Motto: "Ich
werd' dir lieber nicht sagen, wie ich
heiß', sondern wie ich mich nenne."
(Arthur Schnitzler, Reigen)
Österreichisch-rumänischer Prolog in der Hexenküche: Es braucht, so
geht das Gerücht, zwei grundlegende geheimdienstliche Axiome, um in
Erfahrung zu bringen, wie einer so durch und durch systematisch begreifen
könnte, was die geheime Schattenwelt im Innersten zusammenhält, und zwar ein
Axiom der österreichischen und eines der rumänischen Sorte. Wollen
wir das garantiert erfolgreiche Rezept probieren? Man nehme je ein Maß von
jedem Axiom, man mische das hoffentlich gut verwendbare Zeug mit anderthalb
Pfund Goethe, a bisserl Dialektal-Süßmost und einem Teelöffel James Bond,
und dann heißt es kneten, was das Zeug hält, man schmeiße ferner den somit
zusammengezauberten informationsträchtigen Kraftkerl-Teig in den Ofen, man
… Mann, oh Mann … wos jetzt? Ach so! Alles klar: Man warte bis … ja also man
warte eben so a halbe Stund' … oder sagen wir mal bis auf Widerruf.
Irgendwos wird scho sein. I spy with my little eye …
Erstes Axiom (österreichischer Sorte): "Wenn ihr was
wissen wollt's, dann macht's die Tür zu." (Alfred "Django" Rupf,
langjähriger Leiter der Wiener Flughafen-Kripo)
Zweites Axiom (rumänischer Sorte): "Man sollte vonseiten
der Geheimdienste nie, aber auch wirklich nie Dankbarkeit, Verständnis oder
gar Mitleid erwarten." (Cornel Nemetzi, rumänischer Westeuropa-Spionagechef
– von 1990 bis 1997)
Zwei Axiome, die sich im allerkleinsten leisetreterischen
Kreise drehen (oder is des a Reigen?), aber nicht im Jardin des Plantes,
Paris, sondern hier: in Wien, Österreich; in Bukarest, Rumänien; in
Rumänien-Österreich, einem fiktiven Doppelgebilde. Zwei Bücher, zwei
Autoren, zwei Menschen (beide im Rang eines Obersts), zwei Welten – doch ein
einziges zugrundeliegendes Kundschafter-Paradigma, eine einzige Seele, ein
einziger Geist, den wir mal vorübergehend Erdgeist nennen wollen. Oder
Kontinental-Geist. Oder Schleichenspielen-Geist. Oder
Zweimal-Null-und-einmal-Sieben-Geist. "Du gleichst dem Geist, den du
begreifst, nicht mir!", hatte dabei angeblich einmal ein famoser Dichter
gedichtet, ein Kraftkerl der Sagbarkeit. Und die Antwort sprudelt
quick-lebendig aus der Lektüre hervor: "Nicht dir? Ich Ebenbild der
Schöpfung! Und nicht einmal dir?"
Wien: Begreife es, wer kann. Oder: Erklär mir das
Schatten-Wien. Die Flugzeuge kreisen wie die Raben über dem Transitbereich,
mal in höheren Gefilden, mal ganz, ganz niedrig. Es ist eine Welt der
Kontraste, ein fernes, nahes Reich lichterloher Aufdeckungen und
allerdunkelster Schweigsamkeit. Freilich: Eins sei dem im Folgenden kurz,
schlicht und diskret im Flüsterton gewährleisteten Einblick in die
esoterische Welt der Geheimdienste vorgeschickt: Der hierin unvermittelt in
den Raum gestellte kontrastive Ansatz ist zum großen Teil dem Zufall
zuzuschreiben. Die beiden Bücher wurden 2013 bzw. 2014 herausgegeben und
flogen der deutschsprachigen bzw. der rumänischsprachigen Öffentlichkeit
folglich ungefähr zur gleichen Zeit entgegen. Und sie drehen sich beide mit
einem gewissen Schwung um das neue alte Thema
Internationales
Versteckerlspiel.
Auf dem Schutzumschlag der Schattenstadt, oder
besser gesagt aus dem Schutzumschlag der Schattenstadt heraus späht
ein Kundschafter der aufdeckenden Sorte (namens Emil Bobi) weit ins Weite.
