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Ist das Leben Gottes Geschenk?

Er ist 78 Jahre alt, hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkelkinder. Körperlich und geistig
ist er kerngesund. Trotzdem möchte er – Gärtner ist sein Name – nicht mehr leben. Lebensfreude
und -mut sind seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren verschwunden. Es war kein sanfter Tod: Sie ist
an einem Gehirntumor im Spital gestorben. Aus diesem Anlass beschloss Herr Gärtner, dass er sich
"in Würde jetzt" verabschieden möchte, anstatt "später an Schläuchen zu hängen". Obwohl ihn seine
Kinder von seiner Entscheidung abbringen wollten, haben sie es nicht geschafft, ihren Vater umzu-
stimmen. Da Herr Gärtner in Österreich lebt, wendet er sich an die Ethikkommission. Doch sein
Anliegen wird abgelehnt. Mit 1. Januar 2022 trat zwar das "Sterbeverfügungsgesetz" in Kraft,
allerdings nur für schwerkranke und unheilbar kranke Personen. Diesem sensiblen
Thema des assistierten Suizids nimmt sich Ferdinand von Schirach in seinem
neuen Theaterstück GOTT an.

Von Irina Wolf
(01. 05. 2022)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.




(c) Lex Karelly



"Halten Sie es für richtig,
dass Herr Gärtner das
tödliche Medikament
bekommt, um Selbst-
mord zu verüben?"


 


(c) Lex Karelly



Linktipp

https://gott.theater

   Der prominente deutsche Strafverteidiger und bekannte Autor von Bestsellern lässt Herrn Gärtners konkreten Fall von Experten aus verschiedenen Blickwinkeln untersuchen: moralisch-ethisch, medizinisch, rechtlich und religiös.

Am Schauspielhaus Graz adaptieren Regisseur Bernd Mottl und Dramaturg Daniel Grünauer Schirachs Stück, indem sie die Rechtslage in Österreich einbeziehen. Einer nach dem anderen bringen die Hausärztin (Steffi Krautz), eine Juristin (Birte Leest), ein Mediziner (Fredrik Jan Hofmann) und ein Theologe (Clemens Maria Riegler) ihre Argumente vor. Befragt werden sie abwechselnd von dem Mitglied einer fiktiven Ethikkommission (Evamaria Salcher) und von Herrn Gärtners Rechtsanwalt. Moderiert wird das Ganze von der Vorsitzenden der Kommission (Susanne Konstanze Weber).

   Akribisch recherchierte Argumente zur Situation in Ländern mit liberalen Sterbehilferegelungen wie den Benelux-Staaten, der Schweiz, dem US-Bundesstaat Oregon, ja sogar weit zurückreichend bis zum Römischen Reich werden ebenfalls berücksichtigt. Beispielhaft sind auch die Daten der Statistik Austria zu Todesursachen und Suizidmethoden in Österreich, die auf einer großen Leinwand gezeigt werden. Im Allgemeinen spielt die Bildfläche auf der schlicht in weiß-türkis gehaltenen Bühne (Friedrich Eggert) – das Ganze spielt sich vor dem Vorhang ab – eine nicht unwichtige Rolle: Jeder der Experten wird darauf durch Kurzfilme präsentiert und die besorgten Kinder per Video eingespielt (Fotos & Video: Jörn Hartmann).

Langfristige Veränderungen in der Gesellschaft werden der Selbstbestimmung des Menschen gegenübergestellt. Betrachtet man nur die Daten, Zahlen und Fakten, bilden diese eine eher trockene Angelegenheit. Gekonnt umgeht Regisseur Mottl diese Gefahr und weiß auch Emotionen zu wecken, sei es mit dem zeitweise prozessähnlichen Ablauf der Expertenbefragung, mit einer emotionalen Rede von Herrn Gärtner – beeindruckend Gerhard Balluch – oder mit dem ironischen, leicht humorvollen Ton seines Rechtsanwalts – großartig Mathias Lodd.

   Wie auch im Fall von Friedrich von Schirachs erstem Theaterstück TERROR (2015) bildet die Publikumsbeteiligung den spannendsten Teil des Konstruktes. Denn am Ende werden die Zuschauer gebeten, über eine brisante Frage zu urteilen: "Halten Sie es für richtig, dass Herr Gärtner das tödliche Medikament bekommt, um Selbstmord zu verüben?" Im Schauspielhaus Graz wurden dafür noch am Eingang Stimmgeräte verteilt. Es gab zwei Abstimmungsphasen. Zunächst sollten die Zuschauer angeben, ob sie grundsätzlich für oder gegen Sterbehilfe sind: Bei der Premiere im bis zum dritten Rang gefüllten Haus sprachen sich 77 Prozent dafür aus. Umso auffallender das Ergebnis nach der umfangreichen Befragung der Experten: Nur mehr 57 Prozent stimmten für Herrn Gärtners assistierten Suizid.

In seinem "Abschlussplädoyer" lässt Herr Gärtners Rechtsanwalt einen bedeutsamen Satz fallen: "Wem gehört unser Leben?" Dass dies zum Nachdenken und zu Diskussionen führt, wurde nach dem tosenden Schlussapplaus sichtbar, als etliche Zuschauergruppen noch in ihren Sitzen tief involviert in Gesprächen verweilten. Eine äußerst gelungene Inszenierung! Und ein guter Beweis dafür, dass sich das Theater als demokratischer Dialog- und Erfahrungsort wie kaum eine andere Kunstform eignet, Debatten um Sterbehilfe so breit wie möglich anzulegen und in die Gesellschaft hinauszutragen.

   Die Reise von GOTT geht weiter. Es folgen Bühnenumsetzungen in Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt. Inzwischen kann man in die Abstimmungsergebnisse in Theatern des gesamten deutschsprachigen Raums auf der Webseite "gott.theater" Einsicht nehmen.

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