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Der Transit
Folgen und Alternativen für die Entwicklung der Regionen

Von Stephan Brückl

Der Freihandel, so die weitverbreitete Ansicht, bringe Wohlstand und sei allen
daran Beteiligten nützlich. Nach dieser Rechnung müsste die Beseitigung von Zoll-
und Handelsschranken, billige Transportkosten und die schnelle Erreichbarkeit, kurzum:
der freie Warenverkehr ein allgemeines Ziel sein.

Nun ist der Brenner, als wichtigster Alpenübergang und wichtige Autobahnverbindung
zwischen Nord- und Südeuropa ein "Symbol für die internationale Verflechtung",
seit längerem Schauplatz von Protesten gegen den überbordenden Transitverkehr.
Da sich dieser Widerstand gleichzeitig als Widerstand gegen den Freihandel und die
Globalisierung begreift, ist man versucht, ihn als wirtschafts- und wohlstandsfeindlich
einzustufen. Dem ist nicht so, wie Stephan Brückl, Mitverfasser der
"Alpenschutz-Transiterklärung" darlegt, denn vom Freihandel und freier
Warenverkehr profitieren längst nicht alle. Die Klein- und Kleinstbetriebe
auf betrieblicher und die strukturschwachen Regionen auf geographischer
Ebene werden durch die Globalisierung einem Wettbewerbsdruck ausgesetzt,
dem sie nicht standhalten können. Freihandel, Globalisierung und freier
Warenverkehr bringen also nicht automatisch Wohlstand mit sich; vielmehr
stehen "Umsatz und Einkommenseinbußen, Entlassungen, Betriebsschließungen
auf der einen, und eine Fusionswelle auf der anderen Seite."

Dipl. Oec. Stephan Brückl
ist Gründer, Gesellschafter und Geschäftsführer des Süddeutschen
Instituts für nachhaltiges Wirtschaften in Augsburg

Homepage: www.sueddeutsches-institut.de
Kontakt: sueddeutsches.institut@t-online.de


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1. Der Brenner: Symbol für internationale Verflechtung

     Der Brenner ist heute wie schon seit langem nicht nur eine Autobahnverbindung zwischen Nord- und Südeuropa sondern zugleich ein Symbol für die hohe Wertschätzung, die dem Aussenhandel bislang zuteil wurde. Der Brenner erleichtert den Transport zwischen Regionen. Ist dies ein positiver Effekt? Fördert dies die Entwicklung der beteiligten Regionen, also Tirols und Südtirols als durchfahrene Regionen sowie der jeweiligen Quell- und Zielregionen? Traditionell würde man ohne zögern mit ja antworten. Begründet auf die Thesen Ricardos und späterer Freihandelstheoretiker soll eine freie Entfaltung des Handels Wohlstand für alle Beteiligten ermöglichen. Doch ist dem tatsächlich so? Profitieren tatsächlich alle Beteiligten vom Wachstum von Güterverkehr und Handel? Wirklich?

Antworten auf diese Frage könnten von verschiedenen Seiten erfolgen. Im Folgenden wird jedoch die Frage der aktuellen Problemlage in den Unternehmen der verschiedenen Regionen im Mittelpunkt stehen. Wo liegen demnach heute die größten Probleme von Regionen und den in Ihnen ansässigen Unternehmen? Die Antwort hierauf ist nicht schwer zu finden: das Hauptthema heißt "erhöhte Konkurrenz" und damit verbunden "mangelnde Wettbewerbsfähigkeit". Und woher kommt diese Problem? Auch hier fällt die Antwort relativ eindeutig aus: erhöhte Internationalisierung, oder einfach: Globalisierung.

2. Globalisierung: Ursachen und Folgen

    Wodurch wird dieses Phänomen der Globalisierung vorangetrieben? Hierauf können einfache und relativ übereinstimmende Antworten gefunden werden:

1. Abbau von Zoll- und nichttarifären Handelshemnissen
2. sinkende Kommunikationskosten
3. sinkende Transportkosten

Alle drei Entwicklungen sind politisch gewollt und werden durch die bereits erwähnte Freihandelslehre legitimiert. Doch was waren die Folgen? Erhöhter Wettbewerbsdruck, sprich Umsatz- und Einkommenseinbussen, Entlassungen, Betriebsschliessungen auf der einen Seite und Fusionswelle auf der anderen Seite.


