"Gibt
es kein Kaffeehaus, nehmen die Österreicher auch mit einer Konditorei
vorlieb. Hauptsache, es gibt eine ordentliche Kaffeemaschine. Und eine
Tischkultur. Denn im Stehen schnell einen Espresso geschlürft zu haben,
nein, das ist nicht gefragt." Der Exil-Österreicher Walter Lendl geht in
seinem 2009 bei Piper erschienenen Band über die nervenden Österreicher aufs
Ganze. Er will wissen, wie "die Ösis" eigentlich sind. Besser gesagt, er
weiß es. Er will, dass es auch die Deutschen wissen, er will wissen, wie
man’s Wissen weiß ... Nein, schon wieder verfehlt. Das ist Brecht. Und Lendl
hat zwar ein klein bisschen Brecht, ein klein bisschen Bernhard und ein
klein bisschen Kraus an sich, bleibt aber oft eben doch eher im Alltäglichen
verankert, das er allerdings recht gut (und auch mal kreativ) abbildet.
Unterhaltsam, informativ und scharfsinnig gestaltet sich sein Diskurs, der
Diskurs eines gemäßigten Nörglers (wenn es sowas gibt), fast immer auf den
Punkt gebracht und oft genug sachlich und diszipliniert aufgebaut.
Möglicherweise
ist der Titel dieses vorzüglich unkonventionell-provokativ geratenen
Kaleidoskops des Wesens der Österreicher und des Österreichischen insofern
irreführend, als er der Breite des vom Autor im Rahmen seiner durchaus
lobenswerten Ansätze einer Definition der spezifisch österreichischen
Eigenschaften herangezogenen analytischen Arsenals nicht ganz Genüge tut. Es
werden in diesem lustigen Buch nämlich auch viele durchaus ernsthafte, ja
gravierende geschichtliche, sozialpolitische und kulturtheoretische Aspekte
rund um die Hauptstadt der Musik angesprochen, so der in den zwanziger
Jahren erfolgte Aderlass der Intelligenz, der dann 1934 der Ständestaat und
1938 der Anschluss endgültig den Garaus machten, wonach sich das einst so
prächtige und auch auf geistiger Ebene so lebendige Österreich nie wieder
erholte – oder doch jedenfalls jahrzehntelang nicht. Der reichlich
argumentierte und meist recht verständlich gestaltete Diskurs über die
sogenannten nervenden Österreicher dreht sich oft um die einfachen Dinge,
kratzt aber immer wieder auch an der Oberfläche, an der Tradition, an den
Mythen, um das schöne Sein hinter dem schönen Schein durchblicken zu lassen.
Österreichisches
Deutsch (Deitsch?): "Nach der Ausbildung geht man 'hack'ln' (von Salzburg
bis ins Burgenland), 'schöpfen' (Steiermark und Kärnten) oder 'sich
schinden' (Tirol), während man in Deutschland bis zur Rente schuftet." Der
Makler ist (bzw. war) in Österreich ein Realitätenhändler, der Einmarsch der
Alliierten wird nicht Befreiung, sondern Zusammenbruch genannt, und die
Realität im großen Ganzen ... nun gut, die wird jetzt nachträglich ganz
anders gehandelt als bis in die Achtziger hinein.
Alles Erdreich
ist Österreich untertan. Ins
Kulinarische umgesetzt? Land der Strudel, Land der Schnitzel: Auf dem
Umschlag der Piper-Edition stolziert kongenial ein Knödel. Reichlich mit
Petersilie versehen, zentral angelegt, und vor allem groß. Hoch oben auf dem
"Gipfel" des Knödels die österreichische Fahne, daneben ein Schiläufer
(apropos "Schifoan"), der gerade nach unten jagt – ins zusammengeschrumpfte
Land jenseits der Berge. Eine leere Seilbahn, die Verbindung schafft, gibt's
auch.
"Je mehr Walter
Lendl sich über seine Landsleute aufregt, desto deutlicher wird, wie gern er
sie eigentlich hat" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), heißt
es leider sonderlich unpassend im Klappentext, regt sich der scharfsinnige,
witzige und oft nüchtern schneidige und offensichtlich bestens informierte
Exilösterreicher in diesem Buch doch keineswegs etwa über seine Landsleute
auf – und dass er sie gern hat, mag wohl stimmen, macht dabei jedoch gewiss
keine so pointierte Begebenheit aus, wie es diese Formulierung andeuten
will.
