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Vier Leben in einem: Hans Schneider/Hans Schwerte
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Die Literaturwissenschaft als Selbsterkenntnis- und Zufluchtsraum

"'Nein, in die SS wäre ich sicher nicht eingetreten', sagte ich in einer Seminarpause
zu Hans Schneider, dem neuen Honorarprofessor an der Salzburger Universität, als dieser auf
unerhörte Weise reagierte. Er fuhr plötzlich seinen Zeigefinger auf mich aus und rief hoch erregt
aus: 'Das, Herr Dr. Müller, sollten Sie nicht sagen! Wie können Sie das sagen!' Wie hätte
ich ahnen können, dass ich Schwertes Lebensthema, seinen bis dahin nicht aufgedeckten
Namenswechsel des Jahres 1945 von Hans Schneider zu Hans Schwerte,
vielleicht sein Lebenstrauma gestreift hatte."

...
V
on Karl Müller
(01. 04. 2007)

...



Ao. Univ.-Prof. Mag.
Dr.
Karl Müller
Karl.Mueller [at] sbg.ac.at

g
eboren 1950 in Puch
bei Hallein; Studium der
Germanistik und Anglistik, Lehrbefugnis für
Neuere deutsche Literatur;
Gastdozenturen in Debrecen,
Lemberg und Amsterdam.

Publikationen zur österrei-
chischen Literatur des 19.
und 20. Jahrhunderts, zur
Geschichte der Literatur-
wissenschaft und zur
Literaturpolitik.

Mitglied des Zentrums
für Jüdische Kulturgeschichte
an der Universität Salzburg,
Vorsitzender der Theodor-
Kramer-Gesellschaft, Vor-
sitzender des Vorstandes
des Literaturhauses Salzburg;
Mitglied der Jura-Soyfer-
Gesellschaft (Wien) und des
Österreichischen P.E.N.-Clubs,
Jurytätigkeit, Preis des Fonds
der Landeshauptstadt Salzburg
zur Förderung von Kunst,
Wissenschaft und Literatur
(1998), Leiter des Online-
Projektes "Österreichische
SchriftstellerInnen des Exils
seit 1933“.

 

 

  

Hans Schwerte
(1909-1999)

 "Du musst dein Leben ändern"
(Rainer Maria Rilke: Archaïscher Torso Apollos)

1. Einführung

"Was wahr und falsch ist, werd ich jetzt besser wissen. Ich bin schon einmal auf ein Wort reingefallen, ich habe es bitter bezahlen müssen, nochmal passiert das dem Biberkopf nicht."(1)

   Die zitierten Sätze stammen aus jenem Abschlusskapitel von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", in dem sich gegen Ende der Weimarer Republik die mächtigen Flügel dieses Romans gewissermaßen zum symbolträchtigen Warnflug eines Adlers entfalten:

"Und damit stürzt zusammen der alte Franz Biberkopf, es ist beendet sein Lebenslauf. Der Mann ist kaputt. Es wird noch ein anderer Biberkopf gezeigt, dem der alte nicht das Wasser reicht und von dem zu erwarten ist, daß er seine Sache besser macht. […] Da rollen die Worte auf einen ein, man muß sich vorsehen, dass man nicht überfahren wird, passt du nicht auf auf den Autobus, fährt er dich zu Apfelmus. Ich schwör sobald auf nichts in der Welt. Lieb Vaterland, kannst ruhig sein, ich habe die Augen auf und fall so bald nicht rein. […] Wenn Krieg ist, und sie ziehen mich ein, und ich weiß nicht, warum, und der Krieg ist auch ohne mich da, so bin ich schuld, und mir geschieht recht. […] Wach sein, Augen auf, aufgepasst […], wer nicht aufwacht, wird ausgelacht oder zur Strecke gebracht." (2)

Was hat dies mit unserem Thema zu tun? Ich vergegenwärtige mir eine verstörende Gesprächssituation während des Sommersemesters 1994 mit dem damals als Honorarprofessor der Universität Salzburg tätigen Hans Schwerte. Wir hatten gemeinsam ein literaturwissenschaftliches Blockseminar geleitet, in dem Werke von Thomas Mann, Hermann Broch und Alfred Döblin zur Debatte standen. In einer Seminarpause ging der Gedankenaustausch weiter – wir sprachen über das Döblinsche "Augen auf, aufgepaßt" und seine möglichen Adressaten während der Weimarer Republik, als es mir, räsonierend über damalige politische Verhältnisse und vorlaut selbstgewiss, einfiel anzumerken: "Nein, in die SS wäre ich sicher nicht eingetreten." Schwerte reagierte auf unerhörte Weise. Er fuhr plötzlich seinen Zeigefinger auf mich aus und rief hoch erregt aus: "Das, Herr Dr. Müller, sollten Sie nicht sagen! Wie können Sie das sagen!"

   Wie hätte ich ahnen können, dass ich Schwertes Lebensthema, seine bis dahin nicht aufgedeckte, aber, wie man heute weiß, einigen wenigen seit geraumer Zeit bekannte, aber nicht öffentlich gemachte Maskierung, seinen Namenswechsel des Jahres 1945 von Hans Schneider zu Hans Schwerte, vielleicht sein Lebenstrauma gestreift hatte. Ich hatte in diesem Augenblick – retrospektiv betrachtet – wahrscheinlich mit jener in Hans Schwerte aufbrechenden Instanz des SS-Mannes im "Persönlichen Stab des Reichsführers SS" Heinrich Himmler und seit Mitte 1942 Abteilungsleiters des sogenannten "Germanischen Wissenschaftseinsatzes" im "Ahnenerbe"(3) der SS (Dienstsitz Den Haag und Berlin) zu tun, mit SS-Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider. Als solcher wurde er 1909 in Königsberg und nicht 1910 in Hildesheim, wie er seit dem Ende des Krieges vortäuschte, geboren. Mit Hilfe von Helfern des Sicherheitsdienstes (SD) der SS – die Nähe Schneiders zum SD der SS war intensiv –, die ihm falsche Papiere ausstellten, konnte Schneider den Namen Hans (Werner) Schwerte annehmen – Schneiders Anmeldung unter diesem Tarnnamen datiert vom 2. Mai 1945.(4)

Begeben wir uns also auf ein in mehrfacher Hinsicht bedrängendes, ja in Teilen als kriminell geltendes, jedenfalls auf ein komplexes Terrain von Zeit-, Geistes-, Kultur- und Wissenschafts- sowie letztlich prekärer Maskierungs- und Verwandlungsgeschichte, und zwar im Lichte von Schneiders/Schwertes Texten der unterschiedlichen Art, essayistischen, literaturtheoretischen und -historischen sowie literarischen seit den 1930er Jahren. Fragen nach den inhaltlichen Aspekten von Schneiders/Schwertes Metamorphose(n) sowie nach dem Grad, nach Umfang und den Relationen der Metamorphosen zueinander wurden bisher nicht oft gestellt und selten aus Schneiders/Schwertes diversen Schriften heraus entwickelt.

   Es soll der Versuch unternommen werden, aus Schneiders/Schwertes Texten die spezifische innere Bewegung, das Diskontinuierliche bei personaler Kontinuität ebenso wie das Kontinuierliche bei äußerer Diskontinuität im Leben eines Mannes zu erhellen, von dem einige behaupten, er sei in einem langwierigen Prozess des Identitätswandels, in einer Art Selbstentnazifizierungs-Versuch von einem durchschnittlichen SS-Intellektuellen und SS-Weltanschauungsfachmann zu einem glaubwürdig konvertierten Mann des Geistes und der Aufklärung geworden.

Ich möchte zu Beginn festhalten, dass ich dieser Auffassung im Lichte der Texte Schneiders/Schwertes viel abgewinnen kann und meine, dass sich Schwertes zunehmend analytische Wahrnehmung und immer intensivere kulturhistorische Verortung literarischer Phänomene, aber auch seine an einigen Stellen ausgesprochen "unausgewogenen", insistierend vorgetragenen Positionierungen im germanistischen Interpretationsgeschäft hochwahrscheinlich aus seinem "Lebensthema" speisen.(5)

Zur Diskussion steht jedenfalls "das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte"(6), eines "SS-Saulus", der, wie sich sein erster kritischer Biograph Claus Leggewie ausdrückt, zum "BRD-Paulus"(7) gewandelt habe. War die spezifische Metamorphose Schneiders zu Schwerte nur unter der Voraussetzung der Tarnung möglich? Was beförderte die Maskierung an persönlicher Entwicklung – was wurde durch sie verhindert? Maskierung und fehlendes Schuldeingeständnis bis zur Demaskierung zu Beginn der 1990er Jahre, nicht-öffentliches Bekenntnis zur eigenen SS-Vergangenheit als Voraussetzung für eine Karriere in der Bonner Republik, die Lebensgeschichte eines "Aufklärers ohne Selbstaufklärung" unter der schützenden Maske, wie andere meinen – darum kreisen die Debatten um Schneider/Schwerte ebenso wie – sehr ausgiebig – um institutionelle Strukturen und allgemeine Bedingungen des Wirkens Schneiders/Schwertes.

   Handelt es sich um einen Fall von "Lebensfeigheit" eines SS-Wissenschaftsmanagers(8) in Heinrich Himmlers "Ahnenerbe", um einen Menschen, der seit 1945 den Demokraten gespielt habe, um "ein abgekartetes Stück Nazi-Kontinuität"?(9) Oder geht es doch um einen, der zum glaubwürdigen Demokraten wurde, um die "Geschichte einer säkularen Konversion"?(10), um eine gelungene "Entnazifizierung im Selbstversuch."(11) Geht es gar, um die Skala der möglichen Fragestellungen abzurunden, um die Geschichte eines Mannes, dessen antinazistische Signale als SS-Mann vor 1945 bisher übersehen worden wären, oder um jene eines Mannes, der ohnehin nie einen Überzeugungs-Kern besessen habe, immer nur ein "Mimikry-Künstler"(12) gewesen sei, anpassungsfähig, karrierebesessen, elitär-egoistisch, funktionabel und effektiv in jedem System? Ein "irritierendes Lehrstück" ist es allemal.

Ein paar relevante Fakten seien genannt, um Kontexte zu umreißen, in denen sich Schneiders/Schwertes innerer Weg abspielte, wie er sich aus seinen umfangreichen Schriften aus der Zeit vor und nach 1945 ablesen lässt, ein Weg in vier Etappen, in "vier Leben". Schneiders Leben vor seinem Eintritt in die SS wird hier nicht berücksichtigt.

Erstaunlicherweise blieb Schneiders Namenswechsel des Jahres 1945 bis in das Jahr 1995 der Öffentlichkeit verborgen. Letztlich kam Schwerte durch seine Selbstenttarnung nur einen Tag vor der Ausstrahlung eines holländischen Films über ihn (28. April 1995, Sendung "Brandpunt") der medialen Aufdeckung zuvor.(13) Jahrelang waren Gerüchte umgegangen, es gab, wie sich herausstellen sollte, etliche, aus unterschiedlichen Gründen schweigsame Mitwisser. NS-Seilschaften? "Rattenlinien" ehemaliger SS-Leute? CIA-Geheimdienst-Manöver? Kalkulierte Flucht in die öffentliche, die politische und universitäre Arena? Perfides Rollenspiel? Regisseur, Nutznießer und Musterfall "kommunikativen Beschweigens" nach 1945? Frevelhafter Übermut? Schamlosigkeit? Listigkeit? In solchen Kategorien spielten sich – wenig überraschend – die medialen Aufmachungen ab. Schwerte hatte mehrere Chancen, z. B. einige Amnestien in der unmittelbaren Nachkriegszeit, nicht wahrgenommen, den Akt der Selbstenttarnung zu setzen, obwohl dies damals mit wenig persönlichem Risiko verbunden gewesen sein soll. Dies verstärkte nach der Demaskierung die Entrüstung und den Grad des Affronts bei öffentlichen Einrichtungen, an Universitäten und Ministerien, und nährte so Spekulationen über vertuschte Mittäterschaft Schwertes an SS-Verbrechen.

   Hans Ernst Schneider war im April 1937 zur SS gestoßen, nachdem er sich schon vorher in Königsberg als Gaufachstellenleiter der NS-Kulturgemeinde des Amtes Rosenberg betätigt und "Volkstumsarbeit" im völkischen Sinn für die Deutsche Arbeitsfront geleistet hatte. Schließlich war er als völkischer "Edelkitsch"-Autor(14) einem Mitarbeiter des "Rasse- und Siedlungshauptamtes" (RuSHA) aufgefallen, der sich, so wie auch Schneider, für den "deutschen Renaissancemenschen" und die Chimäre vom "nordischen Elitemenschen", für die Artamanen, begeisterte. Er brachte Schneider schließlich zur SS.

"Ein intelligenter und ehrgeiziger Einzelgänger, der nach Aufgehobenheit im Kollektiv des 'deutschen Volkes' suchte, war nun in der Terrorzentrale des 'Dritten Reiches' gelandet [...]. Er ergriff die Chance und beabsichtigte zu tun, was er als Berufung entdeckt hatte: Lehrer zu sein, auch wenn das mit seinem akademischen Studium nicht viel zu tun hatte"(15), womit Schneider aber offenbar ausgerechnet jene Voraussetzungen erfüllte, nach denen bestimmte Kreise in der SS suchten, nämlich "Leute, die als völkische Ideologen praktisch einsetzbar waren."(16)

   Schneiders Karriere verläuft stetig: Am 1. Februar 1938 wird er hauptamtlicher Referent in der Berliner Zentrale des Rasse- und Siedlungshauptamtes, schon mit Beginn des Jahres 1939 wechselt er in den persönlichen Stab des Reichsführers SS, wird zur "Außenstelle Süd-Ost" des "Ahnenerbes" in Salzburg abkommandiert, hat die Aufgabe, "germanische Spuren in der 'Ostmark' und im 'nahen Südosten' zu finden"(17), hilft mit, das Eigentum katholischer Einrichtungen in Salzburg aufzulösen, und wird schließlich 1940 in die Niederlande zum sogenannten "Germanischen Wissenschaftseinsatz" abkommandiert – später arbeitete er in Berlin.


15. Dezember 1909: Hans Ernst Schneider in Königsberg geboren, Sohn von Max Schneider (Hans Schwerte: geboren am 3.10.1910 in Hildesheim, Sohn des Paul Schwerte, vom ersten Lebensjahr in meiner Heimat Königsberg/Preußen aufgewachsen)

1928: Abitur am Hufen-Real-Gymnasium in Königsberg

1928: Beginn des Studiums an der Universität Königsberg

1929-1930: Studium in Berlin

1930- 1931/32: Studium in Königsberg

1932: Studium in Wien

1932: Eintritt in den NS-Studentenbund

1933: Teilnahme am Freiwilligen Arbeitsdienst in Jedwilleiten, Memeldelta

1933: Eintritt in die SA

1935: Mündliches Doktorexamen (summa cum laude) an der Universität Königsberg, Dissertation über "Frühübersetzungen von Turgenjew" (Arbeitstitel von Josef Nadler vergeben). Prüfer: Paul Hankamer (Deutsche Literaturgeschichte), Wilhelm Worringer (Kunstgeschichte), Hans Heyse (Philosophie) – Erlaubnis, den Doktortitel zu führen vor Drucklegung der Dissertation, die nie erfolgte (Hans Schwerte 1948: Abbruch des Studiums, danach im Buchhandel tätig, "ohne meine wissenschaftliche Arbeit aufzugeben".

1936 Gaufachstellenleiter in der Abteilung Volkstum und Heimat der NS-Kulturgemeinde; seit 1935 Leiter des Fachamtes des "Reichsbundes für Leibesübungen" in Berlin. Lernt seine spätere Frau Annemarie Hildegard Oldenburg kennen

1936-1937: Stv. Hauptabteilungsleiter in der Abteilung "Volkstum und Heimat" der NS-Kulturgemeinde

1937: Übergang von der SA zur SS (Nr. 293691)

1937: Eintritt in die NSDAP (Nr. 4923958)

1938: Hauptamtlicher Referent im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS

1938: Hauptamtlicher Referent des "Ahnenerbe" der SS

1940-1942: Mitarbeiter für Volkstumsfragen beim Höheren SS- und Polizeiführer Hanns Albin Rauter in Den Haag

1942: SS-Hauptsturmführer, Leiter der Abteilung "Germanischer Wissenschaftseinsatz" des Ahnenerbes in Berlin. Schriftleiter der SS-Zeitschrift "Die Weltliteratur". Betreut die Zeitschrift "Hamer" (niederländische und flämische Ausgabe)

1945: Flucht aus Berlin nach Lübeck (Hans Schwerte 1948: "Von 1939 bis 1945 stand ich im Wehrdienst.")

1945 Namenswechsel: Hans Werner Schwerte, Papiere des SD der SS in Lübeck; führt seitdem den Namen Hans Schwerte

1965 wurde Schwerte zum Ordinarius für Neuere Germanistik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ernannt. Zwischen 1970 und 1973 wirkte er als Rektor dieser Hochschule und hatte sich inzwischen einen beachtlichen Ruf als linksliberaler Hochschulpolitiker erworben. Zwischen 1974 und 1981 war er internationaler Wissenschaftsbeauftragter von Nordrhein-Westfalen und ausgerechnet für die "Beziehungen zwischen den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, Belgien und Holland" zuständig. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1978 wurde er zum Honorarprofessor an der Salzburger Universität ernannt, 1985 wurde ihm ein hoher Orden des Königreiches Belgien (Officier de l’Ordre de la Couronne du Royaume de Belgique, 1985) verliehen(18), 1990 würdigte die RWTH Aachen ihren ehemaligen Rektor mit dem Titel eines Ehrensenators.