Abb.1: Zusammenhang von billigen Transport und Wettbewerbsdruck

Diese Entwicklungen sollen im folgenden genauer untersucht werden: die folgenden Darstellungen der Entwicklung wichtiger Variablen wie

- Zahl der Arbeitslosen
- Zahl der Beschäftigten
- reales Nettoeinkommen und
- Lkw-Km

zeigt auf, daß trotz oder wegen zunehmenden Verkehrs die Arbeitslosigkeit zu- und die Zahl der Beschäftigten sowie das reale Nettoeinkommen abgenommen hat.


Abb.2a: zentrale Trends


Abb.2b: zentrale Trends

3. Folgen auf der Unternehmensebene

     Diese Veränderung hängen eng mit der Entwicklung im Unternehmenssektor zusammen – sie sind Ergebnisse der laufenden Prozesse im Bereich des Wettbewerbs. Zwei der zentralen Trends in diesem Bereich lauten:

- Pleitewelle
- Konzentrationswelle

Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Konkurse. Die Zahl der Konkurse ist von 1991 bis 1997 kontinuierlich auf knapp 20000 Insolvenzverfahren gestiegen und hat damit einen einmaligen historischen Höchststand erreicht (Creditreform 2/99, S.21).


Abb.3: Entwicklung der Insolvenzen

Betrachtet man die Größenstruktur derjenigen Unternehmen die Konkurs gemacht haben, so zeigt sich, daß es in erster Linie Kleinbetriebe bzw. Kleinstbetriebe mit 1-5 Mitarbeitern getroffen hat (Creditreform 2/99, S.25).


Abb.4: Größenstruktur zahlungsunfähiger Unternehmen

Auf der anderen Seite zeigt sich ein ebenso bislang nicht dagewesener Trend zur Konzentration ab. Die Konzentrationswelle weist ebenfalls einen in der jüngeren Geschichte bislang nicht gekannten Umfang auf. Die Zahl stieg dramatisch von 8000 Fusionen auf 24000 an. Der Wert der Fusionen lag 1998 bei 2310 Mrd.$.


Abb.5: Entwicklung der Fusionen von 1992 bis 1998

Diese Entwicklung der Fusionen hat alles was bislang zu diesem Thema prognostiziert bzw. beobachtet wurde in den Schatten gestellt. Wie gewaltig diese Bewegung ist zeigt sich z.B. daran, daß mittlerweile eigene Lehrstühle für Fusionen eingerichtet werden. Der Herausgeber des Trendletters, Axel Gloger, schreibt hierzu im Jahrbuch für Management-Weiterbildung 1999:

Die Merger-Mania wirkt sich stärker auf die Unternehmenslandschaft aus als alles, was vorher diskutiert und umgesetzt wurde. Der Druck kam von außen, durch das Faktische: Globalisierung, der Zwang zu höheren Renditen, ... und das Diktat der Welt-Finanzmärkte haben die beispiellose Fusions- und Kaufwelle in Bewegung gebracht.

Diese Entwicklung führt zu steigender Marktmacht der fusionierten Unternehmen, die mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln (wie globalen Einkauf bzw. Werbung) den verbleibenden kleineren Wettbewerbern abermals das Leben erschweren werden.

Dies wird sich in vielen Branchen bemerkbar machen bis hin zu den Autohäusern wo schon jetzt prognostiziert wird, daß die konventionellen Kleinanbieter "zugunsten von großen Verkaufshäusern am Rand von Ballungsgebieten verschwinden" werden (Schmelzer 1999, 39).


Abb.6: Folgen der Globalisierung

Die genannten Entwicklungstrends betreffen alle Regionen: Transit-, Ziel- und Quellregionen. Sie sind – um es noch einmal zu wiederholen - Folge der Globalisierung, die durch den Ausbau bestehender Straßen weiter forciert wird.

Der Handel hat seine Form und Funktion in den letzten zweihundert Jahren deutlich geändert. Die wesentlichen Unterschiede sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst. (Siehe unten!)

