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Einige lose Gedanken zur Science Fiction
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Es gibt keine eigenen Maßstäbe für die SF, die nur für sie und keine
andere Literatur Gültigkeit hätten. Literarische Schwächen sind in ihr ebensowenig
entschuldbar wie anderswo, und zuvorderst ist auch die SF gute oder schlechte Literatur
und erst in zweiter Linie auch als SF bedeutsam oder nicht. Eine gewisse Berechtigung,
von der Sonderrolle der SF zu sprechen, gibt es nur da, wo man die Frage
etwas anders stellt, nämlich: Was ist jene einzigartige Qualität, jenes
spezifische Charakteristikum, das die SF auszeichnet?

Von Franz Rottensteiner
(07. 04. 2008)

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   Wer sich von mir schöne Theorien zur Science Fiction erwartet, wird leider enttäuscht werden; ich möchte hier nur einige einfache und – vielleicht in doppelter Bedeutung – lose Worte zu unserem Thema von mir geben, wie ich die Entwicklung des Genres in den letzten Jahren sehe. Ich werde also ein bisschen den Advocatus Diaboli spielen und auch einige unschöne Dinge über die SF verlauten lassen. Es gibt natürlich welche, die es für unfein, wenn nicht gar für unanständig halten, wenn man vor einem Publikum, das doch nur zum geringen Teil aus Anhängern und Eingeweihten der Sache besteht, gegen die Sache spricht, in der man schließlich – als Herausgeber und Rezensent – tätig ist, aber wie auch immer.

Es lässt sich nun einmal beim besten Willen nicht verbergen, dass die Art von Literatur, von der hier die Rede sein soll, zum überwiegenden Teil von schlechter Qualität ist, und dass, was noch schlimmer ist, auch wenig Aussicht auf Besserung besteht. Ich meine sogar, in den letzten Jahren ist die Lage noch wesentlich schlimmer geworden. Angesichts dieser Situation gibt es, mangels verlässlicher Führer, keine andere Methode, als sich durch die Massen von Taschenbüchern, die den Markt noch immer verstopfen, durchzubeißen, um jene seltenen Werke herauszusuchen, die eine nähere Beschäftigung lohnen und die die Ehre der Gattung retten können. Denn sie Science Fiction besteht aus den disparatesten Werken, die nur durch die weite, unscharfe und zuweilen irreführende Klammer zusammengehalten werden, dass die Verlage sie zumeist unter dem Namen "SF" anbieten und die Leser sie als solche konsumieren. Diese Etikettierung ist natürlich nicht unveränderlich; es gibt auch benachbarte Genres mit fließenden Grenzen wie Fantasy und Horror, und je nachdem, was gerade populärer ist oder was irgendein Verlagsmensch für populärer hält, werden ein- und dieselben Werke einmal als SF, dann wieder als Fantasy oder Phantastische Literatur angeboten.

   Dass nicht alles, was als SF firmiert, gut ist, wird sogar von den begeistertsten Anhängern eingestanden; zugleich aber wird oft das Vorhandensein dieser weniger gelungenen Formen entschuldigt. Die schlechte SF, bekommt man oft zu hören, erfülle zumindest die Aufgabe, sehr junge Leser, deren Geschmack noch ungefestigt ist, zur SF heranzuführen. Später würden sich diese Leser dann, so die Theorie, der besseren SF zuwenden. Ähnliche Erwartungen hegte man im Zuge der SF-Filmwelle, als Massen von Zusehern in Filme wie Star Wars und E. T. strömten oder sich TV-Serien wie Raumschiff Enterprise ansahen. Nicht wenige erhofften sich davon auch neue Leser für die SF, ein Ansteigen der Verkaufszahlen.

Alle diese Hoffnungen erwiesen sich, zumindest im deutschen Sprachraum, als trügerisch. Leider hat sich die Leserzahl der SF in den letzten Jahren schwerlich vermehrt, es hat zeitweise nur einen enormen Ausstoß an neuen Titeln gegeben, die sich den insgesamt eher schrumpfenden Markt teilen mussten, sodass die durchschnittlichen Absatzzahlen der einzelnen Bücher im Gegenteil stark zurückgegangen sind. Das Filmpublikum griff allenfalls zu den Filmbüchern, die reißenden Absatz finden, jedenfalls unter sehr jungen Lesern, aber offenkundig fühlen sich diese nicht bemüßigt, auch zu anderer SF zu greifen.

   Auch eine allmähliche Hinführung zur gehobeneren SF fand nicht statt; es gilt im Gegenteil eher die Regel, dass jede anspruchsvolle Schreibweise die Autoren vielmehr zu kleinen Auflagen verurteilt. Anders als beim Krimi, wo AutorInnen wie Georges Simenon, Patricia Highsmith, Ruth Rendell und eine erkleckliche Zahl anderer durchaus kritische Anerkennung finden, die sich mit hohen Absatzziffern paart, sind die wirklich erfolgreichen und berühmten angloamerikanischen SF-Autoren wie Isaac Asimov, Robert A. Heinlein oder Arthur C. Clarke mit einem vergleichsweise bescheidenen Schreibtalent ausgestattet, zuweilen sogar mit einer eklatanten Unbegabung für das Schreiben.

Will man wirklich interessante SF-Bücher lesen, so muss man zu wenig bis kaum bekannten Autoren wie Philip K. Dick, Cordwainer Smith, J. G. Ballard, Thomas M. Disch oder Walter M. Miller greifen. Die einzige Ausnahme ist hier Stanislaw Lem, der zumindest im deutschen Sprachraum breite Anerkennung und hohe Auflagen erreicht hat; im englischen Sprachraum ist es bei der kritischen Anerkennung geblieben. Aber hier wie dort sind seine Leser kaum unter den typischen SF-Lesern zu finden, die sich zuweilen wundern, was Kritiker eigentlich an Lem finden, ihn allenfalls als einen unter vielen gelten lassen wollen. Lems Leser rekrutieren sich meiner Meinung nach vor allem aus jenem Personenkreis, der zwar gerne SF und ihre Themen lesen würde, sofern sie gut dargestellt sind, denen aber die meisten SF-Produkte in der Ausführung zu blöd sind.

