Vor einem Tag in Damaskus
angekommen, hat sich unsere kleine Gruppe schon auf den Weg gemacht, die am
Fuß des Berges Dschabal Qasyun liegende Hauptstadt zu
erkunden. Am Straßenrand sind bunte Decken ausgebreitet, auf denen Familien
beim Picknick zusammensitzen. Mitten durch Damaskus fließt der Barada-Fluss,
nach dem das lokale Bier benannt ist. Denn in Syrien ist Alkohol nicht
verboten. In den darauffolgenden Tagen sollten wir sogar zu mehreren
Weinverkostungen eingeladen werden.
In der Altstadt tauchen wir in eine fremde Welt ein. Auf dem Weg zur
monumentalen Umayyaden-Moschee begegnen wir einer Gruppe von aus dem Iran
angereisten Pilgern. In Strömen ziehen sie durch den größten und wichtigsten
Markt von Damaskus, den Suq el-Hamidiye. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurde
dieser von der französischen Armee angegriffen. Die Einschusslöcher im Dach
sind heute noch gut sichtbar. Wir schlendern vorbei an Verkaufsständen mit
Gewürzen, Mandeln, Seifen und Tüchern. Aus den Vitrinen der Apotheken
starren uns Gefäße mit sorgfältig eingelegten getrockneten Eidechsen an. Sie
sollen gegen Liebeskummer wirken. In Konditoreien türmen sich Süßigkeiten
mit Nuss- oder Pistazienfüllung zu beeindruckenden Pyramiden auf. So einer
Versuchung können wir nicht widerstehen.
Um in das Christliche
Viertel zu gelangen, müssen wir durch einen römischen Torbogen hindurch.
Zahlreiche Spuren der Römer werden wir noch während unserer fünfzehntägigen
Reise bestaunen. Doch vorher bekommen wir beim Abendessen Besuch. Der Leiter
der syrischen Reiseagentur "Orient Express" ist sehr um seine Gäste bemüht
und bietet jedem aus unserer Gruppe ein kleines Willkommensgeschenk an.
30. April
Unser
erster Ausflug außerhalb der Hauptstadt verläuft Richtung jordanische
Grenze. Der Tag beginnt in Ezra mit der Besichtigung der ältesten Kirche der
griechisch-orthodoxen Gemeinde. In Bosra und Shahba tauchen wir in die Welt
der römischen Ruinen ein. Der Anblick ist überraschend und faszinierend
zugleich, denn die Einwohner haben ihre Häuser eng an die Überbleibsel des
Römischen Reiches angebaut: Satellitenantennen ragen vom Frigidarium auf,
Kinder spielen Fußball in der ehemaligen, Jahrtausende alten Therme. Als
noch eine Frau auf einem Esel die gepflasterte Kolonnaden-Straße
entlanggeritten kommt, versetzt mich der surreale Anblick in die Zeit vor
Christus.
1. Mai
Kurz
nach Sonnenaufgang verlassen wir Damaskus Richtung Palmyra. Zu meiner
Überraschung sind die Straßen blitzblank. In einem Taxi zähle ich auf die
Schnelle sieben Erwachsene: fünf auf dem Rücksitz, zwei vorne neben dem
Fahrer. Lastkraftwagen und bunte Busse sind hoffnungslos überladen. Die
Fahrt nach Palmyra ist einmalig. Unser roter Bus summt leise über die
schnurgerade Straße durch die syrische Halbsteppe. Links rote Berge, rechts
gähnende Leere. Ab und zu lässt sich ein Kind blicken, das eine Herde von
Schafen oder Ziegen hütet. Auch ein Fuchs irrt manchmal herum.
Und dann das Highlight des
Tages: der Stopp im Café Bagdad. Ein Bienenkorb aus Lehm, ein Windrad und
ein schwarzes Ziegenhaarzelt ergänzen die "Raststation" in der Wüste. Der
traditionelle Minztee ist ein purer Genuss. Inzwischen erzählt uns der
gesprächige Beduine, dass an diesem Ort irgendwann einmal Schnee gefallen
sei. Das Foto an der Wand ist der eindeutige Beweis dafür. Eine japanische
Reisegruppe leistet uns bald Gesellschaft und beginnt eifrig Fotos zu
schießen. Die Ruhe, die herzliche Gastfreundschaft und Lebensfreude der
Beduinen ist beachtlich. Der Aufenthalt ist eindeutig zu kurz.
