Schon
vor fünf Jahren hegte der portugiesische Regisseur, seit 2014 künstlerischer
Leiter des Nationaltheaters Lissabon und künftiger Direktor des Festivals
d'Avignon, "den Wunsch und die Neugier, die Erfahrungen derjenigen zu
kennen, die im Bereich der humanitären Hilfe arbeiten". Rodrigues wollte
aber keinen Bericht über das Phänomen der humanitären Vereinigungen
erstellen, sondern vielmehr "die Geschichten, die uns alle berühren und die
Art und Weise, wie wir über Leid, Gewalt und Katastrophen denken", auf die
Bühne bringen.
Für die auf Interviews
basierende Produktion war geplant, dass der Regisseur und sein Team
hilfeleistenden Menschen auf IKRK-Missionen folgen sollten. Doch die
Pandemie machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. So mussten sie sich
damit begnügen, in Genf mit Männern und Frauen zusammenzukommen, die
humanitäre Arbeit zu ihrem Beruf gemacht haben. Somit spiegelt sich das
Dilemma der humanitären Helfer, die zwischen sensiblen, sogar stark
umkämpften Interventionsgebieten und dem "friedlichen Zuhause" hin und her
pendeln in Im Rahmen des Unmöglichen wider, eine Produktion von
Comédie de Genève in Koproduktion mit zahlreichen namhaften Theatern und
Festivals, unter anderem Odéon – Théâtre de l’Europe – Paris, Piccolo Teatro
di Milano – Teatro d’Europa, CSS Teatro stabile di innovazione del FVG –
Udine, Festival d’Automne à Paris, Maillon Théâtre de Strasbourg – Scène
européenne.
Vier
Schauspieler –
Adrien Barazzone, Beatriz Brás, Baptiste Coustenoble und Natacha Koutchoumov
(seit 2017 gemeinsam mit Denis Maillefer Ko-Direktorin der Comédie de
Genève) –
sowie der Musiker und Komponist Gabriel Ferrandini bilden die Besetzung von
Rodrigues Inszenierung. Doch die Pandemie schlägt noch einmal zu:
Nachdem Beatriz Brás positiv auf Corona getestet wurde,
treten nur vier Künstler
auf der Bühne des Teatro Palamostre in Udine auf. Als Folge erleidet
die Aufführung vom 19. Februar ein paar kleine Änderungen, wie uns Natacha
Koutchoumov schon vor Beginn der Vorstellung ankündigt: Eine Szene fehlt,
eine andere wird vom Tonband wiedergegeben.
Auf Französisch und
Englisch, teilweise auf Italienisch und Portugiesisch, übermitteln die nur
mehr drei Schauspieler die Geschichten der in Genf interviewten Helfer. Es
sind unterschiedliche Erfahrungen, die bezeugen, wie diese Menschen die Welt
und sich selbst wahrnehmen. Doch anstatt die Komplexität der Erfahrungen zu
interpretieren, entschied sich Rodrigues, die Charaktere der Helfer selbst
auf die Bühne zu bringen. Starke Bilder entstehen in den Köpfen der
Zuschauer. Gebannt hört man den Schauspielern zu, die das Publikum direkt
ansprechen. Man ist völlig eingenommen von dem, was man hört.
Im
schnellen Tempo wechseln sich beklemmende Erzählungen über nicht
ausreichende Blutkonserven für Kinder, die diese Blutkonserven benötigen,
mit schaurigen Geschichten über Feuerpausen und Fluchtkorridore ab. Am
abscheulichsten fand ich die Lektüre eines Briefes über einen pädophilen
Helfer, der Kinder aus beschossenen Gebieten für seine sexuellen Triebe
ausnützte und feine Pastete als Katzenfutter in Interventionsgebieten
einsetzte. Es sind Erzählungen über Leid und Gewalt, aber auch über Hoffnung
und Freude, die die humanitären Helfer während ihrer Missionen erlebt haben,
ebenso viele Versionen, wie es Menschen gibt. Saubere weiße Laken, in denen
Leichen eingewickelt werden, sind ein Symbol der Würde.
An Symbolen fehlt es
nicht. Das beginnt schon beim Bühnenbild, einer Konstruktion von
zu Dünen und "Bergen" aufgeworfenen Zeltplanen, die von Kabeln gehalten und
von den Schauspielern in der Art von
Bootssegeln bewegt wird; möglich gemacht durch ein System von
Flaschenzügen, die sich auf beiden Seiten der Bühne befinden. Dadurch
entstehen beeindruckend abstrakte Landschaften. Allmählich wird die
Konstruktion gehoben und enthüllt den Schlagzeuger Gabriel Ferrandini. Mit
seiner Live-Musik, die von sanften Geräuschen bis zu einem Stakkato von
Schüssen reicht, fesselt er die Zuschauer.
Tiago
Rodrigues bekräftigt mit seiner neuesten Arbeit sein Talent als Autor eines
poetischen und subversiven Theaters. Der Geniestreich liegt jedoch darin,
dass die Regionen der Welt, in denen die Helfer agieren, nie genannt werden.
Stattdessen sind sie unter einem einzigen Begriff zusammengeführt: "das
Unmögliche". Während hilfeleistende Menschen Schmerz und Leid in den
"Regionen des Unmöglichen" erleben, wandern ihre Gedanken des Öfteren zu den
in den Gebieten des "Möglichen" zurückgelassenen Familien. Allein "das
Gesicht einer Mutter ist im Bereich des Möglichen dasselbe wie im Bereich
des Unmöglichen", wird in der Produktion angedeutet.
Im Rahmen des Unmöglichen
ist aber kein dokumentarisches Theater. Tiago Rodrigues besteht darauf, dass
er dokumentiertes Theater macht, ohne den Anspruch zu erheben, einen
generellen Essay über die Problematik der humanitären Erfahrung produziert
zu haben. Die Nähe von Leid, Gefahr und Gewalt, aber auch von Menschenwürde
und Resilienz, verschafft uns durch diese Produktion Zugang zu einer anderen
Art, die Welt zu erleben. Obwohl der Wunsch nach Veränderung Teil der
Hauptmotivation der Helfer war, den humanitären Weg einzuschlagen, sind sie
sich letztendlich bewusst, dass sie die Welt nicht verändern können. "Allein
die Tatsache, dass humanitäre Aktivitäten existieren, ja sogar zunehmend
andauern, zeichnet ein tragisches Bild der Menschheit" – mit diesen Worten
schließt Tiago Rodrigues seine Arbeit ab. Die Realität hat uns inzwischen
alle eingeholt.