1945/46-1946: Student der Universität Hamburg

1946: Immatrikulation an der Universität Erlangen-Nürnberg

1947: Wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Seminar der Universität Erlangen-Nürnberg bei Heinz Otto Burger

1948: Mündliche Prüfung im Erlanger Promotionsverfahren. Gutacher der Dissertation "Studien zum Zeitbegriff bei Rainer Maria Rilke": Helmut Prang, Hans-Joachim Schoeps, Heinz Otto Burger

1958 Habilitation mit der Arbeit "Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie". Universitätsdozent und Leiter der Theaterwissenschaftlichen Abteilung des Germanistischen Seminars an der Universität Erlangen

1964: ao. Professor an der RWTH Aachen

1965: Ernennung zum o. Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der RWTH Aachen

1970-1973: Rektor der RWTH Aachen

1964-1981: Beaufragter des Landes Nordrhein-Westfalen für die Pflege und Förderung der Beziehungen zwischen den Hochschulen Nordrhein-Westfalens, der Niederlande und Belgiens

1978: Emeritierung

1982: Übersiedelung nach Bayern

1983: Honorarprofessor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Salzburg

1983: Bundesverdienstkreuz erster Klasse der BRD

1985: Verleihung des Ordens "Officier de l’Ordre de la Couronne du Royaume de Belgique"

1990: Ehrensenator der RWTH Aachen

1992: Informationen des US-amerikanischen Romanisten Earl Jeffrey Richards an das Simon-Wiesenthal-Zentrum über Hans Ernst Schneider alias Hans Schwerte

Juli 1994: entsprechende Information langen beim Rektor der RWTH Aachen ein

27. April 1995: Selbstanzeige Hans Schwertes

28. Juni 1995: Ausstrahlung der Sendung "Brantpunt" im niederländischen Fernsehen über Hans Ernst Schneider alias Hans Schwerte

12. Mai 1995: Schwerte wird von Bundespräsident Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz (1983) entzogen

20. Juli 1995: Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium nimmt die Ernennung Schneider/Schwertes zum Professor zurück. Er führt weiterhin den Namen Hans Schwerte.

1995: Hans Schwerte zieht seine Salzburger Honorarprofessur zurück

1995: Sperre der Pensionszahlungen durch die NWR-Landesregierung, Aberkennung des Beamtenstatus durch Nordrhein-Westfalen und Bayern

29. November 1995: Das Bayrische Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst nimmt die Ernennungen zum ao. Prof., zum wiss. Assistenten und Privatdozenten zurück.

11. Juli 1996: Einstimmiger Beschluss des Promotionsausschusses der Universität Erlangen-Nürnberg, die Anträge auf Aberkennung des Doktorgrades abzulehnen.

1996: Das Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Mord (medizinische Versuche im KZ Dachau) wird eingestellt.

18. Dezember 1999: Schneider/Schwerte stirbt in Marquartstein.


   Eine besondere Rolle nach der Selbstenttarnung Schwertes spielte die Tatsache, dass Schwerte im Jahre 1983 – einige Jahre nach seiner Emeritierung – das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der BRD angenommen hatte. Schwerte ließ sich außerdem z. B. durch Festschriften ehren, die ihm gewidmet wurden. Der zuständige Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, der spätere deutsche Bundespräsident Johannes Rau, drückte im Vorwort einer solchen Festschrift seinen Respekt für Schwerte damals folgendermaßen aus: Schwerte sei zu ehren, weil er geholfen habe, "die Ausbildung des Ingenieurs und des Lehrers, des Naturwissenschafters und des Philologen, des Arztes und des Planers in einer Institution" zu gewährleisten und eine "Brücke zwischen 'Anwendung' und 'Theorie'"(19) zu schlagen.

Was Schwertes Schweigen über so lange Jahre hinweg für viele ebenfalls zu einem Affront machte, war die Tatsache, dass sich Schwerte seit den 60er Jahren, mit Recht, einen klingenden Namen als ein Literaturwissenschaftler und Intellektueller gemacht hatte, der z. B. im Rahmen der "Nürnberger Gespräche" im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Auschwitz überzeugend – als "bekehrte[r] Weltanschauungsmann"(20), wie wir freilich erst heute zu wissen meinen – auf der fundamental wirkenden kollektiven Kraft des Rassismus für die Ermöglichung der Mordaktionen beharrte und sich weigerte, die oft nach 1945 geäußerte, de facto verharmlosende Meinung zu akzeptieren, SS-Männer seien "bloß" Psychopathen gewesen.

   Nur auf den ersten Blick überrascht die immense Publikationsflut, die nach der Selbstenttarnung Hans Schwertes seit 1995 festzustellen ist. Nicht weniger als geschätzte 2800-3000 Seiten(21) wurden inzwischen zum Fall Schneider/Schwerte publiziert. Das umfangreiche Material nötigt jedenfalls Respekt ab. Man könnte meinen, der Fall wäre endgültig durchgearbeitet und erledigt, man wisse, worum es sich handle.

Tatsächlich sind die meist von Historikern angehäuften Materialien, die Aktenfunde und ihre Auswertungen beeindruckend. Sie umfassen alle nur denkbaren Bereiche: Kindheit und Jugend, frühe geistige Prägungen, Königsberger Universitätsverhältnisse, wirkliche oder vermutete wichtige Lebensbegegnungen, Schneiders Weg in die SS und ins "Ahnenerbe", der SS-Offizier und seine "Arbeit" in den "germanischen Ländern", die Seilschaften und "Rattenlinien" für NS-Belastete, "doppelgesichtige[s] Dasein"(22) nach 1945, bundesrepublikanische Wissenschaftspolitik und Wissenschaftler in Erlangen und Aachen der unmittelbaren Nachkriegszeit, das NS-Erbe in der BRD und der Umgang damit im Allgemeinen. Ferner werden in großer Anzahl ähnliche Fälle aufgerollt sowie die deutsche Nachkriegs-Germanistik mit ihren NS-Verstrickungen im Besonderen untersucht, Fragen wissenschaftlicher und politischer Moral aufgeworfen oder juristische Fragen diskutiert.(23)

Enthüllen aber, bleibt zu fragen, all diese Recherchen Person und Charakter von Schneider-Schwerte in wesentlichen Tiefendimensionen?

   Die immense Aufmerksamkeit für diesen Fall hatte nämlich auch handfeste zeitpolitische Gründe, denn in der Mitte der 1990er Jahre trafen zumindest zwei Voraussetzungen zusammen: Erstens war die Glaubwürdigkeit des linksliberalen Lagers der BRD, dem Schwerte zugerechnet wurde, getroffen – Heuchelei im Kreise der prononcierten links-liberalen NS-Vergangenheitsbewältiger? Auch in diesem Milieu gab es also getarnte Ehemalige, sogar SS-Offiziere hoher Ränge. Zugleich war die BRD und ihre Wissenschaftspolitik im Visier, vielleicht homolog zur Kurt-Waldheim-Erfahrung der Republik Österreich zehn Jahre vorher. Die Identität der Republik und ihrer Instanzen stand zur Diskussion. Zweitens: Der Fall Schneider-Schwerte platzte in die Zeit unmittelbar nach der "Wende", als die BRD die ehemaligen DDR-WissenschaftlerInnen "entsorgte", um als "Sauberrepublik" dazustehen. Man hatte wohl gerade und zunehmend mit vergleichbaren Fällen aus DDR-Zeiten zu tun.(24)

Wegen "Urkundenfälschung" wurde Schwerte schließlich das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der BRD aberkannt, auch den Aachener Professorentitel verlor er, nicht aber seinen Erlanger Doktortitel, worüber erneut heftige Kontroversen losbrachen.(25)

Trotz der akribischen Archivrecherchen und ausführlichen Interviews zu all den genannten Gebieten, durch die man, wie es scheint, in alle nur denkbaren Ritzen von Schwertes Leben und zugleich auch in das anderer Personen leuchtete, sind wesentliche Aspekte von historischen Wahrheiten in wichtigen Teilbereichen des gesamten Untersuchungsfeldes wohl nie zur Gänze zu rekonstruieren. "Die biographische Wahrheit"(26) ist nicht zu haben. Vieles wurde diskutiert und blieb im Unentscheidbaren, etwa die tatsächliche Rolle Hans Ernst Schneiders 1942 für jene "Abteilung R" [= Sigmund Rascher 1909-1945] des SS-"Ahnenerbes", die so genannte "wehrwissenschaftliche Zweckforschung" an KZ-Häftlingen in Dachau und Natzweiler/Struthof durchführte,(27) oder Schneiders fragliche Teilnahme an der "Sonderaktion Krakau" 1939, während der von "SS-Einsatztruppen zur besonderen Verwendung" nicht nur die "Ahnenerbe"-Kunstraubaktion durchgeführt wurde, sondern auch Angehörige der Jagellionen-Universität und der Bergbau-Akademie Krakau in das KZ Sachsenhausen abtransportiert, woraufhin mindestens elf davon im Lager starben oder ermordet wurden.(28)

   Nicht minder bedrängend sind die Debatten über die in die Tiefen des Gewissens vorstoßende Frage nach Schneiders tatsächlichem Wissen um die "Endlösung". Schwertes hartnäckige Behauptung, davon nichts gewusst zu haben, als ein "Gewolltes Nicht-Wissen" bzw. "Form der Abwehr und Weigerung des Subjekts, […] die Wirklichkeit einer traumatisierten Wahrnehmung anzuerkennen", mitbedingt durch die SS-interne "Sprachregelungen über den 'Arbeitseinsatz der Juden im Osten'" sowie die von Schwerte eingestandene Schuld des Nicht-Wissen-Wollens (die Parallele zu Albert Speer ist offenkundig), so lauten einige Ergebnisse der Aufklärungsbemühungen z. B. in Claus Leggewies Versuch einer Biographie über Schneider/Schwerte.(29)

Nicht endgültig klärbar werden wohl auch die Vorgänge um Schneiders erste, von Josef Nadler vergebene Dissertation in Königsberg über die "Frühübersetzungen von Turgenjew"(30) und um die von Schwerte bis zuletzt behauptete Promotion im Mai 1935 bleiben, auch einige Merkwürdigkeiten beim Zustandekommen seiner zweiten Nachkriegsdissertation über Rainer Maria Rilke. Als der Gedanke aufkam, Schwerte könnte auch mit der CIA zusammengearbeitet haben, ging der amerikanische Romanist Earl Jeffrey Richards diesem Gerücht nach. Sein Ergebnis war negativ: Schneiders/Schwertes Name wird in den CIA-Akten nicht erwähnt. Aber Richards regt an, auch britische, polnische oder russische Militär- und Staatsarchive zu durchforsten, und überlegt, ob möglicherweise nicht auch die Stasi über die Doppelidentität Bescheid gewusst haben könnte.

2. Hans Ernst Schneider

   Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, vier Phasen im Leben von Schneider-Schwerte zu analysieren. Sie entsprechen vier Teilidentitäten, die sich aus seinen Texten ablesen, gleichsam herauspräparieren lassen. Die erste Phase setze ich für die Periode seit Mitte der 1930er Jahre bis zu 1945 (Hans Ernst Schneider) an, die zweite bis etwa Mitte oder Ende der 1950er Jahre (Verwandlung I), die dritte entwickelt sich spätestens seit der Publikation von Schwertes Faustbuch von 1962 (Verwandlung II) und die vierte ist die Zeit nach der Selbst-Demaskierung seit April 1995 (Demaskierung).(31)

Vorarbeiten, die in Ansätzen das poetische und literaturwissenschaftliche Werk thematisieren, gibt es bisher in der Flut der Publikationen nur von Ulrich Wyss (Erlangen), Klaus Weimar (Zürich) und von Theo Buck (Aachen),(32) auch wenn in anderen Arbeiten natürlich immer wieder Schneiders/Schwertes Texte in bestimmten Zusammenhängen und für unterschiedliche Zwecke kursorisch benutzt werden. Es fehlen aber jene Studien, die versuchen würden, anhand der Texte die inneren Bausteine und Umbaumaßnahmen eines einheitlichen Lebens im großen Bogen zu fassen. Es geht dabei um die Beschreibung der 'roten Fäden', es geht um Brüche und Neues, Teilanschlüsse, Teil-Wiederaufnahmen in gewendetem Gewand – schlicht um Kontinuierliches im scheinbar Diskontinuierlichen bzw. um Diskontinuität im Kontinuierlichen.

"Dein Schwert – Demut stählerner Schärfe"
(Hans Ernst Schneider 1936)

Deutschland, heimliches Feuer des Sagens
Aller Worte, Klang, der Sturm und Stille
übertönt – beflecken die Frechen dein Schwert,
höhnend im knechtischen Dienst die Demut stählerner Schärfe,

glühest den Besten in Seele und Tat
trotzigen Mut, und tief in den Schächten der Zeit
beten und singen die Hüter größeren Erbes
dich, verheißene Krone Gottes, Deutsches Reich.(33)

Solche Zeilen geben die Linie vor und enthalten nicht zuletzt ein Wort, das, wie wir heute wissen, noch späte Karriere machen sollte und vor 1945 nicht nur an dieser Stelle, sondern auch noch an einigen anderen steht: das Schwert.

   Die erste Identitäts-Formation bis 1945 ist verhältnismäßig kompakt zu beschreiben und besteht aus einigen wenigen, aber fundamentalen Konstituenten. Sie kann etwa aus der dezidiert reichsideologischen historischen Erzählung "Königliches Gespräch" (1936) Schneiders gefiltert werden. Der Text, eine poetische Fingerübung, verherrlicht am Beispiel des – bezeichnenderweise – aus Juditten bei Königsberg in Ostpreußen stammenden Literatur- und Sprachprofessors Johann Christoph Gottsched (1700-1766) und Friedrich des Großen die unzertrennliche Einheit von politischer Tat und geistigem Führertum – sozusagen Gottsched/Schneider und Friedrich/Hitler, Dichter- und Soldatentum im Gleichschritt "wie willenlos" auf das neue Reich zu. Die Erzählung ist mit vielen Sprachformeln nazistischer Prosa ausgestattet: Der König, gebannt von der Volks- und Reichsutopie sieht denn auch seine Soldaten "aus Unbekanntem hinein ins Ungeahnte, immer voran, immer voran, immer voran" ziehen. Sogar "ein riesiger Adler" fliegt zur prosaischen Übergipfelung "mit mächtigen Schwingen eine Weile königlich ruhig über dem brachen Land, den Kopf stolz emporgewandt", "höher und höher hinan, dem gleißenden Lichte entgegen."(34) Wir sollten das mythische Bild des Adlers wie viele Schneidersche Leitwörter, auf die wir noch stoßen werden, in Erinnerung behalten, denn in verwandeltem Kontext werden sie später wieder auftauchen, so als ob Schwerte einige leitenden Schneider-Vokabeln der SS-Zeit von ihren konnotativen Bedeutungen der Zeit vor 1945 "reinigen" wolle, sozusagen als Abbitte, sie selbst instrumentalisiert gebraucht zu haben, und motiviert von später Wissensbegierde über die Bedeutungsgeschichten der Wörter und ihrer jeweils aktualisierten Vorstellungen.

Zu den Kernbeständen dieses ersten "Lebens" gehören auch einige seiner, wie Schwerte später verharmlosend sagte, "Edelkitsch"-Gedichte wie z. B. "Runen des Lebens" (1941) und "Land im Osten" (1941) oder die an Hölderlin orientierte Reichs-Hymne "Deutschland" (Mottogedicht der Erzählung "Königliches Gespräch" 1936). Diese wurde sogar in die auflagenstarke Jahresanthologie des Winterhilfswerks "Ewiges Deutschland" (1940) gemeinsam mit Hermann Claudius’ "Deutscher Spruch" auf den arischen Heiland Hitler als eines der beiden Motto-Gedichte aufgenommen: Umpolung christlicher Zeichen in biologistisch-nationalistische Ikonen, Diskurskampf also gegen das Christliche: "Deutschland, heimliche Krone Gottes,/Dornenkranz, geflochten der edelsten Stirn/hellen Blutes, Reich", so heißt es. Es geht zugleich auch um die Thematisierung heroischen politischen Aufbruchs als Protest gegen das Private im Namen der kämpferischen Tat, im Namen der "schimmernden Krone", des Reichs, wohl im Namen des artamanischen Ordens-"Helmes": "Schwertweg wuchs statt breiten Ackerschnitts […] und immer ists wie Schwertgeklirr um diesen Schritt […] und zog um sich gebannten Kreis, darin er blieb."(35)

   Was Schneider im Gedicht formuliert, faltet er mit insistierender Schärfe im programmatischen Essays der Zeitschrift "Die Weltliteratur" gegen ideologische Feinde aus, z. B. in seinen aufschlussreichen Beiträgen "Tat und Trug. Ostpreußische Dichtung der Gegenwart" (1941, F. 3), "Preußische Tragödie" (1941, F. 7) und "Pastoröser Betrug" (1941, F. 10). Dort geht er – als Ostpreuße – beißend mit dem angeblich sentimentalen Schrifttum ins Gericht, die "den deutschen Osten" nicht als Land der Tat, Pflicht und Zucht,(36) nicht "Volk und Aufbruch"(37) begreife und "in romantischer Blindheit" angeblich sogar einem "östlichen Menschentum" huldige, in dem die Blutsabstammung keine Rolle spiele: "slavisch-durchmischter Osten", "Misch-Zwischenzone", Asien sei nah, "religiöse und sexuelle Rauschzustände" statt "deutsches Kampf- und Arbeitsland",(38) so heißen die sprachlich-ideologischen Formeln.