   Heute hat man das Gefühl, dass die SF mit dem kommerziellen Erfolg, den manche Werke im angloamerikanischen Sprachraum unzweifelhaft haben (und machen wir uns nichts vor: die USA schreiben die Entwicklung vor; was dort ein Erfolg ist, ist es meistens, mit vielleicht einiger zeitlicher Verzögerung, bald auch anderswo) – einige sogar überreichlich –, zunehmend weniger risikofreudig geworden ist. Man hört immer wieder, neben den Jubelmeldungen über neue Vertragsabschlüsse, die sich zuweilen in Millionenhöhe bewegen, von anderen Autoren, vor allem britischen, die zunehmend Schwierigkeiten haben, in Amerika überhaupt einen Verleger zu finden.

Die SF war schon immer eine Gattung, in der es besonders viele Reihen, Fortsetzungsromane, Serienwerke und auch das Zusammenwirken von Autoren gab Häufig wird dies damit gerechtfertigt, dass sich die SF eben mit der Ausmalung anderer Welten befasse, dass es sehr schwierig sei, sich bei jeder Geschichte eine komplett andere, vollständige Welt auszudenken, und dass es daher Verschwendung wäre, eine einmal geschaffene Welt nur einmal zu benutzen. Gerade in den letzten Jahren, seit die SF von einem Mauerblümchen im Verlagswesen zu einem kaufmännisch interessanten Marktsegment geworden ist, nimmt diese Neigung aber überhand. Nicht nur, dass Autoren Fortsetzungen zu ihren eigenen Geschichten schreiben, was oft einen ganzen Rattenschwanz nach sich zieht, "leasen" oder "vermieten" sie anderen Autoren und Kollegen diese Welten. Mit ihrem Talent, prägnante Begriffe zu finden, hat sich bei den Amerikanern dafür die Bezeichnung "sharecropping" eingebürgert. Das ist nichts anderes als ein System, bei dem zumeist alte, berühmte, erfolgreiche Autoren mit einem hohen Marktwert ihre Weidegründe an jüngere, nicht ganz so erfolgreiche Autoren sozusagen verpachten, die sie dann bestellen. Der Latifundienbesitzer oder Padrone überlässt sein geistiges Eigentum, die von ihm ausgedachte Welt, anderen Autoren zur Nutzung, die sie übernehmen und weiterführen.

   So erweitert Robert Silverberg, keineswegs einer der erfolglosesten Autoren, drei Kurzgeschichten Asimovs, darunter "Nightfall", zu kompletten Romanen; Asimov überprüft dann nur, gegen geschätzte 50 Prozent Honoraranteil, die Silverbergschen Werke auf ihre "wissenschaftliche Richtigkeit". Gregory Benford, immerhin ein wohlbestallter Physikprofessor, schreibt für 300.000 Dollar Vorschuss eine Fortsetzung zu Arthur C. Clarkes altem Roman Against the Fall of Night, den dieser selbst schon vor Jahrzehnten zu The City and the Stars umgearbeitet hat. Arthur C. Clarke selbst schreibt, für Millionenhonorare, mit einem NASA-Ingenieur namens Gentry Lee eine Anzahl von Romanen, darunter zwei Fortsetzungen zu Rendezvous with Rama. Vermutlich werden die Bücher von Gentry Lee, einem sehr mäßigen Schriftsteller, der als eigenständiger Autor höchstens ein paar tausend Dollar pro Buch bekäme, allein verfasst. Auf einer finanziell weniger tragfähigen Ebene gibt es alle möglichen Fantasy- und SF-Reihen "in der Welt von ...". man braucht nur die Namen einzusetzen: Marion Zimmer Bradley, C. J. Cherryh, Piers Anthony, usw.

Am erfolgreichsten sind natürlich die Romane, die im Gefolge von Fernseh- und Filmserien geschrieben werden, vor allem die inzwischen kaum mehr übersehbaren Bücher um das Raumschiff Enterprise. Die US-amerikanischen Autoren würden es nicht gerne zugeben, aber sie tun nichts anderes, als was die erfolgreiche deutsche Heftserie Perry Rhodan schon vor Jahrzehnten vorexerziert hat: dass Teams von Autoren an einer gemeinsamen literarischen Welt werkeln. Das Prinzip, das hier wirksam ist, ist natürlich allein das der Profitmaximierung, und das Einzige, was an diesen Werken wirklich interessant ist, sind die Summen, die Verlage dafür auf den Tisch zu blättern bereit sind (anders als bei uns kassieren dort die Autoren zuerst das Geld und beginnen dann erst mit der Arbeit).

   Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der französische Autor Michel Butor vor vielen Jahren einen damals von einigen SF-Autoren entrüstet abgelehnten Aufsatz schrieb, in dem er unter anderen vorschlug, die Autoren möchten sich zusammentun, um an einer gemeinsamen Vision der Zukunft zu arbeiten. Damals betonten die Autoren ihre Individualität, dass sie ja die verschiedenartigsten und gegensätzlichsten Zukunftswelten ersinnen würden, die sich sinnvollerweise nicht leicht unter einen Hut bringen ließen, und überhaupt sei das eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Wenn aber Verleger mit Schecks winken, sieht die Sache gleich anders aus. Butor hat jedenfalls den späten Triumph, dass lange nach seinem Vorschlag sich viele Autoren unwissentlich daran machen, seine Idee teilweise zu verwirklichen, wenn auch gewiss ganz anders und aus anderen Motiven, als er es sich hätte träumen lassen.

