Auf
einem ausladenden steinernen Rondeau, umgeben von drei glänzenden
Granitsäulen, sitzt überlebensgroß Bert Brecht. Die Hände sind im Schoß
gefaltet, der Blick hinter den pupillenlosen Augenwülsten richtet sich nach
Innen. Derart unbewegt und stumm empfängt der Vater des epischen Theaters
die Theaterbesucher, die am Abend ins Berliner Ensemble strömen. Nur wenige
Meter von dieser geschichtsträchtigen Stelle entfernt, Am Zirkus 5, hat die
Deutschland-Filiale der Mohrbooks AG ihr Quartier.
So jung und anglophil der
Name klingt, so alt ist das Unternehmen. In den 1930er Jahren war Lothar
Mohrenwitz vor den Nationalsozialisten nach London geflüchtet; er arbeitete
dort als Lizenzverwalter in Verlagen und vertrat unter anderem die deutschen
Verlagsrechte für Agatha Christie. In der britischen Metropole, wie im
angloamerikanischen Sprachraum überhaupt, waren Literaturagenten damals
keine Seltenheit. Bereits 1873 hatte der Urvater der Literaturagenten, der
Engländer Alexander Pollock Watt, in London seine Literary Acency gegründet
und Joseph Rudyard Kipling ("Das Dschungelbuch") betreut. Auch in der
Weimarer Republik gab es Literaturagenten. Da sie zumeist Juden waren,
mussten sie bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten fliehen.
Hartnäckig hält sich bis heute der Irrglaube, Literaturagenten seien in
Festlandeuropa ein sehr junges Phänomen.
Nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs ließ sich Mohrenwitz in Zürich nieder und gründete mithilfe des
in der Emigration erworbenen Wissens seine eigene Literaturagentur. Aus zwei
Gründen fiel die Wahl auf Zürich: Zum einen war die Stadt neutral, zum
anderen empfahl sie sich als Parkett für die unproblematische Abwicklung des
internationalen Zahlungsverkehrs. An Letzteres war im besetzten Deutschland
nicht zu denken.
Was
machen Literaturagenturen? Sie vermitteln, kurz gesagt, zwischen Autoren und
Verlagen. Ihren Hauptarbeitsgebieten nach lassen sie sich, so Sandra
Uschtrin in ihrem "Handbuch für Autorinnen und Autoren", drei Typen
zuteilen: "Import-"/"Exportagenturen" (diese tätigen primär
Lizenzgeschäfte), "Verlagsagenturen" (diese arbeiten in der Regel nur mit
Verlagen zusammen und erstellen in deren Auftrag Programme) und
"Autorenagenturen" (diese werden für Autoren tätig und bieten deren
Manuskripte Verlagen an).
Agenten in
Autorenagenturen handeln möglichst günstige Verträge und Vorschüsse aus,
überwachen Zahlungen, Abrechnungen, Erscheinungstermine, sorgen für Presse-
und Medienkontakte, vergeben Übersetzungs- und Nebenrechte, leisten
agenturabhängig auch redaktionelle Arbeit und kümmern sich gelegentlich um
die seelischen Nöte ihrer Klienten. Deutschlands Literaturagenten sind
überwiegend selbstständig tätig, sie arbeiten zum Beispiel als Ich-AG. Neben
fachlicher Qualifikation müssen sie über psychologisches Geschick und
Einfühlungsvermögen verfügen. Wen wundert es da, dass es überwiegend
Agentinnen gibt?
Mohrbooks
Berlin wird gegenwärtig von einem Mann geleitet, dem langjährigen
Verlagslektor und Programmleiter Uwe Heldt. Anders als die Mutteragentur am
Zürichsee, die sich auf die Vermittlung von Verlagsrechten aus dem
englischsprachigen Ausland an deutschsprachige Verlage spezialisiert hat,
vertritt Mohrbooks Berlin seit der Gründung im Jahr 2000 exklusiv
deutschsprachige Autoren. Den Bedarf nach einer Agentur ausschließlich für
anspruchsvolle deutschsprachige Literatur erkannte als Erste die Germanistin
und Übersetzerin Karin Graf. Sie gründete im Aufbruchsklima der Nachwende
und der Hauptstadtwerdung Berlins 1995 ihre Agentur Graf & Graf, in deren
Namen sie sich doppelt verewigte. Vom gutbürgerlichen Charlottenburg aus
führt sie ihr Fünf-Personen-Regiment und betreut heute rund 120 Autoren
zwischen 20 und 80. "Ich schätze den direkten Kontakt mit unserer
handverlesenen Klientel", so Graf. Sie gilt als Instanz im Berliner
Literaturleben.
