Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Schmalhans als Küchenmeister

Auch die Bukarester Theaterfestspiele mussten im Wirtschaftskrisenjahr 2009 gehörig
Federn lassen. Mit nur der Hälfte des früheren Budgets auszukommen, verlangte von der jungen
Intendantin ein gehöriges Maß an Improvisationstalent. Trotz der Einschränkungen erlebten die
Besucher ein Spektakel der Sonderklasse:
Über neun Tage hinweg wurden fünfunddreißig
Stücke aufgeführt, darunter fünf Debüts und eine Handvoll Opern.

Von Irina Wolf
(20. 11. 2009)

...





Irina Wolf
wolfirina [at] yahoo.com


wurde in Bukarest geboren.
Nach Abschluss ihres Infor-
matikstudiums kam sie 1988
durch ein Herder-Stipendium
nach Wien. Nach mehreren
Jobs im Telekommunikations-
und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Handelsbereich. Seitdem
arbeitet sie bei der Friedrich
Wilhelm GmbH & Co.KG
und hält weiterhin engen
Kontakt mit Rumänien.

 

 


 



Das 19. Bukarester
Theaterfestival fand
heuer vom 31. Oktober
bis 8. November statt.

 

 

 

Das Festival legte seinen
Fokus vor allem auf zeit-
genössische rumänische
Regisseure wie Catalina
Buzoianu, Alexandru
Dabija, Alexandru Darie,
Mihai Maniutiu, Alexandru
Tocilescu, aber auch auf
junge Namen wie Radu
Afrim, Alexandra Badea,
Gianina Carbunariu,
Vlad Massaci u.a.

 



 


(c) dailynet.de

Cristina Modreanu
(Intendantin)

 



Zu den Höhepunkten
zählten die Aufführungen
des äußerst erfolgreichen
Regisseurs Radu Afrim,
"The Pillowman" von Martin
McDonagh und "Lucia
Skates" von Laura Sintija
Chernyauskaite.

 

 

 


(c) Nationaltheater Temesvar

Aus dem Stück "Das
Wintermärchen" von
Alexander Hausvater

 

 


Bemerkenswert waren die
Inszenierungen von David
Schwartz nach Texten
von Bogdan Georgescu
und Mihaela Michailov.
Beide spiegelten aktuelle
Probleme der rumänischen
Gesellschaft, darunter
Themen wie Wohnungs-
restitution oder den
schlechten Allgemeinzu-
stand des Landes
im Ganzen.

   Die 35-jährige rumänische Intendantin Cristina Modreanu hatte es bei den diesjährigen Theaterfestspielen in Bukarest nicht leicht. Nachdem das Festivalbudget auf mehr als die Hälfte gekürzt wurde, blieb ihr nur übrig, die internationale Sparte der neunzehnten Edition der Festspiele, die heuer vom 31. Oktober bis 8. November stattfanden, zu streichen. Stattdessen schuf sie zwei neue Sektionen, "Opera Revival" gewidmet den Theaterregisseuren, die auch Opernregie führen und "Filme/Nacht/Theater", eine Serie von Filmprojektionen von bekannten Persönlichkeiten der internationalen Theaterszene wie Jerzy Grotowski, Ariane Mnouchkine und Richard Schechner.

Hommage an Eugène Ionesco

   Die fünf selektierten Opernproduktionen aus Bukarest und Klausenburg wurden aus finanziellen Gründen nicht von ihren eigenen Spielstätten wegtransportiert, womit die Idee der Erweiterung der Spielorte außerhalb der Hauptstadt Bukarest weiterverfolgt werden konnte.

Eine weitere spezielle Sektion wurde aus Anlass des diesjährigen hundertsten Geburtstags von Eugène Ionesco eingerichtet. Drei Aufführungen von seinem allerersten Stück, "Die kahle Sängerin", darunter die einzige internationale Produktion der Theatertruppe Cie Les Intempestifs aus Frankreich, eine Inszenierung von Jean Luc Lagarce wurden gezeigt. Das Nationaltheater Klausenburg und das Deutsche Staatstheater Temesvar boten die anderen zwei Versionen. Hörspiele von Ionescos Stücken, beinah täglich verbreitet vom rumänischen Radiokultursender, ergänzten das Angebot.

Vor allem aber war das Festival rund um die rumänischen zeitgenössischen Regisseure aufgebaut worden. Die Intendantin lieferte einen aussagekräftigen Überblick über die verschiedenen Generationen, mit dabei etablierte Regisseure wie Catalina Buzoianu, Alexandru Dabija, Alexandru Darie, Mihai Maniutiu, Alexandru Tocilescu, aber auch junge und doch schon bekannte Namen wie Radu Afrim, Alexandra Badea, Gianina Carbunariu, Vlad Massaci, und nicht zuletzt Debütanten wie Felix Crainicu, Alexandru Mihaescu und David Schwartz. So brachten die diesjährigen Festspiele die besten rumänischen Stücke der Saison 2008/2009.