Sein Blick mutet geheimnisvoll-vielwissend an, seine Betrachtungen sind – um
terminologisch in der James-Bond-Kategorie zu bleiben – minutiöse
Beschattungen, sein Wien, unser Wien, wächst aus allen Ecken zu einer
vorzüglichen Stadt moderner Spionagekultur zusammen, einer Stadt, die diese
Modernität aus ihrer jahrhundertelangen Tradition des Mit- und Gegeneinander
von Perspektiven, von Völkerschaften, von geflüsterten Teilaspekten der
Wirklichkeit schöpft.
Vorstellung gefällig? "The name's Bobi. Emil Bobi." Aber
Emil Bobi braucht ja keine Vorstellung. Seine sehr informative und vor allem
auch mit viel Witz geschriebene journalistische Ermittlungsarbeit zur
Schattenstadt Wien sorgte im deutschen Sprachraum für Schlagzeilen. Cornel
Nemetzi hingegen, der 2013 mit seinem "Tatsachenbuch" hervortrat (so der
Autor, der im Vorwort zu diesem in der rumänischen Originalausgabe auf
Deutsch gebrachten Ausdruck greift, um seinen Band in einer Nuss
vorzustellen), ist und bleibt einer der vielen bei allem Tumult eher
unauffälligen Schatten in unserer Schattenwelt.
Früher hat sich der
ehemalige Kurier (und von 1990 bis 1997 Westeuropa-Spionagechef) des
rumänischen Geheimdienstes oft und gerne mit seinem gefälschten
schweizerischen Pass herumgetan, um sozusagen zum Nutzen und Vorteil der
Historie für den rumänischen Staat und für die rumänische Industrie in
Erfahrung zu bringen, was sich hüben und drüben so alles ereignet und wie
man daraus Profit schlagen kann. Der 1997 pensionierte rumänische
Elite-Spion (der sich auf dem Vorderumschlag seines Buches als "letzter
illegaler Kurier" bezeichnet) ist in Sachen Auslandsspionage offensichtlich
kein Außenseiter. Vor, während und nach der Wende war er mittendrin in der
Schattenwelt. Jetzt sagt er aus.
Und weil wir nun schon mal beim Aussagen sind: "Was 7000
Agenten über Wien aussagen", so der doppeldeutige Untertitel von Bobis
unterhaltsamer, durchwegs lustiger und naturgemäß bisweilen auch mal
dialektal gefärbter Tatsachenerfassung. Schon am Anfang der Story wartet der
Journalist sinngemäß folgerichtig mit einem aussagekräftigen Bild der
Agentendrehscheibe Schwechat auf: Jänner 2010. Der größte Agentenaustausch
zwischen den Russen und den Amerikanern seit dem Ende des Kalten Krieges. So
wird in Wien Geschichte geschrieben – an einem schönen schattigen Wintertag.
Schnee von heute, Schnee von morgen.
Bobis underlying narrative ist verständlich,
einleuchtend und anschaulich. Man merkt: Das ist nicht nur Zeitgeschehen,
das ist Gegenwart. Damit wird dieses u.a. eben auch tief in die
Vergangenheit greifende Buch (denn die Insider, sprich österreichische
Beamte, plaudern sich ja nicht von heute auf morgen aus – oder jedenfalls
nicht in aller Öffentlichkeit, da es wohlgemerkt auch noch die
Schweigepflicht gibt) eindeutig in der Aktualität verankert, und nicht bloß
in der guten alten mythischen 007-Zeit. Wobei Bobi zu erkennen gibt, dass es
in der Regel allerdings schon eher die Nullen sind und weniger
die Sieben, auf die es ankommt, da Agenten eben vor allem Müll produzieren
sollen.
Aber mit den sogenannten Agenten ist das ja auch wieder so
eine Sache. Den allermeisten käme, wenn man's – auch unter Berücksichtigung
der vorliegenden "Agenten-Literatur", doch nicht nur, wie es der
Rechtsanwalt unverbindlich formulieren würde – recht bedenkt, der Begriff
Bürokrat schon eher bei, denn echte Agenten waren und sind doch selten.
Viele (Bobi: sehr viele) verstehen sich lediglich aufs Abzocken. Eine gute
Stelle in Wien. Freundliche Gastgeber. Zuvorkommende Bedienung.
Einheimische, die gerne nutzlose Informationen verkaufen, Ausländer, die
dafür gerne was rausspringen lassen, Zentralen, die gerne mal was
vorschießen, Gelddruckereien, die bei Bedarf mal was drucken … Search. Copy.
Paste. Alles abgesichert. Und selbst wenn mal was passiert, passiert ja
nichts. Moch'n ma a G'schäft!
