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Gehirnwäsche gefällig?

Matei Visniec: Anleitung zur sicheren Landung

"Der Mensch ist nur da Mensch, wo er spielt, und er spielt nur da, wo er Mensch ist".
Zu kaum jemanden dürfte dieser Satz von Friedrich Schiller besser passen als zu Matei
Visniec. Der heute in Frankreich lebende rumänische Dramatiker hat
eine fast beängstigende
Meisterschaft darin entwickelt, die scheinbar festgegossenen Formen der Welt
seien es Figuren,
Texte, Stile, Genres, Zeiten und Realitätsebenen
in ihre Bestandteile aufzulösen und mit den
Teilen zu experimentieren. Auf diese Weise erfindet er Geschichten, die manchmal krankhaft,
manchmal geisterhaft, manchmal poetisch, ihre
Schauspieler verzehrt und buchstäblich
verwandelt, um sie schließlich in ein anderes Leben zu versetzen. In der Tat: Visniec
ist ein Spieler. Er spielt mit dem Scheinbaren, mit dem Theater, mit dem Leben,
 das mit immer neuen Darstellern immer wieder neu beginnt.


V
on Daniela Magiaru
(01. 12. 2008)

...



Daniela Magiaru

ist Absolventin der Fakultät
für Philologie, Theologie
und Geschichte Temeswar,
Abteilung Rumänisch-
Englisch. Sie ist Übersetz-
erin, Dolmetscherin und
Englischlehrerin. Daniela
Magiaru ist Mitarbeiterin
bei mehreren Kulturzeit-
schriften, unter anderem
Orizont (Horizont), Viata
Romaneasca (Das rumä-
nische Leben) und Liternet,
wo sie Rezensionen und
Studien zur Literaturkritik
publiziert. Sie hat die
Theatergruppe des Waldorf
Lyzeums gegründet und
Dramatik-Workshops für
Schulklassen des Gymna-
siums gehalten. 2008
erhielt sie den Doktortitel
der Universität West-
Temeswar mit der Doktor-
arbeit "Dramatische
Modelle: Eugène Ionesco,
Matei Visniec".
 

 

 

Es finden sich Themen
wie Vereinsamung,
Entfremdung, das Wunder
des Seins, der Mensch
in Extremsituationen, die
Durchgangsräume,
der Tod.

 

 

 


(c) Claude Chauvet

Matei Visniec

wurde 1956 im Norden Rumäniens, in Radauti
geboren. Er debutierte als
Dichter in den 80ern. Aus
der Zeit stammen auch die
ersten Theaterstücke, aller-
dings wurde das, was er in
den Jahren 1977-1987 für das
Theater schrieb, zensiert und
konnte aufgrund dessen in
Rumänien nicht veröffentlicht
oder gespielt werden. 1987
ließ er sich in Frankreich
nieder, wo er politisches Asyl
bekam. In französischer
Fassung wurden ab diesem
Zeitpunkt seine Texte in der
ganzen Welt gelesen, über-
setzt und gespielt. Nach
1989 wird Matei Visniec der
meistgespielte zeitgenös-
sische Dramatiker in
Rumänien.

 

 

 

Godot zieht auf köstliche
Weise seinen Autor zur
Verantwortung und geht
mit diesem eine Perfor-
mance
ein, die die Idee
der Theatralität und des
Spektakulären zur
Diskussion stellt.

 

 

 


(c) Laura Iancu

"Pariser Dachwohnung
mit Blick auf den Tod
",
(Regie: Radu Dinulescu).

 

 

Das Gruselhaus wird zu
einem filigranen Bild
einer Welt, die von
bizarren Menschen
bewohnt wird: das Tier,
das von einem Menschen
kaum zu unterscheiden
ist, Astor Piazzolla, abge-
schnittene Köpfe, eine
Zwergin, ein Gespenst,
ein Inspektor. Zirkus
und Groteske.

 

 

 


(c) Maria Ecmegian

"Clown gesucht",
(Regie: Radu Nichifor).