Der Goldgräberstimmung
folgend, zog es ab Mitte der 1990er Jahre Massen an Kulturschaffenden in die
Stadt an der Spree. Es war dies auch die Geburtsstunde der
Literaturagenturen Herbach & Haase sowie Eggers & Landwehr, die über ein
ähnliches Renommee wie die beiden zuvor erwähnten Agenturen verfügen. Selbst
im digitalen Zeitalter spricht eben vieles dafür, sich einen repräsentativen
Sitz im Metropolenleben zu suchen.
Berlin
hat sich als der bedeutendste Ort der Literatur in Deutschlands etabliert.
Es versammelt mehr Schriftsteller als jede andere deutsche Stadt und weist
mit 500 Verlagen nach München die zweitgrößte Verlagsdichte auf. Ob noch
Raum sei für weitere Literaturagenturen? Da zeigt sich Karin Graf unisono
mit den anderen Agenturleitern skeptisch: "Die Branche hat einen
Sättigungsgrad erreicht." Man darf sich fragen, ob diese Bewertung ohne
geschäftliche Hintergedanken auskommt. Es mangelt ganz offensichtlich nicht
an potentiellen Kunden. So bekommt Uwe Heldt rund 50 unverlangte
Einsendungen pro Woche. Das qualitativ hochwertige literarische
Frischfleisch am Markt ist aber rar und jede Agentur möchte es für sich
haben.
In der Welt der
Literatur-Scouts, in der es um die sensiblen Materien Geld, Kreativität und
Vitamin B (wie Beziehungen) geht, ist so manches in Nebel gehüllt. Man wird
den Eindruck nicht los, dass die Agenten das Opake zu einem gewissen Grade
wünschen, ja provozieren. So halten sie die Sub-Agenturen geheim, die sie in
jenen Bereichen konsultieren, die von ihnen selbst nicht abgedeckt werden.
Das gilt oft für den Kinderbuchbereich, der, wie behauptet wird, nach ganz
eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Auch Fantasy und Science Fiction
werden meist ausgelagert oder gar nicht gemacht. Fände sich hier entgegen
der Sättigungsthese nicht doch eine Nische für Spezialagenturen?
Das elitäre Sich-Entziehen
hat jedenfalls einen handfesten Grund: Den arrivierten Agenturen der Branche
muss paradoxerweise daran gelegen sein, nicht allzu bekannt zu werden. Denn
die finanziellen und personellen Mittel sind beschränkt. Um nicht mit
Manuskripten zugeschüttet zu werden, stellen sie kaum mehr als ihre Adresse
ins Netz. Interessante Autoren werden den Agenten sowieso meist via
Mundpropaganda gesteckt.
Wie
hat man sich Literatur-Scouts vorzustellen? Sitzen sie mit Hut, Zigarre,
Lupe und Bleistift in Kneipen und stickigen Hinterzimmern? Diese
Beschreibung passt weder auf Uwe Heldt noch auf Axel Haase oder Karin Graf.
Heldt arbeitet in einem hellen, großzügigen und sympathisch angeräumten
Büro. Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Einsendungen. Sein blau-weiß
kariertes Hemd lässt alle Film-noir-Agentenklischees abperlen. Äußerlich
erinnert er entfernt an Wolfgang Schäuble. Er ist ein hellwacher,
sprachgewandter Mann in den besten Jahren, der auf eine lange Karriere bei
namhaften Verlagen zurückblicken kann.
Diesen Erfahrungskontext
teilt er mit Karin Graf, die die frostige, alterslose Erscheinung einer
Eiskönigin hat; eine Frau an der Spitze eines Unternehmens, die sich beim
Interview kein Lächeln abringt und in männlicher Imponierpose weit entfernt
an der Stirnseite des langen Glastisches Platz nimmt.
Dagegen ist Axel Haase
ganz Gentleman. Er logiert am Kurfürstendamm, im Umkreis jener Lokalszene,
wo sich um 1900 und in den darauffolgenden Jahren die Berliner Boheme traf.
Bis zum Tod seines Partners Klaus-Peter Herbach im Jahr 2004 war er für die
Rechts- und Lizenzgeschäfte der Agentur verantwortlich. Nunmehr kümmert er
sich auch um die Literaturagenden. Außerdem organisiert er das Programm des
Buchhändlerkellers, einer traditionsreichen Lesestätte für zeitgenössische
Literatur.