4. Ausweg Unternehmensgründungen?

     Vor diesem problematischen Hintergrund wurde in den letzten Jahren viel Hoffnung auf Unternehmensgründungen gesetzt. Tatsächlich ist hier eine deutliche Zunahme zu verzeichnen, doch scheitern viele Gründungen innerhalb der ersten fünf Jahre (Schätzungen sprechen von bis zu fünfzig Prozent). Die Gründe für dieses Scheitern sind vielfältig:

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Abb.7: Gründe für Pleiten

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Berater sehen den Beratungsbedarf junger Unternehmen in den folgenden Bereichen:
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Abb.8: Beratungsbedarf junger Unternehmen

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Diese Aufstellungen machen deutlich wo man ansetzen müsste, wenn man jungen Unternehmen tatsächlich helfen möchte. Eine fehlende Verkehrsanbindung findet sich jedenfalls nicht unter den genannten Aspekten.

5. Der vernachlässigte Bereich der Unternehmensnachfolge

     Es wurde bereits festgestellt, daß viele Unternehmen durch erhöhte Konkurrenz verschwinden während eine nicht unbeachtliche Zahl von Neuunternehmensgründungen scheitert. Hinzukommt ein dritter Negativtrend, der Regionen treffen wird bzw. bereits trifft: das Nachfolger- bzw. Übergabeproblem.

Eine erhebliche Anzahl von Unternehmen wird heute von Personen angeführt die in den nächsten Jahren in den Ruhestand übertreten werden. Ihr Abtreten wird in vielen Fällen die Fortführung der Unternehmen gefährden. Für die Region gehen damit nicht nur weitere Betriebe verloren sondern zusätzlich zumeist handwerklich orientierte Spezialanbieter, die eine klare Profilierung gegenüber den überregional angebotenen Massenprodukten ermöglichten. Alle drei Tendenzen können dazu führen, daß der Mittelstand als Rückgrat einer eigenständigen regionalen Entwicklung verschwindet bzw. enorm an Bedeutung verliert.

6. Konzentration und Instabilität

    Fasst man diese Entwicklungen zusammen so können wir feststellen, daß

- sich das Verhältnis von Groß- und Kleinunternehmen drastisch verändert
- größere Unternehmen dabei rasch zu Wirtschaftsgiganten wachsen
- mittelständische und kleinere Unternehmen des Generations- bzw. Übergabeproblems bedroht werden
- kleine Betrieb aufgrund der erhöhten Konkurrenz verschwinden
- Gründer oft in den Anfangsjahren scheitern

Diese Trends haben ihrerseits Folgewirkungen wie

- Verlust von Lehrstellen (Kleinbetriebe bieten traditionell mehr Lehrstellen)
- Anstieg von unqualifizierten Billigjobs
- Rückgang an Beschäftigungsperspektiven

Die lässt viele der Durchschnittsregionen unattraktiv werden, was zur Abwanderung zumeist der fähigsten Nachwuchskräfte in Ballungsgebiete führt. Damit setzt sich der Polarisierungskreislauf fort.

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Abb.9: Weitere Folgewirkungen


Die angesprochenen Wirkungen und Folgewirkungen auf der Ebene der jeweiligen Regionen wird überlagert durch eine allgemein zunehmende Instabilität der Weltwirtschaft.

Dieses von uns bereits 1994 und 1996 prognostizierte Phänomen ist mittlerweile eingetreten. Paul Krugman, einer der international führenden Ökonomen spricht von einer großen Rezession der Weltwirtschaft (Asienkrise), für die im Gegensatz zu früher kaum mehr handfeste Ursachen auszumachen sind. Sie sind ihrerseits bedingt durch struktureller Veränderungen im Wirtschaftssystem, in deren Folge kleine Veränderungen zunehmend große Wirkungen erzeugen [Krugman 1999].

Es wäre äusserst unklug darauf zu vertrauen, daß diese Region weit entfernt ist. In einer globalen Wirtschaft ist keine Region weit entfernt – bedingt durch den Wegfall von Zoll- und Handelshemmnissen, niederen Transportkosten und die hohe öffentliche Subvention vor allem des Straßengüterverkehrs.

