Irina Wolf:
Die Corona-Pandemie ist im März 2020 ausgebrochen. Wenn ich mich richtig
erinnere, waren Sie zu dem Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten auf
Tournee, um Ihr neues Buch ("A History of Romanian Theater from
Communism to Capitalism. Children of a Restless Time", Anm.) zu
präsentieren. Bitte erzählen Sie mir mehr über den Inhalt des Bandes und
das amerikanische Abenteuer.
Cristina Modreanu:
Ja, das stimmt, genau vor einem Jahr befand ich mich in New York, wo die
Tournee der Präsentation meines Buches beginnen sollte. Es handelt sich
um die erste Publikation in englischer Sprache über das rumänische
Theater, herausgegeben vom Routledge-Verlag. Geplant war, das Buch an
sechs amerikanischen Universitäten zu präsentieren: zuerst bei der Pace
University in New York, dann an der University of Washington in Seattle,
der University of California in Irvine, der University of Arizona in
Phoenix und dem Ithaca College. Die Tournee hätte an der Harvard
University enden sollen, wo das Thema für Geschichtsstudenten auf großes
Interesse gestoßen ist. Ich schaffte es nur, mein erstes "Live"-Treffen
mit Studenten der Pace University abzuhalten. Die Präsentation an der
University of Arizona fand online statt, denn die Studenten befanden
sich bereits in Quarantäne, nachdem in den USA und vor allem in Seattle
mehrere Corona-Cluster entdeckt worden waren. Alles stand still, überall
herrschte Panik und die Campusse wurden geschlossen. Das Rumänische
Kulturinstitut, mit dem ich einen Vertrag für diese Tournee
unterzeichnet hatte, verschwand von der Bildfläche – ein weiteres
Zeichen der allgemeinen Verwirrung, die den Beginn der Pandemie
kennzeichnete.
Um auf Ihre Frage
zurückzukommen: Der Inhalt des Buches entspricht genau dem Titel "A
History of Romanian Theatre from Communism to Capitalism. Children of a
Restless Time". Ich habe es "eine Geschichte" und nicht "die Geschichte"
genannt, weil es sich um meine Version dieser Geschichte handelt.
Übrigens habe ich des öfteren eine subjektive Meinung als fachbezogene
Zuschauerin geäußert und gleichzeitig eine sachkundige Perspektive der
Entwicklung des rumänischen Theaters in den letzten 30 Jahren seit der
Revolution 1989 bis 2019 geboten, als ich dem Verlag das Buch vorlegte.
Es tut mir leid, dass
der Band nicht wie geplant ein echtes "amerikanisches Abenteuer" erleben
konnte, aber das Wichtigste ist, dass dieses Buch existiert. Es ist die
erste Publikation über rumänisches Theater in englischer Sprache und
noch dazu erschienen bei einem renommierten Verlag, der in den
akademischen Kreisen sehr geschätzt wird. Das Wesentliche ist, dass ich
eine Informationslücke über das rumänische Theater geschlossen habe. Das
war mein Hauptziel, der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe,
über das ich schon während meines Aufenthaltes als Gastwissenschaftlerin
an der New York University dank eines Fulbright-Stipendiums nachgedacht
hatte. Damals habe ich darunter gelitten, dass ich meinen Kollegen, die
über das rumänische Theater auf Englisch etwas erfahren wollten, nichts
empfehlen konnte.
Irina Wolf:
In der Zwischenzeit ist ein Jahr vergangen, in dem fast überall auf der
Welt Theater mal geschlossen, mal geöffnet werden. Viele Produktionen
werden online gezeigt. Was halten Sie als Theaterkritikerin von dieser
Situation? Welche rumänische Werke, die während der Pandemie entstanden
sind, würden Sie dem österreichischen Publikum nahebringen wollen?
