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Orientalische Impressionen aus einem untergegangenen Land

Er hat mehrere Gläser an den Gürtel geschnallt. Am Rücken trägt er eine riesige
orientalische Teekanne. Durch seinen roten Fez ist er schon von Weitem sichtbar: der
Teeverkäufer, eines der Markenzeichen von Damaskus. Sabah el noor: "Ich wünsche dir
einen Morgen voller Licht, Schönheit und Blumen." Vor dreizehn Jahren, am
29. April 2006, war in Syrien die Welt noch in Ordnung.

Von Irina Wolf
(09. 03. 2019)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.











(c) Irina Wolf

   Vor einem Tag in Damaskus angekommen, hat sich unsere kleine Gruppe schon auf den Weg gemacht, die am Fuß des Berges Dschabal Qasyun liegende Hauptstadt zu erkunden. Am Straßenrand sind bunte Decken ausgebreitet, auf denen Familien beim Picknick zusammensitzen. Mitten durch Damaskus fließt der Barada-Fluss, nach dem das lokale Bier benannt ist. Denn in Syrien ist Alkohol nicht verboten. In den darauffolgenden Tagen sollten wir sogar zu mehreren Weinverkostungen eingeladen werden.

In der Altstadt tauchen wir in eine fremde Welt ein. Auf dem Weg zur monumentalen Umayyaden-Moschee begegnen wir einer Gruppe von aus dem Iran angereisten Pilgern. In Strömen ziehen sie durch den größten und wichtigsten Markt von Damaskus, den Suq el-Hamidiye. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurde dieser von der französischen Armee angegriffen. Die Einschusslöcher im Dach sind heute noch gut sichtbar. Wir schlendern vorbei an Verkaufsständen mit Gewürzen, Mandeln, Seifen und Tüchern. Aus den Vitrinen der Apotheken starren uns Gefäße mit sorgfältig eingelegten getrockneten Eidechsen an. Sie sollen gegen Liebeskummer wirken. In Konditoreien türmen sich Süßigkeiten mit Nuss- oder Pistazienfüllung zu beeindruckenden Pyramiden auf. So einer Versuchung können wir nicht widerstehen.

Um in das Christliche Viertel zu gelangen, müssen wir durch einen römischen Torbogen hindurch. Zahlreiche Spuren der Römer werden wir noch während unserer fünfzehntägigen Reise bestaunen. Doch vorher bekommen wir beim Abendessen Besuch. Der Leiter der syrischen Reiseagentur "Orient Express" ist sehr um seine Gäste bemüht und bietet jedem aus unserer Gruppe ein kleines Willkommensgeschenk an.

30. April

   Unser erster Ausflug außerhalb der Hauptstadt verläuft Richtung jordanische Grenze. Der Tag beginnt in Ezra mit der Besichtigung der ältesten Kirche der griechisch-orthodoxen Gemeinde. In Bosra und Shahba tauchen wir in die Welt der römischen Ruinen ein. Der Anblick ist überraschend und faszinierend zugleich, denn die Einwohner haben ihre Häuser eng an die Überbleibsel des Römischen Reiches angebaut: Satellitenantennen ragen vom Frigidarium auf, Kinder spielen Fußball in der ehemaligen, Jahrtausende alten Therme. Als noch eine Frau auf einem Esel die gepflasterte Kolonnaden-Straße entlanggeritten kommt, versetzt mich der surreale Anblick in die Zeit vor Christus.

1. Mai

   Kurz nach Sonnenaufgang verlassen wir Damaskus Richtung Palmyra. Zu meiner Überraschung sind die Straßen blitzblank. In einem Taxi zähle ich auf die Schnelle sieben Erwachsene: fünf auf dem Rücksitz, zwei vorne neben dem Fahrer. Lastkraftwagen und bunte Busse sind hoffnungslos überladen. Die Fahrt nach Palmyra ist einmalig. Unser roter Bus summt leise über die schnurgerade Straße durch die syrische Halbsteppe. Links rote Berge, rechts gähnende Leere. Ab und zu lässt sich ein Kind blicken, das eine Herde von Schafen oder Ziegen hütet. Auch ein Fuchs irrt manchmal herum.