Cornel Nemetzi, "der letzte illegale Kurier", der zwar aus
entgegengesetzter Richtung her schreibt, sich dabei jedoch immerhin manchmal
schon fast wie ein Doppelgänger von Bobi bzw. von Django anhört, betont in
seinen Memoiren ebenfalls, dass echte Spione eher selten waren; wie gesagt
erfolgt seine Darlegung der Geschichte aus entgegengesetzter Richtung – und
unter Bezugnahme auf Behauptungen, Informationen und Unterlagen, die derzeit
wohl kaum hinreichend bekräftigt bzw. entschieden zurückgewiesen werden
können.
Vom Stil her sind die beiden hierin kurz in Angriff
genommenen Bücher übrigens auch insofern schwer in Einklang zu bringen (aber
wer will sie denn unbedingt in Einklang bringen?), als Bobi, der natürlich
als der alte Hase in Sachen Aufdeckungsjournalismus, der er ja ist, die
Lektüre intrinsisch bekömmlich zubereitet, wobei Nemetzi als der alte Hase
in Sachen Spionage, der er ist, möglicherweise in zu viele Richtungen, auf
zu vielen geheimen Pfaden, durch zu viele Schatten auf einmal gehen will und
sich u.a. etwa im Rahmen seines ebenfalls sehr informativ (und
skandalträchtig) gestalteten Tatsachenbuches offenbar vornimmt, auch gleich
einmal sowas wie einen Einstiegskurs in Sachen Auslandsspionage loszuwerden.
Und: Zwar weiß er viel, doch will er alles wissen (hier ertönt die wundersam
zweckmäßig aus ihrem Kontext entwendete und aus der ersten in die dritte
Person mutierte auktoriale Stimme eines privy councillor namens John Wolf
von ... dreimal darfst du raten, sagt der Kerl, der Kraftkerl, das
Originalgenie).
Allerdings müssen sich sämtliche Rezipienten der hinter den
Zeilen verstauten geheimen Botschaft nach der Lektüre von Bobis Buch fragen,
ob Nemetzis Annahme, er sei der letzte illegale Kurier gewesen, auch
wirklich hundertprozentig vertretbar ist. Die althergebrachte Art und Weise,
dem Geschäft nachzugehen, scheint sich nämlich in Wirklichkeit immer noch
durchaus zu bewähren. Übergabe der geheimen Unterlagen? Am liebsten im
Transitbereich. Agentendrehscheibe Wien-Schwechat. Der pinkelt, ist der
Übergeber. Sehr aufschlussreich. Sehr ansprechend. Sehr gesund.
Dass die guten alten Zeiten und die guten alten Methoden des
Metiers alles andere als vorbei sind, deutet, diese zusätzliche Information
sei hier mal ganz schnell und unauffällig mit eingeschleust, auch folgender
Welt-Artikel an, der es am 22. Juli 2014 sozusagen zufälligerweise
mitsamt seiner sprachlichen und außersprachlichen Umgebung an einem einzigen
Tag der Revolutionsbewegung der Erde zu Trotz unversehrt (aber nicht
ungelesen) von München nach Toronto schaffte.
Garantiert abhörsicher. Die Schreibmaschine feiert ein Comeback.
We're all friends, lautet das einschlägige deutsche Axiom.
Auf Schattenstädtisch-Österreichisch? Samma wieda guat. Die Völkerschaften
der ausspionierten Länder seien ihm, so Nemetzi, im Laufe seiner
jahrzehntelangen beruflichen Tätigkeit als Geheimagent jedenfalls ans Herz
gewachsen. Und da Rupf ja, wie wir es nun von Bobi wissen, so viele Freunde
unter den unzähligen sich im Transitbereich tummelnden internationalen
Stammkunden der schnüffelnden Spezies hatte, wäre es möglicherweise nicht
allzu gewagt anzunehmen, dass er, Rupf, unter Umständen wohl auch mit
Nemetzi ohne Weiteres bei Gelegenheit mal Bruderschaft getrunken habe.
