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Im Land der goldenen Rebstöcke
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Weniger als 30 Kilometer liegen zwischen Bad Radkersburg und Jeruzalem. Dennoch
ist dieser kleine Wallfahrtsort mit seinem wohlklingenden Namen selbst vielen grenznahen
Steirern fremd. Jeruzalem – mit "z" geschrieben – bildet den Ausgangspunkt für
eine Reise, die immer tiefer ins Weinland Slowenien führt.

Von Franz Wagner
(18. 03. 2010)

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   Terrassierte Hänge, die sich an den Betrachter heranschlängeln wie die Wellen eines schimmernden Meeres. Sattes Grün zwischen langen Reihen von Rebstöcken. Sanft geschwungene Hügel, die weiter südlich in endlose Weite übergehen. Unser Blick schweift über verstreut liegende Gehöfte und unbehauene Strommasten, die im Licht der Abendsonne bizarre Schatten werfen, und er reicht zurück bis zu jener Hauptstraße in der Nähe von Ljutomer, die wir am späten Nachmittag verlassen haben, um hier herauf in diese malerische Landschaft aus Weinbergen zu fahren. Je weiter wir nach oben kommen, desto mehr fühlen wir uns an die Toskana erinnert, nur die Zypressen fehlen. An klaren Tagen, verspricht der Reiseführer, könne man im Nordosten nach Ungarn bis zum Plattensee blicken. Der nächste Fotostopp ist so oder so unausweichlich.

Abseits der schmalen Straße, die in vielen Serpentinen hinauf zur Wallfahrtskirche nach Jeruzalem führt, machen wir Rast. Hinter uns kämpft sich ein Touristenbus zu einem der wenigen Parkplätze des winzigen Ortes vor, der eigentlich nur aus einem Gasthaus, ein paar Weinbauern und seinem klingenden Namen besteht.

   Jeruzalem – mit "z" geschrieben – liegt inmitten der Windischen Bühel, einer wunderschönen, kleinräumig-stillen Region im Osten Sloweniens. Eine Gruppe von Malteser Rittern soll in der Zeit des ersten Kreuzzuges (1096-99) vom Reiz der Weinberge – und insbesondere vom Wein selbst – so sehr in Bann geschlagen worden sein, dass ans Kämpfen im fernen Palästina nicht mehr zu denken war. Ein paar Jahrhunderte später haben Pilger ein Bildnis der Schmerzensreichen Muttergottes aus dem "echten" Jerusalem mitgebracht, das noch heute in der hiesigen Kirche besichtigt werden kann.

In der wenige Meter neben dem Gotteshaus liegenden Vinothek erzählt uns der Besitzer von einer weiteren Begebenheit, die sich hier vor mehr als 200 Jahren zugetragen haben soll: Als der französische Kaiser Napoleon I. mit seinen Truppen in die Jeruzalemer Gegend vordrang, servierten ihm die ansässigen Bauern einen aus der Furmint-Traube gekelterten, leuchtend gelbgrünen Wein. "C’est bon!", soll der französische Feldherr damals ausgerufen haben. "Šipon", sagen die Slowenen heute dazu.

   Noch um einiges älter als die meisten Legenden, die sich um den Wein ranken, ist die Stadt Ptuj, eine halbe Autostunde westlich von Jeruzalem gelegen. Enge, dunkle Gassen und stark angewitterte Hinterhöfe kontrastieren hier mit aufwändig restaurierten Bürgerhäusern und freien, offenen Plätzen, auf denen sich Touristen und Einheimische in einem der zahlreichen Gastgärten zum Kaffee treffen. Über all dem thront die mittelalterliche Burg. Von hier oben erscheint Pettau – der alte deutsche Name verweist auf die fast 450-jährige Geschichte als bedeutendes K.u.k.-Handels- und Verwaltungszentrum – wie ein dicht geknüpfter Teppich aus roten und rostroten Ziegeldächern. Blühende Kastanienbäume bilden grünweiße Einsprengsel im monotonen Auf und Ab der Giebel und Rauchfänge. Nur der Turm der St.-Georgs-Kirche ragt als Einziger deutlich aus dem Halbrund der Altstadt heraus und präsentiert sich – neben der im 12. Jahrhundert erbauten Burg – als markantes Denkmal an die Zeit, als Pettau noch im Besitz der Salzburger Erzbischöfe war. Am Südrand des mit Weinreben bewachsenen Burgbergs teilt die Drau die Stadt in zwei Hälften, um sich anschließend zu Sloweniens größtem Stausee zu verbreitern.

In der Region zwischen den Flüssen Mur im Norden und Drau im Süden wurde schon in vorchristlicher Zeit Weinanbau betrieben. Mindestens ebenso lange reicht die Geschichte Pettaus zurück, das, noch bevor es im Jahr 796 von Karl dem Großen zum Zentrum der Salzburger Slawenmission erwählt wurde, einmal römisch Poetovio hieß und unter Kaiser Trajan (98-117) das Stadtrecht erhielt.

   Heute vermittelt ein Rundgang durch den großen unterirdischen Weinkeller Ptujs einen Eindruck über den wichtigsten, zum Glück ständig nachwachsenden Bodenschatz dieser Region. "Goldener Rebstock" (Zlata trta) wird eine der ältesten der über 450.000 hier lagernden Flaschen genannt. Auch ein Šipon aus dem Jahr 1926 findet sich, ein Grüner Silvaner von 1919 und ein 1935er Rheinriesling. Nebenbei erfährt der Besucher so manches über Höhe- und Tiefpunkte der Weinwirtschaft in den letzten 2500 Jahren. Von Kaiser Probus, der dem Rebensaft geradezu verfallen war, über die Minoritenmönche des Mittelalters, welche im 12. Jahrhundert die erste nachrömische Blütezeit des Weins einläuteten, bis zur weniger rühmlichen Epoche nach 1945, als in der Zeit der kommunistischen Winzergenossenschaften der Wein vor allem billig sein sollte und Masse mehr zählte als Qualität.

Inzwischen ist hier viel geschehen. Seit sich in den späten 70er Jahren die ersten privaten Weinbauern in der Podravje – so heißt die Region im Gebiet nördlich der Drau – niedergelassen haben, wird wieder nach alter Überlieferung und in kleinem Rahmen produziert. Die Erfolge können sich sehen lassen. Winzer wie Franci Cvetko vom traditionsreichen Gut Kogl, das bei Velika Nedelja zwischen Ptuj und Ormož liegt, oder Josef Kupljen, der einen Weingasthof in der Nähe von Jeruzalem betreibt, produzieren schon seit Jahren erstklassige Weißweine wie Traminer, Riesling, Weißer Burgunder oder eben Šipon.

   Vielleicht ist das auch eines der Geheimnisse, die den besonderen Reiz dieser Gegend ausmachen: dass das Neue und Innovative sich bruchlos in die gewohnten Strukturen einzufügen vermag, und dass manches sich verändert, während vieles auch beim Alten bleibt.

Zum Abschluss müssen wir gestehen: Der goldschimmernde Šipon, er hat es uns angetan. Er und noch ein paar andere Prunkstücke sind inzwischen im Dunkel unseres Kofferraums verschwunden. Daheim in Salzburg werden wir ihn wieder zum Leuchten bringen. C’est bon.
 


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