 

 

Der militärische Kontext,
in dem die Handlung
platziert ist, stellt einen
perfekten Vorwand dar, um
eine Welt zu präsentieren,
die von genauen, lückenlos
angewandten Regeln
beherrscht wird.

 

 

 

Webtipp www.theaterstueckverlag.de

 

 

 

 


(c) Andreea Blanatui

"Guffis Land",
(Regie: Aurel Palade).

 

 

Drei alternde Clowns
warten auf die Chance
auf einen Job. Vergebens.
Unterwegs zu diesem Job
werden aus alten Freunden
Verbündete, Feinde,
Rivalen. Der Raum, den
sie betreten haben, bietet
keine Ausgangsmöglichkeit:
es gibt keine Fenster und
die Türen lassen sich
nicht öffnen.

 

 

 

"Die Geschichte des
Kommunismus nacher-
zählt für Geisteskranke
",
(Regie: Marie Beldiman d'Orval).

 

 

Die Würde des Todes
wird durch grausame
Banalität und kitschige
Demütigung ersetzt, wie
in einem verrückten Film,
wobei der Text die Idee
der Vertikalität des
menschlichen Wesens
zur Diskussion stellt.

 

 

 


(c) Beata Pilch

"Old Clown Wanted",
(Regie: Gregory Fortner).

 

 

Die Ausgangssituation
ist verblüffend: ein
Schriftsteller wird damit
beauftragt, kommunistische
Propaganda in einem
Krankenhaus für geistig
Kranke zu machen.


 

 

Webtipp
www.theatertexte.de

 

 

 

"Was machen wir
mit dem Chello
?",
(Regie: Petru Vutcărău).

 

   Jeder Kontakt mit Matei Visniecs Texten gerät zum einzigartigen Erlebnis, das nicht selten zu schockierten, verwunderten oder enthusiastischen Reaktionen führt. Wenn man ein Theaterstück oder Gedicht von Matei Visniec liest, hat man das Gefühl, ein anderes Universum zu betreten, das zugleich fragmentarisch, poetisch, überempfindlich und verführerisch daherkommt und aufs Engste mit den Wundern und Schrecken der Existenz verbunden ist.

Metaphern und Allegorien

   Ein erster Bezugspunkt zu Matei Visniecs Theater lässt sich in den metaphorischen und allegorischen Konstellationen seiner Stücke finden, zum Beispiel in Drei Nächte mit Madox, Der Souffleur der Angst, Das Grab in der Decke, ... und was soll mit dem Cello geschehen? oder Die Taschen voll Brot. Visniecs Welt wird nicht von Persönlichkeiten bevölkert, sondern von vergänglichen Umrissen, menschlichen Marionetten, bewussten Opfern, zahmen Tätern, lustigen und traurigen Clowns und Narren. Der Raum ist ein no man’s land, ein Warteraum, ein Durchgang, wo nichts geschieht, aber dieser Mangel an Ereignissen wird in spektakulärer Weise dargestellt.

Die Sprache wird sorgfältig gewählt, minutiös gewoben, die Bedeutungen werden gesprengt und geschliffen, so lange, bis ein Gefühl sprachlicher Verwirrung entsteht. Öffnet man eines seiner Bücher, wird man in ein Spiel hineingezogen, in dem einem viele falsche Interpretationsfährten angeboten werden. Man lässt sich in die Irre führen und genießt überraschende Ausgänge. Es finden sich Themen wie Vereinsamung, Entfremdung, das Wunder des Seins, der Mensch in Extremsituationen, die Durchgangsräume, der Tod. Man muss auch die unbändige Lust des Autors, zu experimentieren erwähnen (zum Beispiel in dem Stück Gut Mutter, die erzählen im zweiten Akt, was im ersten Akt passiert). Hier fängt der Autor ein unwiderstehliches Spiel an: mit seinen Charakteren, mit dem Text, mit den Wortbedeutungen, mit seinen Lesern.