Weiblicher Lear, unkonventionelles Wintermärchen

   Mit großer Spannung wurden die an den letzten zwei Tagen programmierten Stücke der arrivierten Regisseure Andrei Serban und Alexander Hausvater erwartet. In modernen Inszenierungen von "Lear" beziehungsweise "Das Weihnachtsmärchen" zeigten sie, dass ein klassischer Autor wie Shakespeare zeitgemäß realisiert werden kann. Mit ausschließlich weiblich besetzten Rollen verstand sich Serbans "Lear" als Manifest gegen Shakespeares Epoche, in der alle Rollen männlich besetzt waren. Für seine erste Inszenierung seit fünfzehn Jahren in Bukarest verpflichtete der Regisseur die derzeit besten rumänischen Schauspielerinnen von den unterschiedlichsten Theatern.

Äußerst lohnenswert war Hausvaters grandiose, einfallsreiche Inszenierung von "Das Wintermärchen". Die auf einer rechteckigen Fläche auf drehbaren Stühlen platzierten Zuschauer, konnten der auf den vier Seiten außerhalb der Sitzfläche verlaufenden Handlung folgen. Die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Ebenen, die üppigen Kostüme, ja sogar ein Motorrad, das die Zuschauer umfuhr, waren eindeutige Hauptmerkmale der Produktion "Marke Hausvater". Gleich zweimal hintereinander brachte das Nationaltheater aus Temesvar diese Megaproduktion, ein riesiger Aufwand wenn man bedenkt, dass die von außerhalb Bukarests eingeladenen Ensembles ohne Bezahlung spielten und sich die Transportkosten mit den Organisatoren teilten.

   Zu den Höhepunkten des Programms zählten zweifellos die Aufführungen des äußerst erfolgreichen Regisseurs Radu Afrim, "The Pillowman" von Martin McDonagh und "Lucia Skates" von Laura Sintija Chernyauskaite. Durch die aktuelle Themenauswahl stößt er vor allem bei jungen Menschen auf starkes Interesse und erfreut sich einer stets wachsenden Beliebtheit beim jungen Publikum. Seine stets ausverkauften Vorstellungen sorgen für Schlagzeilen. Bodyguards mussten den Zustrom seiner Fans bändigen.

Zu den größten Attraktionen des Festivals gehörten ferner "Drei Schwestern" von Tschechow in gleich zwei Versionen aus Klausenburg und Temesvar sowie "Psychosis 4.48" von Sarah Kane auch in zwei Varianten, beide aus Klausenburg, in rumänischer und ungarischer Sprache.

Gehackte Zwiebel als ästhetische Innovation

   Obwohl die Höhepunkte den schon akkreditierten Regisseuren zuzuschreiben sind, setzte die Intendantin die vor einem Jahr eingeführte Sparte zur Unterstützung der neuen Generation fort. Jungregisseure wie Alexandru Mihaescu und David Schwartz waren sogar mit je zwei Produktionen im Programm vertreten. Besonders bemerkenswert waren die Inszenierungen von David Schwartz nach Texten von Bogdan Georgescu und Mihaela Michailov. Beide spiegelten aktuelle Probleme der rumänischen Gesellschaft, darunter Themen wie Wohnungsrestitution oder den schlechten Allgemeinzustand des Landes im Ganzen. Die aktiven neuen Theatermacher bespielten die wenigen Spielstätten der Bukarester Off-Szene, das Luni Theater bei Green Hours und das Arca Theater im Club La Scena.

Besonderer Beliebtheit erfreute sich die Aufführung "Rumänien! Ich küsse dich" (Inszenierung David Schwartz, Text Bogdan Georgescu). Der Zuschauerraum verwandelte sich in ein Experimentierfeld: Der Geruch gehackter Zwiebeln wurde von Ventilatoren in den Zuschauerraum gewirbelt. Währenddessen verwendeten Statisten Flaschen, Besen, Reiben und andere Küchengeräte, um die "musikalische" Untermalung zu besorgen.

   Mit einem Programm, das neben erfolgreichen Regisseuren auch mit schwächeren Aufführungen, aber auch mit zahlreichen Innovationen punktete und darüber hinaus auf Unterstützung durch die junge Theatergeneration bauen konnte, stieß Cristina Modreanu bei Stadt und Publikum nicht immer auf Gegenliebe. Dennoch sprechen die Zahlen für sich: Über neun Tage hinweg wurden im heurigen Wirtschaftskrisenjahr 2009 fünfunddreißig Stücke aufgeführt, davon fünf Debüts und fünf Opernproduktionen. Konferenzen, Buchvorstellungen, Filme sowie eine dreitägige Präsentation des Regisseurs Richard Schechner zur "Einführung in die Performance-Theorie" fetteten das Angebot zusätzlich auf. Ohne zahlreiche Partnerschaften und die freundliche Unterstützung des Rumänischen Kulturinstituts Bukarest wäre das größte rumänische Theaterfestival, organisiert vom staatlich unterstützten Verein rumänischer Theaterschaffender, freilich nicht zustandegekommen.

Ausdrucken?

....

Zurück zur Übersicht