Der deutsche Soziologe Martin Schwonke verglich die SF-Autoren einmal mit Generalstäblern der Zukunft, die nicht einen Schlachtplan für die kommenden Dinge entwürfen, sondern Pläne für die verschiedensten Möglichkeiten und denkbaren Fälle. Die Science Fiction sei ja eine Literatur des Als-Ob, sie beschäftige sich nicht mit dem Faktischen, sondern mit dem Raum hypothetischer Möglichkeiten, mit dem Fakultativen. Sie erschüttere feststehende Gewissheiten, sie wage es, sich auszumalen, dass die Welt auch anders sein könne als sie tatsächlich ist; sie sei der unbequeme Mahner, die warnende Stimme, die rebellische Haltung, die gegen den Stachel löcke und sich im Idealfall mit Dingen befasse, von denen die übrige Literatur nichts wisse oder auch nichts wissen wolle.

   Auf die Spitze getrieben, und es hat solche Fanatiker gegeben, verkündet diese Absicht, dass wir es in der Science Fiction mit einer Literatur zu tun hätten, wenn nicht mit einem Denksystem, das so einzigartig sei, dass man die gewöhnlichen literarischen Maßstäbe nicht darauf anwenden könne. Das führt zu absonderlichen und sektiererischen Ansichten, zu einer Abkapselung von der übrigen Literatur, die angesichts der wahren Errungenschaften der Gattung befremden, wenn nicht Spott auslösen muss.

Es gibt meines Erachtens keine eigenen Maßstäbe für die SF, die nur für sie und keine andere Literatur Gültigkeit hätten; literarische Schwächen sind in ihr so wenig entschuldbar wie anderswo, und zuvorderst ist auch die SF gute oder schlechte Literatur und erst in zweiter Linie auch als SF bedeutsam oder nicht.

Eine gewisse Berechtigung, von der Sonderrolle der SF zu sprechen, gibt es nur da, wo man die Frage etwas anders stellt, nämlich: Was ist jene einzigartige Qualität, jenes spezifische Charakteristikum, das die SF auszeichnet? Wenn es keine solchen Qualitäten gibt, dann erhebt sich zwangsläufig die Frage, wozu man dann überhaupt die SF als eigenes Genre von anderen Literaturgattungen abgrenzen sollte. Nur um des Marktes willen, um dem Leser eine leichte, vorläufige Orientierung zu ermöglichen, damit er nicht um Gottes Willen vielleicht an einen ganz gewöhnlichen Roman gerät?

   Man muss vernünftigerweise doch annehmen, dass es etwas gibt, was die SF von anderer Literatur unterscheidet. Diese Eigenart kann sich meines Erachtens aber nur aus inhaltlichen, nicht formalen Gegebenheiten ableiten lassen, die von der SF erfüllt sein müssen. Denn erfüllt die SF nicht eine Aufgabe, beschäftigt sie sich nicht mit Inhalten, die man in der übrigen Literatur schwerlich erfüllt findet oder denen diese nur unzureichend nachkommt, wozu braucht man dann eine SF?

Natürlich kann die SF, wie jeder Text, den verschiedensten Zwecken dienen, etwa die Wissenschaft zu popularisieren (oder sie zu verspotten), oder gewisse allgemeine wissenschaftliche oder philosophische Thesen auszudrücken; sie kann ein Gesellschaftssystem verteidigen oder es kritisieren, indem sie ein Zerrbild jener Zustände entwirft, gegen die sie sich wendet. Sie kann verkleinern, vergrößern, die Perspektive verrücken, um Dinge schärfer in den Blick zu bekommen. Sie kann aber auch den Namen, den sie trägt und den viele für eine unglückliche, sogar irreführende Bezeichnung halten, ernst nehmen und sich tatsächlich mit der Wissenschaft beschäftigen. Das kann auch wieder auf die verschiedenste Art geschehen. Nicht sehr anspruchsvoll ist die blauäugig popularisierende Art belehrender Schriften für die Jugend, in denen mit mahnendem Zeigefinger dieses oder jenes Faktum (keineswegs immer richtig) dem Leser, der das Geschriebene mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen verfolgt, zur Kenntnis gebracht wird.

   Es kann aber auch auf der sehr komplizierten, wissenschaftstheoretischen, philosophischen Ebene geschehen, wie es etwa in Stanislaw Lems Die Stimme des Herrn der Fall ist, der dem Autor fast zu einem philosophischen Essay gerät, welcher den Grundlagen und Dilemmata hochtheoretischer Probleme nachspürt und sich letztlich mit allzeit aktuellen, nie an Brisanz verlierenden Fragen wie "Was ist Wahrheit?", "Was ist Realität?" oder "Woher wissen wir, was wir wissen?" beschäftigt; etwa auch in Solaris von Lem oder vielen Büchern Philip K. Dicks. Und dazwischen gibt es natürlich alle möglichen Stadien der Komplexität.

Eine solche Ansicht, die auf dem Namen "Science Fiction" beharrt, ist aber nicht, und derzeit vielleicht weniger als je zuvor, in der SF-Literatur populär. Die Wissenschaft, vorbelastet durch den pedantischen Umgang, den Hugo Gernsback, einer der hausbackenen Stammväter der modernen SF, mit ihr pflegte, wird verworfen, die Autoren wollen sich vielmehr mehr mit "menschlichen" Problemen auseinandersetzen, etwa mit soziologischen oder "psychologischen". Dagegen ist zweierlei zu sagen. Einerseits begeben sich die SF-Autoren damit in Wettbewerb zu Schriftstellern wie, sagen wir, Musil oder Dostojewskij, und man muss sich als Leser fragen, warum man dann nicht gleich zu den anerkannten Meistern auf diesem Gebiet greifen soll; andererseits ist die Absage an die "Wissenschaft" häufig nur ein Vorwand, von vornherein auf etwas zu verzichten, ohne dafür auf anderem Gebiet etwas Vollgültiges anzubieten, denn die gepriesene Psychologie gerät häufig sehr diffus fantasy- und klischeehaft.