Schneider, der SS-Ahnenerbe-Mann, hat hier Ernst Wiechert, Johann Gottfried Herder und Immanuel Kant als idealistische Träumer und Propagandisten des ewigen Friedens im Visier. Dagegen setzt er etwa Agnes Miegel (1879-1964) oder Hansgeorg Buchholtz (1899-1977). Schneiders geistiges Fundament lautet: "Wer im Osten Schwert und Burg(39) vergisst, versinkt im Gestaltlosen."(40)

An anderer Stelle heißt es: Der Osten sei geschichtsfähiger Landschaftsraum. "Freilich – es gibt geschichtsunfähiges Blut, geschichtsunfähige Rasse. […] Unsere nationalsozialistische, zu Unrecht so missbrauchte und zerredete Formel 'Blut und Boden' hat zusammengefasst, was schicksalhaft einander verbunden ist."(41)

   Es geht sowohl um die kulturkämpferische semantische Aneignung des "Ostens" im Sinne des SS-Ordens, insbesondere gerichtet gegen die Bilder des Ostens, wie sie von den christlichen Kirchen verbreitet wurden, als auch um die praktische artamanische Ordens-Tat: "Heute wird dort eine endgültige saubere Trennung angebahnt",(42) berichtet der SS-Offizier Schneider. Möglicherweise liegen hier einige der Wurzeln für das große und anhaltende Interesse des späteren Schwerte am später von ihm so positiv konnotierten Ambivalenten, Zwiegesichtigen, am Kentaurenhaften, auch am Werk Thomas Manns, Gottfried Benns, Rainer Maria Rilkes und Friedrich Nietzsches.

Zu den Quellen gehören, wie gesagt, die zwischen 1940 und 1945 publizierten theoretischen und literaturkritischen Beiträge Schneiders in der von ihm seit 1941 geleiteten Zeitschrift "Die Weltliteratur", die als Organ des Sicherheitsdienstes der SS galt.(43) Dabei kreisten Schneiders Texte, meist erweitert um umfangreiche, auf rassistischer Grundlage beruhende Buchbesprechungen,(44) etwa um prinzipielle Fragen eines neuen "völkischen Theaters", eines neuen völkischen Begriffs von Tragik und Tragödie, "gebunden in Rasse und Zeit",(45) eines neuen völkischen Begriffs von Opfer und Tat, zur Gänze hingegeben und absolut unterworfen der "Verwirklichung" des durch die "mächtige Stimme" des Führers verkündeten Reiches:

"Wir meinen […] den dramatischen Raum weder moralisch noch pädagogisch noch psychologisch, sondern als ein wirklich hohes Ganzes – das heißt, wo Volkstat als religio und religio als völkische Wirklichkeit sichtbar wird. […] noch der Untergang muß die Ordnung bestätigen. […] von dem Wissen um den Urgrund unseres Seins getragen die gestaltschauende und gestaltbildende Sehnsucht voran in unsere Form, wie sie Aufgabe und Berufung unserers Blutes vor aller Welt wurde. […] Wer heute nur genau hinhorcht in das werdende Drama unseres Volkes, fühlt diesen Mythos vom Reich und diesen Mythos vom Kämpfer trotz Tod und Teufel schon deutlich sichtbar werden: er wächst aus dem handelnden Erlebnis der deutschen Tat auf das Reich hin."(46)

   Auf solcher Basis räsonierte Schneider außerdem in rassemystischem Duktus über das Verhältnis von deutschem Dichtertum und völkischer Gemeinschaft, was sich insbesondere in Hölderlins angeblich wegweisend gemeinschaftsformender, "erd- und blutsnaher" Dichtung oder auch in Josef Weinhebers mit den "Grundgesetzen und Grundordnungen" übereinstimmenden, seiner "Verpflichtung zu Gemeinschaft, Volk und Geschichte als den erfüllten Ausformungen der Seins-Ordnung" bewussten Werken erfüllen würde.(47)

In diesem Zusammenhang kommt 1942 auch zum ersten Mal ein weiterer Autorenname ins Spiel, der, ähnlich wie Hölderlin und Weinheber auch, für eine abgrenzbare Phase nach 1945, ziemlich exakt bis zum Jahre 1956, geradezu eine dem hegemonialen Hauptstrom damaliger germanistischer Beschäftigung angepasste Leitbildfunktion übernehmen sollte – Rainer Maria Rilke. Im Jahre 1942 firmiert Rilke trotz einiger Sympathien, die Schneider für diesen Dichter hegt, da dieser "den Versuch einer Überwindung der 'Modernität' gewagt" habe, "wobei besonders sein Ringen um eine weltoffene [völkische, K.M.] Lebensbejahung und um einen Ganzheitsbegriff des Seins unter ausdrücklicher Ablehnung aller christlichen Erlösungshilfen [das ist eines der ausschlaggebenden Argumente Schneiders, K.M.] bedeutsam" sei, als ein Dichter der "Krankhaftigkeiten und Zeitbegrenztheit".(48) Dieses Urteil steht im Kontext einer scharfen Abrechnung mit einer Rilke-Arbeit von Fritz Klatt unter dem Titel "Sieg über die Angst. Die Weltangst des modernen Menschen und ihre Überwindung durch Rainer Maria Rilke" (Berlin, Lambert Schneider Verlag). Dort wird Rilke als geschichtsabgewandter, geschichts-entbundener Innerlichkeits-Apostel und zugleich als Vorbild geschildert. Das konnte nach Schneider nicht angehen, denn: "Gerade vom Künstlerischen her müssen wir Rilke als eine Enderscheinung erkennen. Er bleibt Ausgang. Daß die Geschichte bereits eine neue Gestalt-Ebene erreicht hatte, konnte er nicht mehr fassen."[1942](49) Schneider scheint aber von Fritz Klatt dennoch gelernt zu haben, denn Schwertes Rilke-Arbeiten nach 1945, bis 1956 nicht weniger als neun an der Zahl, darunter seine Erlanger Dissertation bezeichnenderweise über den – jetzt heißt es "Zeitbegriff" bei Rainer Maria Rilke und nicht mehr wie vor 1945 über "Geschichtsbindung" – dürften auch eine Fritz-Klatt-Adaption sein. Schwerte wird nach 1945 nicht müde, die "unvergängliche Leistung" Rilkes zu rühmen, angeschmiegt an einige Leitbegriffe Rilkes. In existentialistisch getöntem, auch manieristisch gehaltenem Duktus, auf den wir typischerweise in Schwertes "zweitem Leben" bis ca. 1956/1957 stoßen werden, heißt es jetzt: "der 'reine Widerspruch' moderner Existenz zwischen 'Angst' und 'Sein' wird, in bejahender Annahme seiner absoluten Unlösbarkeit, als eine letztmögliche Geborgenheit und als Umschlossensein erfahren, schmaler 'Streifen Fruchtlands zwischen Strom und Gestein', auf dem der Mensch, 'innen', Rühmung und Rettung des 'Hiesigen' zu leisten hat."(50)

Man könnte von einer bösen Ironie der Geschichte sprechen, dass sich das "zweite Leben" des Hans Schneider, jetzt des Hans Schwerte, zwischen 1945 und 1956 gerade durch diesen "Rückzug auf das innere Leben als 'Geschichts'-Forderung"(51) auszeichnet und nun gerade das feiert, was Hans Schneider in einem Artikel des Jahres 1942 noch gebrandmarkt hatte.

   Schneiders Texte der ersten Phase zeigen auch noch eine andere Akzentuierung seiner Linientreue. Da ist der atheistische, den Rassenmythos verbreitende SS-Offizier, der gegen christliches "Sektierertum", gegen "frommes Heidentum", jenes "neue deutsche Heidenchristentum" ironisierend vorgeht. Ein Artikel Friedrich Kammerers in der "Monatsschrift für das deutsche Geistesleben" gibt Schneider Gelegenheit, gegen "die christliche Verfälschung unserer germanisch-deutschen Werte und die Zersprengung des völkischen Ordnungsgefüges durch den Begriff der Gnade und des Auserwähltseins!" anzuschreiben. Schneider schließt mit einem bedrohlichen Satz: "…wie sehr man noch heute uns selbst für dumm und grobschlächtig und – langmütig hält. Aber, wie gesagt, wir wollten ja nicht prophezeien …".(52) Von ähnlicher Haltung zeugen noch andere Beiträge Schneiders in seiner Zeitschrift "Die Weltliteratur", die im Berliner "Schwerter-Verlag"(53) erschienen. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller August Scholtis (1901-1969), mit dem die Schriftleitung – dies war Hans Ernst Schneider – 1941 in rassistischem Furor abrechnete. Scholtis, der während der NS-Zeit als durchaus unkritisch und systemnah zu beurteilen ist,(54) hatte sich über eine Rezension seiner Schriften in einem mutigen Brief beschwert.(55) Schneider kanzelte ihn daraufhin als heimlichen Kommunisten ab, lässt dabei süffisant die Namen der Verfolgten Bert Brecht, Thomas Mann und "Sami" Fischer fallen und droht schließlich auf seine Weise: "So wollen wir hoffen, dass er es [das Briefeschreiben] überhaupt nicht wieder tut, und wir versprechen das gleiche, zumal Scholtis schon von sich aus die Möglichkeit angedeutet hat, die weitere Klärung auf einem Boden zu suchen, der außerhalb der Publizistik liegt."(56) Als sich Scholtis 1969 in Berlin das Leben nahm, war Schwerte gerade auf dem Sprung in das Rektorat in Aachen.

Wir sollen auch fragen: Erzählen die von Schneider publizierten Texte auch von nicht-stromlinienförmigen, kritischen Anteilen der Person Schneider? Wir können solche Stellen nicht entdecken. Nehmen wir einige Leitwörter und Namen mit auf unseren weiteren Weg, etwa "Ritter, Tod und Teufel", Rainer Maria Rilke, die Begriffe Auftrag, Ruf und Wandlung, Gnade, Form und Gestalt, Bindung, Adler und Schwert, auch das Leitwort Europa, insbesondere aus Schneiders Stellungnahmen als SS-Offizier zwischen 1943 und 1945, etwa zu den "Politischen Aufgaben der deutschen Wissenschaft" (Februar 1943), zur Wissenschaftspolitik des "Ahnenerbes vom Oktober 1944 oder zum "Einsatz der deutschen Geisteswissenschaften unter Führung der SS" in einem nazistischen Europa noch vom März 1945. Und nehmen wir auch mit, dass Schneiders Umgang mit literarischen Texten und literaturwissenschaftlichen Produkten einen rassemythischen und reichsideologischen Fluchtpunkt besitzt, dem vor 1945 deduktiv alles und jedes zu gehorchen hatte.


3. Hans Schwertes Maskierung

3.1. Verwandlung I

"Andreas reist als ein Gewandelter, der sich in 'Sicherheit' weiß, weiter"
oder "Metaphysisch rührt dieses Ich wieder eine Ahnung bindenden, ja tragenden Seins an." (Hans Schwerte: Hofmannsthal und der deutsche Roman der Gegenwart 1952)

   Nicht nur die beiden zitierten Sätze aus Hans Schwertes Aufsatz "Hofmannsthal und der deutsche Roman der Gegenwart" (1952) (57) bieten sich als Motto für die zweite Phase dieses Lebens an. Es gibt viele ähnlich anspielungsreiche und im Nachhinein durchsichtige Sätze aus Schwertes Publikationen bis Ende der 1960er Jahre, aus jener Lebensphase, in der Hans Schneider – nach seinem Namenswechsel vom Mai 1945 – jetzt als Hans Schwerte als Germanist an der Universität Erlangen-Nürnberg arbeitete.

Auch aus den Publikationen, die seit 1948 nun aus der Feder des Hans Schwerte erscheinen, sind Bausteine einer Identität herauszufiltern, eines Mannes, dessen Identität unter der Maske eine erste Verwandlung erfährt bzw. sich auf den Weg macht, sich eine neue Identität zu erarbeiten. 1945 legte sich Schneider also den Namen Schwerte zu und flüchtete in ein ihm bekanntes Milieu, in die Universität und in die Germanistik, ausgerechnet dorthin, wo man dauernd sprechen und schreiben muss und damit Identität sozusagen in der Dauerauslage steht.

War seine "Flucht" in dieses Milieu denn nicht ebenso unvorsichtig, wie es etwa eine in die Tagesmedien oder die Politik gewesen wäre? Warum war es keine in die Wirtschaft, in den Sozialbereich, in den Sport? Eineinhalb Jahre nach dem Ende des Krieges, im Oktober 1946, taucht der Maskierte an der Universität Hamburg, etwas später in Erlangen auf, und ein dreiviertel Jahr später ist er im Alter von 36 Jahren wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Seminar in Erlangen-Nürnberg. Er wurde offenbar ohne Doktorat angestellt, als Studienabbrecher und ehemaliger Wehrdienstpflichtiger, der im Buchhandel tätig gewesen wäre. Nichts ist ganz falsch, alle Angaben haben einen Wahrheitskern, aber die ganze Wahrheit ist es eben nicht. Was waren seine wissenschaftlichen Qualifikationen?(58) Wir sollten für das Jahr 1948 nicht zu streng sein, aber auch nicht zu blauäugig angesichts des damals zwar bekannten, aber im Fluss befindlichen und damals "unerforschten Gebietes" des sogenannten "Braunschweigertums".(59)

   Wie gut sitzt die Maske? Scheint nicht das Schneidersche, das vor 1945 wiederholt auch schon mit dem Vorstellungsbereich "Schwert" zu tun hatte, ab und zu durch? Auf welche Weise, an welchen Stellen, wie stark? Mit dem Namenswechsel kann doch von einem Tag auf den anderen eine offenbar gefestigte Person und Identität namens "Schneider" nicht ausgedient haben. Stellen sich denn nicht Skrupel dem Schneiderschen gegenüber ein, gar Schandgefühle, Scham, Wut und Zorn, Bedauern, Mitleid? Konfrontiert "Schneider" Schwerte nicht mit Vorbehalten und Warnungen wegen der Zumutung, vielleicht einen neuen Weg gehen und sich emanzipieren zu wollen? Wir bewegen uns auf offenem Feld und schwankendem Boden.

Auch nach 1945 waren Schwerte/Schneider literarisch tätig. Karl-Siegbert Rehberg, ein Soziologe aus Dresden, und Marita Keilson, eine ehemalige Schülerin Schwertes und Literaturwissenschaftlerin in Amsterdam, haben, mit jeweils anders akzentuierter Lesart, auf einen solchen Text Schwertes hingewiesen und in ihm einen Schlüsseltext des Autors erkannt.(60) Die Erzählung "Begegnung auf der Straße"(61) erschien 1953. Von einem Mann namens Merten ist da die Rede, der – zufällig – Zeuge eines Verkehrsunfalls wird und angesichts des im Sterben liegenden Opfers zum ersten Mal in seinem Leben "blitzhaft" "durchschüttert" ist von der anschaulichen Erfahrung des Todes. Im Angesicht dieses Sterbenden brechen in Merten Erinnerungen an den Tod seiner Großmutter auf – persönliche Getroffenheit. "Aufgerissen bis zum letzten Grund", so heißt es schließlich über Merten, so dass er nach langer Zeit wieder nach Worten eines Gebetes suchen kann und muss:

"Die bewusstlos flackernden Augen [des Unfallsopfers] quälten die seinen. Ihre Ruhelosigkeit stieß an das eigene Verhängnis, Wunde an Wunde. Er war berührt worden. Er musste etwas tun, nur er […]. Er neigte sich nieder, legte seine Hände behutsam an den Kopf des Sterbenden. Er wusste nicht, wer dieser war. Ohne Namen erkannte er ihn, Menschenhaupt eins wie das andere. Um Merten wich alles zurück […] – flüsterte, murmelte, sprach, Vater unser, Auge über Auge, Leere ins Leere, der Du bist, aber Wort doch und Wort, Bogen und Brücke, einige – und endlich Amen, Amen, Amen. Merten erschrak vor dem klaren Klang des eigenen Mundes, vor der Sprache, die er nie gesprochen […]."(62)

   An Merten exemplifiziert Schwertes Text einen plötzlich Verwandelten, thematisiert ein Damaskus-Erlebnis. Im Rilke-Ton wird über einen "schrecklichen Straßentod" erzählt, "abgezählt in den Zahlen des täglichen Todes", was "anders gezeitet Gnade und Linderung sein"(63) mag: "die Uhr ging weiter, ununterbrochen, wenige ihrer Minuten nur hatte Merten im Schatten der tödlichen Szene gesessen, gesprochen das nie Geglaubte [das Vaterunser], begegnet dem nie Erfahrenen […]".(64) Merten versucht vergeblich, dem sterbenden Opfer zu helfen und macht sich dabei die Hände blutig. Er möge doch nach Hause gehen und sich das Blut von den Händen waschen, wird ihm von einem "der grauen Tragbahrenmänner"(65) geraten. Ein zufälliges Ereignis im Alltag, ein Verkehrsunfall, ein Sterbender, das Blut abwaschen und vergessen – für den Erzähler und für Merten ist aber offensichtlich mehr im Spiel. Schließlich sagt sich Merten – im Wechsel der Erzählperspektiven zwischen innerem Monolog und erlebter Rede: "Nach Hause werde ich vielleicht kommen […] ich habe die Spur. Man muß nur einwilligen. Aber das Blut abwaschen, jemals abwaschen das Blut des Opfers? Diese Begegnung war nicht zu löschen. Er musste versuchen in ihr zu leben. Zum Beiseitetreten war es zu spät gewesen."(66) Während der Blutfleck auf der öffentlichen Straße bald nicht mehr gesehen werden kann, weil er, wie es heißt, "schnell vertreten"(67) wird, bleibt Merten offensichtlich die unauslöschliche Erinnerung, vielleicht gar das Blut an seinen Händen für immer haften. Kollektives Vergessen kollidiert mit unauslöschlicher individueller Erinnerung und virulenter Präsenz des Todes. Sollte Schwerte – im Bilde der Vorkommnisse rund um einen zu-fälligen Verkehrsunfall – persönliche Schuld-Bewältigung betrieben haben?

