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For Ever Dancing

Ganz ohne begleitendes Motto diesmal, aber mit einem starken Aufruf zur
Erhaltung von Kultur und Kunst und gegen die Zerstörung bürgerlicher Werte ging
heuer die 26. Auflage des Rumänischen Nationaltheaterfestivals über die Bühne.
Herausragende Schauspielkunst und tänzerische Raffinesse prägten
ein Festspiel voller Poesie und
bildlicher Wucht.

Von Irina Wolf
(13. 12. 2016)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

 



(c) Jean Claude Carbonne

"Das Fresko"
(Regie:
Angelin Preljocaj)

 


(c) Laurent Philippe

"Immersion"
(Regie:
Carolyn Carlson)

 


(c) Florent Drillon

"Burning"

(Regie:
Carolyn Carlson)

 


(c) Mihaela Marin

"Carousel"
(Regie:
Andrei Șerban)

 


(c) Mihai Benea

"Mon Cabaret Noir"
(Regie:
Răzvan Mazilu)

 


 

Linktipp
www.fnt.ro

   Haltestelle "Universität" im Stadtzentrum von Bukarest. Menschenmassen strömen auf dem Weg zur Arbeit aus der U-Bahn. Dennoch finden einige Passanten Zeit, stehen zu bleiben und den in der Mitte der Universitätspassage platzierten Ständen Beachtung zu schenken. Zwei Wochen lang wird im Oktober unermüdlich über die Veranstaltungen des Nationaltheaterfestivals informiert. Die diesjährige Ausgabe – traditionsgemäß organisiert vom rumänischen Theaterverband UNITER und finanziell unterstützt vom Kulturministerium und dem Kulturzentrum ARCUB – fand vom 21. bis zum 30. Oktober statt. Zum dritten Mal in Folge war Marina Constantinescu Intendantin und zugleich künstlerische Leiterin der Festspiele. Überraschenderweise stand die 26. Auflage unter keinem Motto, sie war als "Manifest gegen die Zerstörung der Hochkultur, der bürgerlichen Werte, der tiefgründigen und normalen Welt" gedacht. Innerhalb von zehn Tagen sorgten vierzig der landesweit besten Produktionen sowie hochkarätige internationale Gastspiele für ein vielfältiges und spannendes Programm.

Den Auftakt machte Angelin Preljocajs Tanzkompanie mit Das Fresko. Die auf dem chinesischen Märchen aus dem 13. Jahrhundert Das Gemälde an der Wand basierende Tanzaufführung versetzt den Zuschauer in eine faszinierende Welt der Malerei. Mit beeindruckenden Mitteln überträgt der französische Tänzer und Choreograf albanischer Abstammung die Geschichte eines Mannes, der sich in die Abbildung einer Frau verliebt und auf magische Weise in das Innere des Gemäldes transportiert wird, auf die Bühne. Dabei spielen die Haare der Tänzerinnen eine zentrale Rolle; unentwegt peitschen sie durch die Luft oder verwandeln sich in "Ranken", die von der Decke fallen. Preljocaj wirft somit Fragen der zeitlichen Dimension auf und spiegelt innere Impulse und Regungen, auf denen unsere Träume basieren, wider.

   Von großer poetischer und bildlicher Kraft waren auch Carolyn Carlsons Produktionen. In einer der aus drei Teilen bestehenden Kurzgeschichten tritt die US-amerikanische Tänzerin selbst auf. Zu Wellenklängen verkörpert sie in Immersion die Lebenskraft des Wassers in seiner unendlichen Metamorphose. Ganz anders Burning, das eine besinnliche Reise in das intimste Innere des Menschen vorschlägt. Hauptdarsteller dieser energischen und zugleich fantasievollen Solo-Show ist der koreanische Tänzer Won Myeong Won. Für Carlson bildet das Solo die Hauptform der Choreografie. "Meine Arbeit ist in Qi Gong, Tai Chi und Kampfkunst verwurzelt", sagt die Tänzerin und fährt fort: "Die Schaffung eines Solos ist der intimste, wortlose Dialog auf der Suche nach einer einzigartigen und puren Gestik." Sowohl für Preljocaj als auch für Carlson ist Bewegung " universelle Kommunikationskunst".