   Gewiss hat der russische Satiriker Wladimir Woinowitsch, der die Science Fiction verachtet (auch wenn er für seine Satire Moskau 2042 diese Form wählen musste), recht, wenn er sagt: Wenn man einen Roman liest, in dem sich jemand rasiert, so wird uns keine Beschreibung geboten, wie dieser Rasierapparat funktioniert, und das interessiere den Leser ja auch gar nicht. Und doch ist die Science Fiction eine Literatur, die sich nicht mit der sichtbaren Oberfläche begnügt, sondern sehr wohl berichtet, wie etwas funktioniert, wobei es wohl ziemlich witzlos wäre, a priori Regeln aufzustellen, was die SF beschreiben soll und was nicht. Gute Science Fiction versucht aber sehr wohl zu zeigen, wie eine wissenschaftliche Theorie funktioniert, wie es um das soziale Umfeld der Wissenschaft bestellt ist, wie eine ganze Gesellschaft funktioniert (und nicht nur, welche Probleme der Einzelne hat); kurzum, es gibt da einen theoretischen Hintergrund, der in manchen Romanen sehr gewichtig und auch sehr interessant ist.

Als Beispiel führe ich hier einen Roman an, der wohl SF ist, auch wenn er nicht als SF angeboten wurde, und von einem Mann stammt, der sich einerseits in den Wissenschaften auskennt (er ist der Ausbildung nach theoretischer Physiker), andererseits aber auch durchaus literarischen Ehrgeiz zeigt. Ich meine den Österreicher Michael Springer, der einen Roman namens Leonardos Dilemma geschrieben hat. Darin gibt es eine Menge biologischer Erörterungen, zuweilen kleine, lebendige Essays, aber die Hauptrichtung seines Romans geht doch anderswohin: zu den Zwängen, vor allem den finanziellen, denen die moderne Wissenschaft unterworfen ist, einerseits von der chemischen Großindustrie, die sich neue, hoffnungsträchtige Produkte erwartet, andererseits von den Militärs, die sich neue Waffen wünschen, und der Deformierung, zu der diese Konstellation führt. Das ist es, was Springer "Leonardos Dilemma" nennt.

   Überdies findet man in seinem Roman einige scharfsinnige Beobachtungen über die kleinen menschlichen Schwächen und Eitelkeiten von Wissenschaftlern und über ihre Fähigkeit, "sich zu verkaufen". Eine Fähigkeit, die sie haben müssen, um ihre Projekte durchziehen zu können. Vom Feuilleton wurde der Roman schlecht behandelt, besonders wegen seines wissenschaftlichen Gehalts, der den meisten Rezensenten wohl nichts sagte; auch die Öffentlichkeit nahm ihn kaum zur Kenntnis, weil er nicht als SF deklariert war.

Für den genauen Gegensatz zu einem Roman wie Leonardos Dilemma halte ich den vor einigen Jahren so erfolgreichen "Cyberpunk" in der SF, dessen wichtigster Vertreter William Gibson mit seinen Romanen Neuromancer, Count Zero und Mona Lisa Overdrive ist. Diese Romane beschreiben eine japanisierte, hochcomputerisierte Zukunft, in der die Computer zu so alltäglichen Gebrauchsgegenständen geworden sind – wie der von Woinowitsch angeführte Rasierapparat –, dass niemand sich mehr über Prinzipien den Kopf zerbricht. Kybernetik, was ist das? Man bedient sich ihrer einfach. Es gibt Fachleute, die der Meinung sind, dass die Romane Gibsons ein wahres Abbild der zu erwartenden Entwicklung sind, dass die Computer immer einfacher zu bedienen sein werden, zugleich aber immer kompliziertere Aufgaben lösen können, ohne dass die Anwender das Geringste von Kybernetik oder Programmieren zu verstehen bräuchten.

   So sind denn Gibsons Helden auch keine gut ausgebildeten Spezialisten, sondern glorifizierte "Hacker", Naturtalente, die im Grunde gar nichts von den Dingen verstehen, aber alles intuitiv erfassen und anwenden können. Es sind Randexistenzen, Ausgestoßene der Gesellschaft, Söldnertypen, Rauschgifthändler, gewalttätige Straßenjungen; sie schalten sich einfach in Computernetze ein und führen dort irgendwelche Operationen aus (meist solche, die hauptsächlich Kämpfe um Geld und Macht zwischen Großfirmen betreffen). Sie bilden eine Halbwelt voller Glanz und Glitter der kriminellen Szene. Schriftstellerisch ist das zuweilen recht beachtlich, weil bildhaft und exotisch, eindrucksvoll wie manche "hard-boiled" Thriller (die Helden geben sich auch alle abgebrüht) – aber ernst genommen ist diese Art von Literatur in meinen Augen nichts als Schaumschlägerei und ein modernes Märchen von Macht- und Gewaltphantasien.

Die amerikanische Kritik lobt beispielsweise meist Gibsons soziale Phantasie, was merkwürdig ist, denn es gibt in seinem Romanen überhaupt keine Gesellschaft. Es gibt nur die meist japanischen Großkonzerne, die von exotischen, vor bizarren Gewohnheiten strotzenden reichen Männern und Frauen kontrolliert werden (Ähnliches findet man schon bei Alfred Bester), und andererseits gibt es die Halb- und Unterwelt der Söldner, Computer-Cowboys, der illegalen Organ- und Rauschgifthändler – nicht allzu verschieden von der heutigen amerikanischen Rauschgiftszene.

