iranischen Höflichkeit. Oder einfacher: Es bedeutet Nein zu sagen,
obwohl man Ja meint. Eine eigenartige Benimmregel, die besagt, alle
Einladungen zwei Mal höflich abzulehnen und erst beim dritten Mal
anzunehmen, wenn der Gegenüberstehende weiterhin auf seinem Angebot besteht.
Dass uns der sympathische Busfahrer das Leben doch einfacher machte, sei
hier sehr gelobt. Gekleidet in sein pilotenähnliches Outfit bereitete er uns
mehrmals täglich ein Picknick zu. Käse, Tomaten, Oliven, Fladenbrot,
Ajwar-entsprechender Brotaufstrich, Melonen, Datteln, Granatapfelsaft,
Kekse, Tee und Kaffee sind nur einige der Köstlichkeiten, die wir uns
schmecken ließen.
All das spielte sich
tagtäglich unter dem eindringlichen Blick zweier bärtiger Männer ab. Die
Porträts von Ayatollah
Khomeini und seinem Nachfolger Khamenei, dem jetzigen religiösen Führer,
begegnen einem auf ungezählten Häuserfassaden, auf Plakaten im Getreidefeld,
einfach überall. Dazu kommen noch die
zahlreichen
Märtyrer-Abbildungen. Entlang unserer dreitausend Kilometer langen Reiseroute brachten sie
uns pausenlos den achtjährigen Irak-Iran-Krieg der achtziger Jahre in
Erinnerung.
Mein persönliches
Highlight bleibt die Wüstenstadt Yazd. Auch als Hochburg der Zoroaster
bekannt, bietet sie eine Fülle von kulturellen Schätzen: eine Altstadt in
Lehmbauweise, eine wunderbare Freitagsmoschee, die Türme des Schweigens
– und ein einzigartiges Wassersystem: die Qanate.
Einen faszinierenden Einblick ins Vorgenannte gibt insbesondere das Wassermuseum, das auf bemerkenswerte Weise den Bau der
unterirdischen Kanäle dokumentiert. Schon vor etlichen
tausend Jahren nämlich erfanden die Perser hier ein ausgeklügeltes System,
welches die Wüstenstadt mit
Trinkwasser beliefert. Dabei liegt die Quelle Kilometer weit entfernt, tief
im Innern der trockenen Berghänge. Doch nicht nur die modern anmutende
Wasserversorgung beeindruckt. In vielen Gebäuden finden sich zusätzlich die
so genannten "Windtürme"
– in die
Häuserdecken eingelassene, vergitterte Öffnungen,
die letztlich nichts anderes sind als ein Vorgänger der neuzeitlichen Klimaanlage: Während
durch das Gitter die heiße Luft im Hausinnern nach oben ins Freie geführt wird, findet die kühle Luft aus
dem "wassergekühlten" Keller ihren Weg in die Wohnräume. Was für eine
segensreiche Erfindung!
Eine mehr
zeitgemäße Seite des Iran fand sich schließlich in der "modernsten Raststätte der Welt". So lobte der
Reiseleiter den letzten Stopp vor unserer Rückreise. Tatsächlich entspricht
das einstöckige Gebäude auf der Autobahn allen westlichen Standards. "Touch
Burger" heißt das iranische Äquivalent des McDonald’s Restaurants. Und doch
liegt mir das Picknick auf den am Straßenrand ausgebreiteten Decken mehr am
Herzen.