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Mit Hitler im Bett

In seiner komplett missglückten Komödie "Mein Führer" versucht Dani Levy,
"die wirklich wahrste Wahrheit über Hitler" zu zeigen. Was er damit erreicht,
ist das genaue Gegenteil: nicht Aufklärung, sondern platte Reduktion.

Von Franz Wagner
(01. 03. 2007)


     Was die neueren Filme über das Dritte Reich – von Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" über Kai Wessels" Groteske "Goebbels und Geduldig" bis zur unlängst im Kino angelaufenen Komödie "Mein Führer" des schweizerisch-deutschen Erfolgsregisseurs Dani Levy ("Alles auf Zucker!") – gemeinsam haben, ist ihre Absicht, den absurden Ernst des Nationalsozialismus aufzudecken und Hitler als den zu zeigen, der er immer war: kein ewig schreiender Mythos, sondern eine Witzfigur, ein gefährlich kranker Mann.

Dass sowohl "Der Untergang" als auch "Mein Führer" – "Goebbels und Geduldig" fällt als TV-Movie etwas aus der Reihe – vom deutschen Feuilleton dabei eine ganze Menge Kritik einstecken mussten, liegt – neben gravierenden Schwächen in der Umsetzung – zunächst wohl auch an einer Prämisse des Kinos selbst: So unerhört vielschichtig wie sie nun einmal ist, lässt sich die Wirklichkeit nie zur Gänze auf die Leinwand bannen. Dies erscheint zunächst wie eine Binsenweisheit, doch der Eindruck täuscht. Denn dass die Totalität der Welt, von der wir ständig umgeben sind, im Kino beträchtlich schrumpft, fällt nur selten auf. Immerhin ist die Ähnlichkeit verblüffend, alles wirkt real. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, deshalb ist es wahr: Solche Sätze stimmen im Kino nur mehr bedingt – ein Umstand, auf den bereits einer der späteren Begründer der Anti-Atombewegung, der deutsche Philosoph und Essayist Günther Anders hingewiesen hat. In seinem scharfsinnigen Essay "Die Welt als Phantom und Matrize" setzte er sich schon Anfang der 1950er Jahre kritisch mit diesem Problem auseinander. Nachdrücklich wies Anders darauf hin, dass die künstlich geschaffenen Bilder durch ihren scheinbaren Realitätsgehalt ihren Betrachtern etwas vorgaukelten, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Gerade dadurch, dass sie die beinah perfekte Illusion von Realität bieten, verschleiern sie das, was sie sonst noch ins Bild fassen könnten, nur umso effektiver. Je mehr die Kamera also zeigt, desto mehr verschweigt sie auch.

    Trotz aller Versuche – etwa durch die Nouvelle Vague Anfang der 1960er Jahre –, sich gegen die vermeintlichen Bedingungen filmischer Realitätskonstruktion zu stemmen, ist die Frage, wo die Grenze des Darstellbaren liegt, stets aktuell geblieben, besonders bei Bildern, die vom Nationalsozialismus handeln. Matrizen gleich erzeugen diese die Maske, durch die wir heute die Zeit vor 1945 betrachten. Vieles davon hat sich ins kollektive mediale Gedächtnis gebrannt, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. Hierüber bemerkte zuletzt Eckhard Fuhr kritisch in der Welt: „Das Dritte Reich ist heute nicht mehr erinnerte deutsche Geschichte, sondern ein Zeichenreservoir, aus dem sich jeder bedienen kann. Gründlicher als durch ihre totale Vergegenwärtigung kann man die Nazi-Geschichte nicht vergessen."

