Die
35-jährige rumänische Intendantin Cristina Modreanu hatte es bei den
diesjährigen Theaterfestspielen in Bukarest nicht leicht. Nachdem das
Festivalbudget auf mehr als die Hälfte gekürzt wurde, blieb ihr nur übrig,
die internationale Sparte der neunzehnten Edition der Festspiele, die heuer
vom 31. Oktober bis 8. November stattfanden, zu streichen. Stattdessen schuf
sie zwei neue Sektionen, "Opera Revival" –
gewidmet den Theaterregisseuren, die auch Opernregie führen –
und "Filme/Nacht/Theater", eine Serie von Filmprojektionen von bekannten
Persönlichkeiten der internationalen Theaterszene wie Jerzy Grotowski,
Ariane Mnouchkine und Richard Schechner.
Hommage an Eugène Ionesco
Die
fünf selektierten Opernproduktionen aus Bukarest und Klausenburg wurden aus
finanziellen Gründen nicht von ihren eigenen Spielstätten wegtransportiert,
womit die Idee der Erweiterung der Spielorte außerhalb der Hauptstadt
Bukarest weiterverfolgt werden konnte.
Eine weitere
spezielle Sektion wurde aus Anlass des diesjährigen hundertsten Geburtstags
von Eugène Ionesco eingerichtet. Drei Aufführungen von seinem allerersten
Stück, "Die kahle Sängerin", darunter die einzige internationale Produktion
der Theatertruppe Cie Les Intempestifs aus Frankreich, eine Inszenierung von
Jean Luc Lagarce wurden gezeigt. Das Nationaltheater Klausenburg und das
Deutsche Staatstheater Temesvar boten die anderen zwei Versionen. Hörspiele
von Ionescos Stücken, beinah
täglich verbreitet
vom rumänischen Radiokultursender,
ergänzten das Angebot.
Vor allem aber
war das Festival rund um die rumänischen zeitgenössischen Regisseure
aufgebaut worden. Die Intendantin lieferte einen aussagekräftigen Überblick
über die verschiedenen Generationen, mit dabei etablierte Regisseure wie
Catalina Buzoianu, Alexandru Dabija, Alexandru Darie, Mihai Maniutiu,
Alexandru Tocilescu, aber auch junge und doch schon bekannte Namen wie Radu
Afrim, Alexandra Badea, Gianina Carbunariu, Vlad Massaci, und nicht zuletzt
Debütanten wie Felix Crainicu, Alexandru Mihaescu und David Schwartz. So
brachten die diesjährigen Festspiele die besten rumänischen Stücke der
Saison 2008/2009.
Weiblicher Lear, unkonventionelles Wintermärchen
Mit
großer Spannung wurden die an den letzten zwei Tagen programmierten Stücke
der arrivierten Regisseure Andrei Serban und Alexander Hausvater erwartet.
In modernen Inszenierungen von "Lear" beziehungsweise "Das
Weihnachtsmärchen" zeigten sie, dass ein klassischer Autor wie Shakespeare
zeitgemäß realisiert werden kann. Mit ausschließlich weiblich besetzten
Rollen verstand sich Serbans "Lear" als Manifest gegen Shakespeares Epoche,
in der alle Rollen männlich besetzt waren. Für seine erste Inszenierung seit
fünfzehn Jahren in Bukarest verpflichtete der Regisseur die derzeit besten
rumänischen Schauspielerinnen von den unterschiedlichsten Theatern.
Äußerst
lohnenswert war Hausvaters grandiose, einfallsreiche Inszenierung von "Das
Wintermärchen". Die auf einer rechteckigen Fläche auf drehbaren Stühlen
platzierten Zuschauer, konnten der auf den vier Seiten außerhalb der
Sitzfläche verlaufenden Handlung folgen. Die Mannigfaltigkeit der
verschiedenen Ebenen, die üppigen Kostüme, ja sogar ein Motorrad, das die
Zuschauer umfuhr, waren eindeutige Hauptmerkmale der Produktion "Marke
Hausvater". Gleich zweimal hintereinander brachte das Nationaltheater aus
Temesvar diese Megaproduktion, ein riesiger Aufwand wenn man bedenkt, dass
die von außerhalb Bukarests eingeladenen Ensembles ohne Bezahlung spielten
und sich die Transportkosten mit den Organisatoren teilten.
