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Die Lust am Einknicken
...

In seinem Buch "Hurra, wir kapitulieren!" lässt der Spiegel-Journalist und Börne-
Preisträger Henryk M. Broder kein gutes Haar an der von ihm konstatierten Gefälligkeit
des Westens gegenüber der islamischen Welt. Seine meist differenzierte, manchmal
aber auch arg vereinfachende Analyse zeugt von derselben verbohrten
Einseitigkeit, die er andern (zu Recht) ankreidet.

.
V
on Hans Durrer
(01. 10. 2007)

...




(c) Blazenka Kostolna

Hans Durrer
contact@hansdurrer.com

geboren 1953 in Grabs (Schweiz), studierte Rechts-
wissenschaften (in Basel),
Journalistik (in Cardiff) und
angewandte Linguistik (in
Darwin); ist der Autor von
"Ways of Perception: On
Visual and Intercultural
Communication" (White
Lotus Press, Bangkok
2006).



Homepage

www.hansdurrer.com

 

 

Henryk M. Broder.
Hurra, wir kapitulieren!
WJS, 2006. 167 S.
ISBN: 393798920X


Inhalt

In den Niederlanden wurde
im Namen Allahs ein Filmre-
gisseur ermordet, Muslime
zündeten dänische Botschaften
an, um gegen die Veröffent-
lichung von Mohammed-
Karikaturen zu "protestieren".
Die Schweizer Firma Nestlé
schaltete daraufhin Anzeigen
in arabischen Zeitungen, in
denen sie versicherte, sie
werde künftig keine Pro-
dukte aus Dänemark mehr
verwenden. Europa sucht
sein Heil im Appeasement,
in der vorauseilenden Selbst-
aufgabe. Henryk M. Broder
widmet sich in seiner neuen
Streitschrift der europäischen
Reaktion auf die Herausfor-
derungen des Islamismus
und gelangt dabei zu einer
alarmierenden Einsicht: Wie
die Erfüllungspolitik gegen-
über Hitler die aggressive
Haltung der Nazis nur beför-
dert hat, so laufen die
Europäer mit ihrer Beschwich-
tigungshaltung heute Gefahr,
die Transformation Europas
in einen islamischen Konti-
nent zu beschleunigen.
(Quelle: amazon.de)

 

 

 

Mit Broder bin ich der
Meinung, dass der west-
liche Mensch "der islam-
ischen Offensive nichts
entgegenzusetzen hat –
außer Angst, Feigheit
und der Sorge um seine
Handelsbilanz."

 

 

 

Linktipp

http://de.wikipedia.org/
wiki/Henryk_M._Broder

 

 

 

Gelegentlich schreibt
Broder auch schlicht
Unsinn. Dass etwa Noam
Chomsky und Uri Avnery
sich den Antisemiten als
Sachverständige und
Zeugen dafür anböten,
"was die Juden alles
falsch machen."

 

 

 

Buchtipp

Henryk. M. Broder.
Die Irren von Zion.
Dtv, 1999, 288 S.
ISBN: 3423307382

 

 

 

Broder macht ganz
praktische Vorschläge
dafür, wie man es bei
der Begegnung der
Kulturen auch hätte
machen können.

 

   "Kann das wahr sein? Ist das die Zukunft der Berichterstattung: der inszenierte Kniefall? Auf CNN wird Lord Ahmed, der erste Muslim, der zum Mitglied des britischen Oberhauses ernannt wurde, zu Salman Rushdie befragt, der im Juni zum "Ritter" geschlagen worden ist. Rushdies Ernennung zum Sir hatte die "religiösen Gefühle" der islamischen Welt verletzt wieder einmal", schrieb Henryk M. Broder letzthin unter dem Titel "Der Dichter und die Brandstifter" auf Spiegel online.

"Die religiösen Gefühle der islamischen Welt verletzt"? Zugegeben, ich kann das schon nicht mehr hören, nicht zuletzt deswegen, weil ich gar nicht verstehe, was an religiösen Gefühlen so besonders sein sollte, dass sie speziellen Schutzes bedürften. Nur am Rande: haben diese Leute eigentlich eine Vorstellung davon, wie sie mit solchen Äußerungen meine Gefühle verletzen?

