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Jung, dynamisch, offen für Neues

Das Ungarische Staatstheater "Csiky Gergely" Temeswar feiert sein 60-jähriges
Bestehen und bringt die bislang gelungenste Festivalauflage.

 Von Irina Wolf
(26. 09. 2013)

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   Vier Uhr früh die Ampel ist eben auf Rot umgesprungen. Von der elektronischen Werbetafel nebenan leuchtet es gleichfalls rot auf: "TESZT Euroregionales Theaterfestival Timişoara vom 24. bis 31. Mai 2013". Letzteres ist der Grund meiner achtstündigen Nachtreise mit dem Eurolines-Bus von Wien nach Temeswar. Die zweitgrößte Stadt Rumäniens (300.000 Einwohner) in der historischen Region Banat spiegelt seit über zwei Jahrhunderten einen Vielvölkerstaat wider. Das repräsentative Theaterhaus im Stadtzentrum, ein 1875 vollendeter Bau der berühmten Architekten Fellner & Helmer, beherbergt Sprechtheater in drei verschiedenen Sprachen (Rumänisch, Deutsch und Ungarisch) sowie die Temeswarer Nationaloper.

Ungarisches Theater im Banat – damals und heute

   Erste Erwähnungen des ungarischsprachigen Theaters in Temeswar gehen schon auf das 18. Jahrhundert zurück. Damals bespielten ungarische Schauspielgruppen aus Klausenburg, Budapest, Košice, Székesfehérvár und Miskolc die Stadt in West-Rumänien. Durch einen Erlass des Bukarester Ministerrates wurde 1953 eine ungarische Sektion im Temeswarer Staatstheater gegründet. Vier Jahre später erlangte das Haus seine Selbstständigkeit als "Ungarisches Staatstheater Temeswar". Seit 1990 trägt es den Namen des ungarischen Autors Csiky Gergely.

Seine erste große Blütezeit erlebte das ungarische Theater im Banat unter der Leitung von Krecsányi Ignác. Von 1888 bis zu seiner Pensionierung 1914 entstanden zahlreiche hochqualitative Inszenierungen. Aus Anlass des diesjährigen 60. Jubiläums des Hauses wurde Krecsányi eine ausführliche Ausstellung im Foyer des Theaters gewidmet. Heute präsentiert sich das Theater als attraktive Bühne für die ungarische Minderheit, aber auch für die rumänische Bevölkerung, für die es jeden Abend eine Simultanübersetzung mittels Kopfhörer gibt. Eines der Anliegen von Balázs Attila, seit 2007 Direktor des Theaters, ist die Öffnung des Hauses, um die Stadtbevölkerung einzubeziehen. Infolgedessen hat er – auf Anweisung seiner literarischen Referentin, Daniela Magiaru – in dieser Saison eine Workshop-Reihe unter dem Titel "Jenseits der Bühne" initiiert. Dadurch wurde das Theater zu einem Ort des Treffens zwischen Schauspielern und Personen unterschiedlichster Herkunft, Kultur und Ausbildung. Weiterhin ist der Direktor bemüht, namhafte Regisseure zu engagieren. Auf diese Weise soll das junge, dynamische Ensemble (Durchschnittsalter 30 bis 35 Jahre) weiterentwickelt werden. Vor allem aber zielt sein Streben auf eine rasche Vernetzung des ungarischen Staatstheaters mit nationalen und internationalen Theaterhäusern, darunter mit denen aus Ungarn und Serbien. Diese Entwicklung ist nicht ganz zufällig, befindet sich Temeswar doch im Dreiländereck Rumänien-Serbien-Ungarn.

Der Regisseur im Fokus

   So ist das ungarische Staatstheater "Csiky Gergely" 2007 erstmals zum Veranstalter der Festspiele TESZT geworden. "Temesvári Eurorégiós Színházi Találkozó", kurz TESZT, steht laut Balázs Attila für Hartnäckigkeit – Erfahrung – Solidarität – Höhenflug – Temeswar. "Eine Handvoll Menschen versucht jährlich, die denkwürdigsten Inszenierungen der DKMT-Euroregion (Donau-Kreisch-Marosch-Theiß) auszuwählen. Dank der Hartnäckigkeit, Erfahrung und Solidarität dieser Personen können wir Jahr für Jahr Ende Mai, acht Tage lang, zu einem Höhenflug ansetzen, uns einen Überblick über das Theater der Region verschaffen und unseren Dialog in Temeswar fortsetzen", so der Festival-Intendant.

