In
den eigenen vier Wänden! Es handelt sich dabei nämlich um eine Vorstellung
mittels Virtual-Reality-Brille. Damit entwickelt das Schauspielhaus Graz ein
Format weiter, das es in der vergangenen Spielzeit mit der VR-Produktion
"Judas (360°)" im Foyer des Hauses mit ebensolchen Brillen erlebbar gemacht
hat. Diesmal kommt das Theater zum Zuschauer nach Hause. Und das mit
Luxus-Service! Nach dem Ticketerwerb wird die bestellte VR-Brille mittels
Fahrradkurier geliefert, wo die auf der Brille gespeicherte 360°-Aufnahme
abgespielt werden kann. Eine Bedienungsanleitung wird im Paket mitgeliefert.
Nicht nur die Organisation
ist erstklassig, vor allem das Thema ist für die heutige außergewöhnliche
Zeit passend ausgewählt. Anhand des Theaterstücks "Krasnojarsk" des
norwegischen Autors Johan Harstad werden Vereinzelung und Isolation, Liebe
und Enttäuschung, Gewalt und Zärtlichkeit untersucht. Eine Naturkatastrophe
soll ausschlaggebend dafür sein, dass nahezu die gesamte Erdoberfläche
vernichtet ist. In dieser dystopischen Zukunftswelt sucht ein Anthropologe
(Nico Link) Spuren der Menschheit, und das ausgerechnet in der Region
Krasjonarsk, im fernen Sibirien. Eines Tages trifft er auf eine junge Frau
(Katrija Lehmann) und die Geschichte nimmt eine überraschende Wendung.
Gedreht
wurde unter anderem am Neusiedler See im Burgenland – das dem Krasnojarsker
Stausee nahekommt, in der steirischen Weizklamm und im Freilichtmuseum
Vorau. Damit ist Bildgestalter Markus Zizenbacher und Ausstatterin Tanja
Kramberger eine beachtenswerte Umsetzung der sibirischen Steppenlandschaft
gelungen. Regisseur Tom Feichtinger setzt auf nachhaltige Bilder und auf
echte Spannung, vor allem aber auf erstklassige Schauspieler. Souverän
vermischen sich verschiedene Zeitebenen. Da ist zum Beispiel das von
Lustlosigkeit geprägte Abendessen eines Paares in einer luxuriös
ausgestatteten Wohnung unseres Jahrhunderts. Die von Kommunikationsmangel
geprägte Beziehung führt zu einer Flucht des Mannes ins Mittelalter. Da
scheint das Leben noch in Ordnung zu sein. Mittels beeindruckenden
Bildüberblendungen werden solch überraschende Effekte erzeugt.
Auf biblische Weise
überschwemmt gegen Ende eine Flut den Saal des Grazer Schauspielhauses. Die
360-Grad-Technik, in der sich der Zuschauer die Perspektive selbst wählen
kann, macht die düstere Endzeitreise von Johan Harstad dennoch ertragbar.
Visuell kühn, zugleich poetisch und verstörend, aber auch absurd komisch.
Als erstes österreichisches Theater bietet das Schauspielhaus Graz dem
Publikum ein einmaliges Erlebnis im eigenen Drehsessel. Mit diesem Format
ist es dem Team eindrucksvoll gelungen aufzuzeigen, dass neue Wege jenseits
der klassischen Theateraufführung möglich sind.