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König Lear Light
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"Es ist eine Krankheit der Zeit, dass Verrückte Blinde führen", heißt es in
Shakespeares "Lear". Ist es auch eine Krankheit der Zeit, dass sich das Publikum
von großen Namen, Kostüm- und Kulissenprunk, wie sie nur einem Staatstheater  möglich sind,
über eine unentschlossene Regie hinwegtäuschen lässt? (Burgtheater Wien)

Von Kristina Werndl
(24. 01. 2008)

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   Das "geheimnisvollste und tiefste Theaterstück der Weltliteratur" wollte Luc Bondy mit dem "Lear" in Angriff nehmen, auch wenn es "unmöglich sei, dieses Stück zu inszenieren … ich will es dennoch riskieren". Wer wagt, gewinnt – stimmt dieses Sprichwort, das der Roulettetisch längst als unrichtig entlarvt hat, für den Regiesessel?

Nicht, wenn man das Risiko wie Luc Bondy nur in die Figurenexegese verlegt und es an einem schlüssig durchgezogenen Regiekonzept mangeln lässt. Zu unentschlossen erweist sich der Ansatz des Schweizers, der zwischen Naturalismus und Brechung eben dieses Anscheins von Wirklichkeit hin und her laviert. Zum einen flattern wie in einem barocken Zaubertheater von unsichtbaren Windgeneratoren verwirbelte Blätter in der Sturmnacht auf der Heide, zum anderen füttert in der Folgeszene der Narr (Birgit Minichmayr) die auf der Bühne exponierte Windmaschine mit Blättern und stellt so das Artifizielle der Bühnenhandlung aus. Einmal spielt man antiillusionistisch (bzw. um den Umbau zu überbrücken) vorm Eisernen Vorhang, dann wieder fliegt das Zelt, das dem irren König und den in vorgebliches Irrsein abgetauchten jungen Gloster (Philipp Hauß) Unterschlupf gewährt hat, wie von Geisterhand davon und landet krachend am Boden. Ein auch symbolischer Absturz, der auf das dräuende Ende der allermeisten Figuren verweist. Im Schlussbild sitzt wie zu Stückbeginn der König an der Rampe und hält seine geliebte jüngste Tochter Cordelia (Adina Vetter) im Arm, die bösen Schwestern (Andrea Clausen, Caroline Peters) umranken die innige Pietà. Nur sind sie nun alle tot.

  In der genauen Personenführung, den sorgfältigen Bewegungsarrangements spielt Bondy all seine Routine aus, wenn er dabei auch mit arg symbolistischen Überpinselungen gelegentlich nahe am Kitsch vorbeischrammt, etwa wenn Cordelia im weißen Unschulds-Kleidchen springschnurhüpfend aus dem Bühnenschwarz hervortritt.

Das Bühnenbild von Richard Peduzzi mit hohen, verschiebbaren Turm- und Festungs-Elementen und die präzise Lichtregie (Dominique Bruguière) unterstützen in ihrer Pittura-Metafisica-Manier diesen Zug ins Symbolische und Mythische, der auf eine andere Wirklichkeit hinter der vor-gestellten hindeutet. Die Demut und Dankbarkeit der älteren Schwestern haben sich letztlich ja auch nur als Fassade erwiesen.

   Am stärksten ist die Inszenierung in jenen Momenten, in denen sie ohne viel Schnickschnack bei ihren Figuren bleibt und diese uns sagen, was sich in ihren Köpfen abspielt. Ergreifend die Szene, als der geblendete alte Gloster (Martin Schwab) von seinem redlichen Sohn zu den Klippen von Dover geführt wird, wo er seinem Leben eine Ende bereiten möchte. Der letale Schritt in die Tiefe erfolgt nur in Glosters Imagination, tatsächlich befindet er sich nach wie vor auf der weiten Heide. Hier treten die Stärken des Stücks hervor: wenn es vormacht, was die Vorstellung ausmachen kann, wenn wir sehen, wie Blinde sehend werden, wenn Täuschung zum Weiterleben überzeugen kann, wenn der verrückte Lear sich vom Geblendeten wie selbstverständlich aus der Hand lesen lässt … Dafür brauchst du doch keine Augen! Das sind Sternstunden, wo man Lear in seiner Verrücktheit für voll nimmt. Wo sich unmittelbare Betroffenheit einstellt. Da braucht es keine Sturm(musik)-Kulisse. Kulissen aus Worten – word scenery – genügen.

Gert Voss als Lear ist vor allem im zweiten Akt zu erwartbar verrückt – muss sich Verrücktheit denn immer in Gebrochenheit und Larmoyanz, kann sie sich nicht etwa in Heiterkeit ausdrücken? Zu wenig Wandlung erfährt dieser Lear, bleibt ein weinerlicher, kindischer Greis. Vom gewaltigen Umschlag in den Wahn, ins Außer-sich-Sein ist wenig zu spüren, damit geht die Spannung flöten. Man kann nicht wirklich nachvollziehen, warum diese Gestalt über die Jahrhunderte so fasziniert hat.

   Besondere Aufmerksamkeit schenkt Bondy dem Narren, dessen Lieder hier von Peter Handke übertragen wurden. Er ist mit rotem Stecktuch und schwarzem Hochwasseranzug neben all den Figuren in ihren Fantasy- und Musketier-Dressen am "seriösesten" gekleidet, was durch seine hinkende, verrenkte Gangart merkwürdig konterkariert wird und vielleicht Verletzlichkeit andeuten soll. Warum hinkt er? Warum hat Bondy den zeitlos modern daherkommenden Narren nicht ohne die – nahezu olympiareifen – Verrenkungen einer verwachsenen Gestalt auftreten lassen, womit er ein Stereotyp bedient bzw. an der historischen Wahrheit kleben bleibt. Dabei exponiert er die Figur doch sonst so deutlich von ihrem Umfeld.

Nachdrücklich in Erinnerung bleiben der durchtriebene Oswald von Markus Hering, aber auch Darsteller wie Philipp Hauß, Caroline Peters, Gerd Böckmann oder Klaus Pohl in mittelgroßen Rollen.

   Die Inszenierung kam bei der internationalen Kritik sehr gut an, es scheint, als könne man mit Shakespeare und dem Shakespeare-Zyklus nichts grundlegend falsch machen. Aber richtig macht man es damit noch lange nicht.
 




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