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Theater in Bukarest 2023

Vielfältig, abwechslungsreich und lebendiger denn je. So könnte man die Theaterszene
des letzten Jahres in der rumänischen Hauptstadt beschreiben. Hier sind vier Produktionen
aus der Menge an Inszenierungen, an die man sich erinnern sollte.

Von Irina Wolf
(20. 03. 2024)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.


 



(c) Adi Bulboaca

"Disco Regret"
(Regie:
Irisz Kovacs)

 
 



(c) Florin Ghioca

"Probe für eine bessere Welt"
(Regie: Radu Afrim)

 


 


(c) teatrelli.com

"Göttinnen der Kategorie B"
(Regie:
Andrei Măjeri)

 

 



(c) Sabina Costinel

"Wir hatten einen
Kirschgarten
"
(Regie:
Eugen Jebeleanu)

Disco Regret

   Ein attraktiver Titel, gleichzeitig ein sehr guter Text eines relativ neuen Autors, 2021 Gewinner des vom freien Theater "Reactor" in Klausenburg organisierten Schreibwettbewerbs "Drama 5". Die Handlung wird von einem jungen Regisseur in Gang gesetzt. Geschieden, deprimiert und pleite, sieht sich dieser gezwungen, in das Haus seiner Eltern in eine Kleinstadt zurückzukehren. Um die Zeit totzuschlagen, schlägt er ein Familienprojekt vor: einen Dokumentarfilm über die langjährige und scheinbar funktionierende Ehe seiner Eltern. Doch unter die Lupe genommen wirkt ihre Beziehung sehr fragil. "Das Erstaunlichste an Doru Vătavuluis Stück ist die Fähigkeit, den Zuschauer in die Lage zu versetzen, sich seine eigenen Eltern als Menschen vorzustellen, die Fehler machen – nicht aus Dummheit oder Bosheit, sondern weil sie Entscheidungen treffen müssen", sagt Regisseurin Irisz Kovacs.

Im Amphitheater-Saal des Metropolis-Theaters, der recht in die Breite geht, spielt das Bühnenbild eine tragende Rolle für den Erfolg der Inszenierung: Zwei durch einen transparenten Vorhang getrennte Räume bieten jedem Zuschauer, unabhängig von der Sitzverteilung, eine einzigartige Perspektive, dem Geschehen in beiden Zimmern gleichzeitig zuzusehen. Die als intimer Ausflug in die 90er-Jahre konzipierte Show zieht Parallelen zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Disco Regret ist ein gelungener Rückblick auf das Heranreifen von Beziehungen.

Probe für eine bessere Welt

   Über Beziehungen einer besonderen Art spricht auch Probe für eine bessere Welt. Der 2022 vom bekannten Satire-Journalisten Mihai Radu veröffentlichte Roman ist das Werk "einer auf moralischer, politischer, ökologischer und zivilisatorischer Ebene spürbaren Krise" – wie der Autor in einem Interview erklärte. Die Geschichte über eine rumänische Familie spielt im heutigen Bukarest, ist dennoch prägend für die gesamte westliche Zivilisation. Im Zentrum steht der Protagonist Paul, ein zynischer, desillusionierter Mann mittleren Alters ohne nennenswerte soziale Beziehungen, den das bevorstehende Ende seines Vaters nicht besonders traurig zu machen scheint. Nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen bringt er seinen im Sterben liegenden Vater aus dem Pflegeheim nach Hause. Seine Ex-Frau fleht ihn an, ihren Welpen zurückzuholen, der von ihrem jetzigen Lebenspartner als Geisel genommen wurde, und über all dem liegt der Schatten eines alten Geheimnisses. "Es ist eine Geschichte über zahlreiche Trennungen: zwischen Ehepartnern, Liebhabern, Eltern und Kindern, zwischen den Generationen, Trennung von der Vergangenheit, von Hoffnungen, sogar von der Zukunft", sagt Autor Mihai Radu, der zusammen mit Ionuţ Sociu für die Dramatisierung verantwortlich zeichnet.

