Die
von Alexandra Badea in französischer Sprache verfassten Stücke wurden in
mehrere Sprachen übersetzt und in Europa sowie in Brasilien, Argentinien,
Kanada, den USA und Taiwan aufgeführt. Ihr Stück Zersplittert wurde
2013 mit dem "Grand Prix de Littérature Dramatique" ausgezeichnet und am
Théâtre National de Strasbourg uraufgeführt. 2015 zum Stückemarkt des
Berliner Theatertreffens eingeladen, erlebte es im selben Jahr die
deutschsprachige Erstaufführung am Schauspielhaus Graz. 2016 wurde ihr vom
französischen Kulturministerium der Titel "Chevalier des Arts et des
Lettres" verliehen.
Exil ist aufs
Ensemble des Nationaltheaters Bukarest zugeschnitten. Die Figur der
Protagonistin Emma, die einen Dokumentarfilm über ihre Familie dreht, um
ihre Identität besser zu verstehen, weist starke autobiografische Züge auf.
Um sie herum hat die Autorin eine spannende Familiensaga erschaffen, die
sich über 80 Jahre und vier Generationen erstreckt. Im Wesentlichen geht es
um vier Frauen, die erfolglos darum kämpfen, an unterschiedlichen Orten
"Wurzeln zu schlagen". Hinter diesem kontinuierlichen Versuch, sich von der
Vergangenheit zu lösen, scheint ein großes Trauma zu stehen, das die
Urgroßmutter erlebte und geschickt verbarg: Als Jüdin hatte sie während des
Zweiten Weltkriegs ihren Namen geändert, um der Abschiebung zu entgehen. Die
Angst eines Lebens unter falscher Identität wird von Generation zu
Generation unbewusst weitergegeben. Es ist ein Teufelskreis, der erst
durchbrochen wird, nachdem die Urgroßmutter die Wahrheit enthüllt.
Badea schafft starke
Charaktere, die sich ihren Ängsten stellen und in schwierigen Situationen
bewähren. Obwohl die Perspektive mehrheitlich weiblich wahrgenommen wird,
sind die männlichen Figuren gleichermaßen gut definiert. Auf der einen Seite
ist Exil eine Geschichte über (psychische) Machtverhältnisse und
Dominanz, auf der anderen über den Versuch, sich daraus zu befreien. Der
Titel verweist auf eine Art inneres Exil, aus dem die Figuren zu fliehen
versuchen. Ferner wird die Hassliebe der Charaktere zu ihrem Mutterland
(Rumänien) und dem Adoptionsland (Frankreich) untersucht. Darüber hinaus
werden Topthemen aufgegriffen, wie das in Rumänien noch nicht aufgearbeitete
kollektive Holocaust-Trauma oder der Klassenkonflikt zur Zeit des
Kommunismus. Damals waren reiche Familien gezwungen, ihr Haus mit
anderen zu teilen, was den Glauben eines Gewinners und eines Verlierers
bekräftigte. Eine Denkweise, die bis heute anhält.
Die vielen Zeitsprünge
lassen die Erzählung fragmentarisch und dadurch am Anfang wenig
nachvollziehbar wirken. Doch versteht es die Regisseurin, Emotionen,
Spannungsmomente und sehr schöne Bilder zu erzeugen. Gelungen ist ihr eine
Montage von Haltungen und Handlungen, die äußerst kunstvoll mittels
Überblendungen zwischen den Figuren und Zeiten springt. In einem
Filmtheater, das teilweise auf einer Leinwand stattfindet, voll mit nüchternen, erschreckenden Fakten und emotional berührenden Situationen. Es
braucht zwei Schauspieler, um denselben Charakter in verschiedenen
Altersstufen zu spielen. So stehen diese manchmal Seite an Seite auf der
Bühne und der ältere betrachtet sein Ebenbild aus der Jugend.
Der von Emma gedrehte
Dokumentarfilm ist ein guter Vorwand für viele Szenen, die in Echtzeit
gefilmt und auf einer Leinwand über der Bühne abgespielt werden. Das entpuppt
sich im riesigen Saal des Nationaltheaters Bukarest als besonders
vorteilhaft, wo sonst die Gesichter der Schauspieler nur für die Zuschauer
in den ersten Reihen deutlich zu sehen sind. Mit einer Kapazität von 940
Plätzen ist der Große Saal im italienischen Stil (einer der sieben Säle des
Gebäudes!) einer der größten Rumäniens und gleichzeitig einer der technisch
bestausgestatteten Europas. Die Videoeinschübe, live oder
aufgezeichnet, bewähren sich als gute Form, um Perspektiven zu
diversifizieren und persönliche Wahrheiten darzustellen. Schon zu Beginn
führt Emma Interviews mit einigen Zuschauern im Theaterfoyer und -saal, die
auf die große Leinwand projiziert werden. Die Fragen behandeln hauptsächlich
Rumänien als Auswanderungsland – ähnlich wie die während der Proben
aufgezeichneten Gespräche zwischen den Schauspielern. Darüber hinaus sind
die dramatischen Episoden selbst detailreich und mit viel Feingefühl
ausgearbeitet. So mischt etwa die Regisseurin psychologische
Elemente mit performativen Einlagen: Während in Echtzeit auf der Leinwand
ein Gesicht zu sehen ist, entfaltet sich auf der Bühne eine andere Szene.
Das ausgeklügelte
Regiekonzept geht auf, weil sich das Ensemble auf seine Gratwanderung
zwischen den Wirklichkeitsebenen einlässt. Ein tolles Stück, das trotz ein
paar Längen und fehlender Selbstironie überzeugt und mit authentischen
Charakteren aufwartet. Scharf geht die Autorin mit der rumänischen
Gesellschaft ins Gericht, die es nicht schafft, schmerzhafte Prägungen und
Familienmuster zu durchbrechen. Letztendlich ist Exil eine Produktion
über Rumänien und die Identitätssuche seiner Bürger im europäischen Kontext.
Kein Wunder, dass jede Vorstellung seit der Premiere Mitte September 2022
restlos ausverkauft ist.