Wiewohl das jetzt nur eine Spekulation ist, liegt der Gedanke nahe, da eine
unmittelbar aus dem Elysium auf die Erde nieder transponierte
Gemütlichkeitsburschenschaft geheimnisträchtiger Kraftkerle zu vermuten. Und
dass die großen Bosse der rumänischen Geheimdienste nun wenigstens eine
Weile lang von einem deutschstämmigen Rumänen ernannt werden, lässt das
Ganze irgendwie noch brüderlicher erscheinen. Und die Austrian Airlines
bleibt jedenfalls – selbst unter deutschem Kommando – eine niedliche
Fluggesellschaft. Und der Flughafen Schwechat ist, Hand aufs Herz, der
beste weit und breit. Den freien Gedankenaustausch, den freien
Güteraustausch, den freien Geheimnis-Austausch, ja die ganze gleichsam dem
Herz wie dem Gemüt durchaus wohltuende Dynamik im Transitbereich lässt sich
in diesem Zusammenhang mühelos mitverfolgen. Und und und. Wir sagen aus.
Nein. Aussagen ist gefährlich – oder kann unter Umständen
noch gefährlich werden. Wir wollen uns deswegen in diesem
Zusammenhang lieber was Halblustiges einfallen lassen, etwa einen leicht
fingierten Beschattungsbericht aus unserem lukrativen Transitbereich: pure
fiction. Um es mit dem kanadischen Dichter Leonard Cohen zu sagen: It's
coming from the feel that this ain't exactly real, or it's real, but it
ain't exactly there.
Zur Abwechslung mal ganz aristotelisch. Ort. Zeit. Handlung.
Check. Flughafen Wien. Check. Siebentausend mal zwei Augen und Ohren. Hier
und jetzt (okay, nicht hier, sondern halt in Wien, und wir befinden uns ja
strenggenommen nicht in Wien, sondern im Netz, genauer gesagt im Netzwerk
der Kundschafter; und nicht gerade jetzt, sondern, ja … sagen wir mal vor
ein paar wenigen Jahren). Geheime Regieanweisung: Alfred "Django" Rupf, der
langjährige Leiter der Flughafen-Kripo, erscheint als Kellner verkleidet.
Geheimagent von und zu Wegen, ein besonderer Gast auf österreichischem Boden
(und in österreichischen Gefilden), hat seinen mehrfach gestempelten
schweizerischen Pass und ein Stück Emmentaler auf dem Tisch liegen. Er
verbirgt sein geheimes Gesicht mithilfe der jüngsten Ausgabe der
Kronenzeitung, doch der Verdacht liegt nahe, dass sich hinter der grauen
Sonnenbrille zwei hungrige Augen befinden.
–
Und hier noch an Braunen, wenn der Herr Doktor
belieben.
–
Psst! ... I bin ja gar ka Doktor. I bin a g'heimer
G'heimagent.
–
So! ... a g'heimer G'heimagent san’s! ... Passt ...
Noch an Braunen, Herr G'heim...?
–
Ja, bitte! (verstohlen) Psst! ... Mit Schlagobers, bitte.
–
Mit Schlagobers ... Passt. G'schamsta Diena, Herr
Doktor.
Das ist aber freilich nur ein erfundener Dialog. Und ob wohl
ein derartiges Gespräch tatsächlich je im Transitbereich stattgefunden haben
mag, kann man ja gar nicht so genau wissen. Nur, wenn einer über dasjenige,
was er weiß, nicht gut schreiben kann, schreibt er eben etwas über das, was
er nicht weiß: ein viertes Axiom der Geheimdienste.
Hundertprozentig nachvollziehbar ist immerhin dieses
Gespräch hier (irgendwann während der Belle Époque in good old Vienna vom
schon im Motto zitierten Geheimagenten Arthur Schnitzler gewissenhaft und
wahrheitsgetreu aufgezeichnet):
–
Habe die Ehre, Herr Leutnant!
–
Guten Morgen.
–
So früh heute, Herr Leutnant?
–
Ah, lassen S' nur – ich hab' nicht viel Zeit, ich
kann mit'm Mantel dasitzen.
–
Was befehlen Herr Leutnant?
–
Eine Melange mit Haut.
–
Bitte gleich, Herr Leutnant!
Zurück zur Tagesordnung: Drei Nullen, so der
Aufdeckunsjournalist. Dass der berühmte am Anfang dieses geheimen Berichts
erwähnte russisch-amerikanische Agentenaustausch im letzten Nullerjahr
erfolgte, geht mit diesem quasi-apokalyptischen Gesamtbild von den
allerletzten Dingen allerletzter Nachrichtendienste und deren Mannesmannen
einher. Bleiben nur noch – und eher der Form halber – ein paar wenige Fragen
übrig. Was befehlen Herr Oberst? Was befehlen Herr General? Was befehlen
Herr Präsident? Einen Braunen mit Schlagobers? Eine Melange mit Haut? Eine
Beichte?