"Zu gern hätte man erfahren", schreibt Broder weiter, "warum Millionen gläubiger Muslime sich über ein Buch aufregen, das die wenigsten von ihnen gelesen haben. Auch ein zärtlicher Hinweis darauf, das Jesus täglich mit Häme und Spott überzogen wird, ohne dass beleidigte Christen 'Tod den Ungläubigen!' schreien, wäre nicht verkehrt gewesen."

   Nur eben, dazu gehört heutzutage erstaunlicherweise (so weit sind wir nämlich schon) Mut. Und diesen gerade von den Repräsentanten der Medien zu verlangen wäre ja dann doch etwas unrealistisch, schließlich ist Mut ja auch bei anderen Repräsentanten der Gesellschaft nicht gerade häufig anzutreffen.

Doch noch einmal Broder:

"Unter den wenigen, die es wagten, Ursache und Wirkung wieder in das richtige Verhältnis zu bringen, war auch die kanadische Autorin Irshad Manji, eine liberale Muslima. Sie sei auch beleidigt, schrieb sie, "weil es eine Fatwa gibt, die Frauen dazu verurteilt, zu Hause zu bleiben und sich jederzeit zu bedecken", und weil "so viele andere Muslime nicht beleidigt sind", wenn bei Bombenanschlägen Muslime in Stücke gerissen werden. Es sei, "höchste Zeit, die Scheinheiligkeit im Namen des Islam zu verbannen". Denn: "Salman Rushdie ist nicht das Problem. Die Muslime selbst sind es."

***

   Da sich die Essenz der Broderschen Gedanken zum Thema Einknicken vor dem Islam im gerade aufgeführten Artikel finden lässt, mag man sich fragen, weshalb man eigentlich noch sein Buch (Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! WJS-Verlag, Berlin, 8. Auflage, 2006) lesen soll. Weil der Mann ganz exzellenten – also gut dokumentierten, gut argumentierenden – Journalismus liefert.

Man erinnert sich an die zwölf Karikaturen, die am 30. September 2005 in "Jyllands-Posten" erschienen sind. Womöglich erinnert man sich aber nicht mehr daran (falls man je davon Kenntnis genommen hat), dass diese Karikaturen von einem Artikel des Kulturchefs Flemming Rose begleitet waren, der unter anderem schrieb: "Einige Muslime lehnen die moderne, säkularisierte Gesellschaft ab. Sie beanspruchen eine Sonderbehandlung, wenn sie auf spezielle Rücksichtnahmen auf eigene religiöse Gefühle bestehen. Das ist unvereinbar mit einer westlichen Demokratie und Meinungsfreiheit, angesichts derer man sich damit abfinden muss, zur Zielscheibe von Hohn und Spott zu werden oder sich lächerlich machen zu lassen." Es ist Broders Verdienst, dass er uns mit diesem Zitat (das ich in seinem Buch zum ersten Mal gedruckt sah, obwohl ich doch unzählige Artikel zum Karikaturen-Streit gelesen habe) daran erinnert, worum es bei diesem Streit eigentlich hätte gehen können: dass nämlich da, wo wir leben, "unsere" Regeln gelten sollten.

   Was mich zuallererst für "Hurra, wir kapitulieren!" eingenommen hat, war die Widmung. "Für mich, zum Sechzigsten", lautet sie. Schön, dass der Mann Humor hat. Auch wenn er einen nicht hundertprozentig für seine exzessiven Tiraden gegen die von ihm so ausdauernd kritisierten Gutmenschen entschädigt. Und gelegentlich wundert man sich, was ihn da wohl antreibt. Psychologen bitte nicht vortreten, gesunder Menschenverstand genügt.

Mit Broder bin ich der Meinung, dass der westliche Mensch "der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz." Ganz entschieden anderer Meinung bin ich jedoch bei Sätzen wie "die Idee, man könnte den Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen" übersteige "die Grenze zum Irrealen", denn von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis Guantanamo und der Überführung von Beschuldigten in Staaten, wo brutaler gefoltert werden kann.