Endstation: Die Wirklichkeit

   Ein zweites wiederkehrendes Thema im Schaffen Matei Visniecs ist die gelebte, handfeste Gegenwart. Das zersetzte Theater oder der Mülltonnen-Mensch bildet hier einen ersten Schritt hin zu einem Andocken an die unmittelbare Wirklichkeit. Der Text wird zum erschütternden Zeugnis, so zum Beispiel in Vom Geschlecht der Frau, als Schlachtfeld – ein Stück, in dem die Wirklichkeit einer historischen Situation ausgewertet und analysiert wird (die Vergewaltigung als Kriegsstrategie im Bosnienkrieg).

Das zersetzte Theater oder der Mülltonnen-Mensch soll vor allem wegen seiner neuartigen Struktur gelesen werden: ein Modul-Text, ein Puzzle aus vielen kurzen Stücken, die in das große Bild, in die Hier-und-jetzt-Wirklichkeit, eingepasst werden sollen. Die beschriebenen Situationen sind durchwegs paradox: ein bizarres Universum, in dem das Merkwürdige regiert, in dem die Menschen Gefangene ihrer eigenen Obsessionen und Gewohnheiten, von Willenlosigkeit und Gleichgültigkeit sind. Der Mensch wird zu einer Mülltonne, in der der Abfall der ganzen Menschheit deponiert wird. Ein Stück wie Paparazzi oder Die Chronik eines abgebrochenen Sonnenaufgangs folgt dem Puls des Alltäglichen: vor dem Hintergrund des glamourösen Lebens der Stars läuft die kleine Tragödie des Verschwindens der Sonne ab. Wie sollte ich ein Vogel sein? erzählt von der Schönheit des Menschseins, nahe den Engeln und Vögeln, aber auch über die Unfähigkeit, unseren ureigensten Zustand wiederzufinden, genauso wie die Lust zu "fliegen" und den Willen, unsere Träume zu verwirklichen.

Pendeln

   Matei Visniec ist ein Autor, der die Trennungslinien zwischen den Genres zu vergessen scheint, so dass er zwischen Texten, aber auch zwischen Autoren pendelt. Dieses Pendeln geschieht in der Welt der Träume (denn wir finden bei ihm Texte, die keine Unterscheidung zwischen Traum und Realität zulassen), und sie betreffen den Stil (Theaterstücke mit einem überschwänglichen Maß an Poesie), sie betreffen die Spezies (wir treffen auf Figuren, die unbestimmte und anpassungsfähige Formen aufweisen), sie betreffen die Form (Texte, die ihre Form von einer Aufführung zur anderen ändern können, die also die Gesetze des geschriebenen Textes missachten), sie betreffen die Ästhetik und das Absurde (das Absurde, das sich zwischen dem Realen und Politischen auflöst), sie betreffen Raum und Zeit (denn die Figuren geraten oft ins zeitliche und räumliche Schleudern).

Dialoge im ungleichen Spiegel

   Ein weiteres überraschendes Visniec-Universum ist das von Figuren wie Tschechow (in Die Tschechow-Maschinerie), Meyerhold, Shakespeare (Richard der Dritte wird nicht mehr gezeigt oder Szenen aus Meyerholds Leben), Beckett (Der letzte Godot), Cioran (Pariser Dachwohnung mit Blick auf den Tod). Diese Texte bieten einen lustvollen Blick hinter die Kulissen. Man schleicht in den Text hinein wegen des Privilegs, ein Universum zu betreten, das von diesen großen Schöpfern bevölkert wird.