Bei
einer weiteren Rast in einem Olivenhain staunen wir über das ausgeklügelte
Bewässerungssystem. Wasser, als "politischer Kampfgegenstand" zwischen
Jordanien, Israel und Syrien, rückt in den Vordergrund. Nach der
Besichtigung erstaunlicher Turmgräber taucht plötzlich die Ruinenstadt
Palmyra auf. Einfach so, wie aus dem Nichts. Ein gigantischer,
überwältigender Anblick, der mir Tränen in die Augen treibt: Triumphtor,
Theater, Diokletianstherme, Senat, Agora, Tetrapylon, Aquädukte, die
Säulenstraße und der Baal-Tempel. Dass all dies über Jahrhunderte hinweg der
Witterung und menschlichen Übergriffen getrotzt hat, ist mehr als
verwunderlich.
Auf dem Campingplatz neben
unserem Hotel Zenobia (dem einzigen in der Gegend) sind mindestens acht
Wohnwagen mit ausländischen, großteils europäischen Kennzeichen geparkt. Zum
Abendessen gibt es im Garten des Hotels ein typisches, leckeres
Beduinengericht. Viel gute Laune beschließt den Tag, dazu ein klarer
Sternenhimmel und angenehme Stille
–
eine lebenslang bleibende Erinnerung.
2. Mai
Doch
die Studienreise geht weiter. Wir machen uns auf den Weg Richtung Irak. Auf
der Straße begegnen wir unzähligen Beduinen auf Dromedaren. Bald erreichen
wir "Das Kloster im Wäldchen"
–
so die Bedeutung von Deir ez-Zor, der bezaubernden Stadt am Euphrat. Ein
kurzer Spaziergang über die
Hängebrücke und schon betreten wir
uraltes Kulturland: Mesopotamien.
Doch vor allem wird mir
Deir ez-Zor durch seine Menschen in Erinnerung bleiben. Beduinenfrauen, die
Tongefäße auf dem Kopf tragen, Musliminnen mit bunten Kopftüchern oder zur
Gänze in Schwarz gekleidet und Christinnen in Jeans. Sorglos spazieren sie
lachend am Gehsteig nebeneinander. Eine bunte Mischung von überaus
fröhlichen Menschen. Überall wird gebaut. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es
hier nur Beduinenzelte, aber die reichen Geschäftsleute von Aleppo waren
bereit, zu investieren.
3. Mai
Auf
den Wiesen rund um die Stadt hüten Beduinen ihre Ziegen und Schafe. Die
Straße verläuft entlang des Euphrats, an dem sich fruchtbares Ackerland
erstreckt. Der Weizen ist hoch gewachsen. Bis über die Hüfte stecken die
Menschen in den Feldern. Frauen reiten auf Eseln, die Sichel in der Hand.
Der Stopp in Rakka bekommt uns nicht. Nachdem sich eine Mitreisende den
Knöchel bricht, müssen wir ins Spital fahren. Während wir auf die Verletzte
warten, werden wir von Schülern umzingelt. Dutzende von ihnen strömen auf
unsere Gruppe zu. Ein Imam versucht, sie mit einem Stock zu vertreiben
– vergeblich.
In hellblaue Uniformen gekleidet, rufen die Kinder uns fröhlich "Hallo" zu.
Inzwischen kauft der Fahrer Fladenbrot; der Verkäufer steht dabei fast
mitten auf der Straße. Das Brot ist noch warm und schmeckt gut. Wir tanken
Kraft für die Weiterfahrt nach Aleppo.
4. Mai
Die
Ganztagsbesichtigung des kosmopolitischen Handelszentrums führt uns zur
Madrasa al-Hallawiya, dann zur unmittelbar östlich anschließenden
Umayyaden-Moschee und schließlich hinauf zur imposanten Zitadelle von
Aleppo. Am meisten begeistert uns der lokale Markt, der Suq al-Madina.