Das ist ein Aspekt bei der Auseinandersetzung mit Schneider/Schwerte. Ein anderer ist es, anhand seiner literaturwissenschaftlichen Arbeiten den offenbar langwierigen Emanzipationsprozess aus Schneiders SS-Ideologie zum selbst-entnazifizierten Literaturwissenschafter nachzuzeichnen und dabei im Neuen die Verbindungslinien zurück im Auge zu behalten.

1948 beginnt Schwerte seine wissenschaftliche Publikationstätigkeit mit einer Arbeit über Rainer Maria Rilke ("Ein Hinweis Rilkes auf das ‚Religiös-Sein'").(68) Bis zur Einreichung seiner Habilitation mit dem Titel "Faust und das Faustische" (publiziert erst 1962) im Jahre 1957/58 folgen etwa weitere 50 Veröffentlichungen. Ich greife einige wenige Beispiele und Aspekte heraus, die die komplexe Dialektik zwischen Neubeginn, Skrupel und Vorbehalt aufweisen.

   Am 18. März 1953 publizierte Schwerte einen Artikel mit dem Titel "Moderne Kunst – Mut oder Ausflucht?",(69) der einen Diskussionsbeitrag zu einer Debatte über die künstlerische Moderne am Beispiel von Pablo Picassos "Guernica"-Gemälde (1937) darstellte, welche zwischen Eberhard Schulz und Margret Boveri in der Weihnachtsbeilage der FAZ geführt worden war. Es handelt sich dabei um ein aufschlussreiches Beispiel antimoderner Kunsttheorie und -kritik und passt so gar nicht in das Bild des späteren liberalen Professors, der mit präzisen Zeichenanalysen und detaillierten Bedeutungsgeschichten hervorsticht. Schwerte bezieht in der Picasso-Debatte eine eindeutige Position. Picassos Bild ist ihm ein Beispiel "naturalistischen", platten Oberflächen-Abschilderns, eine Art von "Abgrund-Wollust" am Schrecken, ja eine "Anarchisten-Predigt", sogar eine "Sünde" der Kunst:

"Sie gibt sich genau so barbarisch wie die Barbarismen moderner Staats'kunst', ja sie verstärkt diese Barbarismen noch, indem sie sich unfähig erweist, gegen die moderne Deformation (wer wollte sie leugnen!) das heile oder geheilte Menschenbild zu setzen, das in keinem Zeitalter 'naturalistisch' zu erreichen möglich war – immer nur durch Entschluß, Anstrengung und Wagnis. Diese Kunst w a g t nichts mehr, trotz aller ihrer surrealen Ausflüge und Ausflüchte. Mit all dem bleibt sie nur auf den Schutthaufen der Zivilisation sitzen."(70)

Moderne Deformation, Heilen/Heilung, Wagnis, so lauten die Leitvokabel dieses Essays. Bloß "Langeweile" beim Betrachten überkomme den Betrachter, denn Picassos Bild finde keinen, so heißt es raunend, "Einstieg in den 'Grund'", es zeige nur oberflächlich die "Wirklichkeit der heutigen menschlichen Situation in allen ihren Ausprägungen, […] ihre Entbindung, ihre Entformung […]" und dringe "nicht bis auf den Grund der menschlichen Existenz vor." Es gehe aber heutzutage darum, die "Selbstbehauptung als Achthabe auf den tragenden Grund des menschlichen Daseins"(71) zu vermitteln. Mystifizierend und sprachlich hochgradig enigmatisch geht es in diesem Schwerte-Essay zu. Im Hintergrund dieser Argumentation steht als Gewährsmann der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr (1896-1984) mit seinem damaligen Bestseller "Verlust der Mitte" (1948, 17. Aufl.1991), eine dem Zeitgeist gemäße Version des Umgangs mit "entarteter Kunst". Sedlmayrs Buch wird von Schwerte wohl nicht zufällig erwähnt. Picassos Kunst gehört für Schwerte zu den ästhetischen Aktivitäten der "fünften Kolonne" und wird als "ordnungslos", ohne Wurzeln bezeichnet, weil sie angeblich nicht den "Mut" aufbringe, "den Menschen trotz seiner Krankheit (die sei nie geleugnet!) in seinem 'ganzen Bezug' anzunehmen, der das Schreckliche einzusehen und ineins zu gestalten vermag mit dem Seligen." Heilen und Trostspenden, das Schöne im Schrecklichen sehen (Rilke) und darstellen – da "in der Schilderung eines Lächelns oder eines Grashalms ein unvergleichlich größeres Wagnis verborgen"(72) liege, so heißt es.

"Lächeln" ist ein Stichwort. Dem "Lächeln" bei Rainer Maria Rilke sollte Schwerte denn auch ein Jahr später einen seiner im Lichte unserer Fragestellungen methodisch, sprachlich und gedanklich aufschlussreichsten Aufsätze widmen: "Das Lächeln in den Duineser Elegien" (1954).(73) Schwertes Text geht dabei vielen Bedeutungen und Details nach, im Kern handelt es sich um Folgendes: Rilkes "Lächeln" wird als "Abglanz jenes Innenvorgangs der Verwandlung"(74) beschrieben, was freilich nicht nur eine sicherlich zutreffende Skizze der Rilkeschen Bedeutungskonstruktion darstellt, sondern zugleich als angestrebte oder vielleicht auch gelebte Lebenshaltung des maskierten Schwerte lesbar ist. Schwerte, der Spezialist für Bedeutungsnuancen des Wortfeldes "Lächeln" in den "Duineser Elegien", die er in ihrer artifiziellen semantischen Strukturiertheit bestens zu beschreiben weiß, betont auch, dass Rilke sogar im Lächeln von Heldentoten das "sprachliche Signum des erfüllten Menschen"(75) gefasst habe. "In der 'Geburt des Lächelns' erleben wir [bei Rilke] das Geheimnis der 'Geburt des Menschen'",(76) schreibt Schwerte.

   Im Lichte unserer Untersuchungsoptik wird klar, warum Rilke, der Innerlichkeits-Spezialist, unmittelbar nach 1945 zu einem der Dichter-Favoriten Schwertes geworden ist – als ein Autor, der die Kunstauffassung des Heilens verkörpern und somit als psychischer Entlastungspoet für Schwerte beschworen werden konnte. In der letzten Fußnote seines Rilke-Aufsatzes vertieft Schwerte seine Textbeobachtungen noch durch einen methodologischen Hinweis. Er verweist auf ein Buch von Romano Guardini mit dem Titel "Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins" aus dem Jahre 1941, das 1953 in der vierten Auflage erschienen war. Schwerte greift folgenden Satz heraus, der, wie er bedauernd feststellt, in die letzte Auflage aber nicht mehr aufgenommen wurde. Man darf ihn wohl auf Schwertes Vorgangsweise, seine verdeckte selbstbezügliche Lesart, münzen: "Echte Interpretation ist darauf gerichtet, eben jenes Eigene herauszuholen und ihm Raum zu schaffen."(77)

Nochmals zurück zu Picassos Guernica-Gemälde und an den Beginn der 1950er Jahre. An einem exemplarischen Beispiel antifaschistischer Kunst entwickelte Schwerte also seine prinzipiellen kunsttheoretischen Überlegungen während der ersten Verwandlungsphase. Dabei fällt auf, dass er nie direkt aus- und anspricht, welche konkrete historische Wirklichkeit Pablo Picasso in seinem Werk thematisiert, nämlich den Angriff deutscher Fliegerverbände auf die baskische Stadt als eine der ersten Bewährungsproben der "Legion Condor" der neuen NS-Reichluftwaffe Ende April 1937. Ablenkend und ausweichend fällt auch das floskelhafte Reden Schwertes etwa über die ewige "Krankheit der Zeit", das "Fegefeuer der heillosen Zeit", die "Ruhelosigkeit des modernen Menschen", die Bindungslosigkeit aus – "als ob je eine 'Zeit' anders gewesen wäre als 'heillos', verwirrt, verwüstet, fundamental zerstört", so heißt es historisch Konkretes einebnend. Hans Schneider hatte noch gewusst, was "Bindung" bedeutete, nämlich ein Teil der rassisch reinen Volksgemeinschaft des Reiches zu sein. Schneiders Reden über die Verwurzelung der Kunst in mystifizierten Entitäten wie Volk und Reich wird nun abgelöst von Hans Schwertes nicht minder raunendem Reden über die "Ganzheit des Seins" oder über das "Ahnen der Unverbrüchlichkeit des Seins".

   Ernst Barlach (1870-1938) und Rainer Maria Rilke (1875-1926) sind ihm dafür wahre und echte Beispiele moderner Kunst. Keine Rede mehr ist von der "Enderscheinung" Rilke. Im Gegenteil: "Seine [Rilkes] 'Modernität' steht bis heute hin eher im Anwachsen als im Abnehmen."(78) Wenn Schwerte schließlich Ernst Barlach preist, weil seine Kunstwerke "gerade inmitten schrecklichen Verfalls der Zeit Gestalt und Antlitz retteten, da sie 'ganz' waren",(79) darf man vermuten, dass sich das Schneidersche in Schwertes erster Verwandlungsphase beruhigende Unversehrtheit zuschreiben wollte und sich daraus eine antimoderne Kunsttheorie konstruierte.

Es passt in dieses Bild eines solchen Ressentiments gegen die künstlerische Moderne, dass Schwerte während dieser ersten Verwandlungsphase an Projekten beteiligt war, für die auch ehemalige SS-Kameraden (Wilhelm Spengler, Verlag Gerhard Stalling) verantwortlich zeichneten. Es handelt sich um die Sammelbände "Denker und Deuter im heutigen Europa" (1954) (80) sowie "Forscher und Wissenschaftler im heutigen Europa" (1954) (81) und um die vom entnazifizierten Erlanger Ordinarius Heinz Otto Burger herausgegebene Literaturgeschichte "Annalen der deutschen Literatur" (1952). Für die "Annalen" verfasste Schwerte seinen bis dahin umfangreichsten Text, den literarhistorischen Aufriss "Der Weg ins zwanzigste Jahrhundert. 1889-1945".(82) Der dafür vorgesehene ehemalige Exilant Werner Milch (1903-1950), dem wohl die Funktion eines Entlastungsmitarbeiters zugedacht gewesen war, war verstorben. Hans Schwerte durfte als einziger Nicht-Ordinarius einspringen. Hatte der Maskierte Skrupel? Wie sollte er seine Darstellung anlegen? Die genannten Sammelwerke und Schwertes Beiträge sind, so kann man sie lesen, Zeugnisse von überkommenen Bewertungsmaßstäben. Walter Jens hat mit klarem Blick 1962, zehn Jahre nach der Publikation der "Annalen", den antimodernen, aber zeitgemäßen Zungenschlag Schneiders/Schwertes folgendermaßen beschrieb: "[…] wo alle Gegensätze fallen, müssen in der Tat Emigranten-Dichtung und nationalsozialistisches Schrifttum identisch sein. […] Man sieht, wohin es kommen kann, wenn man auf Wertmaßstäbe verzichtet, die Zeit von vornherein als heillos ansieht, das 'bewusste Eintreten für die tragenden Werte von Volkstum und Deutschtum' auf Kosten weltbürgerlicher Humanität preist. […] Literatur als faustisches Ringen, Heilkunde und deutsche Sehnsucht … wer hätte wohl 1945 zu ahnen gewagt, dass die Kategorien der völkischen Literaturbetrachtung sich als so dauerhaft erweisen würden?"(83)

   Es ist nicht anzunehmen, dass Jens Näheres über den Lebensweg des Verfassers wusste. Schwerte jedenfalls entwickelte sich weiter und wollte seinen Beitrag aus 1952 offenbar nicht mehr in einer Neuauflage der "Annalen" sehen. Schwertes im damaligen mainstream der deutschen Germanistik angesiedelter Beitrag in den "Annalen" zeichnet sich – beispielhaft besprochen – durch folgende Spannweite aus: Einerseits Nicht-Kenntnis der vertriebenen Literatur und/oder Nichtachtung ihrer Leistungen, andererseits die Feier des ehemaligen NS-Hymnikers Josef Weinheber in einem eigenen, letzten Kapitel. Weinheber wird als elegischer artistischer Gipfelpunkt beschrieben, "tragisch vereinsamt", als "Geist-Mensch", "'Adel und Untergang' – das Gegenwort 'Liebe und Ordnung' bleibt, auf zertrümmerter Bühne, dem kommenden Geschlecht zur Aufgabe und wartet des sagenden Dichters."(84)

Auch das nach 1945 von Schwerte favorisierte "Rilke-Prinzip" des trostreichen "Lächelns" wird zur Wert-Orientierung aufgegriffen: "Wo Wiechert [der 1941 als Schwärmer abgeurteilte Dichter, K.M.] nur die spurlose Flucht in den dunkel-bergenden Wald kennt, wo Th. Mann nur die ausweglose Hybris des Geistes spürt, da weist Kortüm-Kluge [gemeint ist Kurt Kluges "Der Herr Kortüm", Kurt Kluge: 1886-1940], wissend-lächelnd, auf die Notwendigkeit der Bindung von Erdgrund und Geistesflug hin."(85)

Diese Art der akademischen Literaturwissenschaft, über poetische Texte im existentialistischen Duktus zu sprechen, war eine gängige Praxis der frühen Nachkriegsgermanistik,(86) sie lag also im Trend der Zeit. Im Lichte von Schwertes späterem literaturwissenschaftlichen Werk seit den 1960er Jahren wird deutlich werden, dass Schwerte aber schnell verstanden haben musste, dass eine völlige Neuorientierung nötig war. Schwertes Verwandlungsphase II ("drittes Leben") sollte dem auf wissenschaftlich ertragreiche und akademisch erfolgreiche Weise Rechnung tragen.

   Das innere Bild der ersten Verwandlungsetappe hatte auch seine erlesen-elitären Seiten. Stichwort "Bindung" und "Denker und Deuter im heutigen Europa". Die ehemaligen SS-Führer und Herausgeber des letztgenannten Bandes hatten schon vor 1945 über ein neues Europa unter Führung der SS nachgedacht, Schneider sogar noch im März 1945. Die Europa-Idee wurde in neuer Prägung weitergeführt, eine plumpe Fortsetzung der nazistischen Europa-Vorstellungen kann man jedoch nicht feststellen. Es sind jetzt Sätze zu lesen, wie sie heute mancher EU-Politiker auch in Geleitworten formulieren könnte: "Für das zukünftige Schicksal der europäischen Völker und seiner Menschen wird es entscheidend sein, ob Europa ein Konglomerat mehr oder weniger widerstreitender Nationalstaaten bleibt oder ob es zu einem Organismus höherer Einheit zusammenwächst. […] Daß der Schritt vor das eigene nationale Haus hinüber über die Schwelle des Nachbarn gelinge, und dass Europa aus der Fessel des Schlagwortes gelöst werde, indem es zu einer lebendigen Substanz im einzelnen Menschen wachse – dazu will diese Buchreihe beitragen."(87)

Zum Thema "lebendige Substanz": Als Exempel im Deutschland-Österreich-Band der Reihe "Denker und Deuter im heutigen Europa" bietet Schwerte drei Texte an – einen zu Hugo von Hofmannsthal (1874-1929),(88) den zweiten über Rainer Maria Rilke (1875-1926) (89) und schließlich einen zu Gottfried Benn (1886-1956).(90) Das "Deuten" war Schwerte offenbar sehr wichtig. Das Reden über die "Substanz" auch. Warum also dieses Autoren-Dreigestirn? Das Hauptinteresse an Hofmannsthal liegt nicht beim frühen Ästheten oder beim Autor des sprachkritischen Chandos-Briefes (1902), sondern bei Hofmannsthal dem "konservativen Revolutionär". Es ist der "bewahrende Verwandler" mit seinem "Salzburger Großen Welttheater" (1922), der Verfasser der Münchner Rede "Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation" (1927). Es sind nicht die christlich-katholischen Bindungsappelle des jüdisch-katholischen Autors, für die er sein "Salzburger Großes Welttheater" geschrieben hatte, sondern gemäß "moderner" existentieller Seins-Orientierung Schwertes im Jahre 1954 die Wertprinzipien "Dienst, Tat, Verantwortung, dazu Hingabe und Bescheidung […] in Wahrung und Hütung überlieferter Wertordnungen",(91) wie sich Schwerte ausdrückte. Schwerte könnte gewusst haben, dass Hofmannsthals konservatives Revolutionsprinzip (92) schon 1933 Heinz Kindermann als Vorstufen hin zur "Besinnung der Deutschen auf ihre volkhafte Eigenart"(93) verstehen konnte. Im Rückblick gesehen wird man festhalten können, dass Kindermanns Instrumentalisierung des Angebotes Hofmannsthals in der Tat ein Meisterstück eklektizistischen, politisierenden Missbrauchs der pazifistischen und zugleich restaurativen Anliegen Hofmannsthals gewesen war. Das musste auch Schwerte gewusst haben. Er verweist demnach auch folgerichtig auf jene Passagen der Münchener Rede Hofmannsthals, in denen dieser das "fanatisch Tragische, das 'Titanische', 'Faustische'"(94) der Deutschen als Bindungsfaktoren nicht gutheißt. Statt dessen Hofmannsthal, der letzte große "heilende Dichter", wie Rainer Maria Rilke auch auf seine Weise: "Rühmung und Rettung des 'Hiesigen'".(95) Wir kennen das bereits bei Schwerte. Der Maskierte interessiert sich insbesondere für Bilder der Gebogenheit und Behaustseins, bei Hofmannsthal ebenso wie bei Rilke.