Nur, aussagen: Passt das wirklich ins Konzept? Darf man das
überhaupt? "Weißt du was, so schweig", wusste es nämlich schon unser Thomas
Mann in seinem Doktor Faustus vortrefflich
interkulturell-leisetreterisch auf den Punkt zu bringen. Oder – um es mit
unserem Django zu sagen: "Wenn ihr was wissen wollt's, dann macht's die Tür
zu, weil CIA und Mossad hören mit." (Django im Rahmen einer Vorladung zu den
Jungs vom Innenministerium, selbstredend nach Bobi zitiert).
Spionage und Gemütlichkeit. Schmäh- und Schleichkultur.
Agentenhochburg Wien. Jenseits der Schablone lebt und leibt eine community
"besonderer Gäste". Das wird toleriert. Dar ist erwünscht. Das ist eben
wienerisch. Und um es noch wienerischer werden zu lassen: Die siebentausend
internationalen Geheimagenten, die in Wien hausen, haben nichts auszusagen
und können das, was sie nicht auszusagen haben, nicht einmal schreiben.
Ertappt? Ja, meinetwegen. Thomas Bernhard. Alte Meisterspione (jeder mit
einem goldenen Meisterbrief in der Hosentasche). Gehört eigentlich gar nicht
hierher. Note to self: Schreibtisch aufräumen. Bude ausmisten. Nackte
Tatsachen und heitere Dichtung auseinander halten.
Nicht jedermanns Sache. Bobis Schattierungen etwa hören sich
auch ein bisschen romantisch an (und ethnologisch sowieso, weist doch der
Wiener von seiner Natur her, so darf man es aus Bobis Zeilen heraus lesen,
eine ausgesprochene Wahlverwandtschaft mit allerlei Spionen in der lieben
weiten Welt auf, was er, der Autor der Schattenwelt, überzeugend und
genussvoll erläutert). Nemetzis Beleuchtungen der geheimen Tätigkeit im
Zwielicht fallen ungleich elegischer, naturgemäß betroffener, parteilicher,
ja zum Teil geradezu grimmig aus, etwa wenn er die Tollpatschigkeit bzw. die
Hinterhältigkeit derjenigen rumänischen Spionage-Bosse bedenkt, die den
Betrieb sowohl in den guten alten kommunistischen Zeiten als auch vor allem
nach der Wende ganz gewaltig auf den Hund kommen ließen.
Beide Autoren
zeichnen sich durch eine bis zu einem gewissen Punkt mühelos
nachvollziehbare, subjektiv kritische Perspektive aus. Und so
unterschiedlich die zwei Geheimdienst-Bücher auch an und für sich gestaltet
sind (denn sie sind doch wie gesagt recht unterschiedlich gestaltet): beide
verdeutlichen sie in vielerlei Hinsicht und aus mehrfacher Richtung heraus
auch die Art und Weise, in der sich beispielsweise die US-Amerikaner bei den
Österreichern bzw. bei den Rumänen bedienen; beide vermitteln sie ein
detailliertes Bild der feinfühligen Mechanismen, die bei solch brüderlichen
Kommunikationsprozessen mit berücksichtigt werden müssen, ein Bild auch der
Borniertheit, der Machenschaften, ein Bild des Aufstiegs und des Falls
windiger Schatteng'sellen und gewiefter Experten.
Und dass beide Länder vor ein paar wenigen Jahrzehnten dem
großen Freund und Bruder im schönen Osten verpflichtet waren, merkt man
dabei auch. Ja. Irgendwann merkt man das. Schließlich wurde die Stapo einst,
was heißen will, once upon a time, von der russischen Besatzungsmacht
gegründet – und, wer weiß, vielleicht hätte es ja noch ganz anders kommen
können, wenn Leopold Figl, der seinerzeit den Russen in einem glücklichen
Moment der österreichischen Geschichte den Staatsvertrag abschwatzte, kein
so trinkfester Staatsmann gewesen wäre. Na ja, im Konjunktiv sagt's sich
halt am besten aus.
Zusammenfassung: Good old Vienna? Immer wieder eine Reise
wert. Sehr entgegenkommend und kundenorientiert. Sehr gemütlich. Sehr
diskret. Sehr heimelig. Da kann sich jeder jederzeit hinsetzen und seinen
Braunen bestellen – mit oder ohne Schlagobers. Und der letzte ist nicht
immer wirklich der letzte.