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Die mediale Blendung der rumänischen Wendung

Ein Blankoscheck für Kreative Geschichtsschreibung.

Von Vasile V. Poenaru
(23. 01. 2019)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com


geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So wenigstens halb und
halb ist Rumänien nun,
"nach jahrhundertelangen
Kämpfen, die beinahe
dreißig Jahre lang andau-
erten", endlich bereit, der
gefakten Revolution auf
den Zahn zu fühlen. Und
wir merken: Irgendetwas
ist da faul.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es waren materielle Inter-
essen, hundsgemeine
Triebe, und nicht irgend-
ein ausgeklügeltes Gerech-
tigkeitsgefühl, die die Güll-
ener dazu bewegten,
Alfred Ill bzw. Erzgenosse
Dracula zu ermorden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kein bestirnter Himmel
über uns, kein moralisches
Gesetz in uns. It is what it
is. Da kann nicht einmal
das Über-Ich mehr helfen,
egal wie lange sich Es
und Ich vom Bildschirm
hypnotisieren lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was hatten der angeblich
verhasste Alfred Ill, der
angeblich verhasste Ceaus-
escu und der angeblich
verhasste Dracula gemein-
sam? Sie waren ihren Zeit-
genossen gar nicht so ver-
hasst – und im Wesentli-
chen auch nicht anders
veranlagt als ihre "Berufs-
kollegen". Sie waren
Männer ihrer Zeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die allermeisten Rumänen
dachten in Wirklichkeit gar
nicht daran, Ceausescu zu
ermorden. Und der vermein-
tliche Hass des Volkes
gegen das Diktatoren-
Paar, der dann im Nachhi-
nein als Rechtfertigung
der Dezembermorde er-
funden wurde, war auch
ein Schmarrn. Eine
kreative Nachdichtung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Es gibt keine Geldspur",
beteuerten allerdings die
Profiteure der Wende – mit
diebischem Blick. "Jeden-
falls können wir keine
sehen. Und wenn schon,
dann führt sie bestimmt
direkt zum Genossen. Nur
zu ihm. Nicht zu uns.
Ja, genau.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der rumänischen
Wende-Wirklichkeit trat
die schlimmstmögliche
Wendung denn auch keines-
wegs etwa durch Zufall
ein. Das war alles pein-
lichst berechnet. Teuflisch
geplant. Abertausende
Tote als Kollateralscha-
den einer grandiosen
Inszenierung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Mär vom Aufstieg
und vom Fall. Engelhaft
verteufelt. Ein äußerst an-
schauliches Beispiel des
negativen Messianismus;
auch kalendarisch kreativ-
makaber inszeniert: zu
Christi Geburtstag. Ein kommunistisches Winter-
märchen. Mit seinem Fluch,
mit seinem Segen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der beliebteste Sohn des
Vaterlandes musste die
Große Reise aber keines-
wegs allein antreten. Über
tausend weitere Opfer
wurden gleich mal mit
ermordet. Volle 64.000
hätten es wohl laut Plan
seien sollen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Meer von Zusammen-
hängen: in der "Nacht der
Generäle" durch die rumä-
nische Armee verursachtes
Blutbad, Massenproteste am
Vormittag, Abwendung der
Securitate-Führung von
Ceausescu und Abzug der
Securitate-Truppen vom
Palast des Zentralkomitees
der RKP am frühen Nach-
mittag, Ceauesescus Evaku-
ierung per Hubschrauber,
dann der infolge des Secu-
ritate-Treubruchs zeitnah
erfolgte militärische
Staatsstreich, ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So gut wie alles, was in
den zehn Tagen, die Rumä-
nien erschütterten (also un-
gefähr vom 16. 12.1989 bis
zum 26.12.1989) war erstun-
ken und erlogen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sagt mir, wer der neue
Boss ist, und ich sage
weiterhin Jawohl, mein
Führer! Richtung Neuer
Boss. Total aufgeklärt.
Hoch lebe die Revolution!
Und um uns ja keine Blöße
zu geben: Hoch lebe die
Gegenrevolution! Wir
haben Angst.
And
that’s a fact.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nichts für ungut, Jungs,
aber alle Journalisten, die
sich im Dezember 1989 miss-
brauchen ließen und die
Fake News der Haberer
fahrlässig verbreiteten,
heben jetzt bitte mal kurz
die rechte Hand und sagen:
"Guilty as charged."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor allem den für die
Massaker in Timisoara
und Bukarest verantwort-
lichen Generälen und
den sonstigen an den De-
zember-Morden unmit-
telbar beteiligten Offi-
zieren der rumänischen
Armee lag nach der Voll-
führung des unter sowjet-
ischer Schirmherrschaft
verübten Staatsstreichs
sehr daran, die Angelegen-
heit schnell zu vertuschen und die Schuld für die
Morde auf die Securi-
tate zu schieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Viele der Killer haben sich
nach der Wende Zertifikate
als "Held der Revolution"
zustecken lassen. Diese
mit beträchtlichen materi-
ellen Vorteilen verbunde-
nen Zertifikate gibt es bis
auf den heutigen Tag.
Tausende wurden freilich
mittlerweile – als erschli-
chen und ergaunert –
aberkannt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Wirklichkeit gab es natür-
lich keine sechshundert
US-Kampfhubschrauber mit
der geheimen Mission, Ceau-
sescus Leben zu retten.
Auch nicht for old time’s
sake
. Die Zeiten, da Ceau-
sescu unser Mann in Buka-
rest
war, lagen weit
zurück.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Ach was, schießen wir
einfach weiter. Auf die
Menschen oder eben nur
so drauflos. Und wenn dann
wer fragt, sagen wir, es sei
uns ganz so vorgekommen,
als hätten wir einen verfli-
xten Terroristen gesehen
oder so. Einen Haberer,
verstehen Sie? Besser,
Hunderte."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuerst wurde die Entschei-
dung getroffen, den Dikta-
tor in ausgesprochen men-
schenverachtender Art und
Weise zu ermorden. Dann
wurde das Killer-Komman-
do ausgewählt. Und der
Hinrichtungsplatz. Dann
wurde dem Gerichtshof be-
fohlen, den Diktator ganz
schnell des Genozids
zu überführen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Ceausescu dann weg
war, arrangierten sich die
Leute schnell mit den
neuen Herren im Land –
und wählten prompt die
alten Lakaien des Führers
an die Macht, an deren
Händen noch das Blut der
vom rumänischen Militär
aus absoluter Treue zum
Führer in blindem Gehor-
sam ermordeten Demon-
stranten in Timisoara und
in Bukarest klebte.