   Und wie steht es mit Benn, dem einzigen damals noch lebenden Dichter unter den drei exemplarischen Gestalten, über die Schwerte schrieb? Was ist Benn für Schwerte in dessen erster Verwandlungsphase? "Doppelleben also, Doppelsinn ist die Grundstruktur solcher Existenz", heißt es, sei die Formel für das Werk Benns. Und weiter – durch Benn hindurch ist der Maskierte erkennbar – kursiv gedruckt: "'Die Einheit der Persönlichkeit ist eine fragwürdige Sache … Kunst und die Gestalt dessen, der sie macht, ja sogar das Handeln und das Eigenleben von Privaten sind völlig getrennte Wesenheiten …’ Daher 'Dualist', wie Benn sich selbst nennt, 'Anti-Synthetiker'. Ich habe es nicht weiter gebracht, etwas anderes zu sein als ein experimenteller Typ […] "So wird Kunst zum einzigen Ort, wo dem Menschen Dauer gelingt, rein an sich […]."(96) Schließlich wird Hans Schwerte offensichtlich von den Bennschen "Schwertern" gestützt: "… schweigen und walten/wissend, daß sie zerfällt,/dennoch die Schwerter halten/ vor die Stunde der Welt."(97)

Das war 1954. Aber wir haben noch nichts zu einem weiteren wichtigen Thema gesagt, das Schwerte zu Beginn der 1950er Jahre sehr beschäftigte. Gemeint ist die Auseinandersetzung Schwertes mit dem Werk Thomas Manns (1875-1955). Zwei Funktionen sind auszumachen, die Thomas Mann damals für Schwerte hatte. Zuerst war der Exilant bekämpfte Abstoßungsfigur im Kontext von Schwertes Mythos-Fetischismus und ersatzreligiöser Bindungsideologie unmittelbar nach 1945.(98) Schließlich entwickelte sich aber Thomas Mann gewissermaßen zu einem verschwiegenen Lehrmeister für Schwerte, indem das Werk Manns in seinem ironisierenden Umgang mit dem Mythischen entdeckt wurde, insbesondere mit der deutschen Ideologie im Roman "Doktor Faustus". Auch die bei Mann an Friedrich Nietzsche geschulte Maske des Homoerotikers, die Maskierung des eigenen Lebens, das Leben als Kunstwerk – das dürfte Schwerte beeindruckt haben. Freilich, Ironie sollte Schwerte immer fremd bleiben, Humor auch. Die drei wichtigsten Texte zu Thomas Mann stammen aus den Jahren 1950, 1951 und 1955, zur Josephs-Trilogie unter dem Titel "Der humanisierte Mythus"(99) (1950), zum "Erwählten" unter dem Titel "Die Vorheizer der Hölle"(100) (1951) und zum "Felix Krull" unter dem anspielungsreichen Titel "Liebevolle Auflösung. Thomas Manns Hochstapler-Bekenntnisse"(101) (1955). Diese Aufsätze und Essays rücken Thomas Mann und mit ihm die Moderne/Avantgarde in die direkte Schuldzone für den Faschismus, und zwar unter die "Vorheizer der Hölle". So nennt Schwerte, der ehemalige SS-Mann, einen seiner Aufsätze aus 1951, womit er ausgerechnet ein Wort Franz Werfels aufgreift, mit dem dieser – auf christlich-jüdisch-religiöser Grundlage und angesichts der verbrecherischen Herrschaft der Nazis – in seinen im Exil entstandenen "Theologumena" (1942-1944, erschienen in Stockholm im Exilverlag Bermann-Fischer 1946), avantgardistischen Hochmut geißelte.

"Parodistische Destruktion" des Mythischen, wie Schwerte das Verfahren Thomas Manns nennt, vertrug er in dieser Phase seiner Verwandlung unter der Maske offenbar noch nicht. Er kante Thomas Manns großen Richard-Wagner-Aufsatz von 1933, in dem Mann seine neue, die andere Mythus-Sicht entfaltet, die die Nazis so sehr hassten: "Der Mythus wird humanisiert, säkularisiert, zivilisiert. […] Er wird sozusagen 'stadtfein' hergerichtet. […] in die schillernde Lauge einer ironischen Psychologie gebracht",(102) schreibt Schwerte so kurzsichtig wie abschätzig. Er fühlte sich offenbar bedroht. Ein paar Jahre später, im Felix-Krull-Aufsatz "Liebevolle Auflösung" (1955) ist das Kulturkämpferische und das Sich-Abschottende der Jahre 1950/1951 bereits gemildert. Schwerte musste sich insbesondere durch Felix Krull, den radikalen und zugleich heiteren Maskenspieler, gleichermaßen bedroht wie angezogen fühlen. Letztlich aber überwog wohl die Bedrohung, wenngleich Schwerte schon auf einem neuen Wege zu sein scheint, denn es heißt: "Krulls parodistische Hochstapelei dringt […] bis ins Zentrum des Menschlichen, des Geistigen vor: ins Wort und in die Liebe. […] Ein Buch des Endes, der Absurdität des sich selbst parodierenden Wort-Spiels, das Wort-Grund ersehnen läßt, Standgrund des Logos mitten im Spiel. […] Aber Thomas Manns lebenslängliches Kunstverdienst mag es gerade sein […], daß Wort-Spiel und menschliche Wirklichkeit zwei verschiedene Wirklichkeiten sind, die, bei Strafe gegenseitiger Auslöschung, nicht ineinander verwoben werden dürfen. Wort-Spiel ist nicht Sache des Kunst-Spiels. Dieses öffnet nur – doch unausweichbar – die Horizonte menschlicher Landschaft, aber nimmt uns den eigenen Gang darin nicht ab."(103)

Wohl ein Leidender spricht hier. Einen selbstverkleideten Krull, der völlig im narzisstischen "Selbstgenuß"(104) aufgeht, das ging Schwerte zu weit. Deswegen vergisst Schwerte nicht, gegen einen solchen radikalen Krull noch einmal Hofmannsthal zu zitieren, und zwar aus dessen Vermächtniswerk "Der Turm" (1927): "Ich bin allein und sehne mich verbunden zu sein."(104) Das sollte offenbar den eigenen Rücken stärken und zur Identifizierung dienen.

   Reden wir aber nicht nur von den Schatten Schneiders hinter der Maske, sondern auch von Diskontinuität, also den Versuchen Schwertes, eine Art weiterführender Emanzipation zu wagen, die ihn in die Verwandlungsphase II führen sollte. Er begann, Texte von Ilse Aichinger, Robert Musil, Heimito von Doderer, Alfred Döblin, Friederike Mayröcker, Ingeborg Bachmann, Max Bense, Helmut Heissenbüttel oder Hans Magnus Enzensbergers "Die Aporien der Avantgarde" und über das poetische "Experiment" zu lesen und über sie zu schreiben. In der Folge firmiert Thomas Mann als ein sensibler Formkünstler und Wissender in Fragen der Wechselbeziehung von Form und Inhalt, und zwar ausgerechnet in einer Festschrift für Heinz Otto Burger.(106) Schließlich entwickelt sich ein erheblicher Abstand zu jenem ideologisch geprägten Picasso-Unverständnis von 1950 und den einsichtigen Sätzen in die wirklichkeitseröffnenden Möglichkeiten sprachlich-literarischen Experiments von 1968 mit einem Motto von Max Frisch: "Darstellen heißt auskundschaften": "Wann und wo in der modernen Dichtung der Begriff 'Experiment' angewendet wird, ist dies ein Zeichen dafür, dass sie dem naturwissenschaftlichen Horizont des Zeitalters offenblieb und sie den geschichtlichen Wandlungen der neueren Naturwissenschaft zu entsprechen verlangt. […] bisher unerfahrene Mitteilung poetisch zu erfahren und sagbar zu machen, das Wagnis der Zweideutigkeit auf sich nehmen […]. … verantwortlicher Zeitgenosse ist man nicht im Rückzug aufs Gewohnte und Gewusste."(107) Das sagte Schwerte auch in seiner Aachener Antrittsvorlesung von 1967. Vergessen wir nicht: Damit hatte er seinen Fuß in die Tür des sich jetzt gerade entwickelnden jungen links-liberalen germanistischen Milieus gesetzt. Das alte Schneidersche/Schwertesche in unterschiedlichen Lebensphasen konnotierte und fetischisierte Wort "Wagnis" hatte jetzt eine neue Bedeutung bekommen – "Sprachwagnis", auch das Wort "Welterkundung"(108) hieß jetzt etwas gänzlich anderes. Damit waren keine unmittelbaren politischen Ziele mehr gemeint. Aber das Wort Max Frischs vom "Auskundschaften" durch das Wort dürfte Schwerte gefallen haben.

In den 1950er Jahren scheint sich Schwerte mit seinen angewandten Methoden und Überzeugungen nicht mehr auf der Höhe der Zeit gesehen zu haben. Er beginnt, wie in einem Analyse-Rausch, einzelne Wörter und ihre Vorstellungsbereiche und Wortfelder in ihren unterschiedlichen historischen Verwendungsweisen, in ihren Vereinnahmungen, Umdeutungen, Instrumentalisierungen und Missbräuchen zu recherchieren sowie deren Prägekraft für ganze Ideologiekomplexe zu erkunden. Das ist etwas Neues und kündigt Schwertes Verwandlungsphase II unter seiner Maske an, gewissermaßen sein "drittes Leben". Es zeigt Diskontinuierliches an, eine Gestik, die Schwerte bis dahin fremd war. Ein erstes nach wie vor beeindruckendes Ergebnis auf diesem Gebiet stellt Schwertes Habilitationsschrift "Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie"(109) dar, die 1957 an der Universität Erlangen-Nürnberg approbiert und ein paar Jahre später nach ihrer Publikation in breiteren germanistischen Fachkreisen als kritisches Grundlagenwerk betrachtet wurde und wird.

   Schwertes Faustbuch mit seinen detaillierten Recherchen nach dem "Faustischen" am Goetheschen Faust und, im Anhang der Habilitation, über Dürers "Ritter, Tod und Teufel"(110) sowie viele weitere Arbeiten, etwa über das "Holde" und "Adlers Flügel" im Faust(111) und bei Frank Thieß,(112) über das Vermessene und zugleich Emanzipative des Ikarus und des Euphorion, über die Kentauren-Figur, das Dionysische und das Herakleische in der abendländischen Kunst und Literatur (etwa bei Heyse, Nietzsche, Buenaventura Genelli,(113) Hofmannsthal,(114) Peter Weiss,(115) Frank Thieß), gehen meist von solchen Wortfeld-Erkundungen aus. Erst beim späteren Schwerte werden daraus auch gleichsam kleine Kulturgeschichten und Aufrisse ästhetischer Bearbeitungen des jeweiligen Mythos.

Diese Art von Wortrecherche beginnt, wie erwähnt, ansatzweise schon in den 1950er Jahren, und zwar ausgerechnet in einer Arbeit über das "Aorgische"(116) (das Nicht-Individuelle, das "Dämonische", "Abgrund") bei Friedrich Hölderlin (1953) oder über das Wort "Saltimbanques" (1954), das Schwerte in Rilkes fünfter "Duineser Elegie" gefunden hatte und das ihn anspringen musste, hatte Rilke doch Saltimbanque (Springer, Gaukler, Artisten) folgendermaßen übersetzt: "die Fahrenden, diese ein wenig Flüchtigern noch als wir selbst…".(117) Eine Übersetzung, die für den Maskierten offenbar tröstlich war.

Schwertes Wortrecherchen der 1950er Jahre hatten damals noch nicht die Funktion, Ideologietraditionen aufzubrechen, wie später zunehmend in den 1960er Jahren, als sie schließlich zur Grundlage für Schwertes wichtigste und bis heute ertragreich zu verwendenden großen Arbeiten z. B. über den Begriff der "Heimatkunst" (1967) oder zur Trivialliteratur am Beispiel Ludwig Ganghofers (1968) oder zum "Begriff des Experiments in der Dichtung" (1968) wurden,(118) und ihn überdies zum anerkannten Experten im Rahmen der "Nürnberger Gespräche" qualifizierten, der etwa über "Ideologische Stereotype und Leitbildmodelle als Integrationsformen der Gesellschaft"(119) (1966) schrieb. In den 1950er Jahren war aber derartige Wort-Recherche noch Teil jenes Systems der Selbstbespiegelung über den Transmissionsriemen eines Textes oder eines Gemäldes.


3.2. Verwandlung II

   Schwerte ist auf dem inneren Weg und kommt in einem dritten Leben an – weiterhin in seinem Doppelleben, weiterhin unter dem Schutz der Maske und in geheimer Identitätsspannung. Auf dieser Etappe haben wir ihn an der Salzburger Universität kennengelernt. Wegen seiner literaturwissenschaftlichen Leistungen in dieser Lebensphase wurde er 1983 zum Honorarprofessor an unserer Universität ernannt, als der Ideologiekritiker Schwerte, der, was niemand von uns damals wissen konnte, "Ideologiekritik", auf andere Weise schon betrieben hatte.(120)

Die "Ideologiekritik" Schwertes stellte eine Art kritischer Diskursgeschichte mit bemerkenswerten kultur- und literarhistorischen Ergebnissen dar, insbesondere im Bereich der deutsch-ideologischen Faust-Rezeptionen, der "Heimatkunst"- und Trivialliteratur-Forschung,(121) weiters hinsichtlich einer neuen Sichtweise auf die Literatur und Kultur des "Wilhelminischen Zeitalters" und sogar auf dem Feld der Kritik der Geschichte der Germanistik.(122)

Ein Schlüsselsatz für meine eigenen Studien war etwa folgender Satz aus Schwertes Wilhelminismus-Forschungen: "Der Ansatz zur Bürgerkriegssituation der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, die spätestens nach 1918 allgemein offensichtlich wurde, danach unter Hitler katastrophal ausgefochten, wurde bereits mitten im Wilhelminischen Zeitalter, um die Jahrhundertwende, gelegt, als, mit landschaftlichen, agrarischen, völkischen Vorzeichen, das ideologische Gegenwort 'Heimatkunst' aufkam, programmatisch gerichtet gegen die angeblich national zersetzende sogenannte Großstadtliteratur, d.h. gegen die experimentierende und kritisch diskutierende Literatur der Moderne."(123)

   Nicht zuletzt waren wir in Salzburg mit dem Schwerte seines "dritten Lebens" im Einverständnis, wenn wir im Tagungsbericht der Nürnberger Gespräche 1965 "Ideologische Stereotype und Leitbildmodelle als Integrationsformen der Gesellschaft" folgende Sätze aus seiner Feder lesen konnten: "Diskussion, Analyse, Kritik, diese in Deutschland so oft verschrieenen geistigen Verhaltensweisen, sind […] Akte des Einübens in humanen Willen zur Balance der Vernunft [das könnte von Robert Musil stammen K.M.], in die freilich – und auch dies ist eine der dringendsten 'Lehren' der Geschichte – das sogenannte Emotionale, selbst das in der deutschen Geistes- und Gesellschaftsgeschichte so viel bemühte 'Irrationale', mit in die denkende Vernunft hineingenommen und ebenso verantwortet werden muß, jedenfalls politisch nicht 'freigestellt' bleiben darf."(124)

