Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Swinging Nestroy
...

Andreas Vitásek ist im Volkstheater Wien im Nestroy-Klassiker "Einen Jux will er sich
machen" zu sehen. Kristina Werndl traf ihn im Café Raimund zum Gespräch.


Von Kristina Werndl
(24. 10. 2007)

...


KW: Wie kam es zu Ihrem aktuellen Nestroy-Engagement?

Vitásek: Das ist ganz einfach: Michael Schottenberg, der den "Jux" inszeniert, hat mich gefragt, ob ich die Rolle des Weinberl spielen will, und da habe ich sofort Ja gesagt. Weil: Nestroy sowieso. Ich habe schon mal einen Nestroy am Volkstheater gespielt, unter Hilde Sochor im "Haus der Temperamente". Einen jugendlichen Melancholiker, Guido Trüb, immer traurig, schwarz gekleidet. Lustig zum Spielen. Es war eine eindimensionale Rolle. Der Weinberl dagegen ist sehr vielschichtig – eine hohe Latte, nicht zuletzt durch Vorbilder wie Josef Meinrad oder Nestroy, wo ich zumindest versuche, sehr elegant drunter zu springen.

KW: Wie legen Sie den Weinberl an?

Vitásek: Wir wollen weg von diesem Biedermeier-Nestroy. Wir wollen die österreichische Seele zeigen, die im Weinberl drinnen ist, dieses bisschen Herr Karl, ohne dass man ihn jetzt derb macht wie den Herrn Karl. Man soll diese Linie spüren, die da von Nestroy zu Horváth zu Doderer und eben dann zu Qualtinger führt. Wir möchten auch die Verwandtschaft von Nestroy mit dem Kabarett zeigen, dass man draufkommt: Das Kabarett wäre wahrscheinlich nicht möglich, wenn es Nestroy nicht gegeben hätte.

KW: Ist Weinberl, so wie sein Arbeitgeber, der Gewürzkrämer Zangler, ein Spießer?

Vitásek: Wenn man sich diese Figur näher ansieht und den Glanz ein bisschen herunterkratzt, dann ist da jemand, der von Selbstzweifeln geplagt ist. Die Idee des Juxes entsteht ja aus einer irrsinnigen Depression heraus. Weinberl wird befördert, wird Teilhaber, was mehr ist, als er sich je erwartet hat. Er versteht gar nicht, warum Zangler ihn dazu gemacht hat. Später kommt man drauf, dass er ihn eigentlich als Schwiegersohn vorsieht. Das heißt: Aus der Überraschung und der Euphorie entsteht eine Leere und er sagt sich: Aber halt, ich habe eigentlich noch gar nichts erlebt! Ich haue noch einmal drauf, ich mache einen Jux. Und das ist, finde ich, etwas sehr Österreichisches.

KW: Weinberl stellt noch im Stück fest, dass ihm der Jux nichts gebracht hat, er ist froh, dass das Ganze zu Ende ist – ein kurzes Aufbäumen?

Vitásek: Ja genau. Aber da gibt es eine Bearbeitung, die Schottenberg vorgenommen hat, dass Weinberl sich nämlich nicht sicher ist, ob es was gebracht hat. Dass er nicht sagt: Das geht nicht, ich habs probiert, nie wieder mach ich so was, Schuster bleib bei deinem Leisten. Es wäre schon zu zeigen, dass er sich verändert hat durch dieses Abenteuer.

KW: In einem Sinn verändert er sich tatsächlich: Am Stückende steht er kurz vor der Heirat, hat seine Zukünftige gefunden …

Vitásek: … er wurde gefunden.

KW: Sein Jux hat ihn eingewickelt …

Vitásek: Eigentlich hat ihm der Jux Glück gebracht. Obwohl man, wenn man den Text liest, das Gefühl hat, er ist ein eingefleischter Junggeselle. Da kommt Nestroy durch, der ja ein zwiespältiges Verhältnis zu den Frauen gehabt hat. Das färbt auf den Weinberl ab, der ist auch jemand, der sagt: Die Frauen sind nicht so wichtig, und dann kommt plötzlich diese Frau von Fischer und schnappt sich ihn, und das taugt ihm dann schon.