7. Was tun?

     Die damit verbundenen Gefahren für die jeweiligen Regionen werden an vielen Orten deutlich gespürt und auch diskutiert. Die für die regionale Wirtschaftspolitik Verantwortlichen zentrale Frage lautet nun: wie kann die eigene Region gestärkt werden um den zunehmenden Wettbewerb in der globalen Ökonomie zu bestehen. Analog zur gleichlautenden Frage auf der Ebene des einzelnen Unternehmens ist damit die Frage der strategischen Ausrichtung angesprochen. Was soll und was kann in der Region in Zukunft überhaupt noch produziert werden?

Soll die Struktur erhalten bleiben und d.h. in den meisten Fällen

- Erhalt einer diversifizierten mittelständischen Struktur oder soll
- die Region im Rahmen einer Clusterbildung auf einen spezielles Feld wie Info, Tourismus oder dgl. ausgerichtet werden
- die Region als Niedrigpreisregion Zulieferdienste übernehmen oder
- als Schlafregion für benachbarte Zentren profiliert werden.

Hierauf müssen Antworten gegeben bzw. gefunden werden. Anschließend stellt sich die Frage nach den jeweils dafür geeigneten Steuerungshebeln und der anzuwendenden Umsetzungsstrategie.

8. Überforderung der Regionalentwickler

     Die Relevanz der angesprochenen Frage und der skizzierten Handlungsoptionen dürfte heute von niemanden ernsthaft bestritten werden. Doch betrachtet man, wo und wie in der Praxis Gelder und Zeit eingesetzt werden so stellt man in vielen Fällen fest, daß

- das theoretisch und konzeptionelle Gerüst zur Entwicklung der regionalen Wirtschaft dürftig
- die Ausführung bürokratisch bis dilletantisch
- die Finanzmittel ungebrochen in die gleichen Kanäle sprich Verwendungen wie früher fliessen

Michael Porter, weltweit führender Wettbewerbstheoretiker, schreibt zu den Anforderungen für erfolgreiche Regionalinitiativen: „Initiativen müssen auf dem Wunsch nach greifbaren Resultaten beruhen. Ihre Führung sollte niemals akademischen Einrichtungen, Denkfabriken oder staatlichen Stellen überlassen werden, die nur um der Forschung willen forschen [Porter 1999, 282]." Traditionelle Regionalentwickler sitzen jedoch zumeist im Netzwerk ebensolcher Einrichtungen.

9. Straßenbau: kein Ausweg aus der Hilflosigkeit

    Statt die Situation zur Kenntnis zu nehmen, Ursachenforschung zu betreiben und engagiert zu handeln werden immer noch auf der Grundlage von inzwischen veralteten Plänen der Ausbau von Straßen als geeignete Strategie empfohlen. Dieses Mittel ist jedoch, wie bereits eine eigens angefertigte Vorläuferstudie aufzeigte, ungeeignet um eine dauerhafte Entwicklung einzuleiten [Brückl, Molt 1996].

Daß der Straßenbau als wirtschaftspolitisches Instrument ausgedient hat, wurde bereits 1992 auf einer europaweiten Verkehrsminister-Tagung als Fazit vorliegender Forschungsergebnisse festgehalten: „Trotz dieser wissenschaftlichen Zurückhaltung und Warnungen ist der Mythos von den Effekten größerer Transportinfrastrukturen nicht totzukriegen" [Plessard 1994, 36]. Wer hat daraus gelernt?

Wie die EU-Komission bzw. Verkehrsministerkonferenz oder andere berufene Komissionen trotz dieser Ergebnisse zur Propagierung der transeuropäischen Netze kommen, ist nicht nachzuvollziehen und vermutlich wohl nur mit politischen Interessen bzw. gezielter Lobbyarbeit zu erklären.

Daß eine derartige Strategie nicht zielführend ist wird auch aus drei anderen Blickwinkeln (über-) deutlich:

aus Kostengründen: wenn der Ausbau der TEN bzw. des überregionalen Straßennetzes dazu dienen soll, die Kosten zu senken, so ist festzuhalten, daß die Transportkosten heute bei gerade noch 1-2 Prozent liegen. Würde dieser Kostenfaktor gänzlich verschwinden so könnten die Waren 1-2 Prozent billiger angeboten werden, ein im Rahmen von Preiskämpfen vernachlässigbarer Wert.