In Die Tschechow-Maschinerie lebt der russische Schriftsteller mit seinen Charakteren zusammen und befindet sich in Interaktion mit ihnen. Die Atmosphäre ist krankhaft, geisterhaft, was nicht verwundert, denn die Auswahl der Charaktere basiert auch auf ihren jeweiligen Krankheiten (zum Beispiel Lungentuberkulose). In Nina oder Über die Zerbrechlichkeit der ausgestopften Möwen treffen drei Tschechov-Figuren aufeinander: Nina, Treplev und Trigorin. Der Text soll keine Fortsetzung der Möwe darstellen, sondern eine neue Lesart des Typus "was wäre wenn" sein. Die gleichen Methoden werden auch in Der letzte Godot angewandt. Die Figur und ihr Erfinder werden auf dieselbe Ebene gestellt, von wo aus sie die Konventionen des Fiktionalen neu definieren. Godot zieht auf köstliche Weise seinen Autor zur Verantwortung und geht mit diesem eine Performance ein, die die Idee der Theatralität und des Spektakulären zur Diskussion stellt.

Durch das Bild des Meyerhold in Richard der Dritte wird nicht mehr gezeigt oder Szenen aus Meyerholds Leben wird die Idee der Zensur präsent. Die Gräuel des Kommunismus sind ein schmerzliches und immer wiederkehrendes Thema, sowohl in Visniecs Werk als auch in seinen Interviews:

"Man darf nicht vergessen, dass in Rumänien zu der Zeit das Absurde eigentlich die Realität war. Wenn man hier das Leben eines Menschen beschreibt, der zwischen dem Aufstehen in der Früh und dem Schlafengehen am Abend einen 'Licht-Tag' durchlebt, so stellt das bereits absurde Literatur dar. Der Mensch unterlag dem Druck der Macht, der Umwelt, der Ideologie usw. Er hatte ein doppeltes Denken: zu Hause sagte er eines, draußen auf der Straße wieder anderes. Er igelte sich in sich selbst ein, um seine wahren Gefühle nicht zu zeigen. Diese ganze Schizophrenie, die die rumänische Gesellschaft beherrschte, war dermaßen absurd, dass man, wenn man die Geschehnisse realistisch beschrieb, bereits eine absurde Literatur hatte. Für mich war also das Absurde nicht unbedingt das ästhetische Absurde von Ionesco oder Beckett, sondern eher das grotesk abgewandelte Absurde."

Verführung und Jahrmarkt

   Das Stück Die Zielscheibenfrau und ihre zehn Liebhaber ist eine Liebesgeschichte, die ihren Ursprung in einem Gedicht hat (Jede Nacht sie). Das Thema ist die Verführung: Die Zielscheibenfrau schleicht sich jede Nacht von ihrem Mann, dem Messerwerfer weg, um ihrer verrückten Leidenschaft nachzugehen. Die Mischung aus Verbissenheit (die Verführung ist programmiert, die Liebhaber müssen immer zehn an der Zahl sein), Traum (die Notwendigkeit, ihre Freiheit zu leben), dem Verrat, der dem Mann bekannt ist, von ihm akzeptiert und unterstützt wird, dem Schmerz des verlassenen Liebhabers, dem bewusst ist, dass er durch einen anderen ersetzt wird – all das macht die große Dichte und Schönheit des Stückes aus. Der Hintergrund ist umso reizvoller, als er ein Jahrmarkt ist, ein Gruselhaus, das dem Text grobe Züge der Fantasie und des Burlesken verleiht. Das Gruselhaus wird zu einem filigranen Bild einer Welt, die von bizarren Menschen bewohnt wird: das Tier, das von einem Menschen kaum zu unterscheiden ist, Astor Piazzolla, abgeschnittene Köpfe, eine Zwergin, ein Gespenst, ein Inspektor. Zirkus und Groteske.

Die Geschichte von den Pandabären, eine weitere bezaubernde Liebesgeschichte, zeigt eine Realität, die in zwei Ebenen gebrochen ist (Traum und Wirklichkeit). Das ist eines der lyrischsten Stücke Matei Visniecs. Das Poetische daran erwächst aus den Repliken der Figuren und dem Ablauf der Geschichte. Die Struktur des Stückes beruht auf Allegorik: ein Stück in neun Nächten – "neun Nächte können neun Leben sein". Es ist eine Liebesgeschichte, die von einem Er und einer Sie bis zu extremen Konsequenzen gelebt wird, eine Geschichte, die ihre Schauspieler verzehrt und sie buchstäblich verwandelt, um sie schließlich in ein anderes Leben zu versetzen.