Seife, gemahlener Kaffee mit Kardamom, Gewürze, die "den Verstand öffnen",
getrocknete Kirschen, Pistazien, Trüffel und vieles mehr gibt es zu
bestaunen. Die armenisch-arabische Stadt quillt über vor Schuh-, Teppich-
und Stoffgeschäften. Nach dem anstrengenden Tag begeben sich die Damen
unserer Gruppe ins Hammam. Als ich versuche zu fotografieren, eilt eine
einheimische Reinigungskraft in meine Richtung. Erschrocken fleht sie mich
an, kein Foto von ihr zu schießen, sonst wird sie geköpft
–
die Handbewegung entlang ihrer Kehle ist eindeutig. Letztendlich gelingt es
mir, sie zu beruhigen, dass mein Interesse nur dem Gebäude gilt. Ein überaus
leckeres Abendessen in einem armenischen Restaurant und der traditionelle
Alkohol- und Teekonsum in unserer Damenrunde machen den Abend zu einem
einmaligen Erlebnis. Hinzu kommt noch die Verwöhnung im Nachtquartier, denn
wir sind im Hotel Baron, einem Ende des 19. Jahrhunderts errichteten
Luxushotel, untergebracht.
5. Mai
Der
heutige Tag ist der Besichtigung der "Toten Städte" Qirqbize und Qalb Loze
gewidmet. Diese sind für die Geschichte des frühen Christentums von
Bedeutung, da sich hier die Reste frühbyzantinischer Kirchen aus dem 4. und
5. Jahrhundert befinden. Anschließend besuchen wir die Cousine des
Busfahrers. Im großen Haus mit einem wunderschönen Garten wohnen vier
Familien. Fünfzehn Kinder teilen sich vier Wohnungen mit jeweils fünf
Zimmern.
Den Tagesabschluss bilden
die Ruinen des Simeonsklosters. Eine Gruppe von jungen Menschen spricht uns
an. Sie erzählen auf Englisch, dass sie kurz vor der Matura stehen, nennen
uns ihre Namen und was sie weiter studieren wollen. Dann sind wir an der
Reihe. Wir sagen wie wir heißen und wo wir leben. Die Schüler scheinen aber
mehr Interesse daran zu haben, ob wir rauchen oder trinken! Unbekümmert und
stimmungsvoll verläuft die Unterhaltung. Als wir dann die Simeonskirche
besichtigen, scheuen sich Kopftuch tragende Frauen nicht, uns neugierig zu
beäugen und mit dem Mobiltelefon zu fotografieren.
6. Mai
Schweren
Herzens verlassen wir Aleppo, islamische Kulturhauptstadt 2006. Die Fahrt
durch das fruchtbare Tafelland zur antiken Stadt Ebla endet mit einer
Teepause im Zelt der Ausgräber. In Hama zeugen die riesigen hölzernen
Wasserräder abermals von der imposanten Bauweise der Römer, wenn auch ein
ohrenbetäubender Lärm herrscht. Durch Sumpfgebiete geht es den Orontes-Fluss
entlang nach Apameia. Auf der antiken Säulenstraße verweilen wir eine ganze
Weile, um die glatten und spiralförmig gegenläufig kannelierten
Säulenschäfte zu bewundern. Unser Trödeln scheint der Reiseleiterin doch zu
viel zu sein. Auf einem Motorrad hinter einem Beduinen "reitet" sie daher
und ermahnt uns zu schnellerer Gangart. Bei einer weiteren Teepause in
Ugarit, einer wichtigen archäologischen Ausgrabungsstätte in der Levante,
werden wir wieder einmal von nicht weniger als 180 Schülern und 24 Lehrern
regelrecht "belagert". Unsere Antworten scheinen unzufriedenstellend zu
sein. Auf die Frage "how are you" hätten wir "I am happy" antworten sollen.