   Aber Gesellschaft gibt es in dem Roman eigentlich keine, das heißt keine Leute, die arbeiten und normale Berufe ausüben; zumindest interessieren solche Leute Gibson nicht, wohl, weil sie nicht farbig genug sind. Das sind also Romane, die nichts als bunte Oberfläche bieten, eine quasi-naturalistische SF, die zwar ihren unstrittigen Unterhaltungswert hat, aber in der Hauptsache nichts ist als durchgestylter Zeitgeist, der mit den wirklichen Problemen der Zukunft wenig zu tun hat. Das ist, meine ich, nur eine technologisch gestylte Variante der Fluchtliteratur, im Grunde genauso eskapistisch wie die pseudo-ritterromantischen Welten vieler Fantasy-Schöpfungen. Dass aber die ganze Auffassung vom Computer, der sich in diesen Romanen des "Cyberpunks" zeigt, doch nicht ganz veristisch und realistisch ist, selbst wenn man die Meinung des Autors teilen sollte, dass Intuition wichtiger ist als rationales Kalkül, dass es mehr auf die Einfühlung ankommt als aufs Denken, sieht man an der Tatsache, dass Gibson dem Cyberspace eine ontologische Existenz zuschreibt, die er schwerlich haben wird.

Durch Gehinrkontakte und Nervensonden schalten sich die Helden nämlich direkt in den Cyberraum ein und agieren dort ähnlich, wie eine gezeichnete Figur in einer Comicwelt agiert; wenn sie einander im Computer töten, ist das nicht nur ein Spiel, sondern beeinflusst die Realität, und sie bleiben auch in Wirklichkeit tot. Das ist ungefähr so, wie wenn man jemanden durchs Telefon umbringen wollte – und in der Tat hat es in der Anfangszeit des Telefons einige navie Kriminalromane gegeben, in denen Leute durch telefonische Fernwirkung getötet worden sind. Heute werden dem Computer dieselben magischen Eigenschaften zugeschrieben, er ist zu einer fast allmächtigen Handlungsfigur geworden, zu einer Art säkularisiertem Gott.

   Ich meine, dass diese angeblich "wissenschaftliche" Fiktion, die sprachlich, im Erfinden von Computer-Jargon, teilweise ja sehr beachtlich ist, nur eine andere Facette der Abkehr vom Denken und der Vernunft ist, wie eine andere, die Fantasy-Welle mit ihren magischen Kräften und Welten, nur hightech-gestylt; und die Magier und Hexenmeister der Fantasy sind hier zu den Konsolen-Cowboys geworden, die schicke Schlitten fahren und deren Körper auch mit Maschinen durchsetzt sind (so haben sie zuweilen elektronische Augen, und manche Frauen zeichnen sich durch einziehbare, mörderische Stahlkrallen unter den Nägeln aus).

Intellektuelle Herausforderung liegt darin keine, denn so wenig wie die Helden kann der Leser wissen, was jene tun; es gibt keine nachvollziehbaren Überlegungen, nur eine Bilderwelt von größter Beliebigkeit und Willkürlichkeit.

Auch in diesem Fall würde ich dafürhalten, dass die beschworene Fremdartigkeit und Andersartigkeit der SF-Welten zumeist nur eine mechanisch heruntergebetete Phrase ist. Im Grunde wollen die Fans nicht etwas wirklich Neues und Fremdartiges, sondern es gibt nur wechselnde Moden, wie das Produkt verpackt und angeboten wird, und sie wollen im Grunde nur immer mehr vom Vertrauten. Echte Fremdartigkeit würde sie ratlos machen und erschrecken.

   Ein Indiz in dieser Richtung sehe ich auch in der Prädominanz angloamerikanischer SF in so ziemlich der ganzen Welt, die so weit geht, dass praktisch keine SF ins Englische übersetzt wird. Wenn die Behauptungen vom Drang nach dem Neuen, Fremden ernst gemeint sind, sollte man erwarten, dass die SF einen besonders günstigen Nährboden gerade auch für fremdsprachige Literatur böte.

Ein SF-Autor aus China oder Japan lebt nun einmal in einer Welt, die dem durchschnittlichen europäischen oder amerikanischen Leser, auch wenn er noch gar nicht gezielt eine Verfremdung anstrebt, schon sehr unvertraut vorkommen muss, also irgendwie SF-artig an sich. Wie erst dann, wenn diese Autoren absichtlich nach Fremdartigkeit streben! Und doch gibt es chinesische oder japanische SF nicht in englischer Übersetzung, und europäische kaum. Was die SF-Fans wollen, ist nur die vertraute SF, die Welten der ihnen teuer gewordenen Autoren, die zumeist vertrauten, vorhersehbaren Mustern folgen, die schon aus unzähligen anderen Romanen verwendet wurden. Sehr richtig hat Donald A. Wollheim, ein amerikanischer SF-Herausgeber und Verleger, in seinem Buch über die SF behauptet, dass die SF auf der SF aufbaut; anders gesagt, die treibende Kraft der SF-Entwicklung ist nicht die Interaktion mit der realen Welt, sondern die literarische Inzucht, die Kenntnis dessen, was andere Autoren im Genre schon geschaffen haben und was dann nur variiert und abgewandelt wird.

   Die Auswirkungen des Fortschritts der Naturwissenschaften auf die Science Fiction werden zumeist überschätzt, sie beschränken sich häufig nur auf das Augenscheinlichste, das schon den Weg ins Feuilleton gefunden hat. Früher waren in der SF die sogenannten Blaster oder Strahlpistolen und zuvor überhaupt alle Arten von Todesstrahlen sehr beliebt; die sind jetzt völlig verschwunden und von den Lasern abgelöst worden, die zwar so ziemlich die gleichen Eigenschaften wie ihre Vorgänger haben und kaum je beschrieben werden, aber so allgegenwärtig sind wie seinerzeit die Blaster, so dass man daraus wohl schließen darf, dass sich an der Sache nur die Benennung geändert hat.

Kaum mehr fortzudenken aus der SF sind die Schwarzen Löcher, deren Kenntnis man sich bequem aus der Presse aneignen kann – obwohl es auch Autoren gibt, die mehr beizusteuern haben. Erwähnt sei hier der amerikanische Physiker und Autor Robert L. Forward und auch Peter Schattschneider mit seinem Roman Singularitäten gehört dazu.

