"Kann
das wahr sein? Ist das die Zukunft der Berichterstattung: der inszenierte
Kniefall? Auf CNN wird Lord Ahmed, der erste Muslim, der zum Mitglied des
britischen Oberhauses ernannt wurde, zu Salman Rushdie befragt, der
im Juni zum "Ritter" geschlagen
worden ist. Rushdies Ernennung zum Sir hatte die "religiösen Gefühle"
der islamischen Welt verletzt
–
wieder einmal", schrieb Henryk M. Broder letzthin unter dem Titel
"Der Dichter und die Brandstifter" auf Spiegel
online.
"Die
religiösen Gefühle der islamischen Welt verletzt"? Zugegeben, ich kann das
schon nicht mehr hören, nicht zuletzt deswegen, weil ich gar nicht verstehe,
was an religiösen Gefühlen so besonders sein sollte, dass sie speziellen
Schutzes bedürften. Nur am Rande: haben diese Leute eigentlich eine
Vorstellung davon, wie sie mit solchen Äußerungen
meine Gefühle verletzen?
"Zu
gern hätte man erfahren", schreibt Broder weiter, "warum
Millionen gläubiger Muslime sich über ein Buch aufregen, das die wenigsten
von ihnen gelesen haben. Auch ein zärtlicher Hinweis darauf, das Jesus
täglich mit Häme und Spott überzogen wird, ohne dass beleidigte Christen
'Tod den Ungläubigen!'
schreien, wäre nicht verkehrt gewesen."
Nur eben, dazu gehört
heutzutage erstaunlicherweise (so weit sind wir nämlich schon) Mut. Und
diesen gerade von den Repräsentanten der Medien zu verlangen wäre ja dann
doch etwas unrealistisch, schließlich ist Mut ja auch
bei anderen Repräsentanten der Gesellschaft nicht gerade häufig anzutreffen.
Doch noch einmal Broder:
"Unter
den wenigen, die es wagten, Ursache und Wirkung wieder in das richtige
Verhältnis zu bringen, war auch die kanadische Autorin Irshad Manji, eine
liberale Muslima. Sie sei auch beleidigt, schrieb sie, "weil es eine Fatwa
gibt, die Frauen dazu verurteilt, zu Hause zu bleiben und sich jederzeit zu
bedecken", und weil "so viele andere Muslime nicht beleidigt sind", wenn bei
Bombenanschlägen Muslime in Stücke gerissen werden. Es sei, "höchste Zeit,
die Scheinheiligkeit im Namen des Islam zu verbannen". Denn: "Salman Rushdie
ist nicht das Problem. Die Muslime selbst sind es."
***
Da sich die Essenz der
Broderschen Gedanken zum Thema Einknicken vor dem Islam im gerade
aufgeführten Artikel finden lässt, mag man sich
fragen, weshalb man eigentlich noch sein Buch (Henryk M. Broder: Hurra, wir
kapitulieren! WJS-Verlag, Berlin, 8. Auflage, 2006) lesen soll. Weil der
Mann ganz exzellenten – also gut dokumentierten, gut argumentierenden –
Journalismus liefert.
Man erinnert sich an die
zwölf Karikaturen, die am 30. September 2005 in "Jyllands-Posten"
erschienen sind. Womöglich erinnert man sich aber nicht mehr daran (falls
man je davon Kenntnis genommen hat), dass diese
Karikaturen von einem Artikel des Kulturchefs Flemming Rose begleitet waren,
der unter anderem schrieb: "Einige Muslime lehnen die
moderne, säkularisierte Gesellschaft ab. Sie beanspruchen eine
Sonderbehandlung, wenn sie auf spezielle Rücksichtnahmen auf eigene
religiöse Gefühle bestehen. Das ist unvereinbar mit einer westlichen
Demokratie und Meinungsfreiheit, angesichts derer man sich damit abfinden
muss, zur Zielscheibe von Hohn und Spott zu werden oder sich lächerlich
machen zu lassen." Es ist Broders Verdienst, dass er uns mit diesem Zitat
(das ich in seinem Buch zum ersten Mal gedruckt sah, obwohl ich doch
unzählige Artikel zum Karikaturen-Streit gelesen habe) daran erinnert, worum
es bei diesem Streit eigentlich hätte gehen können: dass nämlich da, wo wir
leben, "unsere" Regeln gelten
sollten.
Was mich zuallererst für
"Hurra, wir kapitulieren!" eingenommen hat, war die
Widmung. "Für mich, zum Sechzigsten", lautet sie.
Schön, dass der Mann Humor hat. Auch wenn er einen nicht hundertprozentig
für seine exzessiven Tiraden gegen die von ihm so ausdauernd kritisierten
Gutmenschen entschädigt. Und gelegentlich wundert man sich, was ihn da wohl
antreibt. Psychologen bitte nicht vortreten, gesunder Menschenverstand
genügt.