Was die oben genannten Filme versuchen, ist aber gerade das: totale Vergegenwärtigung. In dem Irrglauben, das psychosoziale Gesamtphänomen "Nationalsozialismus" auf die Psyche Hitlers reduzieren zu können, wird der Führer gezeigt, wie er wirklich war. Statt eines erzählenden Zugangs dominiert der Blick auf Singuläres, auf das Letzte, Hinterste, Intimste: Die Regisseure zeigen den Massenmörder aus Braunau fern von geschichlich-sozialen Bezügen, lösen biographische Zusammenhänge in Sequenzen aus schlaglichtartigen Schnitten auf. An die Stelle der Erzählung treten einzelne Bilder, Momentaufnahmen aus dem Leben des Führers, die durch ihre scheinbare Nähe zum Menschen Hitler offenbar das wettmachen wollen, was an historischer Kontinuität und Perspektive fehlt. Des Führers Gesicht in Großaufnahme ersetzt dann nicht allein den Blick aufs große Ganze, es will Letzteres durch Ersteres in Szene setzen: Hitler ist der Nazi. Plakativ formuliert: Wer das Dritte Reich verstehen will, der muss diesem Mann beim Essen zusehen – wörtlich genommen.

    So bekommt man als Zuseher dann Bilder serviert wie diese: Hitler im Führerbunker, ganz privat, in den letzten Stunden vor seinem Tod, beobachtet von seiner Sekretärin Traudl Junge ("Der Untergang"); Hitler – diesmal in humoristischer Überspitzung – ganz nah, subjektiv von seitlich-hinten gefilmt, als grenzdebiler TV-Konsument, der fasziniert nach dem Bild seines liebsten Propagandaministers greift und prompt einen elektrischen Schlag bekommt ("Goebbels und Geduldig"); Hitler, der sich im Trainingsanzug einen Boxkampf mit seinem jüdischen Sparringspartner liefert – und prompt ausgeknockt wird; Hitler, der des nachts auf Dächern herumklettert, in der Badewanne frühkindliche Kriegsspiele veranstaltet, sich mit Alpträumen im Bett wälzt und, das musste wohl kommen, am Ende sogar – missglückten – Sex mit Eva Braun hat ("Mein Führer").

Auch Helge Schneider, der in Dani Levys Slapstick-Farce "Mein Führer" den GRÖFAZ mimt, äußerte sich eine Woche vor der Premiere skeptisch über den Versuch seines Regisseurs (der auch das Drehbuch verfasste), "die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" zu zeigen: "Es geht nur noch darum, wie Hitler gesehen werden soll: Nämlich als Schwächling. Das ist mir zu profan. Ich hätte mir gewünscht, ihn ausführlicher zu zeigen und nicht in so kleine Szenen zu zerschnippeln, zu reduzieren."

    Dabei klingt die Grundidee des Streifens zunächst durchaus witzig. Bei näherem Hinsehen wirkt sie aber genauso wenig bissig wie der ganze Film und erscheint eher wie ein politisch korrektes Versatzstück direkt aus dem Satire-Lehrbuch: Im Dezember 1944 ist der Zweite Weltkrieg beinahe verloren, ganz Berlin liegt in Trümmern. Auch Hitler ist am Tiefpunkt, seine Augen sind leer, er wirkt schwach, weinerlich, orientierungslos. Im Nazi-Hauptquartier macht sich Unruhe breit. Am 1. Januar soll der Führer eine seiner flammenden Reden halten, doch der, geplagt von den Dämonen seiner Kindheit, ist unfähig zu sprechen, er zittert vor Angst, vor seinem herrischen Vater, der ihn als Jungen grundlos grün und blau geprügelt hat. Die zunehmende Schwäche des Führers bereitet auch dem Propagandaminister Sorgen. Aber noch ist es nicht zu spät, Goebbels (Sylvester Groth) hat einen Plan: Professor Adolf (!) Grünbaum (Ulrich Mühe), vor dem Krieg Schauspiellehrer und jetzt als KZ-Häftling in Sachsenhausen interniert, soll – als Jude – im Führer neuen Hass entzünden, ihm als Mentalcoach zur Seite stehen und dem Schreier vom Dienst zu altem rhetorischen Glanz verhelfen. Trotz anfänglicher Reibereien mutiert der Schüler überraschend schnell vom hartschaligen Grantler zum gefühlstriefenden Weichei und regrediert schließlich vollends zum Kind: Im senfgelben Trainingsanzug legt Hitler sich auf die Couch und lässt sich bereitwillig vom Juden Grünbaum analysieren – eine klare Anspielung auf die jüdische "Erfindung" Psychoanalyse. Unterdessen werden böse Pläne gewälzt: Grünbaum will Hitlers Rede sabotieren und ihm bei nächstbester Gelegenheit eins über den Schädel ziehen. Noch teuflischere Ränke schmiedet Joseph Goebbels: Er will sich selbst zum Führer machen und heckt etwas aus, womit niemand rechnet …