Selbstredend erfreut sich auch die Gentechnik großer Popularität, weil man auf dem Gebiet ebenfalls mit sehr wenigen Vokabeln auskommt, wenn man sich den Anstrich von Wissenschaftlickeit geben will. Gene sind sehr handlich, denn während einige Kritiker und Leser, wenn auch nicht allzu viele, immerhin wissen, sie sich Menschen psychologisch verhalten, gibt es keine Möglichkelt, wie man die Gene eines fiktiven Charakters untersuchen könnte, weshalb die Autoren sich gerne auf genetische Eigeschaften berufen. Bei Frank Herbert zum Beispiel heißt es oft bedeutungsvoll, das sei der "Bene-Gesserit-strain".

   Meist geht es den Lesern und Autoren auch nicht um den Erkenntnisgewinn eines Gedankenexperiments, den die Kritiker meinen, und der ja durchaus auch mit Lustgewinn verknüpft ist, weil ein streng und schlüssig durchgeführtes Gedankenexperiment auch ästhetische Befriedigung bedeutet, sondern bloß um Farbigkeit, den Unterhaltungswert, der sich aus der Kombination möglichst exotischer Elemente ergibt und der der überwiegenden Mehrzahl der Leser genügen dürfte.

Jene Leser, die Unterhaltung erst aus einer geistigen Anspannung schöpfen, sich erst durch eine höhere Stufe intellektuellen Spiels unterhalten lassen, sind leider eine kleine Minderheit. Die meisten Leser empfinden solche Werke als zu schwierig oder langweilig. Gerade die Psychologie und Soziologie in der SF besteht zum Großteil aus Rankünen und Hintertreppengeschichten und jenen Konflikten, die sich beim Schädeleinschlagen ergeben. An Erkenntnis bringen sie schwerlich etwas, weil die "Lösungen" so willkürlich und so vage sind wie die Prämissen, auf denen diese "Experimente" beruhen, bei denen Ablauf und Ergebnis schon vorgegeben sind – durch die Spannungsmechanismen der Trivialliteratur.

Vor allem muss man den meisten Experimenten in der SF vorwerfen, dass sie ziemlich müßig sind, vor allem, weil sie dem Komplexitätsgrad von Situationen des realen Lebens selten nahekommen. Gerade in der SF sind die schrecklichen Vereinfacher am Werk.

   Beliebte Spielwiese der Autoren sind denn auch gewisse Grenzgebiete wissenschaftlichen oder nicht so wissenschaftlichen Forschens, bei denen praktisch keine Entwicklung feststellbar ist, ja bei denen heute noch so umstritten ist wie je, ob es den Gegenstand der Forschung überhaupt gibt. Ich meine hier das ganze Gebiet der parapsychologischen Kräfte, die sehr schön in Schubladen abgelegt sind, die da heißen Telepathie, Hellsehen, Telekinese, usw., von denen aber niemand mit Sicherheit weiß, ob sie überhaupt funktionieren und wenn ja, wie.

Gerade diesen Kräften aber widmet sich die SF mit großer Begeisterung, und sie sind zu einem festen Bestandteil unzähliger Zukunftsromane geworden, nicht wegen ihrer gedanklichen Bedeutung, sondern weil sie wohlfeile und praktisch unbegrenzte dramatische Möglichkeiten eröffnen. Und die natürlich gewissen menschlichen Denkweisen, die offensichtlich unausrottbar sind, entgegenkommen: jenen magischen Denk- und Wunschvorstellungen, die sich seit alters her in Mythen und Märlein niedergeschlagen haben und die auch die Triebkraft sehr vieler SF-Produkte sind, nur notdürftig mit dem Mäntelchen der Wissenschaft versehen.

   Ich habe gesagt, dass es vielfach so ist, dass ein Autor umso geschätzter ist, je besser er das von seinen Vorläufern und Kollegen geschaffene Repertoire beherrscht, zu dem er neue Tricks und Haken hinzufügt. Die Erwarungshaltungen der Leser haben sich im Lauf der Zeit verfestigt, sind eher versteinert als aufgebrochen worden, so dass heute in den meisten europäischen Ländern, auch in denen, wo es genügend Vorläufer im eigenen Land gibt, die SF als typisch angloamerikanisches Phänomen gilt und Autoren aus anderen Ländern große Vorbehalte entgegengebracht werden.

Wolfgang Jeschke, der SF-Herausgeber bei Heyne, der umfangreichsten und erfolgreichsten SF-Reihe im deutschen Sprachraum, hat einmal in einem SF-Magazin von seinen Erfahrungen berichtet, wie die Leser auf die Publikation deutscher Autoren reagieren. Nun darf man gewiss nicht verkennen, dass diese Romane und Kurzgeschichten oft nicht sehr gut waren, und als Herausgeber ist man zuweilen geneigt, gewisse Zugeständnisse zu machen, um hoffnungsvolle Autoren, deren Werke vielleicht noch nicht voll befriedigen, die aber gute Ansätze erkennen lassen, zu fördern.

Aber was es da an Reaktionen der Leser gab, Protestbriefe an die Verlagsleitung zum Beispiel und Beschimpfungen, warum denn dieses Zeug gebracht werde, was auf Kosten der erstklassigen und reichlich vorhandenen angloamerikanischen SF gehe, das geht auf keine Kuhhaut. Man solle doch diesen profilierungssüchtigen Herausgeber hinausschmeißen, hieß es da etwa.

   Am Niveau kann es schwerlich liegen, denn nun ist die vielgepriesene amerikanische SF handwerklich gesehen im Durchschnitt gewiss von weit besserer Qualität; nach strengeren Maßstäben beurteilt aber auch wieder nicht so eklatant besser. Die Ablehnung muss eher daran liegen, dass die Leser inzwischen ganz zur amerikanischen Art von SF erzogen worden sind. Das Schicksal des Experiments "New Wave" in England ist ja auch ein Beispiel dafür, wie wenig experimentierfreudig das allgemeine geistige Klima in der SF und gerade bei den eingeschworenen "Fans" ist.