Und dann das Highlight des Tages: der Stopp im Café Bagdad. Ein Bienenkorb aus Lehm, ein Windrad und ein schwarzes Ziegenhaarzelt ergänzen die "Raststation" in der Wüste. Der traditionelle Minztee ist ein purer Genuss. Inzwischen erzählt uns der gesprächige Beduine, dass an diesem Ort irgendwann einmal Schnee gefallen sei. Das Foto an der Wand ist der eindeutige Beweis dafür. Eine japanische Reisegruppe leistet uns bald Gesellschaft und beginnt eifrig Fotos zu schießen. Die Ruhe, die herzliche Gastfreundschaft und Lebensfreude der Beduinen ist beachtlich. Der Aufenthalt ist eindeutig zu kurz.

   Bei einer weiteren Rast in einem Olivenhain staunen wir über das ausgeklügelte Bewässerungssystem. Wasser, als "politischer Kampfgegenstand" zwischen Jordanien, Israel und Syrien, rückt in den Vordergrund. Nach der Besichtigung erstaunlicher Turmgräber taucht plötzlich die Ruinenstadt Palmyra auf. Einfach so, wie aus dem Nichts. Ein gigantischer, überwältigender Anblick, der mir Tränen in die Augen treibt: Triumphtor, Theater, Diokletianstherme, Senat, Agora, Tetrapylon, Aquädukte, die Säulenstraße und der Baal-Tempel. Dass all dies über Jahrhunderte hinweg der Witterung und menschlichen Übergriffen getrotzt hat, ist mehr als verwunderlich.

Auf dem Campingplatz neben unserem Hotel Zenobia (dem einzigen in der Gegend) sind mindestens acht Wohnwagen mit ausländischen, großteils europäischen Kennzeichen geparkt. Zum Abendessen gibt es im Garten des Hotels ein typisches, leckeres Beduinengericht. Viel gute Laune beschließt den Tag, dazu ein klarer Sternenhimmel und angenehme Stille eine lebenslang bleibende Erinnerung.

2. Mai

  Doch die Studienreise geht weiter. Wir machen uns auf den Weg Richtung Irak. Auf der Straße begegnen wir unzähligen Beduinen auf Dromedaren. Bald erreichen wir "Das Kloster im Wäldchen" so die Bedeutung von Deir ez-Zor, der bezaubernden Stadt am Euphrat. Ein kurzer Spaziergang über die Hängebrücke und schon betreten wir uraltes Kulturland: Mesopotamien.

Doch vor allem wird mir Deir ez-Zor durch seine Menschen in Erinnerung bleiben. Beduinenfrauen, die Tongefäße auf dem Kopf tragen, Musliminnen mit bunten Kopftüchern oder zur Gänze in Schwarz gekleidet und Christinnen in Jeans. Sorglos spazieren sie lachend am Gehsteig nebeneinander. Eine bunte Mischung von überaus fröhlichen Menschen. Überall wird gebaut. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es hier nur Beduinenzelte, aber die reichen Geschäftsleute von Aleppo waren bereit, zu investieren.

3. Mai

   Auf den Wiesen rund um die Stadt hüten Beduinen ihre Ziegen und Schafe. Die Straße verläuft entlang des Euphrats, an dem sich fruchtbares Ackerland erstreckt. Der Weizen ist hoch gewachsen. Bis über die Hüfte stecken die Menschen in den Feldern. Frauen reiten auf Eseln, die Sichel in der Hand. Der Stopp in Rakka bekommt uns nicht. Nachdem sich eine Mitreisende den Knöchel bricht, müssen wir ins Spital fahren. Während wir auf die Verletzte warten, werden wir von Schülern umzingelt. Dutzende von ihnen strömen auf unsere Gruppe zu. Ein Imam versucht, sie mit einem Stock zu vertreiben vergeblich. In hellblaue Uniformen gekleidet, rufen die Kinder uns fröhlich "Hallo" zu. Inzwischen kauft der Fahrer Fladenbrot; der Verkäufer steht dabei fast mitten auf der Straße. Das Brot ist noch warm und schmeckt gut. Wir tanken Kraft für die Weiterfahrt nach Aleppo.