aus Effizienzgründen: diese Kostensenkung würde mit massiven Einsatz von nicht erneuerbaren Ressourcen wie Landschaft und Erdöl erkauft. Umweltverschmutzung heisst, daß Güter nicht weiterverwendet werden, sondern in der Umwelt deponiert bzw. fein verteilt werden (wie CO2, NOx etc.). Ein derartiger Umgang mit Stoffen stellt eine Verschwendung knapper Ressourcen dar, die im Widersprucg zu ökonomischen Effizienzdenken steht. Dies ist mittlerweile auch von Betriebswirten erkannt (Porter 1999, 16).

aus Verteilungsgründen: der Bau und Erhalt von Infrastruktur kostet Geld. Dieses Geld stammt in erster Linie von ansässigen Klein- und Mittelbetrieben sowie von privaten Haushalten. Konzerne, die in erster Linie von den billigen Transporten profitieren bezahlen hingegen kaum noch Steuern.

Betrachtet man die zwischen den genannten Faktoren bestehenden Zusammenhänge, so zeigen sich zwei selbstverstärkende Regelkreise:

Der Regelkreis 1 zeigt, dass eine Verbilligung des Verkehrs zu einer Zunahme an Verkehr und Globalisierung führt, was Ausbauforderungen nach sich zieht, die ihrerseits in weiteren Infrastrukturausbau münden.

Regelkreis 2 zeigt, dass der durch die Globalisierung zunehmende Wettbewerbsdruck zu steigenden Verlagerungen führt, was seinerseits den Verkehr ansteigen lässt.

Beide Regelkreise "heizen sich gegenseitig an" und – das ist das steuerpolitisch Fatale – führen dazu, dass die Steuereinnahmen durch Verlagerungen sinken, während die Steuerausgaben steigen.

Die beschriebenen Wirkungszusammenhänge führen - ohne Gegensteuerung von aussen - dazu, dass internationale Verflechtung, der Verkehr und die Infrastruktur weiterhin wachsen, während die finanzielle öffentliche Handlungsfähigkeit permanent sinkt (was momentan ja auch tatsächlich der Fall ist).

Kommen wir zurück zur regionalen Ebene. Bei den regionalen Entscheidern sind die Erkenntnisse von der Ungeeignetheit des Straßenbaus jedenfalls noch nicht angelangt. Hier besteht akuter Aufklärungsbedarf. Darüberhinaus ist in diesem Zusammenhang klar zu machen, wo Alternativen bestehen und wie diese angegangen werden können.

10. Das regionale System steuern lernen

     Daß Regionalentwicklung eine nicht so einfache Angelegenheit ist wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß Regionalpolitik einen Eingriff in ein vernetztes System darstellt. In vernetzten Systemen haben Eingriffe oftmals Auswirkungen, die im vollkommenen Gegensatz zu den beabsichtigten Wirkungen stehen. Dies ist mittlerweile in einer Vielzahl von Studien belegt (Dörner 1989, Vester 1984).

Anfang 99 wurde von uns in einer württembergischen Region (vermutlich weltweit zum ersten Mal) mit wirtschaftlichen Akteuren der Region ein Wirkungsgefüge über die zentralen regionalen Einflussvariablen und deren Zusammenhänge erstellt.

Von den Entscheidern der Region wurden folgende Variablen als relevant benannt:

Mikroökonomische/betriebswirtschaftliche Variablen

Unternehmerqualifikation
Mitarbeiterqualifikation
Qualität der Produkte und Dienstleistungen
Innovationen

Regionalökonomische Variablen

Beschäftigung im Dienstleistungssektor
Beschäftigung in der Industrie
Ansiedlungen
Schließungen
Unternehmensgründungen
Unternehmenswachstum
Exportvolumen
Kaufkraft der Region
Kaufkraftbindung
Filialisierungsumfang
Branchenmix
Erreichbarkeit
Mietpreisniveau

Sozioökonomische & ökologische Variablen

Selbständigkeit
Nutzung d. Stärken
Gesprächsbereitschaft
Vertrauen
regionale Kommunikation
regionale Kooperation
regionales Umweltmanagement
Umweltqualität
Lebensqualität
Attraktivität d.Region

Regionalpolitische Variablen:

Engagement der Politik
öffentlicher Handlungsspielraum
Flexibilität der Institutionen
Exportförderung
Kredit- und Förderangebot
Innovationsförderung
Ausbildungsniveau
Bestandspflege
Gewerbegebiete

Diese Variablen stehen in den unterschiedlichsten Beziehungen, die im folgenden Wirkungsgefüge eingezeichnet sind. Dabei wurden nur starke Beziehungen mit aufgenommen.