Dem arrivierten Regisseur Radu Afrim schien diese Geschichte auf den Leib geschneidert zu sein. Er entdeckte darin ein großes poetisches Potenzial und schuf einen faszinierenden Bilderreigen, zu dem das von Irina Moscu entworfene Bühnenbild maßgeblich beiträgt: Auf der riesigen Hauptbühne des Nationaltheaters Bukarest werden auf beeindruckende Weise Lebensfragmente wortwörtlich an einer Schnur gezogen oder auf eine außerordentlich große Leinwand projiziert. Die Inszenierung entpuppt sich als turbulente Reise, die durchaus Humor beweist. Probe für eine bessere Welt ist eine Produktion, die alle Sinne anspricht.

Göttinnen der Kategorie B

   Die neue Creart/Teatrelli-Produktion vom Typ Performance-Labor basiert auf einer Idee des jungen geschätzten Regisseurs Andrei Măjeri. Alexandra Felseghis Stück zielt darauf ab, Schauspielerinnen aus drei Städten und drei verschiedenen rumänischen Theatern auf die gleiche Bühne zu bringen und sie zu würdigen: Elena Ivanca (vom Nationaltheater "Lucian Blaga" Klausenburg), Ioana Dragoş Gajdó (vom Theater "Regina Maria" Großwardein) und Silvia Luca (vom Theater "Mihai Eminescu" Botoşani). Denn eigentlich gehören diese außerhalb der lokalen Städte wenig bekannten Schauspielerinnen zur "Kategorie A".

Die halb-autobiografische Performance konzentriert sich hauptsächlich auf die Härte des Theatersystems und auf die nervenaufreibenden Gegebenheiten in der Karriere der drei Schauspielerinnen, die zu bedeutenden Wendungen geführt haben. Geschickt pendelt Măjeris Inszenierung zwischen Realismus und Fiktion, zwischen dem öffentlichen Leben und den prägenden privaten Erlebnissen der drei Künstlerinnen – ein Trio, das mit großartigem Schauspiel und Präzision den Geschichten ein Gesicht gibt. Starke Emotionen werden hervorgerufen, gepaart mit Ironie und Sarkasmus. Göttinnen der Kategorie B schafft es spielerisch und zugleich tiefgreifend, das Publikum für Diskriminierungen und Vorurteile jeglicher Art zu sensibilisieren.

Wir hatten einen Kirschgarten

   Einerseits Tschechows Stück "Der Kirschgarten", adaptiert von Regisseur Eugen Jebeleanu. Andererseits ein brandneuer Text, geschrieben von Yann Verburgh, der in Rumänien im letzten Jahrzehnt des vorherigen Jahrhunderts spielt. Acht Charaktere aus Tschechows Stück stehen in Wir hatten einen Kirschgarten sechs Charakteren aus der zeitgenössischen Fiktion gegenüber. Für Jebeleanu – einer der am meisten geschätzten jungen Theater- und Filmregisseure in Rumänien und in Frankreich – ist das nicht die erste Adaption eines Stücks von Tschechow. Yann Verburghs moderne Geschichte über die Restitution enteigneter rumänischer Immobilien kommuniziert auf charmante und kluge Weise mit Tschechows gesellschaftskritischer Komödie.

Zwei Charaktere dürfen zwischen den beiden Welten navigieren; es gibt klarerweise auch ein Bindeglied zwischen den Texten. Ein spannender Plot mit vielen Wendungen! Mit klugem Geschick und genauem Empfinden für Stimmungen wechselt Jebeleanus Inszenierung im Odeon-Theater zwischen den Geschichten hin und her, die jede für sich alleine überzeugt und doch gerade im Zusammenspiel besonders stark erscheint.

Die Musik von Remi Billardon trägt zur konzentrierten Stimmung bei. Bekannt dafür, Grenzen zu verwischen, erkundet Eugen Jebeleanu auch in Wir hatten einen Kirschgarten das Innere einer Figur anhand eines Künstlers oder einer Künstlerin, die einer anderen Generation oder einem anderen Genre angehört: (Junge) Schauspielerinnen spielen (ältere) Männer bzw. Schauspieler übernehmen Frauenrollen. Darin liegt eine der Stärken der Inszenierung.

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