Cristina Modreanu:
Die Dynamik des Schließens und Öffnens von Theatern ist sowohl für
Künstler als auch für Zuschauer äußerst frustrierend. Letztere wissen
nicht mehr, wann sie etwas sehen können und wann nicht. Einige kaufen
Karten, die nutzlos liegenbleiben, andere haben Angst, einen Theatersaal
zu betreten... In der Zwischenzeit finde ich es interessant, dass es
immer mehr Versuche gibt, Projekte online zu schaffen, und ich spreche
nicht nur von Inszenierungen im traditionellen Sinne. Gleichermaßen
glaube ich, dass die uninspirierteste Initiative dieses komplizierten
Jahres darin bestand, Filmmaterial von schlechter Qualität online
verfügbar zu machen, das eigentlich zu Archivierungszwecken und nicht
zur Ausstrahlung erstellt wurde. Waren einige europäische Theater besser
darauf vorbereitet, Produktionen online anzubieten, weil sie qualitativ
hochwertige Aufnahmen besaßen, befanden sich die meisten Theater in
Rumänien nicht in dieser Lage. Es dauerte Monate, bis Produktionen
speziell für das Internet entwickelt wurden, bis Künstler es verstanden,
dass es sich um ein anderes Kommunikationsmedium handelt, das eine
andere Konvention zum Publikum voraussetzt.
Von den von mir
gesehenen Vorstellungen ist mir "Pool.No Water" in guter Erinnerung
geblieben (Team: Radu Nica – Andu Dumitrescu – Vlaicu Golcea; Produzent:
Ungarisches Staatstheater Klausenburg). Vor Kurzem hatte "Tag Z"
Premiere (Regie: Bobi Pricop; Produzent: Staatstheater Constanţa). Dann
würde ich noch die Online-Serie "Fragile (fragile.live)" bestehend aus
fünf Folgen erwähnen, die fünf weibliche Positionen unserer heutigen
Gesellschaft herausstellen. Dieses Projekt wurde in der unabhängigen
Szene mit der Schauspielerin Ioana Flora als Leiterin produziert. Sie
war schon vor der Pandemie an Theaterfilmprojekten beteiligt, die die
feine Grenze zwischen einer Live-Aufführung und der Ausstrahlung einer
aufgezeichneten Produktion untersuchten. Ein weiteres interessantes
Projekt ist dem neu gegründeten "Unwahrscheinlichen Theater" (Teatrul
Improbabil) zuzuschreiben, das drei Audio-Produktionen von neuen Stücken
junger Dramatiker geschaffen hat.
Aus einem mit dem
Theater zusammenhängenden Bereich möchte ich das einzigartige Projekt
der Bühnenbildnerin Cristina Milea hervorheben. Sie nutzte die Pandemie,
um die Überschneidung zwischen Theater, Mode, Fotografie und Ökologie zu
untersuchen, indem sie theatralische Kostüme aus wiederverwertbaren
Materialien schuf, Kostüme, die von Schauspielerinnen getragen und
während aufwendigen Fotosessions fotografiert wurden. Das Ergebnis ist
auf der Website "Sarltan.ro" sichtbar. Eine dieser Kreationen findet
sich auf dem Umschlag der ersten Ausgabe 2021 von Scena.ro wieder.
Außerdem habe ich die
Möglichkeiten der neuen Online-Szene aktiv getestet, indem ich für die
7. Ausgabe der Bukarester Internationalen Theaterplattform (PITB) das
neue Stück von Alexandra Badea, "Red Line", produzierte (Anm. d. Ü.:
PITB ist ein Festival, das vom 1. bis 4. Oktober 2020 unter dem Motto
"Our House is on Fire" stattgefunden hat). Die Produktion wurde online
gezeigt, ebenso wie das gesamte Programm der Plattform. Das Motto wurde
durch begleitende Diskussionen hervorgehoben. Das Thema ist 2021 äußerst
aktuell und mehr als relevant, denn unser Haus – die Erde als Großes,
die Familie im kleinen Rahmen betrachtet – steht fast "in Flammen".
Irina Wolf:
Sie sind Gründerin des ARPAS-Vereins, der unter anderem das
PITB-Festival und die Scena.ro-Zeitschrift initiiert hat. Wie schreibt
man in dieser Katastrophenzeit über Theater?
Cristina Modreanu:
Ich möchte Ihre Frage zum Anlass nehmen, um zu sagen, dass ARPAS –
Romanian Association for Performance Arts – im März dieses Jahres sein
zehnjähriges Jubiläum feiert. Ich habe diesen Verein 2011 gemeinsam mit
meinen Kollegen Florentina Bratfanof, Casting-Direktorin, und Ciprian
Marinescu, Kurator und Übersetzer neuer Theaterstücke aus dem Deutschen
ins Rumänische, gegründet. Im November 2010 endete meine Amtszeit als
künstlerische Direktorin des Nationalen Theaterfestivals, während der
ich auch den Grundstein für die Zeitschrift der darstellende Künste
Scena.ro gelegt hatte.