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Abb.10: Das regionale Wirkungsgefüge zeigt die bestehenden Zusammenhänge auf
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Obwohl dies Aussenstehende vielleicht überraschen mag: derartige Systeme können mithilfe moderner Instrumente hinsichtlich geeigneter Steuerungshebel und geeigneter Strategien analysiert werden (Vester 1999).

Eine erste Diagnose dieses Systems erbrachte, daß

- in diesem System über 600 Regelkreise (Rückwirkungspfade) existieren,
- das System instabil ist
- es sehr träge reagiert (Entwicklungen demnach zeitintensiv sind)
- daß es durch 12 Variablen beeinflusst/gesteuert werden kann die in der folgenden Graphik im links oberen Bereich liegen.
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Abb.11: Die Einflussmartrix zeigt als systemisches "Röntgenbild", wo geeignete Steuerungehebel liegen
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Interessanterweise handelt es sich bei dem genannten Steuerungshebel in erster Linie um weiche Faktoren wie z.B. Innovationsfähigkeit, Kreativität etc. Daß diese Variablen v.a. durch unternehmerisches Handeln unterstützt werden (was Porter fordert) liegt auf der Hand und bestätigt die an anderen Stellen gewonnen Erkenntnisse [Stöhr 1990, Waldert 1992].

11. Nachhaltige Alternativen zu Verkehrswachstum und Infrastrukturausbau

     Im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens liegen heute eine Reihe von Möglichkeiten vor, die es erlauben gleichzeitig Kosten zu senken und die Umwelt zu schützen. Dies sei im Folgenden an drei Beispielen verdeutlicht.

private Energiesparmaßnahmen: in der BRD werden mit einer persönlichen Energieberatung-vor-Ort Empfehlungen für eine Senkung der Energiekosten und CO2-Emissionen gegeben. Nicht nur daß hierdurch in Zukunft Erdöltransporte in Größenordnung von 10-20% entfallen. Die durchschnittlichen durch solche Gutachten ausgelösten Investitionen liegen bei 280000 ATS, die in erster Linie dem lokalen Handwerk zugute kommen. Das von Staat mit ca. 5000 ATS bezuschusste Gutachten hat demnach einen um das über 50 fache höheren Wertschöpfungseffekt. Dies ist ein Multiplikator der meines Wissens nach bei anderen öffentlichen Ausgaben unerreicht ist.

Durch die Förderung von Verwertungskooperativen wie in Kalundborg (Erdölraffinerie beliefert Heizkraftwerk, welches Fernwärme für die Gemeinde Kalundborg und Abwärme für eine Fabrik und eine Fischzucht liefert. Die Flugasche des Kraftwerks findet in einem Zementwerke Verwendung, der Schlamm aus der Fischzucht in der Landwirtschaft usw.) oder der Steiermark können Entsorgungskosten um bis zu 70% gesenkt werden. Gleichzeitig werden Deponien entlastet und weiträumige Ver- bzw. Entsorgungsverkehre überflüssig. Dies ist Effizienz im Sinne der Nachhaltigkeit – die von der EU bislang jedoch nicht in erkennbaren Masse unterstützt wird.

In eine ähnliche Richtung geht das System von Null-Emissions-Produktionsverbünden. Dabei steht zumeist die Frage im Vordergrund wie ein Abfall bzw. Rohstoff bestmöglichst in neuen Produktionsverbünden genutzt werden kann. Hierbei ergeben sich spezielle Clusterlösungen, wofür Beispiele mittlerweile weltweit in über 50 Bereichen gefunden werden können [Pauli 1999, 157]:

Alle drei Beispiele sind (mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung) in jeder Region und sofort machbar!

Sie erfordern Kreativität, systemisches Denken und innovatives unternehmerisches Herangehen. Sie zeigen deutlich, wo unsere Zukunft liegt: in umweltverträglichen kleinräumigen Produktionsnetzen, die Güterverkehr und Transit dauerhaft reduzieren....