Aber haben wir wirklich ganz genau gelesen, auch den letzten Teil des folgenden Satzes, wenn es heißt, dass uns "die nationalistischen, schließlich imperialistischen, schließlich rassisch-völkischen Manipulatoren und Vereinfacher […] die geistigen und sozialen Traditionen der Deutschen ruiniert und mit ihrer nationalen Phraseologie überredet [haben], vom 'Text' wegzusehen in einer so erschreckenden und folgenschweren Weise, dass tatsächlich zur Zeit in Deutschland für Lehrer, Publizisten, Politiker nichts dringlicher erscheint, als die eigene Tradition erst wieder zurückzuholen aus allen ideologischen und mythisierenden Vorstellungen."(125)

"Die eigene Tradition erst wieder zurückholen"? Welche? Das Nationale, "nationale Sicherung", wie er es jetzt nannte, blieb Schwerte ein Anliegen, freilich ein von allen Verschmutzungen, also von "'nationale[n] Mythen' und 'Urbilder[n]'" "gereinigtes" Nationales.(126) Es dürfte kein Zufall sein, dass der wirklich allerletzte Satz, den der Noch-Maskierte im Herbst 1994 in seinem Rundfunkvortrag "Faust und das Faustische. Vom Faustbuch zum 'anschwellenden Bocksgesang’" (Typoskript 1994) in Sorge um die neuerlichen Siege des "Übermäßgen, Unbedingten", des "Irrationalen" im 21. Jahrhundert schreibt, folgendermaßen lautet: "Denn die Lehre, das Prodesse […] wäre exakt das, was Goethe, auch der naturforschendende, wiederholt als 'Balance' bezeichnet hat, die Balance zwischen Notwendigem und Übermäßigem, zwischen Bedingtem und Unbedingtem, auch zwischen vernünftigem Einsehen und erkenntnisleitendem Schauen: Solche geleitete und wägende Vernunft, darf man sagen: solche gezügelte, solche solidarische Rationalität, dem 21. Jahrhundert zu wünschen, ja ihm, im Wissen um die Geschichte Fausts, aufs dringlichste anzumahnen, dazu bedarf es keiner Vision, nur der kritischen Balance dieser Vernunft selbst."(127) Ich setzte damals bei meiner Lektüre an den Rand: "Ja, das ist das Vermächtnis Prof. Schwertes. Dafür und daran arbeiten wir. Aber wer hört es? Die Apokalypsen sind schon da." (Jänner 1995)

   Seit etwa 1980 erweiterte Schwerte seine ideologie- und bedeutungsgeschichtlichen Recherchen. Auf der Basis seiner Erkenntnisse, die er sich im Zuge seiner Aufdeckungsarbeit zur Ideologie des "Faustischen" erworben hatte, ging er daran, mythische Gestalten, ihre abendländisch-deutschen Rezeptionen und Instrumentalisierungen zu analysieren. Dabei lernen wir spezifische Lesarten Schwertes kennen, die erneut erhellende Durchblicke auf das Lebensproblem dieses Mannes erlauben. Es geht etwa um die Figur des Dionysos, um jene des Kentauren, um Ikarus und Euphorion. Seit 1980 publizierte Schwerte nicht weniger als sieben Arbeiten, die sich dieser Figuren annehmen. Schwerte war und blieb, deskriptiv gesprochen, von mythischen Bildern fasziniert. Wir erinnern uns Thomas Manns: "Denn wir wandeln in Spuren, und alles Leben ist Ausfüllung mythischer Formen mit Gegenwart" (Thomas Mann meinte hier vor allem Goethe),(128) was Schwerte 1950 noch in einer Art selbstabspaltender Abrechnung zitiert hatte.

Mit welchen literarischen Gegenständen und Epochen sich Schwerte auch beschäftigte, etwa mit Gottfried Benn, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Friedrich Hölderlin, Ernst Barlach, mit Goethes "Faust", mit "Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter", mit der sogenannten "Heimatkunst", mit den mythischen Figuren des Ikarus, Euphorion, des Kentauren oder des Herakles – überall scheint die verhüllte Auseinandersetzung des SS-Offiziers mit sich selbst und seiner Lebensthematik virulent und durchzuschimmern.

Besonders dem "Biformen",(129) dem Zwittrigen, wie sich Schwerte selbstbezüglich ausdrückt, geht er in einer Anhäufung von Belegen durch die Epochen und unterschiedlichen Medien in allen nur erdenklichen Ausprägungen und auch überraschenden Bedeutungsverschiebungen nach, ebenso wie dem Ikarus-Mythos, dem Ikarischen zwischen "Hochsinn und Vermessenheit"(130) als Ausdruck für das "unaufhebbare Widersprüchliche der modernen Existenz Fausts". "Faustus. Ikarus. Flugsehnsucht und Flugversuche in der Faust-Dichtung von der Historia bis zu Goethes Tragödie",(131) so nennt er seinen Aufsatz, und man möchte hinzufügen – "bis Schwerte". Am Ende dieses Aufsatzes heißt es, nicht nur auf Goethe bezogen, sondern wohl auch selbstbezüglich: "Das unaufhebbare Widersprüchliche der modernen Existenz Fausts […] scheint für Goethe in dem verhängnisvollen Ikarus-Flug und –Todessturz die deutlichste poetische, gar mythische Bildsetzung gefunden zu haben, der neue Mythos von dem alles überfliegen wollenden Heros, den Absturz willentlich und selbstbewusst einkalkuliert. Zwar der Strebende, dieses eine Kennwort Fausts, aber der je maßlos Strebende, ohne Selbst-Beschränkung, immer dem Irrtum, dem tödlichen, ja tötenden Irrtum verhaftet. […] Oder mit Faust, in gedoppeltem Paradoxon: m u ß irren, um streben zu können. Die tätige Selbstverwirklichung im Fangeisen des Irrtums."(132)

   Besonderes Interesse in unserem Zusammenhang darf auch eine Debatte beanspruchen, die 1987 anlässlich eines Salzburger Symposions der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Goethes "Faust" stattfand. Hans Schwerte hatte einen Vortrag über "Der weibliche Schluss von Goethes 'Faust'"(133) gehalten und dabei über eine der "rätselvollsten" Szenen "dieses Tragödien-Spiels",(134) die Schlussszene "Bergschluchten" referiert. Schwerte hatte die These vertreten, dass Goethe versucht habe, mit dem Wort vom "Ewig-Weiblichen", "diesem Ziel-Wort, das neu zu begreifen wäre, ein weibliches Prinzip in den Erlösungsvorgang einzubeziehen",(135) und zwar im Anschluss an gnostisches, manichäisches, heidnisches und vorchristliches Gedankengut gegen alle Vorstellungen der "kanonischen Offenbarungsschriften"(136) der drei monotheistischen Religionen.(137) Im Anschluss an Schwertes Vortrag entspann sich eine heftige Debatte, in der es u. a. um die Frage ging, ob "das Verbrecherhafte, die Möglichkeit der Sühne, der Entsühnung, der moralischen Umartung"(138) von Goethe auf diese Weise und überhaupt mitgemeint war. Ein anderer Diskutant bezweifelte die These Schwertes und meinte, "dass da eine Art neue Heilslehre angeboten wird, die das Heil Fausts in der Umartung ins weibliche Prinzip hinein sieht – […] Nicht nur mit dem Faust geht’s so, dass er gereinigt, umgeartet, geläutert wird ins Weibliche hinein, sondern: das ist überhaupt die Rettung der Welt. Ich glaub’s nicht, will ich Ihnen gleich sagen. […] Das letzte Wort, was den Alten [gemeint ist Faust] wirklich interessiert, sein Problem heißt nicht: Erlösung oder Verdammnis […]. Der Alte hat eine ganz andere Frage im Sinn, nämlich: Ist es zu Ende, oder ist es nicht zu Ende, Fortdauer. Fortdauer über den Tod hinaus, das ist sein Endproblem, nur das. […] die Umartung Fausts und der ganzen Welt ins Prinzip des Ewig-Weiblichen hinein, das glaub’ ich, führt in eine andere Richtung."(139) Schwerte wehrte sich und sprach von der von Goethe seiner Auffassung nach initiierten "Absage an das Gericht durch Christus, den Mann, und Gott Vater, den Mann" und von der Goetheschen "Miterlöserin" Maria. Beide Diskussionsparteien durften freilich Argumente für sich beanspruchen und mussten welche gegen sich zulassen, hatte es Goethe doch auf unauflösbare Ambivalenz angelegt. Dennoch fällt auf, wie sich Schwerte gerade vom Gedanken der Erlösung, von diesem "'Erlösungs’spielstück",(140) wie es Goethe gemeint habe, nicht abbringen ließ. Dies mag im Lichte unserer Beobachtungen eine besondere Konnotation besitzen und nicht nur mit Schwertes Textanalyse-Ergebnissen zu tun haben.

Ein sowohl im Hinblick auf Textnähe und sensible Interpretation, literarhistorische Verortung, formalästhetischer Bewusstheit und eben auch schlagender Selbstbezüglichkeit(141) wichtiger später Aufsatz beschäftigt sich mit Frank Thieß’ Roman "Der Zentaur" (1931), und zwar unter dem Titel „Auflösung der Republik" (1991).(142) Schwerte zeigt nicht nur, wie sich in Thieß’ "Fliegerroman" am Vorabend des "30. Januar 1933"(143) Kentaurenhaftes, also Biformes, und Ikarisches in antiken und zugleich futuristischen Diskurstraditionen auf einmalige, wenn auch romanästhetisch traditionelle und darob für ein Massenpublikum lesbare Weise überlagern, sondern auch, wie ein derartiger scheinmoderner Diskurs wie bei Thieß dem damaligen "rechten Wind"(144) zuarbeitete und zugleich "unterminierende Sickerkraft"(145) war. Mit diesem Aufsatz über Franz Thieß konnte Schwerte gewissermaßen sein Thomas-Mann-Kapitel beenden und sah nun genauer. Sein Urteil über Thieß – womöglich auch über sich selbst als einem Verführten und ideologischem Opfer – fiel vernichtend aus: "dieses Verhängnis [es ist und bleibt ein "Verhängnis"] der Sprachverweigerung [durch Thieß als formal trivialer Romancier] zog das andere Verhängnis der Realitätsverweigerung nach sich. Im Raum dieser Realitätsverweigerung, mit Hilfe von solcher vor- und zubereitender Literatur wie Thieß’ Zentaur, vollzog sich die 'Neugeburt' des deutschen Volkes. Was gleichnishaft-metaphorisch im Stil des einfachen Sagens gemeint war oder gemeint gewesen sein mochte, erwies sich in der herbeizitierten politischen Realität als die Ruinierung jeden sprachlichen Rückhaltes und erwies sich darin am Ende als die geschichtliche Ruinierung des Volkes."(146)

Schwertes Aufsatz über Thieß ist neben aller Erkenntnis über geistige, ästhetische und politische Vorgänge der 1930er Jahre auch als Entlastungstext für den Maskierten zu lesen, nach dem Motto: Da gibt es solche, die sich wie Thieß nach 1945 als "innere Emigranten" aufspielen und lügen, und da sind die "ehrlichen" Schwertes.


5. Demaskierung

   Fast auf den Tag genau 50 Jahre nach seiner Maskierung demaskierte sich Hans Ernst Schneider unter dem Druck der medialen Öffentlichkeit – am 27. April 1995. Ein viertes Leben begann, das im Dezember 1999 endete. In einigen Stellungnahmen und Interviews äußerte sich Schwerte auf folgende Weise. Ich montiere kommentarlos einige der zentralen Sätze, die Schwerte nach seiner Selbstaufdeckung gesprochen und geschrieben hat und die, wie ich meine, einige zentrale Identitätselemente deutlich machen:

"In die SS gekommen in einer Fluchtbewegung. […] Sollte ich auf die Straße treten und sagen: Ich war auch einer! Verhaftet mich und hängt mich auf? […] Ich habe nie daran gedacht, dass jetzt die Amerikaner aufstehen würden und sagen würden, mein lieber Mann, du bist ein Schurke, sondern die haben mir gedankt dafür. Weil ich ja schließlich darüber gesprochen habe, was die wollten. Die wollten ja die berühmte ‚Umerziehung’ haben […]. Als ich Berlin 1945 mit dem Fahrrad verließ, da wusste ich, du mußt ein neues Leben beginnen, es darf nie wieder so werden. Ich wollte mithelfen, ein anderes Deutschland zu aufzubauen, und ich sah zwei Schienen, die ein Gleis bildeten: meine neue Existenz und das neue Deutschland. […] Übernehmen einer neuen Verantwortung nach der Katastrophe eines radikal fehlgegangenen Leben. Nur ‚Maske’ und Doppelspiel wäre mein Leben seit 1945 (bis heute) gewesen. […] Daß ich Gegenwendung und Gegenarbeit zu leisten versucht habe (durch Auszeichnungen anerkannt), wird unterschlagen." […] Daß ich entdeckt werden könnte, daran habe ich kaum gedacht. […] Ich weiß nicht, wer Schneider ist, aber ich werde dafür geradestehen müssen. […] Also, Sie drücken sich falsch aus. Ich bin es genau, der von 1950 bis 1995 seine Arbeit getan hat. Ich bin bloß nicht mehr der, der den alten Namen hat. […] Sie haben keinen alten Nazi vor sich […] Die Lehre ist mir mein Leben wert gewesen, mein Leben, das Hans Schwerte heißt und kein anderes ist. […] Ich dachte, ich könnte in den Sarg gehen, ohne als Betrüger dazustehen […] Schuld und Scham sind ausgesprochen worden. Was offenzulegen möglich war, ist offengelegt worden. […] Ich habe nicht einmal von den Konzentrationslagern eine Ahnung gehabt. […] Ich trug die Uniform von Auschwitz, unlöschbar, bis heute. Darin liegt, ebenso unlöschbar, das Wissen um meine Schuld, mein Verhältnis zu den Toten und Lebenden, die immer wieder versuchte Sühne, die in fünfzig Jahren auch immer wieder versuchte Wiedergutmachung."(147)

Der Fall Schneider/Schwerte könnte den Literatur- und Kulturwissenschaftler einiges lehren. Wir sollten ein noch reflektierteres und auch skeptischeres Verhältnis zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung entwickeln. Viel stärker als bisher sollten wir uns der Bedingungen und Voraussetzungen jeglicher Interpretation, jeglichen Blicks bewusst werden und diese in unseren Beurteilungen von Forschungsergebnissen berücksichtigen. Man möge nicht missverstehen: Es geht nicht um platte Spekulationen zu Person oder Charakter von Wissenschaftlern. Der Boden des kritisch-rationalen Diskurses ist nicht zu verlassen, sondern zu erweitern, indem unterschiedliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen verstärkt reflektiert werden. Die französische Geschichtswissenschaft hat davon gesprochen, dass Geschichte ein Konstrukt, ja der "Traum des Historikers" sei. Die Voraussetzungen (Schule, Persönlichkeit, Forschungsanliegen, Umfeld u.v.m.) des "Träumenden" für seinen Traum spielen zweifellos eine wesentliche Rolle. Es muss aber immer ein an Quellen "kontrollierter Traum"(148) sein.

   Wir müssen noch genauer nach den Perspektiven und nach der Optik fragen, die die Wahrnehmung der VerfasserInnen prägen. Schwertes Werk nach 1945 ist ein bemerkenswertes Anschauungsbeispiel dafür, wie die Untersuchungsgegenstände, denen sich Schwerte als Literaturwissenschaftler bevorzugt widmete, hauptsächlich von seinem Doppelleben und dem daraus abzuleitenden, spezifisch ausgeprägten Sensorium bestimmt ist. Die Art und Zielrichtung der Analysen freilich änderten sich sukzessive und deckten sich dabei auffällig mit den jeweils vorherrschenden Diskursen der Literaturwissenschaft oder nahmen sie sogar vorweg. Hans Schwerte – immer auf der Höhe der Zeit oder sogar als Vorreiter des Kommenden. Was als eine besonders hellsichtige und innovative Leistung verstanden werden konnte, zeigt sich nun – im Wissen um die Maskierung Schwertes – als eine Leistung, die man mit jener des Igels im Märchen vom Hasen und dem Igel umschreiben könnte.

Worauf am Beispiel von Thomas Manns Werk besonders aufmerksam gemacht wurde, nämlich die "Kunstmittel des enthüllenden Tarnens und beredten Verschweigens"(149) unablässig im Auge zu behalten, sollte man bei jedem Schreibprozess, sei er künstlerischer, sei er wissenschaftlicher Natur, stärker als bisher berücksichtigen.

"Wir sind am Ende dieser Geschichte. Sie ist lang geworden … Es war ein Enthüllungsprozeß besonderer Art. … wach sein, wach sein, es geht was vor in der Welt. Die Welt ist nicht aus Zucker gemacht. … Wach sein, Augen auf, aufgepaßt … widebum widebum, dem einen geht’s grade, dem andern geht’s krumm, der eine bleibt stehen, der andere fällt um, der eine rennt weiter, der andere liegt stumm, widebum, widebum."(150)

 

Anmerkungen

(1) Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1929). Nachwort von Walter Muschg  (München, 1976, 17. Aufl.), 410.

(2) Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 371 und 419 (Neuntes Buch, Abschnitt "Und Schritt gefasst und rechts und links und rechts und links").