Dass man viel aus diesem Film hätte machen können, zeigen einzelne Szenen: Die Episode mit Hitler auf der Couch; Hitler, der einen Globus öffnet, wobei dieser nicht wie üblich als Minibar dient, sondern mit einer bunten Kollektion von Medikamenten befüllt ist. "Das mit der Endlösung dürfen Sie nicht persönlich nehmen", sagt ein jovial-heiterer Goebbels in einer weiteren Szene zum gerade frisch aus dem KZ entlassenen Grünbaum. Etwas später betritt der Professor das Arbeitszimmer Hitlers: "Heilen Sie mich", krächzt der Führer in Richtung des Juden. "Jawohl, Heil Hitler!", grüßt Grünbaum steif zurück.

    Gerade diese letzte Szene zeigt, wie unsicher dieser Film ständig zwischen Tragödie und Komödie schwankt, wie Sprachwitz, unter falschen Vorzeichen eingesetzt, völlig verschenkt wird. Selbst als Parodie wirkt Hitler in seiner vorgeblichen Selbsteinsicht völlig unglaubwürdig, ein Eindruck, der noch verstärkt wird durch die schlecht sitzende Latexmaske, die Helge Schneider trägt. Unwillkürlich denkt man dabei an einen Satz aus dem Film "The Fight Club": „Alles ist eine Kopie, eine Kopie, eine Kopie." Auf "Mein Führer" angewandt: Nicht der Schauspieler haucht der Figur Leben ein, sondern gerade umgekehrt: Die Matrize Hitlers legt sich wie ein Panzer um den Darsteller, beraubt ihn aller Möglichkeit der Interpretation. Dani Levy geht es offensichtlich nicht um Dekonstruktion, sondern um die Bestätigung alter medialer "Vor-Bilder", gegen die auch Helge Schneider zu keinem Zeitpunkt etwas ausrichten kann. Dieser spielt Hitler, ähnlich wie Bruno Ganz, elegisch schwer und langsam, mit tief verstellter Stimme, wie einen, der sich jederzeit bewusst ist, Mörder und psychisches Wrack zu sein. Als Zuseher merkt man dem Trash-Sänger ("Katzeklo") jedenfalls an, welche moralische Verantwortung in seinem Gesicht lastet, wenn er versucht, das Mensch gewordene Grauen darzustellen.

Die didaktische Ernsthaftigkeit und Tragik, die hinter dieser Maske, aber auch hinter vielen anderen Gesten und Szenen hervorsticht – man denke an das von Grünbaums Kopf rinnende Blut, seine anfängliche Nacktheit, die Erschießung am Schluss – widerspricht dabei in krassester Weise einer bloß auf harmlose Lacher abzielenden Komik, die weder etwas aufdecken noch etwas wirklich zeigen und erklären will. So wechselt Slapstick ständig mit real gefühlter Angst, ohne aber im Ergebnis an "echte" Tragikomödien wie "Das Leben ist schön" heranzureichen. Dass Hitler darüber hinaus andauernd an sich zweifelt, raubt der Satire schon im Ansatz jede Möglichkeit zu beißendem Witz. Niemand kann sich über einen lustig machen, der sich selbst nicht ernst nimmt. Dani Levy versucht es trotzdem – und scheitert. Was von diesem Film in Erinnerung bleibt, sind ein paar Lacher und viel Voyeurismus, weiter nichts.


 

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