Gleich im ersten
Kapitel wird der Begriff Österreich, genauer gesagt, die Republik
(Deutsch-)Österreich satirisch als Negativ-Produkt definiert, und zwar in
Anlehnung an die 1918 ausgesprochenen Worte des damaligen französischen
Ministerpräsidenten Clemenceau: "L’Autriche, c’est ce qui reste." Und wie
sieht der Unterricht in der Volksschule aus? "Alles das gehörte zu uns",
sagt die Lehrerin. Und jetzt? Verschwunden. Verloren. Verpufft. Weg.
Was übrig
bleibt, ist die Frage: Hat dieses essayistische Werk des außenstehenden
Insiders einen Nerv der Österreicher, des Österreicherseins getroffen? Über
den Stil lässt sich streiten, doch hier steht jedenfalls vieles drin, was
dem "Deitschen" unbekannt sein dürfte, und manches auch, was dem
Österreicher unbekannt sein dürfte – aber wer will es schon so genau wissen?
Gemeinplätze haben sich im Rahmen der polemisch orientierten Aufzählung
dessen, was als österreichisch gelten darf, freilich auch verirrt, etwa:
"Die Österreicher lassen sich gerne sehen. Wer drin ist, ist in. Wer draußen
ist, existiert nicht."
"Die Ösis sind
die besseren Deutschen", meint Lendl ironisch. Und der Leser weilt in
Gedanken in der guten alten Hauptstadt des Landes Tirol – und liest dort die
Werbung am Flughafen: Innsbruck ist das bessere München. Gemütlich.
Majestätisch. Österreichisch. Von draußen gesehen tadellos.
Asakalano? (Ein
Sackerl auch noch) wird die Berlinerin an einer Wiener Supermarktkasse
gefragt. Asakalano! antwortet sie höflich, so als würde sie einen
exotischen Gruß erwidern, als würde sie Sayonara sagen – und darf für das
Sackerl 25 Cent rausspringen lassen, so Lendl. Zwar sitzt die Anekdote, nur:
Ob eine Berlinerin aus "A Sackerl a no" wirklich nicht klug wird?
Vergangenheitsbewältigung: "Adolf wer?" Und: "Vorsicht, Feschisten".
Schlagzeilen aus der "chronisch reaktionären" Wiener Presse, als Bertolt
Brecht (1950) österreichischer Staatsbürger wurde: "Kulturbolschewistische
Atombombe auf Österreich abgeworfen" und "Wer schmuggelte das
Kommunistenpferd ins deutsche Rom?" Auch das kommt alles zur Sprache – wie
auch die vom "österreichischen McCarthy", dem Herausgeber der insgeheim von
der CIA finanzierten Zeitschrift FORVM, Friedrich Torberg, bis in die
siebziger Jahre geleiteten "wilden Attacken gegen alle Kollegen, die sich
links der alles umfassenden Mitte – zu der nun auch wieder die ehemaligen
Nationalsozialisten zählten – positionierten."
Lendl vergisst
auch nicht, wie "die SPÖ-ÖVP-Koalition dem Volk 1995 unter dem Motto
'Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat' die EU-Mitgliedschaft schmackhaft
gemacht hatte, indem die Bürger im EU-Land Österreich vertragsgemäß
Faschiertes (Hackfleisch), Paradeiser (Tomaten), Fisolen (grüne Bohnen),
Obers (Sahne) usw. sagen dürfen, wie das 'Protokoll Nr. 10 über die
Verwendung österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache' zum
Beitrittsvertrag vorsieht. Heimische Esskultur auch in der EU.
Und das höchste
der Gefühle? "(...) einen Slibowitz zum Seidl, also einen Obstler (Klaren,
Korn) zum kleinen Bier (0,3 Liter)" – oder am besten gleich zum Krügerl (0,5
Liter). Wozu? Diese Frage scheint der Autor in gespielter
neu-österreichischer Gerissenheit vorwegzunehmen: Am End' is' ollas
umasunst, wie die wienerische Übersetzung des Wahlspruchs der Habsburger
(Austria erit in orbe ultima / Österreich wird ewig währen)
lautet.