Turbulenz-Prolog im Asylum: "Wer hat verloren? Ich mich?
Du dich?
Oder … Oder wir uns?"

(Falco, Jeanny, Part 1)


   Zuallererst eins vorweg: Mir ham a Instagram! Gott erhalte Kurz, den Kanzler. Und der ORF-Kameramann, den die rumänischen Ordnungshüter anno 2018 in Bukarest niederschlugen, hatte sich, das gilt jetzt als eindeutig erwiesen, seine Haut nach dem Duschen nicht hinreichend mit Knoblauch eingerieben. Irrtümlicherweise ging er anscheinend davon aus, dass ihn sein frischgeweihtes Kreuz und sein ebenso frisch gestempelter rotweißroter Journalistenausweis vor den walachischen Vampiren schützen werde. Großer Fehler! Denn der am Weihnachtstag des schönen Jahres 1989 gleichsam im bekanntlich sämtliche Sünden läuternden Glockengeläut erschossene Oberste Vampir aus dem adligen Geschlecht des Dracula war, die WhatsApp hab ich direkt von einem überdurchschnittlich anständigen, vielfach ehrenamtlich engagierten Cousin dritten Grades, der es, das sagte er mir jedenfalls dann später mal im Vertrauen beim obligaten Seidler, irgendwie irgendwann irgendwo ganz genau lesen durfte, in Wirklichkeit ja gar nicht zur Gänze tot; er hat nur mal so richtig ausgeschlafen.

"Liebe Freunde und Genossen, jetzt bin i wieder da. Jetzt moch’n ma weiter!"

Ein Spuk.

Denn die rumänische Wende machte an und für sich gar keine Wende aus, sondern lediglich eine Wendung. Die schlimmstmögliche Wendung.