Unser Trio hat sich
eine andere Festivalart gewünscht, weniger "festlich", kein
"Schaufenster", sondern eine Plattform für einen echten Dialog mit den
Zuschauern. Dieser Dialog wird durch die in der Zeitschrift publizierten
Artikel fortgesetzt. Er öffnet Wege zu den Theaterszenen weltweit, um
Produktionen, die in Rumänien ignoriert werden, bekannt zu machen. Wir
konnten uns nicht vorstellen, dass wir uns nach einem Jahrzehnt, in dem
wir Dutzende von Projekten und sieben Festivaleditionen organisierten,
vier Ausgaben der Zeitschrift pro Jahr sowie andere wichtige Bücher über
darstellende Künste ins Rumänische übersetzten und veröffentlichten
sowie Kooperationsbeziehungen mit Künstlern aus ganz Europa,
Großbritannien und den USA aufgebaut haben, nun fragen: "Was ist der
Sinn des Ganzen?".
Unabhängige
Organisationen, die Kulturprojekte produzieren, sind in Rumänien immer
noch unsichtbar. Es werden weiterhin große Theaterhäuser vom Staat
subventioniert, die aus diesem Grund keine Probleme aufwerfen. Diese
befassen sich nicht mit problematischen Themen, kritisieren nicht,
nehmen keine Position ein, produzieren dafür aber leicht verdauliche
Kost und realitätsfremde Inszenierungen. All das scheint niemanden zu
stören. Seit Beginn der Pandemie haben unabhängige Künstler alle
Unterstützungsnetzwerke verloren, mehrere unabhängige Theater haben sich
aufgelöst, andere stehen kurz vor dem Verlust ihrer Spielstätte, weil
sie die Miete nicht bezahlen können. Während dieser Zeit erhalten sie
nur Zusagen von den Behörden ohne irgendeine Deckung. Zufälligerweise
beantworte ich Ihre Fragen am 26. März. Dieser Tag wurde in Rumänien zum
#ziuasupravietuirii erklärt (Anm. d. Ü.: #tagdesueberlebens) und ist von
Protesten unabhängiger Künstler in mehreren Städten landesweit geprägt.
Um auf Ihre Frage
zurückzukommen: Während dieser Zeit schreibe ich über das Theater, indem
ich über seine schwerwiegenden Probleme berichte, über die Gefahr, dass
diese Kunst in vielen neoliberalen Gesellschaften auf das Niveau der
einfachen Unterhaltung reduziert wird, obwohl sie das kritische Denken
stärken soll. Ich schreibe darüber, wie wichtig es ist, dass Künstler
ihr künstlerisches Bewusstsein bewahren und ihr Talent respektieren
sollen, indem sie für die notwendigen Bedingungen kämpfen, um diese zwei
Fähigkeiten weiterentwickeln zu können. Ich berichte auch über
Produktionen, die während der Pandemie entstanden sind, aber auch
darüber, wie Künstler beschlossen haben, ihre Arbeitsweise zu ändern.
Veränderungen waren notwendig, wie es im Leben der Fall ist. Nichts kann
gleich bleiben, nachdem wir diese Zeit, dessen Ende noch immer nicht in
Sicht ist, durchlaufen haben.
Irina Wolf:
Die letzte bemerkenswerte Errungenschaft des ARPAS-Vereins ist die
Gestaltung des Multimedia-Wörterbuchs des rumänischen Theaters (DMTR).
Wie kam dieses Projekt zustande? In welcher Phase befindet es sich, wie
viele Phasen sind vorgesehen? Wird es eine Variante des Wörterbuchs auch
in einer anderen Sprache als Rumänisch geben?