4. Mai

   Die Ganztagsbesichtigung des kosmopolitischen Handelszentrums führt uns zur Madrasa al-Hallawiya, dann zur unmittelbar östlich anschließenden Umayyaden-Moschee und schließlich hinauf zur imposanten Zitadelle von Aleppo. Am meisten begeistert uns der lokale Markt, der Suq al-Madina. Seife, gemahlener Kaffee mit Kardamom, Gewürze, die "den Verstand öffnen", getrocknete Kirschen, Pistazien, Trüffel und vieles mehr gibt es zu bestaunen. Die armenisch-arabische Stadt quillt über vor Schuh-, Teppich- und Stoffgeschäften. Nach dem anstrengenden Tag begeben sich die Damen unserer Gruppe ins Hammam. Als ich versuche zu fotografieren, eilt eine einheimische Reinigungskraft in meine Richtung. Erschrocken fleht sie mich an, kein Foto von ihr zu schießen, sonst wird sie geköpft die Handbewegung entlang ihrer Kehle ist eindeutig. Letztendlich gelingt es mir, sie zu beruhigen, dass mein Interesse nur dem Gebäude gilt. Ein überaus leckeres Abendessen in einem armenischen Restaurant und der traditionelle Alkohol- und Teekonsum in unserer Damenrunde machen den Abend zu einem einmaligen Erlebnis. Hinzu kommt noch die Verwöhnung im Nachtquartier, denn wir sind im Hotel Baron, einem Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Luxushotel, untergebracht.

5. Mai

   Der heutige Tag ist der Besichtigung der "Toten Städte" Qirqbize und Qalb Loze gewidmet. Diese sind für die Geschichte des frühen Christentums von Bedeutung, da sich hier die Reste frühbyzantinischer Kirchen aus dem 4. und 5. Jahrhundert befinden. Anschließend besuchen wir die Cousine des Busfahrers. Im großen Haus mit einem wunderschönen Garten wohnen vier Familien. Fünfzehn Kinder teilen sich vier Wohnungen mit jeweils fünf Zimmern.

Den Tagesabschluss bilden die Ruinen des Simeonsklosters. Eine Gruppe von jungen Menschen spricht uns an. Sie erzählen auf Englisch, dass sie kurz vor der Matura stehen, nennen uns ihre Namen und was sie weiter studieren wollen. Dann sind wir an der Reihe. Wir sagen wie wir heißen und wo wir leben. Die Schüler scheinen aber mehr Interesse daran zu haben, ob wir rauchen oder trinken! Unbekümmert und stimmungsvoll verläuft die Unterhaltung. Als wir dann die Simeonskirche besichtigen, scheuen sich Kopftuch tragende Frauen nicht, uns neugierig zu beäugen und mit dem Mobiltelefon zu fotografieren.

6. Mai

   Schweren Herzens verlassen wir Aleppo, islamische Kulturhauptstadt 2006. Die Fahrt durch das fruchtbare Tafelland zur antiken Stadt Ebla endet mit einer Teepause im Zelt der Ausgräber. In Hama zeugen die riesigen hölzernen Wasserräder abermals von der imposanten Bauweise der Römer, wenn auch ein ohrenbetäubender Lärm herrscht. Durch Sumpfgebiete geht es den Orontes-Fluss entlang nach Apameia. Auf der antiken Säulenstraße verweilen wir eine ganze Weile, um die glatten und spiralförmig gegenläufig kannelierten Säulenschäfte zu bewundern. Unser Trödeln scheint der Reiseleiterin doch zu viel zu sein. Auf einem Motorrad hinter einem Beduinen "reitet" sie daher und ermahnt uns zu schnellerer Gangart. Bei einer weiteren Teepause in Ugarit, einer wichtigen archäologischen Ausgrabungsstätte in der Levante, werden wir wieder einmal von nicht weniger als 180 Schülern und 24 Lehrern regelrecht "belagert". Unsere Antworten scheinen unzufriedenstellend zu sein. Auf die Frage "how are you" hätten wir "I am happy" antworten sollen.