Obwohl die diesjährige sechste Auflage kein Motto hatte, war doch eine klare Absicht zu erkennen: Der Fokus lag auf den Regisseuren. Balázs Attila dazu: "Mit der Eröffnungsaufführung Friedenszeiten des gastgebenden Theaters ist die Richtung leicht festzustellen. Regie führte Szabolcs Hajdu, weltbekannt für seine Filmregie. Darüber hinaus ist er auch als Autor und Darsteller seinem eigenen Stück verpflichtet". Der Eingriff des Spielleiters war unschwer auch in der Aufführung des ungarischen Theaters aus Novi Sad (Serbien) erkennbar. Opera ultima, ein heiteres Bühnenwerk nach den bekanntesten Stücken des französischen Schriftstellers Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, entpuppte sich als Parodie aus Der Barbier von Sevilla und Die Hochzeit des Figaro. Mit der Umschreibung der zweiten Oper zu einem klassischen Theaterstück wagte Regisseur Kokan Mladenović ein kühnes Experiment und setzte damit ein maßgebendes Zeichen. Besonders auffallend war die Intervention des Spielleiters während der Vorstellung Die Möwe, eine Produktion des serbischen Nationaltheaters aus Novi Sad. In dieser sechsstündigen Aufführung stand der slowenische Regisseur Tomi Janežič pausenlos auf der Bühne und erteilte Anweisungen an die Schauspieler.

Aller guten Dinge sind drei

   Zum Festivalauftakt zeigte das gastgebende Theater Friedenszeiten, eine Eigenproduktion, dessen Text im Laufe eines monatelangen Improvisations-Workshops entstand. Das Stück handelt von dem Schriftsteller Langermann Sándor, der eine Auftragsarbeit für ein Theaterhaus erhält. Doch nicht nur ein innerer Konflikt, auch unerwartete äußere Ereignisse (Tod und Beerdigung des Vaters, Familienstreit) machen ihm zu schaffen. Somit ist ein Abschluss des Auftrags von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Schriftsteller wird zum Opfer einer sich schleichend entwickelnden unheilbaren Krankheit. Eindringlich wirken die knappen zwei Stunden. Die einfühlsame, außergewöhnliche Handlung lebt vor allem durch die grandiose schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers (Szabó Domokos) und des ebenso eindrucksvollen Ensembles. Für die überzeugende szenische Umsetzung der Geschichte sorgen das detailreiche Bühnenbild von Iuliana Vâlsan sowie das raffinierte Licht von Nagy András.

Zwei weitere qualitativ hochwertige Produktionen wurden ebenfalls vom gastgebenden Theater geboten: Gardenia und Die Bauernoper. Die junge polnische Autorin Elzbieta Chowanik (geb. 1982) hat in Gardenia eine bewegende Geschichte gesponnen. Die vier Generationen umfassende Familiensaga deckt den Zeitraum von 1920 bis 1982 ab. Im Mittelpunkt stehen die überaus schwierigen Mutter-Tochter-, Mutter-Großmutter-, Großmutter-Urgroßmutter-, letztendlich Mutter-Tochter-Großmutter-Urgroßmutter-Beziehungen und das Frauenbild im Allgemeinen (die verlassene Frau, die sich prostituierende Frau, die von Alkoholproblemen geplagte Frau). Mühelos gelingt der Autorin und dem ebenso jungen Regisseur Koltai M. Gábor eine Gratwanderung zwischen Burleske und Drama. Auch hier zeichnet Iuliana Vâlsan für das prägende Bühnenbild verantwortlich.

Anders die zum Abschluss der Festspiele von Szikszai Rémusz gezeigte Bauernoper, ein Stück von Béla Pintér und Benedek Darvas. Während eilig geplanten Hochzeitsvorbereitungen entfaltet sich die spannende Geschichte einer Oper gespickt mit Rezitativ, Arien, Country- und Rockmusik der 70er Jahre sowie authentischen Volksliedern aus der Klausenburger Gegend in Siebenbürgen. Als beste ungarische Theaterproduktion der vergangenen Jahre gefeiert, bedeutete Die Bauernoper für die Béla-Pintér-Company den internationalen Durchbruch und ist seit 2004 auf zahlreichen internationalen Festivals zu Gast.

Temeswar – auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2021

   Das reichhaltige Programm umfasste ebenfalls je eine Produktion der beiden ortsansässigen Theater sowie Produktionen aus Ungarn (Budapest, Nyíregyháza) und Serbien (Belgrad, Kelebija, Subotica), alle übertitelt oder simultan übersetzt. Zum ersten Mal nahmen das Nationaltheater aus Szeged (Ungarn) und das ungarische Theater "Kamara" aus Zenta (Serbien) an den Festspielen teil. Nicht nur die Vorstellungen im großen Theatersaal oder auf der kleineren Studiobühne waren sehr gut besucht, sondern auch die drei Ethno-Jazz-Konzerte am Unirii Platz, ein beliebter Treffpunkt der Temeswarer. Ergänzt wurde das Festivalprogramm von Publikumsgesprächen zu einzelnen Inszenierungen mit Regisseur und Mitgliedern des Ensembles, die sich manchmal bis in die Nacht ausdehnten. Ob mit experimentellem Theater oder Inszenierungen klassischer Stücke, Künstlertreffen oder Festgala, spiegelt TESZT die Multikulturalität der westrumänischen Region Banat. Auch ein Tanztheater aus Frankreich nahm an den Festspielen teil, ein klarer Erfolg des Direktors im Streben nach mehr Internationalität, auch im Hinblick auf die Bewerbung Temeswars um den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2021".
 


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