7. Mai
Und
weiter verläuft unsere Reise mit einer idyllischen Fahrt entlang des
Mittelmeeres. Eindrucksvoll sind die Reste des phönikischen Inselwalles aus
riesigen Quadern in Amrit. Beim Spaziergang durch die Stadt Tartus gehen wir
an einem Fischmarkt vorbei, wobei die zum Verkauf angebotenen Fische einfach
auf dem Gehsteig herumliegen! Überraschenderweise können wir die renovierte
Zitadelle nicht besichtigen, denn sie ist bewohnt.
Die enge und kurvenreiche
Straße führt hinauf zur beeindruckenden Kreuzritterburg Krak des Chevaliers.
Wassergraben, Unter- und Oberburg mit gotischer Arkadenhalle, Küche,
Latrine, Rittersaal, Burgkapelle, Bergfried und Wohnraum des Großmeisters.
Die Ruinen sind gewaltig und regen unsere Fantasie an. Durch den Verlauf der
Gebäude im Zickzack konnten die Angreifer den Rammbock nicht einsetzen.
Überhaupt war die Eroberung der Burg nur durch Aushungern der Belagerten zu
erzwingen. Jedoch gestaltete sich auch diese Methode als äußerst schwierig,
denn die darin lebenden 4000 Menschen und 400 Pferde verfügten über Proviant
für fünf Jahre.
Bei unserem letzten Stopp in Maloula darf ich einen kurzen Vortrag halten.
Schon vor einigen Tagen hatte uns die Reiseleiterin Studienunterlagen
ausgehändigt. Meine Freundin und ich sollten uns mit den
griechisch-katholischen Klöstern Mar-Sakris und Mar-Thekla befassen und
unsere so erworbenen Kenntnisse den anderen Mitreisenden beibringen.
8. Mai
Bevor
wir die letzten zwei Tage in Damaskus verbringen, wagen wir einen Abstecher
nach Baalbeck, in den Libanon. Nach endlosen Formalitäten am Grenzübergang
gibt es viel Überraschendes zu entdecken. Der Unterschied zu Syrien ist
verblüffend. Eine Reihe von Plakaten hängt entlang der Straße, mit Motiven,
die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dicht nebeneinander stehen so die
Flaggen der Hisbollah, zahlreiche Imam-Porträts und daneben Reklametafeln
für Jeans, die sogar den Bauchnabel freilassen! Weiter geht es, vorbei an
bewaffneten Soldaten, modernen Supermärkten, Tankstellen und
–
bis vor die gewaltige Tempelanlage von Baalbek! Eingangspropyläen,
sechseckiger Vorhof, großer Hof, Musentempel, Bachustempel, vor allem aber
das imposante Jupiterheiligtum, eine der größten sakralen Anlagen des
Römischen Reichs, sind so gut erhalten, dass wir aus dem Staunen nicht
herauskommen. Die sechs noch stehenden Säulen des Jupitertempels sind das
Wahrzeichen Baalbeks und – neben der Zeder – des gesamten Libanon.
Im Café vor den Ruinen
erinnert sich der Kellner an den Besuch von Henry Kissinger im Jahr 1975 und
an dessen Aussage, dass die Libanesen nicht überlebensfähig seien.
Inzwischen ist der fünfzehnjährige libanesische Bürgerkrieg längst
Geschichte, derjenige in Syrien bedrückt aber heutzutage unsere Herzen. Die
andauernden Kämpfe haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Viele der
einzigartigen Denkmäler liegen in Trümmern, ganz zu schweigen von den
unzähligen Menschen, die die Flucht ergreifen mussten. Für unsere Gruppe
bleibt die glückliche Erinnerung an eine zauberhafte Reise durch ein
untergegangenes Wunderland.
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Dieser Bericht wäre nicht zustande gekommen ohne der
Begeisterung unserer Reiseleiterin, Frau Dr. Herzmansky, die die
Studienreise nach Syrien ermöglicht hat. Dank den genauen Aufzeichnungen
meiner Reisepartnerin, Brigitte Ruzicka, war es möglich, nach all den
Jahren vieles nachzuvollziehen.