Fazit Nr. 1: "Nach jahrhundertelangen Kämpfen, die beinahe dreißig Jahre lang andauerten, ging unser Traum in Erfüllung. (…) Gestern Trübsinn, heute Entzücken! … Dies sind die Vorteile des Fortschritts! Dies ist die grüne Seite des Verfassungssystems! (Ion Luca Caragiale in seiner Komödie Der verlorene Liebesbrief, 1884)

Fazit Nr. 2: "Wer die Ängste kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen." (Philipp Blom, zeitlos)

Fazit Nr. 3: "Wir haben sie [Ceausescu und seine Frau] super-schnell erschossen, denn uns wurde gesagt, gut sechshundert US-Kampfhubschrauber der im Mittelmeer stationierten 6. amerikanischen Kriegsflotte seinen unterwegs, um ihnen das Leben zu retten." (Mitglied des Killer-Kommandos, das den überrumpelten Diktator und seine Frau am 25.12.1989 im Hinterhof der Geschichte ermordete)

Und jetzt wollen wir aus dem undurchdringlichen Schlamm der Vergangenheit heraus die eine mörderische Frage stellen, an der die Zeitgenossen seit nun schon beinahe dreißig Jahren kauen.


Einen Mord in Auftrag geben: Wie macht man sowas?

Prolog im Theater: "Fünfhundert Millionen für die Stadt, fünfhundert Millionen für die Einwohner." In Friedrich Dürrenmatts 1956 erschienenen Komödie Der Besuch der alten Dame stimmt die Rechnung.

Eine einzige Klausel: Die Einwohner von Güllen müssen den angesehenen Bürger Alfred Ill umbringen bzw. dafür Sorge tragen, dass er umkommt. Über Nacht steht der bis zu dem Zeitpunkt sozusagen vielgeliebte Sohn der Stadt auf einmal ganz allein seiner höchstmotivierten Gemeinde entgegen und muss dann schließlich bald daran glauben. Die kollektive Schuld für den Mord trägt die Menge, die wir aus poetisch-journalistischen oder eben sozialpsychologischen Überlegungen heraus eventuell auch Meute nennen könnten.

Another one bites the dust. Die Rache seiner Jugendliebe Claire. Justice for sale. Durchaus zeitgemäß. Und vor allem ja eben auch international salonfähig, wenn ich mich nicht irre.

   Ill war wohlgemerkt nicht unschuldig. Doch die Gerechtigkeit, die sich Claire kaufte, macht natürlich trotzdem keine wahrhafte Gerechtigkeit aus, sondern lediglich eine groteske Maskerade. Und die Einwohner von Güllen sind allein durch die Tatsache, dass sie dem Druck nicht widerstehen konnten, das "Projekt" des Meuchelmordes an Ill in einer Art kollektiven criminal mind aktiv voran zu treiben, bei weitem nicht zu Helden geworden, und mögen sie sich noch so viele Zertifikate ausstellen lassen. "Held der Revolution" würde zum Beispiel gut klingen, don’t you think?

Aber jetzt sind wir schon aus der fingierten Theater-Fiktion in die nicht minder fingierte Fernseh-Wirklichkeit gerutscht. In die Ereignisse rund um den am 22. Dezember 1989 in Bukarest verübten militärischen Staatsstreich und die darauf von den neuen, sowjetisch orientierten rumänischen Machthabern zwecks ihrer Legitimierung betriebene "Terroristen"-Diversion. Manche Historiker nennen das mittlerweile Staatsterror.

So wenigstens halb und halb ist Rumänien nun, "nach jahrhundertelangen Kämpfen, die beinahe dreißig Jahre lang andauerten", endlich bereit, der gefakten Revolution auf den Zahn zu fühlen. Und wir merken: Irgendetwas ist da faul.


Einen Gaul! Einen Gaul! Wir brauchen einen Gaul!


Die Stunde der wahren Dramatik: Operation Rumänien.

A Mödeli G’schichte. Kilometer Null der Blendung.

Des blutrünstigen Diktators göttliche Sendung.

Die undankbare Wendung.

Alles ist leidlich.