Mit Broder bin ich der
Meinung, dass der westliche Mensch "der islamischen
Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst,
Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz." Ganz entschieden anderer
Meinung bin ich jedoch bei Sätzen wie "die Idee, man
könnte den Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen" übersteige
"die Grenze zum Irrealen", denn von da ist es nur noch ein kleiner Schritt
bis Guantanamo und der Überführung von Beschuldigten
in Staaten, wo brutaler gefoltert werden kann.
Übrigens: Der Begriff
"Terror" wird von Broder so
gebraucht, wie ihn auch George W. Bush mit seinem
"War on Terror" andauernd heraufbeschwört, also als
Allerweltskeule. Dabei bezeichnet "Terror"
nichts anderes als eine Art des Kämpfens, eine Methode. Das sagt Wikipedia
dazu: "Der Terror (lateinisch der Schrecken,
von terrere –
in Schrecken versetzen) ist die systematische und oftmals willkürlich
erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder
angedrohte Gewalt um Menschen gefügig zu machen und besonders zur Erreichung
politischer sowie wirtschaftlicher Ziele, was man als Terrorismus
bezeichnet." Anders gesagt: aus 10.000 Fuß
Bomben abzuwerfen ist ebenso Terror wie sich in einem Restaurant in die Luft
zu sprengen. Für welchen Zweck auch immer.
Obwohl ein Polemiker und
manchmal etwas arg vereinfachend ("Den meisten
Menschen, die heute einen Flug buchen, ist es nicht mal klar, dass sie als
Geiseln genommen werden. Sie zahlen eine Sicherheitsgebühr, müssen ihre
Taschen leeren, sich abtasten lassen und dumme Fragen beantworten – alles,
weil man immer und überall mit einem Anschlag rechnen muss" behauptet er,
ganz als ob solche "Sicherheitsmaßnahmen"
von den Terroristen und nicht etwa von "Sicherheitsexperten"
eingeführt wurden. Im Übrigen sind dies Maßnahmen,
die, wie jeder weiß, absolut gar nichts nützen: man
tut so, daß es aussieht, als ob man was tue),
undifferenziert ist er meist nicht, nur eben von genau derselben verbohrten
Einseitigkeit, die er andern (zu Recht) ankreidet. So schreibt er:
"Die Welt atmete tief durch und der außenpolitisch
völlig unerfahrene Experte für Verkehrsplanung freute sich wie ein
Geisterfahrer auf der Autobahn, dem alle entgegenkommenden Autos im letzten
Moment ausweichen." Die Rede ist, nicht gerade überraschend, von
Ahmadinedschad. Von George W. Bush hätte man genau
dasselbe sagen können, ausgenommen, dass er in irgendwas ein Experte sei.
Gelegentlich schreibt
Broder auch schlicht Unsinn. Dass etwa Noam Chomsky und Uri Avnery sich den
Antisemiten als Sachverständige und Zeugen dafür anböten, "was
die Juden (beziehungsweise inzwischen Zionisten) alles falsch machen und
warum es politisch richtig und moralisch klug ist, Juden beziehungsweise
Zionisten nicht zu mögen".
Doch die Lektüre lohnt.
Weil man unter anderem von Alain Finkielkrauts differenzierten, doch klaren
Positionen erfährt (dass, zum Beispiel, die meisten arbeitslosen
Jugendlichen in Frankreich Schwarze und Araber und nicht etwa Chinesen,
Vietnamesen und Portugiesen sind), und davon, dass es Kulturen
"des Fleißes und der
Betriebsamkeit" und solche "der Scham und der
Schande" gibt ("natürlich mit Abstufungen", so
Broder), und auch davon, in welchen Ländern besonders häufig Sex-Sites im
Internet frequentiert werden.
Broder macht übrigens auch
ganz praktische Vorschläge dafür, wie man es bei der Begegnung der Kulturen
auch hätte machen können oder wie man es in Zukunft machen könnte. Hier ein
Beispiel, das mir besonders gut gefallen hat: "Der
Börsenverein des Deutschen Buchhandels hätte vor Jahren den Friedenspreis
des Deutschen Buchhandels statt an die 'Islamkennerin'
Annemarie Schimmel an den von Islamisten bedrohten Salman Rushdie
verleihen und damit demonstrieren können, was der Börsenverein von der
Todesfatwa gegen Rushdie hält, die von Frau Schimmel mit großem
Verständnis kommentiert wurde."
PS: Priyamvada Gopal, der
an der Universität von Cambridge Englisch lehrt, meint, dass Salman Rushdie
seinen Sir wohl vor allem dafür gekriegt habe, dass er die Invasionen
Afghanistans und des Irak lautstark unterstützt und Kritik am
"War on Terror" als blöden Anti-Amerikanismus
verurteilt hat. |