Will man nun die ideale SF beschreiben die man gerne hätte, die es aber kaum gibt, kann man sich durchaus an die Bücher von Martin Schwonke (Vom Staatsroman zur SF), H, J. Krysmanski (Der utopische Roman) und vor allem Lems Phantastik und Futurologie halten, doch soll man sie, mit Ausnahme von Lems Abrechnung mit der SF, nicht als Beschreibung des Ist-Zustandes nehmen, sondern als Postulat.

Ich persönlich bevorzuge durchaus auch jene SF, die man als Gedankenexperiment, als Ausprobieren und Durchspielen neuer Möglichkeiten auf dem Papier, in der Fiktion, bezeichnen könnte. Literatur also als Versuchslabor, gerade auch im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Möglichkeiten – das ist etwas, was man in der übrigen Literatur kaum findet. Vielleicht, weil diese Dinge den Leser gewöhnlich nicht interessieren, vielleicht auch, weil ihm die nötigen Kenntnisse fehlen.

   Damit füllt die Science Fiction eine Lücke und hat (oder hätte) eine echte Funktion. Das Problem ist nur, dass sie die "großen" Themen, die sie aufgreift, meist auf erbärmliche Weise behandelt. Oft ist auch schon der Ansatz falsch; die Autoren beschäftigen sich dann mit Dingen, die von vornherein nur zweitklassige Literatur ergeben können. Poul Anderson hat beispielsweise einmal als Beweis für "Wissenschaftlichkeit" angeführt, über biologische Möglichkeiten zum Aufbau feuerspeiender Drachen nachzudenken. Wenn das mit vollem Ernst beschrieben wird (humoristische und ironische Varianten sind eine andere Sache), ist das Ergebnis ziemlich kläglich, nicht das jedenfalls, was ich mir als Gedankenexperiment wünschen würde.

Oder die Autoren nehmen eine Aussage buchstäblich, stellen also die Wissenschaft und die Magie gegeneinander, nicht auf metaphorische Weise, als zwei verschiedene Denksysteme, die um den Geist des Menschen ringen, sondern wortwörtlich: Irgendwo in einer anderen Welt oder zu einer anderen Zeit ringen dann Wissenschaft und Magie tatsächlich um die Vorherrschaft, wobei beide gleichermaßen, wenn auch auf verschiedene Weise, funktionieren – nicht so wie in unserer Welt, wo sich das Problem (außer in den Augen der Gläubigen) sehr rasch dadurch lösen lässt, dass die Wissenschaft Resultate erbringt, die Magie hingegen auf Menschen angewiesen ist, die an die Ergebnisse glauben.

   Eines ist auffällig an den meisten Experimenten der SF: dass sie meist von Prämissen ausgehen, die eine beachtliche Vorliebe für primitive, wenig entwickelte Gesellschaftsformen aufweisen. Vor Kurzem las ich zum Beispiel einen von der amerikanischen SF-Kritik recht gut aufgenommenen Roman, Nancy Kress' An Alien Light, in dem sich auf einem anderen Planeten die Nachfahren irdischer Kolonisten in verschiedene verfeindete Gemeinwesen aufgespalten haben. Eine außerirdische, insektenhafte, mit Gruppenbewusstsein ausgestattete außerirdische Rasse sammelt Vertreter dieser Gruppen ein und unterzieht sie gewissen Tests, die ein groteskes Unverständnis für den Menschen verraten. Natürlich kommen sie am Schluss zu der für sie überraschenden Erkenntnis, dass die Menschen, so verfeindet sie sein mögen, doch auch zusammenarbeiten können.

Nun ist es ja eine der vornehmsten Aufgaben der SF, das Vertraute stellvertretend durch fremde Augen zu sehen und es durch Perspektivwechsel, wie unter einem Mikroskop, schärfer in den Blick zu bekommen. Der fremde Blick mag aufdecken, dass Verhaltensmuster, die uns völlig vertraut und selbstverständlich sind und deswegen nicht in Frage gestellt werden, keineswegs naturgegeben, sondern historisch bedingt sind, von einer anderen Warte aus sogar lächerlich erscheinen mögen. Das ist ja die Methode Swifts in Gullivers Reisen und Voltaires in Micromegas; aber wenn nur Banales zutage gefördert wird, wenn der bissige Witz fehlt, ist die Sache mäßig. Aber häufig werden in der SF Selbstverständlichkeiten und Binsenwahrheiten als große Entdeckung und tiefe Weiselt ausgegeben.

   Streng genommen ist es ja so, dass viele der Probleme, mit denen sich die SF beschäftigt, also etwa Entwürfe von Übermenschen, das Schicksal ganzer Zivilisationen, der Kontakt mit außerirdischen denkenden Wesen, die Schöpfung künstlicher Intelligenz, ganz außergewöhnlich behandelt werden müssten; bloßer Durchschnitt ist hier zu wenig. Streng genommen ist SF also etwas Außergewöhnliches, oder sie ist – anders als der Kriminalroman – gar nichts.

Es ist leicht einsehbar, dass ein Genre der Unterhaltungsliteratur, in dem jährlich mehrere hundert Titel erscheinen, keineswegs solche Spitzenleistungen am Fließband erbringen kann. Dem Leser bleibt nur die undankbare Aufgabe, aus dem vielen Geröll die wenigen Edelsteine herauszusuchen, wobei es auch bei den besseren Autoren die allergrößten Niveauunterschiede gibt. Verlässliche Führer gibt es leider kaum, weil die Kritik die SF ignoriert und die meiste Kritik, die es gibt, wiederum von Insidern verfasst wird, die meist selbst Autoren sind oder aus dem SF-Umfeld stammen, so dass ihre Urteile häufig auch vom Parteiengeist geprägt sind. Das Kriterium, das in der Praxis des Verlagswesens meist allein zählt, ist die Verkäuflichkeit, nicht der Sinn oder die literarische Qualität, weshalb die wenige informierte Kritik, die es gibt, keinerlei Einfluss auf die Verlagspolitik hat. Und die Masse der Leser interessiert es absolut nicht, was einige Wenige sich unter guter SF vorstellen oder ob Autoren wissenschaftlich vertretbare und rein phantastische Elemente bunt vermischt den Lesern vorsetzen.