(3) Zum "Ahnenerbe“ der SS: Michael H. Kater, Das "Ahnenerbe" der SS 1933 bis 1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1974). Vgl. auch das Internetportal zum "Ahnenerbe" (www.shoa.de). Ich hatte schon in den 1980er Jahren das Buch von Michael H. Kater gelesen. Ich erinnere mich genau, dass mich schon damals die Salzburg-Passagen besonders interessierten. Ich las damals schon über den "österreichischen Germanisten Dr. Hans Schneider" (174 und 404, Anm. 257: Kurzabriss der Biographie Schneiders).

(4) Earl Jeffrey Richards, "Versuch einer vorläufigen Bilanz", Ungeahntes Erbe. Der Fall Schneider/Schwerte- Persilschein für eine Lebenslüge. Eine Dokumentation, hg. vom Antirassismus-Referat der Studentischen Versammlung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Aschaffenburg: Alibri-Verlag, 1998, 1. Aufl.), 212-33; Bernd-A. Rusinek, "Ein Germanist in der SS", Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte (Erlanger Universitätsreden Nr. 53, 1996, 3. Folge; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 1996), 37. Vgl. die Hans-Schwerte-Aussage: "In Lübeck lebte die Familie einer Sekretärin eines SD-Kollegen, die mir ohne lange Fragen eine winzige Dachkammer zum Schlafen überließ. Wahrscheinlich am nächsten Morgen begab ich mich in die Lübecker Außenstelle des SD und verlangte ein Anmeldeformular, um meinen Namen zu ändern. Gewundert hat das niemanden dort -- ich war ja nicht der einzige. Passanträge waren bereits keine mehr da."
(
http://parapluie.de/archiv/improvisation/biographie/)

Zu den massenhaften Namensänderungen nach 1945 in Deutschland vgl. Karl Wilhelm Böttcher, "Menschen unter falschem Namen" Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, hg. von Eugen Kogon unter Mitwirkung von Walter Dirks und Clemens Münster, 4 (1949), Heft 6, 492-511.

(5) Ich werde z. B. auf Schwertes prononcierte Position zum "'Erlösungs’spielstück" der Bergschluchtenszene in Goethes Faust II (Salzburger Faust-Symposion 1987) oder etwa auch auf seine exzellente und zugleich mit Herzblut vorgetragene Analyse von Frank Thieß’ Roman "Der Zentaur" [1931] (publiziert 1991) noch zu sprechen kommen.

(6) Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte (München, Wien: Carl Hanser Verlag 1998).

(7) Claus Leggewie, "Ein irritierendes Lehrstück", DUZ (Deutsche Universitäts-Zeitung), 13 (1995), 15.

(8) In einem von Hans Schneiders Artikel in der SS-Zeitschrift "Die Weltliteratur" mit dem Titel "Das Problem des Tragischen" heißt es im Zusammenhang mit einer Besprechung eines Vortrages von Hans Naumann zum Nibelungenlied als einer "staufischen Elegie" oder eines "deutschen Nationalepos" und im Kontext der Katastrophe von Stalingrad programmatisch: "… dass im Dasein unseres Volkes immer wieder Lagen eintreten können und werden, in denen wir, jeder von uns, sich ebenso 'tragisch' werden einsetzen müssen, die gleiche Haltung zu Tod, Ehre und Kampf werden einnehmen müssen wie jene letzten Burgunder am Etzelhof. […] Ein Volk, das um seine Untergänge weiß, wird ihnen um so mehr trotzen. Und der Dichtung wird es ein Weg sein. Wieder 'klassisch' zu werden nach aller 'Romantik' bis in unsere Tage hin." Hans Schneider, "Das Problem des Tragischen. Zu einigen Neuerscheinungen". Die Weltliteratur 18 (1943), H. 4/5, 74.

(9) Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte 1998, 15.

(10) Ebenda.

(11) Claus Leggewie, "Ein irritierendes Lehrstück", DUZ (Deutsche Universitäts-Zeitung), 13 (1995), 15.

(12) Earl Jeffrey Richards, "Versuch einer vorläufigen Bilanz" Ungeahntes Erbe, 1998, 231.

(13) Der Beitrag des niederländischen Fernsehens in der Reihe "Brandpunt" könne nicht als seriöse Dokumentation bezeichnet werden: vgl. Marita Keilson-Lauritz, Schülerin von Hans Schwerte, in einem Brief an mich vom 15. Mai 2006.

(14) Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte, 54. Es handelt sich dabei um eine Selbstbezeichnung Schwertes nach seiner Selbstenttarnung. Dies ist freilich eine verharmlosende Selbstbeschreibung, die den ideologischen Charakter etwa seiner Erzählung  "Königliches Gespräch" (1936) nicht angemessen erfassen kann.

(15) Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte, 56.

(16) Ebenda.

(17) Ebenda, 71.

(18) Earl Jeffrey Richards, "Versuch einer vorläufigen Bilanz", Ungeahntes Erbe, 1998, 217; Gerd Simon: "Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen." Hans Ernst Schneider alias Schwerte im Dritten Reich. Schwerpunkt: Der Fall Schneider/Schwerte. Zs. Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 77/1996, 82-114, hier 112.

(19) Johannes Rau, "Geleitwort des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen", Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter, hg. von Hans-Peter Bayerdörfer, Karl Otto Conrady und Helmut Schanze (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1978). Mit Blick auf Schwertes SS-Vergangenheit und seine vor 1945 von ihm eingemahnte Verbindung von "Theorie und Praxis" bekommen diese Sätze eine zusätzliche und zugleich bedrängende Konnotation. Das Begriffspaar spielte – auf seine Art – auch eine Rolle in den Leitvorstellungen des SS-Ahnenerbes über die Wissenschaftspolitik – Stichwort: "elitärer Egalitarianismus" (Vgl. Earl Jeffrey Richards, "Versuch einer vorläufigen Bilanz", Ungeahntes Erbe 1998, 230.)

(20) Interview mit Claus Leggewie, "Vom SS-Mann zum Ehrensenator. Der lange Marsch des Hans Ernst Schneider", Neue Zürcher Zeitung, 28.9.1998.

(21) Bücher und buchähnliche Publikationen, Berichte, Interviews, Zeitschriftenaufsätze, Zeitungsartikel, Internetseiten, Stellungnahmen, Dokumentensammlungen, auch Hörfunksendungen und Fernsehfilme. Vgl. Fachdienst Germanistik 6/1995, 8/1995, 9/1997, 4/1999.

(22) Karl Wilhelm Böttcher, "Menschen unter falschem Namen". Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, hg. von Eugen Kogon unter Mitwirkung von Walter Dirks und Clemens Münster. 4 (1949), Heft 6, 494.

(23) Die wichtigsten Publikationen sind, chronologisch aufgelistet: "Schwerpunkt: Der Fall Schneider/Schwerte" Sprache und Literatur 77 (1996); Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte (Erlanger Universitätsreden Nr. 53, 1996, 3. Folge; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1996); Vertuschte Vergangenheit. Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der deutschen Hochschulen, hg. Helmut König, Helmut, Wolfgang Kuhlmann, Klaus Schwabe (München: C.H. Beck, 1997); Joachim Lerchenmüller, Gerd Simon unter Mitarbeit von Stefan Blanz, Petra Geiling, Horst Junginger, Susanne Kirst und Florian Vogel, Im Vorfeld des Massenmords. Germanistik im 2. Weltkrieg. Katalog zur Ausstellung (GIFT, 2. Aufl., Tübingen: Verlag der Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung, 1997); Joachim Lerchenmüller, Gerd Simon unter Mitwirkung von Florian Vogel, Maskenwechsel. Wie der SS-Hauptsturmführer Schneider zum BRD-Hochschulrektor Schwerte wurde und andere Geschichten über die Wendigkeit deutscher Wissenschaft im 20. Jahrhundert (GIFT: Erster Band, Schneider; Tübingen: Verlag der Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung, 1997); Jäger, Ludwig, Seitenwechsel. Der Fall Schneider/Schwerte und die Diskretion der Germanistik (München: Wilhelm Fink Verlag, 1998); Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte (München, Wien: Carl Hanser Verlag, 1998);  Bernd-A. Rusinek, Wilfried Loth, Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft (Im Auftrag des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen; Campus, 1998); Ungeahntes Erbe. Der Fall Schneider/Schwerte- Persilschein für eine Lebenslüge. Eine Dokumentation, hg. vom Antirassismus-Referat der Studentischen Versammlung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (1. Aufl., Aschaffenburg: Alibri-Verlag, 1998).

(24) Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, "Gelegenheit macht Demokraten. Überlegungen zum Fall Schwerte/Schneider", Ein Germanist und seine Wissenschaft, 1996, 107.

(25) Zu den heftigen Auseinandersetzungen um die Beibehaltung bzw. Aberkennung des Erlanger Doktortitels Schwertes vgl. Ungeahntes Erbe. Der Fall Schneider/Schwerte, 1998. Auf den Titel eines Salzburger Honorarprofessors verzichtete Schwerte von sich aus. 

(26) Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte, 22. Leggewie zitiert Sigmund Freud (Brief an Arnold Zweig, 31.5.1936).

(27) Jäger, Ludwig, Seitenwechsel, 1998, bes. Kap. 3.4., 132-50. Vgl. auch: Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte,1998. Zum Thema "Menschenversuche" vgl. Earl Jeffrey Richards, "Versuch einer vorläufigen Bilanz", 1998, 218ff.

(28) Leggewie berichtet – es ist dies die einzige derartige Stelle in seinem Buch –, dass er zwecks Fortführung seines Interviews mit Schwerte bei ihm gewesen sei, als dieser in dem Sammelband Vertuschte Vergangenheit (H. König u.a.) eine Fußnote im Artikel von Gjalt R. Zondergeld las, in der die Vermutung geäußert wird, dass Schneider bei der "Sonderaktion Krakau" Ende Oktober 1939 anwesend gewesen sein könnte: "Als er [Schwerte] diese Fußnote entdeckte, verlor Schwerte die Fassung und brach in Tränen aus." (Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte,1998, 80).

(29) Ebenda, 95-100.

(30) Nach: Hans Schwerte, "In 50 Lebens- und Arbeitsjahren gewandelt", FAZ 13.11.1996.

(31) Schneiders/Schwertes Texte umfassen für die Zeit bis 1945 – ohne die nicht auffindbare Turgenjew-Arbeit und auch ohne Schneiders Korrespondenzen in seinen verschiedenen SS-Funktionen und die nur teilweise erhalten gebliebenen Stellungnahmen des SS-Offiziers etwa zu den "Politischen Aufgaben der deutschen Wissenschaft" (Februar 1943), zur Wissenschaftspolitik des "Ahnenerbes (Oktober 1944) oder zum "Einsatz der deutschen Geisteswissenschaften unter Führung der SS" (März 1945) in einem nazistischen Europa [vgl. „Schwerpunkt: Der Fall Schneider/Schwerte“, Sprache und Literatur 77, 1996, 115-20)] – etwa 180 Seiten: Rezensionen, Essays, die Novelle "Königliches Gespräch" (1936) und einige für unsere Analyse erhellende  Gedichte. Hans Schwertes Produktion nach 1945 erstreckt sich etwa über 1200-1300 Seiten und umfasst die Rilke-Dissertation (1948), die Habilitationsschrift über das "Faustische" (1957/58/publ. 1962) und den etwa 120 Seiten umfassenden Aufriss zur deutschen Literatur zwischen Naturalismus und 1945 (Annalen der deutschen Literatur. Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Gemeinschaftsarbeit zahlreicher Fachgelehrter, hg. von Heinz Otto Burger (Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1952, 719-840) sowie ca. 90 Aufsätze seit 1948, Artikel, Einführungen, Herausgeberbeiträge, Essays, Statements, Glossen, nicht zuletzt auch Gedichte und eine Erzählung.

(32) Ulrich Wyss, "Ein Germanist in Erlangen" Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte, 1996, 82–93; Theo Buck, "Ein Leben mit Maske oder ‚Tat und Trug’ des Hans Ernst Schneider", Schwerpunkt: Der Fall Schneider/Schwerte. Zs. Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 77 (1996) 48-81; Klaus Weimar, "Der Germanist Hans Schwerte", Vertuschte Vergangenheit. Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der deutschen Hochschulen, hg. von Helmut König, Wolfgang Kuhlmann, Klaus Schwabe (München 1997), 46-59. 

(33) Hans Ernst Schneider, Königliches Gespräch 1936. 4. und 5. Strophe aus dem Gedicht "Deutschland".

(34) Hans Schneider, Königliches Gespräch 1936, 58-9.

(35) Hans Schneider, "Land im Osten", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 5/6, 145. Ähnlich auch in "Runen des Lebens" (Ebenda, F. 1, 16). Beim Musikliebhaber Schneider mag sich auch die Assoziation mit Richard Wagners Siegmund-Passage aus der 3. Szene des 1. Aktes der "Walküre" eingestellt haben: "Ein Schwert verhieß mir der Vater, ich fänd' es in höchster Not." (Ich danke Markus Kreuzwieser für diesen Hinweis.)

(36) Hans Schneider, "Tat und Trug", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 3, 64.

(37) Hans Schneider, "Preußische Tragödie", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 7, 178.

(38) Hans Schneider, "Tat und Trug" 1941, 64.

(39) Diese Formulierung ist eine Anspielung auf ein Wort von Heinrich Himmler: "Die Burgen von Allenstein, Heilsberg, Marienwerder und Neidenburg waren durch sieben Jahrhunderte hindurch für alle Generationen des alten Ordenslandes Ostpreußen – dieser Keimzelle des preußisch-deutschen Staates – ebenso sehr die Zeugen wehrhafter Eroberung und zähester Verteidigung als auch Sinnbilder hoher deutscher Kultur. Eine diese Burgen, die Marienburg, erwuchs über eine landschaftlich begrenze Bedeutung hinaus zum Mahnmal des Lebensrechtes und Behauptungswillens der gesamten deutschen Nation im Osten." (Nach: Hans Schneider, "Tat und Trug" 1941, 64)

(40) Hans Schneider, "Tat und Trug" 1941, 67. In diesem Zusammenhang sei an den Begriff der "stählernen Romantik" erinnert, den Joseph Goebbels in seiner Rede zur Eröffnung der Reichskulturkammer am 15.11.1933 in die Welt setzte – als angeblich einmaliges Kennzeichen reichsdeutschen Wesens, als eine Verschwisterung von "Natur- und Heimatliebe" sowie Technikbegeisterung und "Fortschrittlichkeit", eine "heroische Lebensauffassung" "mit einem fast soldatischen Rhythmus": "Es ist eine Art von stählerner Romantik, die das deutsche Leben wieder lebenswert gemacht hat, eine Romantik, die sich nicht vor der Härte des Daseins versteckt oder ihr in blauen Fernen zu entrinnen trachtet, eine Romantik, die den Mut hat, den Problemen gegenüberzutreten und ihnen fest und ohne Zucken in die mitleidlosen Augen zu schauen." Schneider hatte Anteil an dieser Mythologie.

(41) Hans Schneider, "Preußische Tragödie" 1941, 177.

(42) Hans Schneider, "Tat und Trug" 1941, 64.

(43) Es handelt sich um folgende Beiträge: Tat und Trug. Zur ostpreußischen Dichtung der Gegenwart (1941, H. 3) – Scholtis: Schelt- und andere Briefe (1941, H. 3) – Bemerkungen zu einem deutschen Drama (1941, H. 5/6) – Preußische Tragödie. Friedrich Bethges "Rebellion um Preußen" (1939) und "Anke von Skoepen" (1940) (1941, H. 7) – Pastoröser Betrug (1941, H. 10) – Missdeutungen. Zum Verhältnis von Dichter und Gemeinschaft (1942, H. 6) – Das Problem des Tragischen (1943, H. 4/5, wahrscheinlich identisch mit dem Aufsatz "Das Tragische". In: Das Reich, Berlin, 7.2.1943) – Vom Schöpfertum (1944, H. 1-2).

(44) Insgesamt erschienen in der Zeitschrift "Die Weltliteratur" zwischen 1940 und 1945 an die 30 Rezensionen aus der Feder Hans Ernst Schneiders.

(45) Hans Schneider, "Das Problem des Tragischen. Zu einigen Neuerscheinungen", Die Weltliteratur, Bd. 18 (1943), H. 4/5, 69-74 [Rezensionen zu Franz Büchler, Ernst Viktor Zenkler, Ernst Bacmeister, Hans Naumann].

(46) Hans Ernst Schneider, "Bemerkungen zu einem deutschen Drama", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 5/6, 150.

(47) Hans Ernst Schneider, "Mißdeutungen. Zum Verhältnis von Dichter und Gemeinschaft", Die Weltliteratur 17 (1942), H. 6, 117.

(48) Ebenda.

(49) Ebenda, S. 117-18.

(50) Hans Schwerte, "Rainer Maria Rilke", Denker und Deuter im heutigen Europa. Deutschland. Österreich. Schweiz. Niederlande und Belgien. Skandinavien, hg. von Hans Schwerte und Wilhelm Spengler. Eingeleitet von Arnold Bergstraesser (Oldenburg, Hamburg: Gerhard Stalling Verlag, 1954), 181.

(51) Hans Schneider, "Missdeutungen", 1942, 118.

(52) Hans Schneider, "Pastoröser Betrug", 1941, 264.

