Nach
dem Erfolg mit "Isabella's Room", dessen zweihundertste Vorführung im
September im Burgtheater zu sehen war, kehrte Jan Lauwers, derzeitiger
Artist in Residence am Burgtheater, im Oktober mit dem zweiten Teil seiner
Trilogie "Sad Face/Happy Face
– Drei Geschichten über das Wesen des
Menschen" nach Wien zurück. Dieses zweite Stück, "The Lobster Shop", erzählt
die Geschichte von Axel und Theresa. Axel ist Gentechniker und verliert seinen
Sohn infolge eines Unfalls: zwei Kinder treten und schlagen sich brutal am
Strand während die Väter einfach nur zuschauen – in der Vorstellung am
Akademietheater via Filmeinblendung gezeigt. Axels Trauer
zerstört die Ehe mit Theresa. Als sie ihn verlässt und seine psychiatrische
Therapie keine Folgen zeigt, beschließt Axel, sich das Leben zu nehmen. Ein
letztes Mal geht er in sein Lieblingsrestaurant, den Lobstershop an der Rue
de Flandre, und bestellt Hummer mit Sauce Armoricaine. Doch der Kellner
stolpert und das Essen landet auf Axels weißem Anzug. Während er in der
Restauranttoilette die Sauce wegzubekommen versucht, sieht er im Bruchteil
einer Sekunde sein Leben vorbeiziehen.
In
einsamen Hotelzimmern, bei laufendem Fernseher
Was
mit Humor und romantischer Sentimentalität beginnt, endet in zynischem
Realismus. Nicht umsonst sagt Jan Lauwers, dass er das Stück "in einsamen
Hotelzimmern, bei laufendem Fernseher" geschrieben habe. Sein Text ist
fantasiereich
und humorvoll, aber auch sozial und politisch. So klont Axel
etwa den ersten Menschen, einen Mann namens Salman, "zu Ehren des verhassten
Schriftstellers Salman Rushdie", dessen "Menschlichkeit auf mehrfache Weise
zerstört worden war". Der neue Mensch "stirbt vor Langeweile", die ihn so
überwältigt, dass er Autos in Brand setzt.
Der stolpernde
Kellner heißt Mo, dessen Name eine Abkürzung von Mohammed sein kann, ein
Terrorist oder Bootsflüchtling, ein Menschenschmuggler, ein Atheist oder
einfach nur ein Fischer, der Probleme mit seinem Boot hat. Er ist ein
Identitätsloser. Das ist auch sein Problem: "Ich bin, aber wer bin ich?"
Axels Frau
schluckt Pillen, während ihr von Albträumen geplagter Mann sich bei der
Psychiaterin behandeln lässt. Der Gentechniker Axel hängt an seiner
Markenkleidung, den Gucci-Espadrilles und seiner Armani-Safarihose, "denn guter
Geschmack ist ein Zeichen von Macht". Als Wissenschaftler interessiert er
sich "längst nicht mehr für Krebs", sondern "für Klone und körperlose
Daseinsformen". Neben dem ersten Menschen ist er auch der Erzeuger des
ersten Klons eines Bären.
Visuelle Intensität, markante Tänze
So
schildert Jan Lauwers unsere Zukunft, in der es "nach den großen
Überflutungen und globalen Hasskampagnen des frühen 21. Jahrhunderts, welche
die Demokratie vollkommen zerstört und jeden gezwungen hatten, um sein
eigenes Leben zu kämpfen, ... eine Generation von Kindern geben würde,
die keinerlei Anstrengungen unternehmen wollte, um irgendetwas zu
erreichen".
In einem
futuristisch anmutenden, in weiß gehaltenen Bühnenbild (gestaltet übrigens vom Autor
selbst, der auch für die Regie zeichnet), spielt sich diese vieldeutige,
fantasievolle Geschichte ab. Auf der zentral platzierten, überdimensionalen Leinwand
werden immer wieder Filmsequenzen eingeblendet. Schon beim Betreten des
Saales, noch vor Beginn der Aufführung, zieht ein Mann, der (wie sich später
herausstellt) Mo ist, Kreise mit einem Motorboot.
Mit passenden
Videoprojektionen und effektvoller Musikuntermalung wird der gesprochene
Text auf eindrucksvolle Art präsentiert. Auf das Ufer brechende Wellen
unterstreichen wirkungsvoll Axels Trauer, zu der Grace Ellen Barkey
(Theresa) mit einem markanten Tanzsolo vollends überzeugt, zweifellos einer
der Höhepunkte der Aufführung. Jedoch ist der äußerst einprägsame Abend der
Truppe als Ganzes zu verdanken, ihrem schonungslosen körperlichen Einsatz,
der besonderen Leidenschaft und Professionalität dieser Tänzer, Sänger
und Schauspieler, die selbst die Musik, Kostüme und Choreographie gestalten.
Alles in allem eine durchaus gelungene, abwechslungsreiche Performance.