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Abb.12: Einsatz und Wirkung stattlicher Gelder beim Energiesparen


Literaturverzeichnis:

Brückl S., Molt W. (1992): Zur volkswirtschaftlichen Problematik des Verkehrs. In: Projektgruppe Verkehrsforschung/Universität Augsburg - Beiträge zur Mobilitätsforschung und Verkehrswissenschaft 1, S.1-13.
Brückl S., Molt W. (1995): Slow: Nachhaltiges Wirtschaften, Verkehrsvermeidung und Entschleunigung - eine alternative Perspektive für Europa. Süddeutsches Institut, Augsburg.
Brückl S., Molt W. (1996): Kostenwahrheit - Verkehrsinfrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung. Studie des Süddeutschen Instituts für nachhaltiges Wirtschaften und Oeko-Logistik GmbH im Auftrag vom Transitforum Austria-Tirol.
Brückl S. (1995): Stoffstrommanagement: der kooperative Weg zum nachhaltigen Wirtschaften. In: Office Management, Heft 3/1995, S. 66.
Brückl S., Böning J. (1995): Regionalorientierte Ökobilanzierung. In: UmweltWirtschaftsForum, 3. Jg., Heft 2/1995, S. 12-18.
Brückl S. (1998): Nachhaltiges Wirtschaften in der Region. In: Littig B. (Hrsg.): Ökologie und soziale Krise: wie zukunftsfähig ist die Nachhaltigkeit? S. 125-139. Edition Volkshochschule Wien.
Creditreform [1999]: Insolvenzen in Deutschland. Auf hohem Niveau. In Creditreform 2/99, S.21ff.
deZoeten [1996]: Die Kraft der Region.
Dörner D. [1989]: Die Logik des Misslingens. Hamburg.
Gloger A. [1998]: Megatrends der Weiterbildung. In: Seminare `99: Das Jahrbuch der M;anagement-Weiterbildung, S.65-76.
Huffschmid J.[1999]: Politische Ökonomie der Finanzmärkte. Hamburg.
Jenner G. [1999]: Das Ende des Kapitalismus. Frankfurt/Main.
Krugman P. [1999]: Die grosse Rezession. Frankfurt, New York.
Pauli G. [1999]: UpCycling.
Porter M.E. [1999]: Wettbewerb und Strategie. München.
Schmelzer G.[1999]: "Das Tante-Emma-Autohaus verschwindet". In: impulse 2/99, S. 39.
Stöhr W.[1990]: Gobal competition and local response. Wien.
Vester F.[1984]: Neuland des Denkens. Vom technokratischen ins kybernetische Zeitalter. München.
Vester F.[1999]: Die Kunst, vernetzt zu denken. Stuttgart.
Waldert H.[1992]: Gründungen. Wien.
Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung [1998]: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele – ein Weg. Bonn.


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Tabelle 1: Handel früher (links) und heute (rechts) [Jenner 199, 79]
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Der Handel zwischen den Staaten

früher

heute

Handel mit ungleichen Gütern

Überwiegend (oder potentiell) nützliche Wirkungen durch Teilung der Arbeit

Handel mit gleichen Gütern

Überwiegend schädliche Wirkung durch ungebändigten Wettbewerb

Stufe I
(geringes Volumen)
Handel zwischen Agrargesellschaften

Symbolischer Handel

Tausch von Nahrungsmitteln

Tausch von Handwerksartikeln

.

Stufe II
(größeres Volumen)
Handel zwischen Rohstoff- und Industrieländern

Klassischer Handel:
Rohstoffe gegen industrielle Produkte
..

Stufe III
(hoher Wert)
Handel zwischen Industrieländern

Spezialisierung

Technologische Differenzierung

Unterschiedliche Methoden etc.

Substitutiver Handel

Deindustrialisierung von unten, wachsende Arbeitslosigkeit, Reichtum für eine Minderheit

Verdrängungshandel

Bei gleichem Sozialniveau der Handelspartner sinnloses Nullsummenspiel.

Sonst Sozialdumping und Absinken des höheren auf das niedrigere Sozialniveau des jeweiligen Handelspartners


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