Generell stand die diesjährige Festivalauflage im Zeichen des Tanzes und des Musicals. Nicht weniger als zwölf Produktionen – die Gastspiele mit eingerechnet – waren diesen Gattungen gewidmet, darunter Pál Frenaks In a Dream (Nationaltheater Temeswar) und Dominique Serrands For Ever (Ungarisches Staatstheater Klausenburg). Jedoch üben sich auch rumänische Theaterregisseure in Musicals. So lieferte Andrei Șerban mit Carousel (Bulandra-Theater Bukarest) eine originelle Vision von Ferenc Molnárs bekanntem Theaterstück Liliom. Das ist umso überraschender, als es in Rumänien diesbezüglich an Traditionen fehlt. Zum vierten Mal bereits stand der Name des in Frankreich lebenden rumänischen Tänzers und Choreografen Gigi Căciuleanu auf dem Festivalprogramm. Drei seiner neuesten Werke begeisterten das Publikum: L'Om DAdA, One Minute of Dance or OOOF!!! (beide Nationaltheater Bukarest) und Vivaldi and Some Seasons (Nationaltheater Târgu-Mureș, Gruppe "Liviu Rebreanu"). Zudem widmeten die Organisatoren dem Künstler eine Fotoausstellung im Foyer des Bukarester Nationaltheaters.

   Zu meinen persönlichen Highlights gehört eindeutig Răzvan Mazilus Mon Cabaret Noir. Seit längerer Zeit setzt sich der rumänische Choreograf und Tänzer mit der Kunstform des Musicals auseinander. "Begonnen habe ich schon 2001, als ich den Blauen Engel im Bukarester Odeon-Theater gab", erinnert sich Mazilu. Für Mon Cabaret Noir begibt er sich zusammen mit vier sehr begabten Darstellerinnen auf die Spuren von Anita Berber – der rebellierenden Avantgardistin der 1920er Jahre, die als Modell für die später wesentlich bekannter gewordenen Akteurinnen Marlene Dietrich und Greta Garbo gilt. "Noir heißt die Performance deshalb, weil sie Schattenseiten von Berbers Persönlichkeit beleuchtet", erklärt Mazilu. Der kleine, intime Raum des "Teatrelli"-Zentrums für Kreation, Kunst und Tradition wird gänzlich in ein Berliner Kabarett verwandelt. Für Mazilu fließen "Tanz, Theater und Musik harmonisch ineinander". Auch vertritt er die Meinung, "dass das Publikum diese Art von intelligenter Unterhaltung braucht". Dem kann ich nach der einmaligen Zeitreise ins kabarettistische Berlin der 20er Jahre nur zustimmen.

Um seinem Namen gerecht zu werden, umfasste das Programm auch Sprechtheater-Inszenierungen. Großformatige Produktionen, Zwei-Personen-Stücke oder Monodramen wurden auf sieben Großbühnen der rumänischen Hauptstadt oder in den intimen etablierten Räumen der unabhängigen Bukarester Szene (wie Unteatru, Godot-Café oder Luni-Theater bei Green Hours) gezeigt. Der 1998 eröffneten Spielstätte des ACT-Theaters galt besondere Aufmerksamkeit. Eine Schau mit Plakaten sowie eine dem Gründer des ACT-Theaters (Marcel Iureș) gewidmete Fotoausstellung würdigten das erste selbstständige Projekttheater in Rumänien, das 2016 seine "Reifeprüfung" bestand. Etliche Buchpräsentationen (nicht weniger als fünfzehn!) bereicherten das Festival. Eine im Nationalen Kunstmuseum eindrucksvoll eingerichtete Installation des Bühnenbildners Dragoș Buhagiar, persönliche Begegnungen mit Regisseuren und Filmvorführungen rundeten das Programmangebot ab.

   Den krönenden Abschluss bildete Der Kirschgarten in der Regie von Lev Dodin. Der Leiter des legendären Sankt Petersburger Maly-Theaters sorgt seit vierzig Jahren für volle Säle in Theaterhäusern und für einen Stil, der weit über Russland hinaus bekannt ist. Mehr als ein Jahrhundert später scheint Tschechows Meisterwerk aktueller denn je zu sein. In Dodins zauberhafter und edler Inszenierung entpuppt sich eine Welt, in der die alten Werte und Strukturen in einem beängstigenden Tempo abgebaut werden. Womöglich ist Der Kirschgarten das Kernstück des von Marina Constantinescu ausgelegten Manifests.

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