C arola
Heinrich kontaktierte mich zum ersten Mal vor fast zehn Jahren, um ein
Gespräch über zeitgenössische Dramatik und Inszenierungen in Rumänien zu
führen. Ihr Interesse lag auf dem postkolonialen Verhältnis der rumänischen
Theaterszene zur Sowjetunion. Die entstandene Dissertation bietet vieles
mehr. Die Arbeit richtet ihren Blick auf zwei Länder, die in der
Einflusszone der UdSSR lagen. Der Fokus liegt nicht zufällig auf Kuba und
Rumänien, sind doch beide Staaten romanischsprachig. Die Arbeit gliedert
sich in einen einführenden Abschnitt zur Definition des Oberbegriffes
Translation (kulturelle Übersetzung) und zwei der ihr zugeordneten
Übersetzungsprozesse, einen Bereich zur Analyse der Erinnerungen an die
Sowjetunion anhand verschiedener Inszenierungsformen, gefolgt von
länderübergreifenden Fallbeispielen zwecks einer postsowjetischen
Positionierung, ehe das Werk mit einem Schlussteil zur Gegenüberstellung
der verschiedenen Erinnerungskulturen schließt.
I. Postsowjetische Translationsformen
Im Rahmen des ersten
Kapitels definiert Heinrich den postsowjetischen Postkolonialismus in Kuba
und Rumänien. Abwechselnd werden Einblicke in die Kolonisierung beider
Länder geliefert. Die klare chronologische Reihenfolge ermöglicht einen gut
lesbaren Einstieg in die Geschichte der beiden geografisch weit
auseinanderliegenden Macht- und Einflusszonen der UdSSR. Diese strukturierte
Gliederung zieht sich durch den ganzen Band und erlaubt die Bestimmung eines
eindeutigen Zeitrahmens für jedes ausgewählte Analysebeispiel. Auf eine
Auswahl von Werken, die vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden
sind, wird verzichtet. Der Fokus liegt auf der Reaktion auf den Wegfall der
Hegemonialmacht.
Weiter geht
Heinrich auf kulturelles Gedächtnis und kollektive Identität als Akte der
Vermittlung zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein und stellt in diesem
Zug die Wichtigkeit der zeitlichen sowie räumlichen Auffassung vor. Sodann
werden die drei Kategorien der Analyse von Inszenierungen auf zeitlicher
Ebene dargestellt: Komik, Nostalgie und Machtdimension. In der Translation
auf räumlicher Ebene werden weitere drei Gruppierungen gebildet: Wiederkehr,
Nachahmung und Migration. Daraufhin wird die Konstruktion einer kulturellen
Identität durch Hybridisierung aufgezeigt.
II. Gedächtnis und Identität in der Praxis: Inszenierungen in Kuba und
Rumänien
Im darauffolgenden
Kapitel widmet sich die Autorin der kulturellen Übersetzung auf
zeitlicher Ebene. Verschiedene Inszenierungsformen der Gattungen
Theater, Performance, Film, Video und Hörspiel werden in den drei oben
erwähnten Kategorien beleuchtet. Jede Diskussion wird im jeweiligen
historischen Kontext eingeordnet und damit in ihrem Werdegang
interessant präsentiert. Der gemeinsame Fokus liegt auf Darstellungen
der Figur "der Russin/des Russen" als kulturelles Fremdbild und das
darin implizierte Selbstbild.
Durch Erinnerung an diese
Figur wird das kulturelle Gedächtnis aktualisiert. Jeder Teil der
Inszenierung (Figur, Zeit, Raum, Text) wird einer eigenen kritischen
Reflexion unterworfen. Dabei zeigt sich, dass Heinrich sich der Ergebnisse
und Grenzen ihrer Arbeit bis ins Detail bewusst ist.
Abschließend richtet
Heinrich ihren Fokus auf die kulturelle Übersetzung auf räumlicher Ebene.
Anders als im vorherigen Kapitel zeigen die Fallstudien in den drei oben
genannten Gruppierungen kein gegensätzliches Bild der beiden Länder Kuba und
Rumänien. Die thematische Bandbreite reicht von historischen Themen über die
Thematisierung sozialer Netzwerke oder einer Dreiecksbeziehung, bis hin zum
Drogenhandel. Auch bei der Auswahl der Gattungen wurde auf Vielfalt
geachtet: Absurdes Theater, Dokumentartheater und lyrische Monodramen werden
in Bezug auf die Beziehung zum "Russen" analysiert. Werke verschiedener
Generationen von Autoren wurden ausgewählt, was zu einem umfangreichen
Überblick der Translation auf beiden Ebenen in Kuba und Rumänien führt. Die
Schlussbemerkung deutet interessante Anschlussmöglichkeiten für weitere
Forschungen in Bezug auf andere postsowjetische Staaten und die
Weiterentwicklung der Gattungen an.
III. Fazit
Die
Arbeit von Carola Heinrich ist für einen großen Kreis von Experten
interessant: im Bereich der geschichtlichen Forschung zur Ost-West-Beziehung
an Hoch- und Fachschulen, in der Ausbildung von Studierenden in der Theater-
und Filmszene. Die Autorin bietet neben fundierten theoretischen
Überlegungen auch spannende konkrete Fallstudien. Das Ergebnis ergibt ein
tieferes Verständnis der interkulturellen Verhandlungs- und
Übersetzungsprozesse zwischen der Sowjetunion als postkolonialem Zentrum und
der Peripherie in Kuba und Rumänien. Die besondere Leistung besteht m. E. in
der umfangreichen kritischen Auseinandersetzung mit den praktischen
Beispielen und der Gegenüberstellung der beiden postsowjetischen
Staaten.
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