Es waren in der grobschlächtigen medialen Vampiren-Inszenierung rund um die Dezembermorde im Land der spätestens seit Malta gewissermaßen hüben wie drüben des fallenden Vorhangs als vogelfrei geltenden Rumänen wie im dürrenmattisch fingierten Modell eines unheimlichen Besuchs der alten Dame materielle Interessen, hundsgemeine Triebe, und nicht irgendein ausgeklügeltes Gerechtigkeitsgefühl, die die Güllener (also die echten Güllener bzw. die Vampiren-Güllener) dazu bewegten, Alfred Ill bzw. Erzgenosse Dracula zu ermorden.

Die professionelle ärztliche Diagnose: Herzschlag. Tod aus Freude.

Ach was! Give me a break! Schalten wir doch den Fernseher wieder aus! Fake news.


Zur Tagesordnung: Erst kommt das Fressen, und dann … dann dann … verdammt nochmal, was kommt denn dann?

   In einer Nuss: kein bestirnter Himmel über uns, kein moralisches Gesetz in uns. It is what it is. Da kann nicht einmal das Über-Ich mehr helfen, egal wie lange sich Es und Ich vom Bildschirm hypnotisieren lassen, wenn der Einzelne einer Triebhaftigkeit der Geschichte ausgesetzt ist, die mal hin und wieder mehr oder weniger abstrakte Begriffe na ja, Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und so; alles klar, wer wird sich denn jetzt gleich beschweren? parat hält, wenn der Durchschnittsbürger fragt, wie er den Mut, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen, sich von dem Unmut, die Meinung eins anderen teilen zu müssen, ohne das doch so recht mitzubekommen, unterscheidet.

Geteilte Meinungen: Die da oben teilen einem mit, was man im gegebenen Zusammenhang jeweils meinen darf, und der Pöbel teilt unwillkürlich die Meinung des Ober-Meinung-Leiters. Und ist das erst einmal geschickt in die Wege geleitet, hamma eine dem leidenden Subjekt von der jeweiligen Obrigkeit (oder sagen wir mal von denen) behutsam eingeflößte Meinung. Mit ein bisschen List, mit ein bisschen Glück, mit ein bisschen Geschick wird unter Umständen bisweilen sogar mal ein echter Gedanke draus; ein Gedanke, der nur darauf wartet, von möglichst vielen zweibeinigen Informationsträgern gehegt zu werden.

Inception. Für den Mann auf der Straße. Das ist die echte Triebhaftigkeit der Geschichte. Der Wille zur Macht. Und zu den dazu gehörigen Machenschaften. Ist ja klar. Sonnenklar. Für aufgeklärte Genossen und Freunde.

Wie meinen? Ach Quatsch. Kein Thema.

Keine Glorious Revolution. Keine Real News. Keine Wahrheit. Keine Gerechtigkeit jedenfalls nicht in rumänischen Landen.

Klartext: Nix. Genauer gesagt, Null Komma Nix. Das ist alles, was nach dem Fressen kommt. Hinter allem steckt ein Plan. Ein unheimlicher Plan.

Stichfrage: Was hatten der angeblich verhasste Alfred Ill, der angeblich verhasste Ceausescu und der angeblich verhasste Dracula (gemeint ist hier nicht die literarische Figur, sondern der walachische Fürst Vlad Tepes, eigentlich Vlad III. Drăculea, der als Muse dazu herhalten durfte) gemeinsam?

Antwort: Sie waren ihren Zeitgenossen gar nicht so verhasst und im Wesentlichen auch nicht anders veranlagt als ihre "Berufskollegen" (in diese Gruppe fallen Vampire, Geschäftsleute, Politiker und dergleichen). Sie waren Männer ihrer Zeit. Ihre Schandtaten (um den Begriff mal ein bisschen überstürzt und ohne allzu viele methodologische Skrupel in den Raum zu stellen, so wie es ja, Hand aufs Herz, in der Regel der Fall ist) galten in ihrem engeren wie in ihrem weiteren Umfeld jahrzehntelang als wenn schon nicht ethisch, dann doch immerhin machtpolitisch vertretbar und angemessen. Bei allen drei gab es jeweils jemanden, der sie im Nachhinein zweckmäßig orchestriert dämonisierte, um die Meinung zu vermitteln, sie seien noch schlechter gewesen als die Zeiten bzw. die sozialpolitische Wirklichkeit, innerhalb derer sie lebten und wirkten. In allen drei Fällen handelte es sich um eine jeweilige Manipulation der Öffentlichkeit.