KW: In Ihrem aktuellen Kabarett-Programm "My Generation" zeigen Sie Lebensläufe, die revolutionär waren und dann in Resignation oder Gemütlichkeit münden. Ist es bei Weinberl ähnlich? Allerdings wirkt er von Anfang an sehr konservativ …

Vitásek: Das glaube ich auch. Der hat gar keine revolutionären Ideen. Dem ist der Jux nur Selbstzweck, um noch einmal etwas zu erleben, damit er später, wenn er einmal gemütlich mit den anderen Handelsherren zusammensitzt, angeben kann.

KW: Katharina Straßer, die heuer den Karl-Skraup-Preis für ihre hervorragende Leistung als Nachwuchsschauspielerin erhalten hat, spielt Weinberls Kumpan, den Lehrbuben Christopher …

Vitásek: Das war Schottenbergs Idee. Es gibt die Tradition, dass diese Rolle von einer Frau gespielt wird, das hat die Konradi schon gemacht. Es hat auch ein bisserl was von Karl Valentin und Liesl Karlstadt, wenn diese z. B. in "Der Firmling" einen Buben spielt.

KW: Außerdem entfaltet sich der Witz der doppelten Verkleidung, wenn sich Christopher als die durchgebrannte Nichte ausgibt … Was neben der Situationskomik besonders hervorsticht: Alles dreht sich um Geld.

Vitásek: Genau. Das wird auch sofort eingeleitet mit dem Lied "Es sind gewiss in unsrer Zeit / Die meisten Menschen Handelsleut'". Das ist das Thema. Alles wird gehandelt: Es werden Beziehungen gehandelt, es wird der zwischenmenschliche Kontakt gehandelt.

KW: Das Heilsversprechen liegt nicht bei Gott, sondern bei den reichen Tanten …

Vitásek: Ja, so ist es. Weinberl sagt auch: "Was’s Jahr Onkel und Tanten sterben müssen, bloß damit alles gut ausgeht!"

KW: Ist der "Jux" also ein aktuelles Stück?

Vitásek: Als ich gehört habe, dass der "Jux" aufgeführt wird, habe ich mir gedacht: Schade. Für mich war der "Jux" sehr publikumsgefällig und "Der Talisman" das bessere Stück. Mit besseren Liedern, einer Hauptfigur, dem rotschädlerten Außenseiter, die klarer gezeichnet ist und eine klarere Message hat. Und jetzt im Arbeiten komme ich drauf, was da noch für Schichten drinnen sind! Eben die Handelsbeziehungen der Menschen untereinander, diese Leere, aus der heraus der Jux geschieht. Auch dass der Weinberl die Frau von Fischer kriegt und man ist sich nicht einmal sicher, ob er das wirklich will, sondern das passiert ihm. Das sind lauter so moderne Sachen. Wenn man am "Talisman" arbeitet, gibt es wahrscheinlich auch noch das eine oder andere zu entdecken, aber da ist schon klar, worum es geht, und beim "Jux" kommt man immer mehr drauf, und das finde ich spannend.

KW: Sind Couplets vorgesehen?

Vitásek: Nicht im Stil dieser lieblichen Sachen von Nestroy, die man kennt. Eher so ein bisschen Swing der 50er und 60er Jahre, korrespondierend mit den Kostümen und der Zeit, in der wir das Stück ansiedeln. [singt]

KW: Ich stelle mir grad Louis Austin vor …

Vitásek: Ja, Crooner. Da ich mich wahrscheinlich nicht einreihen werde in die großen Gesangskünstler unserer Zeit, werde ich das eher Paolo-Conte- oder Tom-Waits-mäßig anlegen.

KW: Couplets so zu verfremden, ist das nicht schon die Norm? Geradezu erwartbar?

Vitásek: Überraschen wird das keinen. Jeder wartet natürlich auf die Zusatzstrophen, die Aktualisierungen, die wird’s geben.

KW: Was die Aktualisierungen betrifft: Karl Ferdinand Kratzl meinte einmal, die Couplets seien aus dem Museum und dort auch gut aufgehoben, die Aktualisierungen gehörten nicht da hineinkanalisiert, sondern ins Stück montiert.

Vitásek: So etwas ist nicht geplant. Wir zerstören den Nestroy nicht, wir brechen ihn nicht auf, so wie es etwa, was toll war, Frank Castorf gemacht hat in seinem "Freiheit in Krähwinkel".

KW: Nestroy war Autor und Darsteller. Merkt man das bei seinen Stücken?