Zu
den Höhepunkten des Programms zählten zweifellos die Aufführungen des
äußerst erfolgreichen Regisseurs Radu Afrim, "The Pillowman" von Martin
McDonagh und "Lucia Skates" von Laura Sintija Chernyauskaite. Durch die
aktuelle Themenauswahl stößt er vor allem bei jungen Menschen auf starkes
Interesse und erfreut sich einer stets wachsenden Beliebtheit beim jungen
Publikum. Seine stets ausverkauften Vorstellungen sorgen für Schlagzeilen.
Bodyguards mussten den Zustrom seiner Fans bändigen.
Zu den größten
Attraktionen des Festivals gehörten ferner "Drei Schwestern" von Tschechow
in gleich zwei Versionen aus Klausenburg und Temesvar sowie "Psychosis 4.48"
von Sarah Kane auch in zwei Varianten, beide aus Klausenburg, in rumänischer
und ungarischer Sprache.
Gehackte Zwiebel als ästhetische Innovation
Obwohl
die Höhepunkte den schon akkreditierten Regisseuren zuzuschreiben sind,
setzte die Intendantin die vor einem Jahr eingeführte Sparte zur
Unterstützung der neuen Generation fort. Jungregisseure wie Alexandru
Mihaescu und David Schwartz waren sogar mit je zwei Produktionen im Programm
vertreten. Besonders bemerkenswert waren die Inszenierungen von David
Schwartz nach Texten von Bogdan Georgescu und Mihaela Michailov. Beide
spiegelten aktuelle Probleme der rumänischen Gesellschaft, darunter Themen
wie Wohnungsrestitution oder den schlechten Allgemeinzustand des Landes im
Ganzen. Die aktiven neuen Theatermacher bespielten die wenigen Spielstätten
der Bukarester Off-Szene, das Luni Theater bei Green Hours und das Arca
Theater im Club La Scena.
Besonderer
Beliebtheit erfreute sich die Aufführung "Rumänien! Ich küsse dich"
(Inszenierung David Schwartz, Text Bogdan Georgescu). Der Zuschauerraum
verwandelte sich in ein Experimentierfeld: Der Geruch gehackter Zwiebeln
wurde von Ventilatoren in den Zuschauerraum gewirbelt. Währenddessen
verwendeten Statisten Flaschen, Besen, Reiben und andere Küchengeräte, um
die "musikalische" Untermalung zu besorgen.
Mit einem
Programm, das neben erfolgreichen Regisseuren auch mit schwächeren
Aufführungen, aber auch mit zahlreichen Innovationen punktete und darüber
hinaus auf Unterstützung durch die junge Theatergeneration bauen konnte,
stieß Cristina Modreanu bei Stadt und Publikum nicht immer auf Gegenliebe.
Dennoch sprechen die Zahlen für sich: Über neun Tage hinweg wurden im
heurigen Wirtschaftskrisenjahr 2009 fünfunddreißig Stücke aufgeführt, davon
fünf Debüts und fünf Opernproduktionen. Konferenzen, Buchvorstellungen,
Filme sowie eine dreitägige Präsentation des Regisseurs Richard Schechner
zur "Einführung in die Performance-Theorie" fetteten das Angebot zusätzlich
auf. Ohne zahlreiche Partnerschaften und die freundliche Unterstützung des
Rumänischen Kulturinstituts Bukarest wäre das größte rumänische
Theaterfestival, organisiert vom staatlich unterstützten Verein rumänischer
Theaterschaffender, freilich nicht zustandegekommen.