7. Mai

   Und weiter verläuft unsere Reise mit einer idyllischen Fahrt entlang des Mittelmeeres. Eindrucksvoll sind die Reste des phönikischen Inselwalles aus riesigen Quadern in Amrit. Beim Spaziergang durch die Stadt Tartus gehen wir an einem Fischmarkt vorbei, wobei die zum Verkauf angebotenen Fische einfach auf dem Gehsteig herumliegen! Überraschenderweise können wir die renovierte Zitadelle nicht besichtigen, denn sie ist bewohnt.

Die enge und kurvenreiche Straße führt hinauf zur beeindruckenden Kreuzritterburg Krak des Chevaliers. Wassergraben, Unter- und Oberburg mit gotischer Arkadenhalle, Küche, Latrine, Rittersaal, Burgkapelle, Bergfried und Wohnraum des Großmeisters. Die Ruinen sind gewaltig und regen unsere Fantasie an. Durch den Verlauf der Gebäude im Zickzack konnten die Angreifer den Rammbock nicht einsetzen. Überhaupt war die Eroberung der Burg nur durch Aushungern der Belagerten zu erzwingen. Jedoch gestaltete sich auch diese Methode als äußerst schwierig, denn die darin lebenden 4000 Menschen und 400 Pferde verfügten über Proviant für fünf Jahre.

Bei unserem letzten Stopp in Maloula darf ich einen kurzen Vortrag halten. Schon vor einigen Tagen hatte uns die Reiseleiterin Studienunterlagen ausgehändigt. Meine Freundin und ich sollten uns mit den griechisch-katholischen Klöstern Mar-Sakris und Mar-Thekla befassen und unsere so erworbenen Kenntnisse den anderen Mitreisenden beibringen.

8. Mai

   Bevor wir die letzten zwei Tage in Damaskus verbringen, wagen wir einen Abstecher nach Baalbeck, in den Libanon. Nach endlosen Formalitäten am Grenzübergang gibt es viel Überraschendes zu entdecken. Der Unterschied zu Syrien ist verblüffend. Eine Reihe von Plakaten hängt entlang der Straße, mit Motiven, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dicht nebeneinander stehen so die Flaggen der Hisbollah, zahlreiche Imam-Porträts und daneben Reklametafeln für Jeans, die sogar den Bauchnabel freilassen! Weiter geht es, vorbei an bewaffneten Soldaten, modernen Supermärkten, Tankstellen und bis vor die gewaltige Tempelanlage von Baalbek! Eingangspropyläen, sechseckiger Vorhof, großer Hof, Musentempel, Bachustempel, vor allem aber das imposante Jupiterheiligtum, eine der größten sakralen Anlagen des Römischen Reichs, sind so gut erhalten, dass wir aus dem Staunen nicht herauskommen. Die sechs noch stehenden Säulen des Jupitertempels sind das Wahrzeichen Baalbeks und – neben der Zeder – des gesamten Libanon.

Im Café vor den Ruinen erinnert sich der Kellner an den Besuch von Henry Kissinger im Jahr 1975 und an dessen Aussage, dass die Libanesen nicht überlebensfähig seien. Inzwischen ist der fünfzehnjährige libanesische Bürgerkrieg längst Geschichte, derjenige in Syrien bedrückt aber heutzutage unsere Herzen. Die andauernden Kämpfe haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Viele der einzigartigen Denkmäler liegen in Trümmern, ganz zu schweigen von den unzähligen Menschen, die die Flucht ergreifen mussten. Für unsere Gruppe bleibt die glückliche Erinnerung an eine zauberhafte Reise durch ein untergegangenes Wunderland.

 

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Dieser Bericht wäre nicht zustande gekommen ohne der Begeisterung unserer Reiseleiterin, Frau Dr. Herzmansky, die die Studienreise nach Syrien ermöglicht hat. Dank den genauen Aufzeichnungen meiner Reisepartnerin, Brigitte Ruzicka, war es möglich, nach all den Jahren vieles nachzuvollziehen.

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