Vitásek: Ja unbedingt, wenn man daran arbeitet, merkt man, wie er sich selber die Rolle geschrieben hat, rampensaumäßig. Aber auch die Scholzrolle ist immer gut bedient. Und Melchior z. B. ist eine Traumrolle. Wenn ich ein bisschen älter bin, würde ich diesen Alten, Grantigen gern spielen. Nestroy hat auch für andere gute Rollen geschrieben. Die Frauen hat er meist ein bisschen falsch bedient, aber ich glaube, das ist Theatergeschichte, außer Salome Pockerl, was eine super Rolle ist.

KW: Und Weinberl …

Vitásek: Dass er erst nach einer halben Stunde auftritt, ist schon einmal super. Erstens sagt sich Nestroy: Gut, ich kann später ins Theater kommen, ziehe mich mal gemütlich um und vorher spielt die Vorgruppe, die Vorband heizt an, und dann trete ich auf … Und er fängt natürlich sofort mit einem Lied an. Er tritt auf und es kommt eine Wuchtel, sicherheitshalber, er geht erst einmal auf einen Lacher. Und die Apartes, die er sich reingeschrieben hat und die er wahrscheinlich noch mehr gemacht hat bei den Vorstellungen, dass er zum Publikum redet und kommentiert, das ist toll, ist Durchbrechung der vierten Wand, ist episches Theater, ist Kabarett, ist Einbeziehung des Publikums, Rausfallen aus der Rolle. Das finde ich einfach genial, das macht am meisten Spaß. Einerseits in einer Figur drinnen sein und trotzdem immer die Möglichkeit haben, aus der Figur rauszuschauen und zu sagen: Habt ihrs gesehen?

KW: Es wurde viel geschrieben über die Sprache bei Nestroy. Wie sind die Figuren zu sprechen? Haben Sie sich da etwas zurechtgelegt?

Vitásek: Ich spreche eine Nuance mehr Wienerisch als im Kabarett. Bewusstes Wienerisch, eine Kunstsprache. Sicher nicht Hochdeutsch, das wäre furchtbar, auch nicht Theaterdeutsch. Ich spiele gleichzeitig nach wie vor mein Programm … da habe ich neulich auf einmal so einen Nestroy-Ton drinnen gehabt [singt mit starkem Wiener Akzent]: "Ich weiß nicht, warum die Frauen so auf mich stehen …". Da habe ich mich gleich entschuldigt und gesagt: "Ich probe grad Nestroy, der ist mir jetzt hineingekommen."

KW: Interessant wird’s, wenn Ihnen im Theater das Kabarett hineinkommt.

Vitásek: Das wird gar nicht auffallen, das passt eigentlich zu Nestroy und das werden die Leute auch erwarten. Ein, zwei Zusatzstrophen machen wir bei den späteren Liedern, ich möchte da die Möglichkeit haben, schnell zu reagieren, sei es nun eine Asylgeschichte, Eurofighter oder was gerade an dem Tag los ist. Oder man streicht die Lieder ganz weg. Das funktioniert bei diesem Stück, wie man bei Kurt Palms "Jux" in Graz gesehen hat.

KW: Nestroy ist Ihnen offenbar sehr nahe. Wie steht es mit Ferdinand Raimund? Haben Sie schon Bekanntschaft mit ihm gemacht?

Vitásek: Nein, überhaupt nicht. Das ist so wie Rapid/Austria oder Stones/Beatles, man steht auf das eine und will das andere nicht. Ich mag die Stones und die Beatles finde ich fad. Ich mag Rapid und Austria finde ich zu verspielt, und ich mag Nestroy, weil der mehr dem Volk verbunden ist. Trotzdem glaube ich, dass man auch bei Raimund fündig werden kann. Den muss man von seinen Fans befreien, der ist in Geiselhaft der Tradition, dieser Zauber- und Feenwelt. Aber das kann man ja surreal machen! Geister können was Modernes sein, die müssen ja nicht als Fee daherkommen … Das wäre interessant, würde ich gern einmal machen, einen Raimund!

KW: Ich überlege gerade, wie ich Sie besetzen würde …

Vitásek: Schwierig, schwierig.

KW: Die Idee für Raimund kam jedenfalls im Café Raimund.

Vitásek: Ja genau, der Samen ist gesät für Raimund.
 

Dieses Gespräch wurde erstpubliziert im Programmheft zu
Nestroys "Jux" in der Inszenierung von Michael Schottenberg
am Volkstheater Wien in der Saison 2007/08.


Zurück zur Übersicht