   Ich meine, dass an dieser stärkeren Hinwendung zum Fantasyhaften sicher auch der Umstand eine Rolle spielt, dass die SF, ursprünglich eine fast rein männliche Domäne (wiewohl es welche gibt, die Mary Shelleys Frankenstein für das erste SF-Werk halten), heute zunehmend von Frauen geschrieben wird (in den Lektoraten dominieren Frauen sowieso) und dass immer mehr Frauen SF lesen. Frauen aber bevorzugen romantische Stoffe und die Fantasy noch vor der SF im strengen Sinne. Auch die männlichen Autoren reagieren auf diese Entwicklung, und es geschieht immer häufiger, dass die Helden von SF-Romanen Heldinnen sind, auch bei Autoren der sogenannten "hard science" von Carl Sagan (Cosmos) bis zu Orson Scott Card, Gregory Benford und Greg Bear.

Ich frage mich, ob diese Autoren wirklich so sehr mit dem Feminismus sympathisieren oder ob sie nur opportunistischerweise dem Zeitgeist folgen, weil ihnen ihre Verleger und Agenten gesagt haben, das könne sich absatzmäßig lohnen. In meinen, vielleicht etwas voreingenommenen Augen hat das zur Folge, dass es jetzt eine Unzahl dummer Frauengestalten in der SF gibt, und manchmal wundere ich mich, wieso Feministinnen nicht gegen die Verunglimpfungen der Frau, die im Namen der Frauenemanzipation erfolgen, protestieren.

Aber offensichtlich sind auch die SF-Leserinnen in erster Linie Fans und kritische Leser erst in zweiter, wenn überhaupt. Boshaft übertrieben sieht die beliebteste Charakterisierung in der SF ja so aus, dass der Held einen Idioten mimt, von ihm aber behauptet wird, er habe einen IQ von 10.000, wiewohl doch seine Taten und das, was er (oder sie) sagt, eher auf fortgeschrittenen Schwachsinn hinweisen. Also, um es kurz zu machen: Es gibt wohl einige neue Entwicklungen in der SF, aber beileibe keine Aufwärtsentwicklung, sondern bloß wechselnde Moden der Strickmuster. Als Unterhaltungsliteratur ist die SF im Durchschnitt wohl glatter geworden, aber gewiss nicht substanzvoller und problembezogener, und wirklich originelle Gedanken und Einfälle sind eher im Schwinden.

   Was sich vielleicht noch stärker geändert hat als die SF selbst, ist die Kritik der SF, vor allem die akademische, die es im deutschen Sprachraum kaum gibt, die aber in den USA gewaltige Ausmaße angenommen hat Jetzt erscheinen jedes Jahr mehr Sekundärwerke zur SF als es Anfang der 1950er Jahre Primärwerke gab. Aber sie ist deswegen nicht kritischer geworden, sie verleiht nur akademische Respektabilität (in gewissen Grenzen), und man könnte die Damen und Herren Professoren im Lande des "publish or perish" genüsslich fragen: Ja, wenn die SF nichts taugt, wie Sie sagen, warum beschäftigen Sie sich dann mit ihr? Auch sind die ehemals kleinen Leser inzwischen groß geworden, und manche davon sind eben auch Literaturprofessoren geworden, ohne die alten Vorlieben abgelegt zu haben.

Der Hauptfaktor der Entwicklung ist aber doch der, dass, was einst ein unwichtiger Nebenzweig des Taschenbuchmarktes war, inzwischen zu einem nicht mehr zu übersehenden Faktor in der Verlagsindustrie geworden ist, mit etlichen echten Bestsellern. Bezieht man das verwandte Horrorgenre mit ein, gibt es unter den Autoren sogar einige Superseller. Alle diese Entwicklungen sind der literarischen Qualität wenig förderlich.

Einen Grund, warum jemand unbedingt SF lesen müsste, kann ich nicht sehen. Es gibt so viele exzellente Literatur, dass niemand im Leben die Zeit hat, sich auch nur mit einem Bruchteil davon vertraut zu machen. Es ist in hohem Ausmaß eine Sache der Vorliebe und der Neigung. Wer sich aber für gewisse Problematiken und Sichtweisen der Welt interessiert, wird nicht umhin können, zumindest zu einigen SF-Werken zu greifen, weil die übrige Literatur gewisse Dinge, die in unserer Welt sehr wesentlich sind, einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Nicht jeder, der liest, will unbedingt die Nabelschauen von Schriftstellern lesen.

   Es gibt in der SF einige interessante Entdeckungen zu machen, aber man muss sich auf harte Arbeit gefasst machen, um die interessanten Werke zu finden. Ich glaube, die alten Meister werden am wenigsten enttäuschen, also H. G. Wells, Karel Capek, Olaf Stapledon; von den neueren sind Arkadi und Boris Strugatzki, Philip K. Dick, J. G. Ballard – übrigens kein wissenschaftlicher Autor, aber ein wunderbarer Symbolist – und vor allem Stanislaw Lem zu nennen, der sich wirklich mit den Konsequenzen wissenschaftlichen Denkens auseinandersetzt, aber auch ein Schriftsteller von überbordender Phantasie, Sprachwitz und Einfallsreichtum ist.
 

Dieser – erweiterte und aktualisierte – Artikel ist ursprünglich
erschienen in: Science Fiction. Werkzeug oder Sensor in einer
technisierten Welt. Hg. von Karlheinz Steinmüller und Peter
Schattschneider. Passau: Erster Deutscher
Fantasy Club e.V., 1995. S. 85-94.
 


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