Die Opfergalerie

   Pferde am Fenster könnte man als "Schicksale im Visier" interpretieren, denn das Stück analysiert drei (Er)lebens-Attrappen. Drei Figuren (der Sohn, der Vater und der Ehegatte) leben in selbstgebauten Welten, denen sie nicht entkommen können: die Welt des mütterlichen Schutzes (der Sohn), die Welt der eigenen Besessenheit und Gier (der Vater), die Welt der normierten Pseudodisziplin (der Ehegatte, der lächerlicherweise auch zu Hause nach den Regeln der Kaserne lebt). Der militärische Kontext, in dem die Handlung platziert ist, stellt einen perfekten Vorwand dar, um eine Welt zu präsentieren, die von genauen, lückenlos angewandten Regeln beherrscht wird.

Die Figuren sind Spielzeuge zum Aufziehen und keine Menschen. Der Sohn stirbt zu Friedenszeiten "in Ausübung seiner Pflicht", in einer grotesken Manier – die Hand des Schicksals; diese Figur hat einen einzigen Moment, in dem sie den Mut aufbringt, ihr Schicksal zu bekämpfen und "mit dem Pferd" zu reden. Das Pferd/das Schicksal tritt den Sohn, der daraufhin stirbt; der Vater ist ein Entfremdeter, der unterwegs vom Schlachtfeld nach Hause vor Einsamkeit verrückt wird – und das genau zu dem Zeitpunkt, als die Schlacht vorbei ist und er als einziger Überlebender zum Helden wird – die Hand des Schicksals. Der Kämpfer (der Ehegatte) lebt immer mitten im Kampf, mitten auf dem Schlachtfeld, aber vor lauter Eifer schafft er es nicht, tatsächlich daran teilzunehmen. Das Pferd/das Schicksal wird gleich eines zweiten Schlages bezichtigt. Diesmal ist aber nicht mehr die Hand des Schicksals im Spiel, sondern der kollektive Fuß der Armee. Das Schicksal vergisst ihn und die Figur wird zertrampelt, sein Grab wird tragikomisch durch die aufgestapelten Stiefel des ganzen Zuges rekonstruiert.

Das Fallen in den Körper

   Clown gesucht ist eine sprudelnde Komödie mit einem sehr bitteren Nachgeschmack. Drei alternde Clowns warten auf die Chance auf einen Job. Vergebens. Unterwegs zu diesem Job werden aus alten Freunden Verbündete, Feinde, Rivalen. Der Raum, den sie betreten haben, bietet keine Ausgangsmöglichkeit: es gibt keine Fenster und die Türen lassen sich nicht öffnen. Die drei wetteifern durch Sprache (durch Protzen und Schimpfen), Tricks, aber auch Hinterlist. Ein Degradé von zutiefst menschlichem Verfall. Das Warten ersetzt das Schauspiel. Die Show ist eigentlich die nie beginnende Show. Der Text nützt auf subtile Weise komische, burleske, karikaturhafte, groteske und tragische Nuancen aus. Die Einzigartigkeit und die Wiederholbarkeit des schauspielerischen Aktes und der Vorstellung werden zu den zwei Seiten derselben Medaille. Ein Spiel mit dem Scheinbaren, mit dem Theater, mit dem Leben, das mit immer neuen Darstellern immer wieder neu beginnt.

