Der
prominente deutsche Strafverteidiger und bekannte Autor von Bestsellern
lässt Herrn Gärtners konkreten Fall von Experten aus verschiedenen
Blickwinkeln untersuchen: moralisch-ethisch, medizinisch, rechtlich und
religiös.
Am Schauspielhaus Graz adaptieren Regisseur Bernd Mottl
und Dramaturg Daniel Grünauer Schirachs Stück, indem sie die Rechtslage
in Österreich einbeziehen. Einer nach dem anderen bringen die Hausärztin
(Steffi Krautz), eine Juristin (Birte Leest), ein Mediziner (Fredrik Jan
Hofmann) und ein Theologe (Clemens Maria Riegler) ihre Argumente vor.
Befragt werden sie abwechselnd von dem Mitglied einer fiktiven
Ethikkommission (Evamaria Salcher) und von Herrn Gärtners Rechtsanwalt.
Moderiert wird das Ganze von der Vorsitzenden der Kommission (Susanne
Konstanze Weber).
Akribisch
recherchierte Argumente zur Situation in Ländern mit liberalen
Sterbehilferegelungen wie den Benelux-Staaten, der Schweiz, dem
US-Bundesstaat Oregon, ja sogar weit zurückreichend bis zum Römischen Reich
werden ebenfalls berücksichtigt. Beispielhaft sind auch die Daten der
Statistik Austria zu Todesursachen und Suizidmethoden in Österreich, die auf
einer großen Leinwand gezeigt werden. Im Allgemeinen spielt die Bildfläche
auf der schlicht in weiß-türkis gehaltenen Bühne (Friedrich Eggert) – das
Ganze spielt sich vor dem Vorhang ab – eine nicht unwichtige Rolle: Jeder
der Experten wird darauf durch Kurzfilme präsentiert und die besorgten
Kinder per Video eingespielt (Fotos & Video: Jörn Hartmann).
Langfristige Veränderungen in der Gesellschaft werden der
Selbstbestimmung des Menschen gegenübergestellt. Betrachtet man nur die
Daten, Zahlen und Fakten, bilden diese eine eher trockene Angelegenheit.
Gekonnt umgeht Regisseur Mottl diese Gefahr und weiß auch Emotionen zu
wecken, sei es mit dem zeitweise prozessähnlichen Ablauf der
Expertenbefragung, mit einer emotionalen Rede von Herrn Gärtner –
beeindruckend Gerhard Balluch – oder mit dem ironischen, leicht humorvollen
Ton seines Rechtsanwalts – großartig Mathias Lodd.
Wie
auch im Fall von Friedrich von Schirachs erstem Theaterstück TERROR
(2015) bildet die Publikumsbeteiligung den spannendsten Teil des
Konstruktes. Denn am Ende werden die Zuschauer gebeten, über eine brisante
Frage zu urteilen: "Halten Sie es für richtig, dass Herr Gärtner das
tödliche Medikament bekommt, um Selbstmord zu verüben?" Im Schauspielhaus
Graz wurden dafür noch am Eingang Stimmgeräte verteilt. Es gab zwei
Abstimmungsphasen. Zunächst sollten die Zuschauer angeben, ob sie
grundsätzlich für oder gegen Sterbehilfe sind: Bei der Premiere im bis zum
dritten Rang gefüllten Haus sprachen sich 77 Prozent dafür aus. Umso
auffallender das Ergebnis nach der umfangreichen Befragung der Experten: Nur
mehr 57 Prozent stimmten für Herrn Gärtners assistierten Suizid.
In seinem "Abschlussplädoyer" lässt Herr Gärtners
Rechtsanwalt einen bedeutsamen Satz fallen: "Wem gehört unser Leben?" Dass
dies zum Nachdenken und zu Diskussionen führt, wurde nach dem tosenden
Schlussapplaus sichtbar, als etliche Zuschauergruppen noch in ihren Sitzen
tief involviert in Gesprächen verweilten. Eine äußerst gelungene
Inszenierung! Und ein guter Beweis dafür, dass sich das Theater als
demokratischer Dialog- und Erfahrungsort wie kaum eine andere Kunstform
eignet, Debatten um Sterbehilfe so breit wie möglich anzulegen und in die
Gesellschaft hinauszutragen.
Die
Reise von GOTT geht weiter. Es folgen Bühnenumsetzungen in Wien,
Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt. Inzwischen kann man in die
Abstimmungsergebnisse in Theatern des gesamten deutschsprachigen Raums auf
der Webseite "gott.theater" Einsicht nehmen.