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Liebe, Verachtung, Trotz

Der finnische Maler Vilho Lampi

Das Smeds Ensemble inszeniert bei den Kammerspielen München mit "Gott ist
Schönheit" (nach dem Roman Paavo Rintalas aus dem Jahr 1959) eine Hommage an den
finnischen Maler Vilho Lampi, der von 1898 bis 1936 meist in Liminka lebte. Der Kälte des
finnischen Winters habe er getrotzt, der Ignoranz, den Nazis und dem neuen
Europa, so die Programminfo. Er malte expressiv-realistische Selbstporträts,
Porträts von einfachen Leuten, Landschaften, Stillleben.

Von Tina Karolina Stauner
(31. 07. 2011)

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   Der Zuschauer findet sich bei der Inszenierung "Gott ist Schönheit" konfrontiert mit einem spartanisch ausgestatteten Bühnenbild von Riikka von Martens und Kristian Smeds: An die Rückwand eine großformatige Leinwandmalerei gelehnt. Ein Porträt. Ein Bild, das aber eigentlich erst Skizze ist. Das auch zum wechselnd beleuchteten Farbfeld werden kann. Ein Bild, das an eine der späten Leinwandarbeiten von Francis Bacon erinnert, die von diesem nicht fertiggemalt wurde und Skizze geblieben ist. Die völlig anderen Bilder des Malers Lampi zeigen sich im Stück nicht. Aufgeführt werden von Smeds Ensemble 10 Bühnenszenen, aus denen sich die Malerei Lampis nicht gleich erschließen lässt. Es bieten sich Teile des Lebens des Künstlers, die seine Persönlichkeit darzustellen versuchen. Facetten seines Charakters. Seiner Vorstellungswelt. Seines Tuns. Seines Unterwegsseins. Eine surreal merkwürdig anmutende Geschichte. Mehr Roman als Biografie. Mehrere Handlungsorte, Lebenswelten. Sprunghafte Phantasieebenen, Realitäten, Intentionen, Perspektiven.

   Der Maler ist in diverse Personen aufgesplittet. Die Darstellung von erstrebter Schönheit präsentiert sich hauptsächlich auch als Grobheit und Kargheit. Die Handlungsbilder beispielsweise: Bewegung mit kräftigen Seilen, Brennen funkelnder Lichter im Dunkeln, Schläge mit einer Axt auf einen Eisblock oder Hiebe auf eine Holzstele. Expressionistische, exzessive Ausbrüche. Manchmal tänzerisch, manchmal als primitive Vorgänge, manchmal schwerlastig, manchmal spielerisch. Diverse innere Kräfte und Vorgänge, die für das Schaffen von Kunst mehr oder weniger unumgänglich sind. Und für die Freiheit der Kunst und des Künstlers um die es geht.

Lampi fühlte sich wohl außerhalb des Lebens und der Gesellschaft. Wollte auch Gewalt anprangern und dass jeder Traum unmöglich werden kann. Der Humor des Ensembles wirkt dabei manchmal wie seltsam in das Bühnengeschehen untergemischt, scheint nur schwer mit manch grobem Inhaltlichem konform zu gehen.

   Die Bilder, die Lampi malte, sind sachlich oder expressionistisch, durchaus auch hart, aber ohne Brutalität, sind mehr als eine Spur sanfter und einfühlsamer als die Handlung des Stücks vermuten lässt. Wenngleich seine Gemälde farbkräftig Kompromisslosigkeit wiedergeben. Lampis Malerei spiegelt immer auch Menschlichkeit und Wärme wider, etwas das den Bühnenszenen häufig fehlt. In der Musik des Stücks hingegen gibt es diese Wärme. Stark rhythmusbetonter finnischer Folkrock, von Tomi Rikkola, Tuomo Kuure, Juha Menna live auf der Bühne gespielt, der Bilderwelt des Malers vielleicht adäquater als das Theaterspiel.

War Lampi gewalttätig, fragt man sich. Wohl kaum. Er war Künstler. Kein Künstler hat Gewalt nötig. Lampi dürfte seine inneren Kräfte fokussiert haben und ließ sie natürlich in sein künstlerisches Schaffen fließen. Ich frage mich aber, ob Lampi dabei überhaupt Humor hatte. Oder ob der Humor nur zu Smeds Ensemble gehört.

   Der erste Eindruck, den das Ensemble mit dieser Produktion hinterlässt, ist irritierend. Kennt man das Werk des Malers noch nicht und sieht die Aufführung, kann man sich seine Gemälde nicht vorstellen. Auch nicht durch die Malereiskizze im Bühnenhintergrund. Mich hat ein Infoblatt und die Vorführung selbst nicht wirklich auf Paavo Rintalas Buch und die Handlung neugierig gemacht. Ich blieb auf extremer Distanz. Nur bei Teilszenen war ich dazu motiviert, mich darauf einzulassen. Dafür aber mich noch ausführlicher mit der Malerei Lampis zu befassen.

Sowohl der Maler Vilho Lampi als auch die Musiker Tomi Rikkola, Tuomo Kuure, Juha Menna – teils der von 1998 bis 2011 existierenden Band Pohjannaula entstammend –, sind als bereichernd durch die Inszenierung inspiriert zu entdecken.

   Die kaum bekannte Malerei Vilho Lampis dürfte durchaus verwandt mit der Novembergruppe sein, einer Malergruppe aus dem Redaktionsumfeld von Herwarth Waldens Zeitschrift Sturm, die von 1918 bis 1935 mit ihrem Schwerpunkt in Berlin agierte. Neben Max Pechstein als ihrem Gründer bestand die Gruppe vornehmlich aus Malern, die an sozialen Veränderungen interessiert waren und schließlich als bolschewistisch beschimpft von den Nationalsozialisten verboten wurden. Maler, die an einer Vereinigung von Kunst und Volk arbeiteten, was schwer möglich war. Vilho Lampi jedenfalls gab seinen Lebensentwurf auf, indem er Selbstmord beging.

Über den 41-jährigen namhaften finnischen Regisseur des Stücks, Kristian Smeds mit Arbeitsbasis Helsinki (einst längere Zeit in einer finnischen Kleinstadt lebend und Leiter des seit 2007 bestehenden Smeds Ensemble, ein internationales Künstlernetzwerk) heißt es, seine Lieblingsthemen seien Liebe, Tod und Gott, garantiert mit Humor, "stark und schwarz – wie guter Kaffee".

  Wie sich an der Zuschauerzahl des Stücks zeigte, braucht die finnische Mentalität des Smeds Ensemble möglicherweise mehr als nur eine Annäherung.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen in:
www.textem.de


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