(53) Vgl. auch den Spruch und das Bild, die der Schwerter-Verlag auf seine Titelseite setzen ließ: Altdeutscher Soldat mit gezücktem Schwert sowie "alter deutscher Spruch": "Jedem zu Recht/niemandes Knecht/Dem Schwachen Schutz/dem Starken/Trutz/die Hand dem Freund/die/Faust dem Feind/So wirds hier/Gehalten/Gott möge es walten." (Illustration von Ernst Dombrowski). Die Weltliteratur, 1941, H. 10 (dort auch der Beitrag Hans Ernst Schneiders, "Pastoröser Betrug", 1941, 262-64).

(54) August Scholtis (1901-1969).

(55) Claus Leggewie berichtet, Schwerte seien "derartige Passagen heute überaus peinlich." (Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte, 1998, 104).

(56) Die Schriftleitung [= Hans Ernst Schneider], "Scholtis: Schelt- und andere Briefe", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 4, 118.

(57) Hans Schwerte, "Hofmannsthal und der deutsche Roman der Gegenwart", Wirkendes Wort 3 (1952), 143-49, hier 144, 146.

(58) Lebenslauf aus Schwertes Erlanger Dissertation. (Ungeahntes Erbe, 1998, 25).

(59) Karl Wilhelm Böttcher, "Menschen unter falschem Namen", Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, hg. von Eugen Kogon unter Mitwirkung von Walter Dirks und Clemens Münster, 4 (1949), Heft 6, 492. Zum Begriff "Braunschweiger": "So nannte der Volksmund die Namenwechsler nach Kriegsende. Der Ausstieg aus der eigenen Biographie als Einstieg in die Nachkriegszeit. So selten war das gar nicht, auch wenn die gelegentlich kolportierte Zahl von 80.000 wohl zu hoch gegriffen ist. Und es waren nicht nur Akademiker, wie die drei Beispiele nahe legen könnten; Illegale kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Gründe abzutauchen gab es viele: Angst vor Verfolgung durch die Alliierten, vor möglichen Racheakten, oder davor, nicht entnazifiziert zu werden. Für manche war es eine Flucht vor der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun: die neue Identität als biographische 'Stunde Null'. Anderen ermöglichte die pseudo-biographische Distanz zum eigenen Ich erst die selbstkritische Befragung.“ (http://parapluie.de/archiv/improvisation/biographie/) Vgl. auch: Norbert Frei, "Identitätswechsel. Die 'Illegalen' in der Nachkriegszeit", Vertuschte Vergangenheit, 207-22.

(60) Karl-Siegbert Rehberg, "Gelegenheit macht Demokraten. Überlegungen zum Fall Schwerte/Schneider", Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte, 95-111; Marita Keilson-Lauritz, "Hans Schwerte – Irrtum und Neuversuch", Ebenda, 75-81.

(61) Hans Schwerte, "Begegnung auf der Straße", Zeitwende, die neue Furche (Hamburg 1953), 325-30.

(62) Ebenda, 328.

(63) Ebenda, 330.

(64) Ebenda.

(65) Ebenda.

(66) Ebenda.

(67) Ebenda.

(68) Hans Schwerte, "Ein Hinweis Rilkes auf das 'Religiös-Sein'", Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Bd. 1, H. 4, 345-51.

(69) Hans Schwerte, "Moderne Kunst – Mut und Ausflucht?", Die Erlanger Universität 6 (1953), 3. Beilage, Mittwoch, den 18. März 1953.

(70) Ebenda.

(71) Ebenda.

(72) Ebenda.

(73) Hans Schwerte, "Das Lächeln in den Duineser Elegien", GRM 1954, NF, Band 4, Heft 4, 289-98.

(74) Ebenda, 293.

(75) Ebenda, 294.

(76) Ebenda, 295.

(77) Ebenda, 298, Anm. 20.

(78) Hans Schwerte, "Moderne Kunst – Mut und Ausflucht?" Die Erlanger Universität 6 (1953), 3. Beilage, Mittwoch, den 18. März 1953.

(79) Ebenda.

(80) Denker und Deuter im heutigen Europa, hg. von Hans Schwerte und Wilhelm Spengler. Eingeleitet von Arnold Bergstraesser. Band 1-2 (Oldenburg, Hamburg: Gerhard Stalling Verlag, 1954).

(81) Forscher und Wissenschaftler im heu­tigen Europa. Bd. 1-2 (Oldenburg, Hamburg: Gerhard Stalling Verlag, 1954).

(82) Hans Schwerte, "Der Weg ins zwanzigste Jahrhundert 1889-1945", Annalen der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Gemeinschaftsarbeit zahlreicher Fachgelehrter, hg. von Heinz Otto Burger (Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1952, 719-840).

(83) Walter Jens, "Völkische Literaturbetrachtung – heute", Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. Sechsunddreißig Beiträge deutscher Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten, hg. von Hans Werner Richter (München, Wien, Basel: Verlag Kurt Desch, 1962), 344-50, hier 348.

(84) Hans Schwerte, "Der Weg ins zwanzigste Jahrhundert 1889-1945", 839.

(85) Ebenda, 837.

(86) Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945, hg. von Wilfried Barner und Christoph König (Frankfurt a. Main: Fischer Taschenbuchverlag, 1996).

(87) "Vorwort", Denker und Deuter im heutigen Europa, hg. von Hans Schwerte und Wilhelm Spengler 1954, 9, 13.

(88) Hans Schwerte, "Hugo von Hofmannsthal", Denker und Deuter im heutigen Europa 1954, 166-69.

(89) Hans Schwerte, "Rainer Maria Rilke", Denker und Deuter im heutigen Europa 1954, 178-81.

(90) Hans Schwerte, "Gottfried Benn", Denker und Deuter im heutigen Europa 1954, 125-29.

(91) Hans Schwerte, "Hugo von Hofmannsthal", Denker und Deuter im heutigen Europa 1954, 169.

(92) Auch der SS-Mann Armin Mohler, Experte der "konservativen Revolution" (vgl. seine Dissertation aus 1946: Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch + Ergänzungsband, 3. Aufl., Darmstadt 1989), meldet sich zu Wort, und zwar mit einem Artikel über "Ernst Jünger" (138-49). Bei Mohler firmiert Hofmannsthal sogar als der Namenspatron der Bewegung. Weitere Arbeiten: Rolf Peter Sieferle, Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen (Paul Lensch, Werner Sombart, Oswald Spengler, Ernst Jünger, Hans Freyer), Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1995. Sieferle unterscheidet fünf "Komplexe": Der völkische Komplex, der Komplex des nationalen Sozialismus, Der Komplex des revolutionären Nationalismus, Der aktivistisch-vitale Komplex, Der Komplex des biologischen Naturalismus.

(93) Heinz Kindermann, "Vorwort", Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart, hg. von H. Kindermann. Mit einem Geleitwort von Staatskommissar Hans Hinkel (Leipzig 1933), 7. Hans Hinkel, seit dem 30. Jänner 1933 der neue Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, gab dieser Publikation sein "Geleit" mit auf den Weg: "In den Stunden, da diese Zeilen geschrieben werden, dröhnt durch Deutschland der Marschtritt der Regimenter der nationalen Revolution. Das Volk ist im Aufbruch. [...] Was an Morschem gestern noch Ewigkeiten zu überdauern schien, die erwachende Nation fegt es beiseite. Die Gemeinschaft all der Künder deutscher Art ist im Werden. [...] Nichts nützt den Feigen, Lauen und Absterbenden ihr Gegröle von 'deutscher Barbarei'. Vor dem lebendigen deutschen Volkstum zerstiebt das Gejammer der Ewig-Gestrigen. [...] Wieder hält die Welt vor Deutschland, das zu sich fand, den Atem an. Der Spuk der Wurzellosen ist zu Ende. Steht der Dichter im Volk, dann steht das Volk um ihn, für ihn.' (Hans Hinkel, Berlin am Tag von Skagerrak 1933).

(94) Hans Schwerte, 'Hugo von Hofmannsthal', 1954, 169.

(95) Hans Schwerte, "Rainer Maria Rilke" 1954, 181.

(96) Hans Schwerte, "Gottfried Benn" 1954, 12f.

(97) Ebenda, 129.

(98) Vgl. auch den Konnex zur Auseinandersetzung Thomas Manns mit Walter von Molo, Frank Thieß & Co in der Debatte um die "innere Emigration" unmittelbar nach 1945.

(99) Hans Schwerte, "Der humanisierte Mythus. Zu Thomas Manns Josephs-Trilogie", Die Erlanger Universität Vol. 4 (1950), 5. Beilage, 2-3.

(100) Hans Schwerte, "Der Vorheizer der Hölle. Zu Thomas Manns 'archaischem Roman'", Die Erlanger Universität, Bd. 5, 3. Beilage, S. 1-2.

(101) Hans Schwerte, "Liebevolle Auflösung. Thomas Manns Hochstapler-Bekenntnisse. Zur 80. Wiederkehr seines Geburttages", Zeitwende. Die neue Furche, hg. von Wolfgang Böhme u.a.. 26 (1955).

(102) Hans Schwerte, "Der humanisierte Mythus", 1950, 2.

(103) Hans Schwerte, "Liebevolle Auflösung. Thomas Manns Hochstapler-Bekenntnisse. Zur 80. Wiederkehr seines Geburttages“, Zeitwende. Die neue Furche, hg. von Wolfgang Böhme u.a.. 26 (1955), 405.

(104) Hans Schwerte, "Liebevolle Auflösung" 1955, 403. Vgl. Hans Wysling, "Narzissmus und illusionäre Existenzform", Thomas-Mann-Studien, Bd. 5, 1982. "Felix Krull" kann als paradigmatisch für Thomas Manns Poetik und Denken im Kontext des Narzissmus betrachtet werden.

(105) Hans Schwerte, "Liebevolle Auflösung", 1955, 405.

(106) Hans Schwerte, "Der Begriff des Experiments in der Dichtung", Literatur- und Geistesgeschichte. Festgabe für Heinz Otto Burger, hg. von Reinhold Grimm, Conrad Wiedemann (Berlin 1968), 387-405, hier 390.

(107) Ebenda, 404f.

(108) Ebenda, 403.

(109) Hans Schwerte, Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie (Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1962).

(110) Ebenda, 243-78.

(111) Hans Schwerte, "'Adlers Flügel'. Zu Historia 1587 (Kap. 2 und 5)", Der historische Faust. Ein wissenschaftliches Symposion, hg. und mit einem Nachwort von Günther Mahal. Knittlingen: Publikationen des Faust-Archivs (PFA), Band 1, 1982. Man erinnert sich an den mythischen Reichs-Adler im "Königlichen Gespräch" von 1936.

(112) Hans Schwerte, "Auflösung der Republik. Über den Roman von Frank Thieß: 'Der Zentaur' 1931", Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 35 (1991), 275-93.

(113) Hans Schwerte, "Dionysos unter den Musen", Dialog der Epochen. Studien zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift Walter Weiss, hg. von  Eduard Beutner u. a., 1987.

(114) Hans Schwerte, "Versuch über Hofmannsthals 'Idylle'", Distanz und Nähe. Reflexionen und Analysen zur Kunst der Gegenwart, hg. von Petra Jaeger und Rudolf Lüthe (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1983), 191-215.

(115) Hans Schwerte, "Herakles und der Kentaur. Anmerkungen zu Peter Weiss’ ‚Die Ästhetik des Widerstandes'",  Hinter jedem Wort die Gefahr des Verstummens. Sprachproblematik und literarische Tradition in der "Ästhetik des Widerstand" von Peter Weiss, hg. von Hans Höller (Stuttgart, 1988), 1-20.

(116) Hans Schwerte, "Aorgisch", GRM, NF 1953, Band 3, H. 1, 29-38.

(117) Hans Schwerte, "Saltimbanques", GRM 1954, NF, Band 4, H. 3, 243-45, hier 245.

(118) Hier trat Schwerte ab den 1970er Jahren in das Gesichtsfeld der Salzburger Germanistik.

(119) Hans Schwerte, "Ideologische Stereotype und Leitbildmodelle als Integrationsformen der Gesellschaft", Haltungen und Fehlhaltungen in Deutschland. Ein Tagungsbericht, hg. von Hermann Glaser. (Nürnberger Gespräche 1965, Freiburg: Verlag Rombach, 1966), 37-53.

(120) z. B. gegen "neues deutsches Heidenchristentum" (Hans Ernst Schneider, "Pastoröser Betrug", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 10, 262-64) oder gegen "Wälder- und Moorromantik […] östlichen Menschtum[s]" (Hans Ernst Schneider, "Tat und Trug", Die Weltliteratur 16 (1941), F. 3, 64.), als SS-Europapolitiker  oder als Maskierter nach 1945, als er in antimodernem Furor z. B. gegen Thomas Mann und Pablo Picasso polemisiert hatte.

(121) Vgl. Hans Schwerte, "Zum Begriff der sogenannten Heimatkunst in Deutschland“, Aufklärung heute – Probleme der deutschen Gesellschaft. Ein Tagungsbericht (Das Nürnberger Gespräch 1966), hg. von Hermann Glaser (Freiburg: Verlag Rombach, 1967), 177-89. Hans Schwerte, "Ganghofers Gesundung. Ein Versuch über sendungsbewußte Trivialliteratur", Studien zur Trivialliteratur, hg. von Heinz Otto Burger (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. "Neunzehntes Jahrhundert": Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung , Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann, 1968), 154-208.

(122) Hans Schwerte, "Deutschkunde – irrational, rational. Nationale Vorur­teile", Vorurteile in der Gegenwart. Begriffsanalyse. Funktionen. Wirkungen. Störungsfaktor,  hg. von Axel Silenius (Frankfurt am Main 1966), 57-64.

(123) Hans Schwerte, "Deutsche Literatur im Wilhelminischen Zeitalter", Wirkendes Wort 14 (1964), H. 4, 254-66, hier S. 256.

(124) Hans Schwerte, "Ideologische Stereotype und Leitbildmodelle als Integrationsformen der Gesellschaft", Haltungen und Fehlhaltungen in Deutschland. Ein Tagungsbericht, hg. von Hermann Glaser (Nürnberger Gespräche 1965, Freiburg: Verlag Rombach, 1966), 37-53, hier 41.

(125) Ebenda, 43.

(126) Ebenda, 42.

(127) Hans Schwerte, Faust und das Faustische. Vom Faustbuch zum 'anschwellenden Bocksgesang' (Typoskript 1994), 18.

(128) Thomas Mannm Joseph in Ägypten. 3. Band der Josephs-Tetralogie (1936).

(129) Hans Schwerte, "Herakles und der Kentaur", 1988, 15. An einer anderen Stelle des Beitrages über Peter Weiss steht der Satz: "Ambivalenz auch des Zwitterwesens Herakles […] furor et virtus." (Ebenda)

(130) Hans Schwerte, "Faustus Ikarus. Flugsehnsucht und Flugversuche in der Faust-Dichtung von der Historia bis zu Goethes Tragödie", Goethe Jahrbuch 103 (1986), 302-15, hier, S. 313.

(131) Ebenda.

(132) Ebenda, 313f.

(133) Hans Schwerte, "Der weibliche Schluss von Goethes 'Faust'", Sprachkunst 21(1990), 129-43.

(134) Ebenda, 129.

(135) "Symposion [Goethes 'Faust'] Impulsreferate und Diskussion", Sprachkunst 21(1990), 73.

(136) Hans Schwerte, "Der weibliche Schluss von Goethes 'Faust'", 1990, 138.

(137) "Symposion [Goethes 'Faust']. Impulsreferate und Diskussion", Sprachkunst 21(1990), 72 (In der Debatte spricht Schwerte einmal von der "israelischen" Religion.)

(138) Ebenda, 77 (Prof. Bayerdörfer).

(139) Ebenda, 78-9 (Prof. Schöne).

(140) Hans Schwerte, "Der weibliche Schluss von Goethes 'Faust'", 1990, 137.

(141) Schwerte hat mir gegenüber wiederholt über diesen Aufsatz gesprochen, er war sein besonderer Stolz. Erst jetzt weiß ich den wahrscheinlichen Grund dafür.

(142) Hans Schwerte, "Auflösung der Republik. Über einen Roman von Frank Thieß: Der Zentaur, 1931". Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 35 (1991), 275-93.

(143) Ebenda, 275.

(144) Ebenda, 280.

(145) Ebenda, 290.

(146) Ebenda, 293.

(147) Die Zitate stammen aus folgenden Publikationen: Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte, 1998; Hans Schwerte, "In 50 Lebens- und Arbeitsjahren gewandelt", FAZ, 13.11.1996; "'Ich bin doch immun.' Interview mit Walter Mayr", Der Spiegel 19 (1995), 94-6; Ulrich Greiner, "Mein Name sei Schwerte", Die Zeit, 12.5.1995.

(148) vgl. Georges Duby, Guy Lardreau, Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge (Frankfurt a. M., 1982).

(149) Michael Maar, Geister und Kunst. Neuigkeiten aus dem Zauberberg (München, Wien: Hanser, 1995, 94f.) Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Markus Kreuzwieser (Gmunden).

(150) Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 409-11. Für wertvolle Hinweise zum Thema Maskierung und Metamorphose danke ich Marita Keilson-Lauritz (Bussum) und Armin Eidherr (Salzburg).

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