Übrigens: Der Begriff "Terror" wird von Broder so gebraucht, wie ihn auch George W. Bush mit seinem "War on Terror" andauernd heraufbeschwört, also als Allerweltskeule. Dabei bezeichnet "Terror" nichts anderes als eine Art des Kämpfens, eine Methode. Das sagt Wikipedia dazu: "Der Terror (lateinisch der Schrecken, von terrere in Schrecken versetzen) ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt um Menschen gefügig zu machen und besonders zur Erreichung politischer sowie wirtschaftlicher Ziele, was man als Terrorismus bezeichnet." Anders gesagt: aus 10.000 Fuß Bomben abzuwerfen ist ebenso Terror wie sich in einem Restaurant in die Luft zu sprengen. Für welchen Zweck auch immer.

   Obwohl ein Polemiker und manchmal etwas arg vereinfachend ("Den meisten Menschen, die heute einen Flug buchen, ist es nicht mal klar, dass sie als Geiseln genommen werden. Sie zahlen eine Sicherheitsgebühr, müssen ihre Taschen leeren, sich abtasten lassen und dumme Fragen beantworten – alles, weil man immer und überall mit einem Anschlag rechnen muss" behauptet er, ganz als ob solche "Sicherheitsmaßnahmen" von den Terroristen und nicht etwa von "Sicherheitsexperten" eingeführt wurden. Im Übrigen sind dies Maßnahmen, die, wie jeder weiß, absolut gar nichts nützen: man tut so, daß es aussieht, als ob man was tue), undifferenziert ist er meist nicht, nur eben von genau derselben verbohrten Einseitigkeit, die er andern (zu Recht) ankreidet. So schreibt er: "Die Welt atmete tief durch und der außenpolitisch völlig unerfahrene Experte für Verkehrsplanung freute sich wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn, dem alle entgegenkommenden Autos im letzten Moment ausweichen." Die Rede ist, nicht gerade überraschend, von Ahmadinedschad. Von George W. Bush hätte man genau dasselbe sagen können, ausgenommen, dass er in irgendwas ein Experte sei.

Gelegentlich schreibt Broder auch schlicht Unsinn. Dass etwa Noam Chomsky und Uri Avnery sich den Antisemiten als Sachverständige und Zeugen dafür anböten, "was die Juden (beziehungsweise inzwischen Zionisten) alles falsch machen und warum es politisch richtig und moralisch klug ist, Juden beziehungsweise Zionisten nicht zu mögen".

   Doch die Lektüre lohnt. Weil man unter anderem von Alain Finkielkrauts differenzierten, doch klaren Positionen erfährt (dass, zum Beispiel, die meisten arbeitslosen Jugendlichen in Frankreich Schwarze und Araber und nicht etwa Chinesen, Vietnamesen und Portugiesen sind), und davon, dass es Kulturen "des Fleißes und der Betriebsamkeit" und solche "der Scham und der Schande" gibt ("natürlich mit Abstufungen", so Broder), und auch davon, in welchen Ländern besonders häufig Sex-Sites im Internet frequentiert werden.

Broder macht übrigens auch ganz praktische Vorschläge dafür, wie man es bei der Begegnung der Kulturen auch hätte machen können oder wie man es in Zukunft machen könnte. Hier ein Beispiel, das mir besonders gut gefallen hat: "Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hätte vor Jahren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels statt an die 'Islamkennerin' Annemarie Schimmel an den von Islamisten bedrohten Salman Rushdie verleihen und damit demonstrieren können, was der Börsenverein von der Todesfatwa gegen Rushdie hält, die von Frau Schimmel mit großem Verständnis kommentiert wurde."

PS: Priyamvada Gopal, der an der Universität von Cambridge Englisch lehrt, meint, dass Salman Rushdie seinen Sir wohl vor allem dafür gekriegt habe, dass er die Invasionen Afghanistans und des Irak lautstark unterstützt und Kritik am "War on Terror" als blöden Anti-Amerikanismus verurteilt hat.

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