Welche
Menschen wenden sich an eine Literaturagentur? Die Klientel ist völlig
gemischt, so Uwe Heldt, No-names ebenso wie arrivierte
Schriftsteller, die sich die Vermarktung ihrer neuen Werke gern abnehmen
lassen. Und da anders als bei Verlagen kein inhaltlich verbindliches Profil
existiere, gelte der Grundsatz: "Wir machen, was gut und was gut verkäuflich
ist, Belletristik ebenso wie Sachbücher." Über einzelne anvisierte
Bestseller werden kostspielige Nischenprodukte querfinanziert. Ist der
Beschluss gefallen, einen Autor zu unterstützen, ist die Zusammenarbeit
zunächst unentgeltlich. Erst später wird die Agentur mit einem Prozentsatz
von 15 % an dessen Honoraren beteiligt. Das gilt für alle seriösen
Agenturen.
Die Renaissance der
Literaturagenturen in den 1990er Jahren verdankt sich einer Nachfrage, die
sich aus zwei ineinander greifenden Entwicklungen speist: einer
fundamentalen Veränderung innerhalb der Verlagsstrukturen und einer
Neudefinition der Rolle des Verlagslektors. Hier lohnt ein Blick zurück in
die jüngere deutsche Geschichte.
In den
Nachkriegsjahrzehnten wurden viele Verlagshäuser von patriarchalisch
agierenden Verlegern geleitet, die unternehmerisches Ethos mit ihrer Rolle
als Freund und Helfer des Autors verbanden. Ein typisches Beispiel hierfür
ist der 2002 verstorbene Siegfried Unseld, der den unter einer
Schreibblockade leidenden Uwe Johnson jahrelang großzügig finanziell
unterstützte. Dieser Verlegertypus mutet heute geradezu antiquiert an. In
Konzernverlagen sind Verleger und Programmchefs oft nur noch leitende
Angestellte unter dem Diktat strikter Gewinnmargen. Sie kümmern sich um die
Marktgängigkeit ihrer Produkte, was umso leichter fällt, je klarer und
eindimensionaler das Programmprofil ihres Hauses ist.
Doch nicht nur die
Verlegerrolle, auch die des Verlagslektors hat sich entscheidend verändert.
Er hat im Extremfall gar keine Zeit mehr für die Suche, Akquise und Pflege
von Autoren, sondern agiert rein als Produktmanager.
In
Zeiten umfassender Konzentrationsprozesse verabschieden sich statische
Strukturen und Voraussagbarkeit im Verlag, die Fluktuation wächst. "Was
heute ein Haus für Belletristik ist, kann morgen zum Verlag für Gartenbauer
mutiert sein", exemplifiziert Uwe Heldt. Hat ein Autor seinen Stall
gefunden, kann er schon morgen wieder auf der Straße stehen. Der Schreibende
ist verstärkt auf sich allein gestellt. In dieser Situation treten die
Literaturagenten auf den Plan. Sie übernehmen Aspekte der traditionellen
Rolle von Verlagslektoren. Vor allem agieren sie als positive Filter, die
eine Vorauswahl leisten. Bei jährlich 90.000 Neuerscheinungen auf dem
deutschen Buchmarkt ist das eine Erleichterung. Von Agenturen eingesandte
Manuskripte werden von Verlagen daher bevorzugt geprüft.
Der moderne
Literaturbetrieb kommt ohne Literaturagenturen heute nicht mehr aus.
Branchenschätzungen zufolge werden 60 % aller Neuerscheinungen auf dem
deutschen Buchmarkt von Agenten vermittelt. In den USA sind es über 80 %.
Deutschland hat folglich noch Platz nach oben. Literaturagenturen vom Rang
der vorgestellten Agenturen in Berlin oder der Agence Hofmann in München,
der vermutlich zweitgrößten Literaturagentur Europas, gibt es in Österreich
nicht. Kultur und Wirtschaft funktionieren eben nach anderen Gesetzen: Mögen
internationale Konzerne als Zentrale für ihr Osteuropageschäft Wien Berlin
vorziehen – in puncto Verlags- und Agenturwesen hinkt das kleine Österreich
dem großen Bruder Deutschland hinterher.
Für
Axel Haases tägliche Arbeit ist das deutsch-österreichische Ländermatch kein
Thema; er spricht von "deutschsprachiger" Literatur. Gleiches gilt für Uwe
Heldt. Dieser hat den österreichischen Schriftsteller Heinrich Steinfest
unter Vertrag, der mit literarischen Krimis hervorgetreten ist, zuletzt mit
"Ein dickes Fell" (Piper). Sein vorletztes Werk, das beim Deutschen
Krimipreis 2006 punkten konnte, lautete: "Der Umfang der Hölle". Man darf
hoffen, dass er bei der Titelwahl nicht an die Betreuung durch seinen
Agenten gedacht hat.
Ich danke Karin Graf,
Axel Haase und Uwe Heldt für das Interview.