Cristina Modreanu:
Ich hatte dieses Projekt schon länger im Sinn und hatte eine
Finanzierung beantragt. Wir erhielten zufällig einen der beantragten
Zuschüsse kurz vor Beginn der Pandemie, also nutzten wir den Lockdown,
um die ersten 50 Einträge zu erstellen. In der rumänischen Kultur wird
seit 30 Jahren über die Notwendigkeit gesprochen, ein Wörterbuch des
rumänischen Theaters zu schaffen. Es gab auch einige Versuche, die aber
nicht abgeschlossen wurden. Durch die Zusammenarbeit mit meinen
Studenten habe ich verstanden, dass sie kein physisches, sondern ein
jederzeit online zugängliches Wörterbuch benötigen, um darin nicht nur
die Ideen der anderen zu finden, sondern auch Materialien, auf deren
Grundlage sie sich ein eigenes Bild über die Vergangenheit des
rumänischen Theaters machen können. Für diese Studenten und für die
nachfolgenden Generationen haben wir das Multimedia-Wörterbuch des
rumänischen Theaters entworfen. Es handelt sich um ein vollständiges
Online-Produkt mit dreidimensionalen Einträgen, das bedeutet, dass wir
nicht nur Artikel inkludieren, die speziell für Theaterfachleute in
Auftrag gegeben wurden, sondern auch Fotos, Poster, Kostüm- und
Bühnenbildskizzen, Briefe und andere eingescannte Materialien,
Videoclips von Produktionen (falls verfügbar), Links zu Webseiten oder
relevante Interviews.
Das Wörterbuch ist in
zwei Kategorien unterteilt: Künstler und Inszenierungen. Für die erste
Phase haben wir den Zeitraum 1950-1989 gewählt, anschließend werden wir
mit der Zeitspanne nach 1990 fortsetzen. Wir stehen noch am Anfang und
bereiten währenddessen neue Förderanträge vor. Wir hoffen, in diesem
Jahr weitere 50 Einträge erstellen zu können, aber es gibt natürlich
noch viel mehr zu erledigen. Es ist also eine langfristige Aufgabe, die
wir uns vorgenommen haben. Wenn ich "wir" sage, meine ich ein Team von
über 20 Theaterfachleuten jeden Alters aus ganz Rumänien. Einige haben
geschrieben, andere haben die Studententeams koordiniert, die
Materialien für die technischen Angaben jedes Wörterbucheintrags
gesammelt, wiederum andere haben Korrektur gelesen, die Webseite
gestaltet, Werbung gemacht oder mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigt.
Ich habe in diesem Projekt Seite an Seite mit der Professorin und
Schriftstellerin Miruna Runcan gearbeitet, die selbst eine angesehene
Forscherin der rumänischen Theatergeschichte und deren Beitrag für das
Projekt von wesentlicher Bedeutung ist.
Wir hoffen natürlich,
dass es eine englische Version von DMTR geben wird, denn dies würde
unserer Kultur eine zusätzliche Chance geben, in der Welt bekannt zu
werden, aber das hängt von der Finanzierung ab. Ich möchte betonen, dass
dieses auch ein unabhängiges Projekt ist, das keine staatliche
Unterstützung hat. Die erste Phase war dank eines Zuschusses vom AFCN
möglich (Anm. d. Ü.: Verwaltung des nationalen Kulturfonds), ansonsten
verfügen wir nur über die logistische und fachspezifische Unterstützung
der Babeş-Bolyai-Universität
Klausenburg und der Universität der Künste Târgu Mureş,
die von Anfang an unsere Partner waren. Ich greife daher auf die Idee
zurück, dass die unabhängige Szene wesentliche Aufgaben des kulturellen
Lebens in Rumänien übernimmt, durch Bildungsprojekte, durch
Kunstinterventionen, durch Gemeinschaftsprojekte, die auch
marginalisierten Kategorien eine Stimme verleihen und nicht zuletzt
durch Projekte zur Aufbewahrung von Archiven wie diesem
Multimedia-Wörterbuch. Trotz allem wird unsere Arbeit nicht anerkannt
und nicht gewürdigt, obwohl subventionierte Institutionen nicht in der
Lage sind, diese zu machen, auch wenn sie über viel mehr Personal und
finanzielle Ressourcen verfügen. Dieses Paradoxon definiert ein altes,
eingerostetes Kultursystem, das aufgrund der fehlenden Reformen nur
schwer funktioniert, aber angesichts der Unfähigkeit der rumänischen
Behörden, die Realität zu verstehen und Prioritäten zu setzen,
widerstandsfähig gegen jede Änderung ist. Dieses Paradoxon ist das
Herzstück des Stillstands der heutigen rumänischen Kultur.
Aus dem Rumänischen von
Irina Wolf.