Der verflüssigte Mythos

   Die Kreuzigung Christi ist ein immer wiederkehrendes Thema in Matei Visniecs Werk. Die Spinne in der Wunde behandelt das Thema aus einer neuen Perspektive: wir haben das Gefühl eines kleinen Gottes, der fast nicht wiederzuerkennen ist. Wir ahnen es aber durch seine Sprache, durch die Situation, durch die Notwendigkeit an Wundern, die man von ihm verlangt. Die Tragödie des Gekreuzigten ist menschlich und geschieht im Kleinen. Sie wird durch die lächerliche Furcht vor einer Spinne suggeriert, die in die von Lanzen verursachte Wunde eindringt. Die Furcht ist auch in Nichts tat mir weh präsent (ein kurzes Stück, das in der jüngsten Auflage des Bandes Stell dir vor, du wärst Gott zu finden ist), das auf dem Übergang vom menschlichen Leiden eines Individuums zur Erschaffung einer Religion basiert.

Die verkehrte Sage

   Artus der Verurteilte bezieht sich auf die Artus-Sage, zieht sie aber ins Burleske. Das, was Artus' letzte Augenblicke hätten werden sollen, mutiert zur Parodie eines Endes, von dem wir erwartet hätten, dass es anständig ist. Die Würde des Todes wird durch grausame Banalität und kitschige Demütigung ersetzt, wie in einem verrückten Film, wobei der Text die Idee der Vertikalität des menschlichen Wesens zur Diskussion stellt.

Der Mythos und die Geschichte

   Johanna und das Feuer ist eine zu jeder Zeit gültige Diskussion über die Aktualität der Mythen, über die Möglichkeit der Wunder und über die dunkle Seite der Geschichte. Gleichzeitig bietet das Stück aber eine gute Gelegenheit zur Reflexion über Themen wie das Schreiben und Umschreiben von Geschichte oder die Wunder der Existenz. Es ist eine Diskussion darüber, wie weit unser Bezug zu Geschichte geht, vor allem durch die Texte, die wir lesen. Ein Erfinden der Vergangenheit je nach dem, was die Gegenwart verlangt, ist abstoßend (die Geschichte kann jederzeit verformt, beschnitten, umgedacht werden – im Stück wird als Beispiel dafür das Bild der Johanna von Orleans verwendet).

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

   Die Geschichte des Kommunismus nacherzählt für Geisteskranke ist die eloquenteste Auseinandersetzung des Autors mit der Vergangenheit. Das Thema Kommunismus wird in vielen seiner Interviews ausführlich diskutiert (und Bezüge dazu sind in vielen seiner Stücke zu finden). Der Text ist eine Warnung, die alle wie auch immer gearteten Utopien betrifft und ein Memento für alle Massaker, die im Zeichen des Aufbaus der kommunistischen Utopien geschehen sind. Die Ausgangssituation ist verblüffend: ein Schriftsteller wird damit beauftragt, kommunistische Propaganda in einem Krankenhaus für geistig Kranke zu machen. Auf diese Weise will man den "subversiven" Elementen auf die Spur kommen, die sich vielleicht im Krankenhaus verbergen. Der Schriftsteller schreibt also die Geschichte des Kommunismus so um, dass sie für die Geisteskranken verständlich wird – und bietet dabei richtige Beispiele eines "guten Benehmens".

Die so genannte "Holzsprache" und die Stereotypen des Kommunismus ergeben einen schön verpackten Diskurs, der zur Gehirnwäsche dienen soll – ein weiteres Thema, das in Matei Visniecs Stücken oft vorkommt. Der Wahnsinn als Metapher richtet die Aufmerksamkeit auf das doppelte Denken.

   Das Werk Matei Visniecs weist eine kompakte und dichte Struktur auf und besteht aus Dichtung, Prosa und Theater in unterschiedlicher Menge. Die Stücke sind eine Mischung aus Projektionen, Träumen und Gräueltaten, die einen starken Einfluss auf den Leser ausüben. Die anziehende und verblüffende Thematik und die schier unerschöpfliche Menge an Einfällen, mit denen der Leser verblüfft wird, stellen eine immerwährende Provokation dar. Aber jeder hingeworfene Handschuh verdient es, aufgehoben zu werden. Sich einzulassen auf den Text, ist auf jeden Fall ein Gewinn.
 

Aus dem Rumänischen von Aranca Munteanu

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