Ein gescheites Wort: Pfusch di, alter Haberer! Jetzt san die neuen Haberer dran! Vae victis. Oder auf gut Denglisch: Wurschtegal it is! Und: Dulce et decorum est pro patria mori. Latein ist Trumpf.

   Wie in Dürrenmatts Besuch war während der rumänischen Wende die Meuchelmord-Lust keineswegs spontan, sondern vielmehr sorgfältig geplant und inszeniert. Die allermeisten Rumänen dachten in Wirklichkeit gar nicht daran, Ceausescu zu ermorden. Und der vermeintliche Hass des Volkes gegen das Diktatoren-Paar, der dann im Nachhinein als Rechtfertigung der Dezembermorde erfunden wurde, war auch ein Schmarrn. Eine kreative Nachdichtung.

Dass die Russen schon seit 1987 einen Staatsstreich in Rumänien vorbereiteten, hatte sich freilich längst herumgesprochen. Ob das auch eine gute Sache sei, war damals naturgemäß nicht so leicht auszumachen. Die meisten Rumänen hofften 1989 einfach, dass Ceausescu jetzt, da die Auslandsschulden beglichen waren, den Gürtel ein bisschen lockern würde und dann, o, well… Business as usual. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt, sprich ohne den Genossen, gemacht. Denn der wollte nun mal herzlich gerne weiter sparen. In der Hoffnung (sprich Fehlkalkulation), Rumänien könne wirtschaftlich und politisch unabhängig werden. Dass sein Rumänien nicht ins neue europäische Puzzle passte, dass es nicht mehr in die Wirklichkeit passte, die um das Land herum gewachsen war, wollte und konnte er als geborener Linksradikaler nicht wahrhaben.

"Euer Europa kann mich mal! Alles, was für mich zählt, ist mein vielgeliebtes Ländle!" Diese hierin sinngemäß wiedergegebenen noblen Worte einer bis ins Lächerliche verklärten Heimatliebe hatte schon der anfangs dieses redlichen Exkurses zum Thema Kreative Geschichtsschreibung zitierte rumänische Bühnendichter Ion Luca Caragiale seinerzeit einem Politiker in den Mund gelegt, der sich ebenfalls bestens auf die hohe Kunst der Demagogie verstand. Die nach Ceausescu kamen, haben ihn freilich übertroffen. Darin besteht das tragische Moment der rumänischen Wende, der massiven Medien-Manipulation, der vorgegaukelten Revolution, ja der Blendung.

Die nach fast dreißig Jahren immer noch durchaus brenzligen Fragen rund um die Dezembermorde im guten alten Rumänien: Wer hat verloren? Wer hat gewonnen? Welches war die übergeordnete Logik der Ereignisse? Oder: Gab es überhaupt eine übergeordnete Logik?


Wer hat wann und wo wieviel kassiert?

   Unwesentlich? Von wegen! Schon Kissinger, ein vielfach beklatschter Nobelpreisträger kabbalistischen Schlages, der seinerseits ein Lied zum Thema Staatsstreich, Revolution und Meuchelmord zu singen weiß, hatte es einmal gemeinsam mit Sherlock Holmes und Hercule Poirot trefflich auf den Punkt gebracht: Follow the money! Und wir wollen’s natürlich auch so halten.

"Es gibt keine Geldspur", beteuerten allerdings die Profiteure der Wende mit diebischem Blick. "Jedenfalls können wir keine sehen. Und wenn schon, dann führt sie bestimmt direkt zum Genossen. Nur zu ihm. Nicht zu uns. Ja, genau. Er hat alles mitgenommen. You know, auf die Große Reise. For the ferryman. Riesige Koffer. No kidding. Unsichtbare Koffer. Das Ding an sich. An sich und für ihn. Nicht für uns."

"Es gibt auch keine Blutspur", beteuerten die gleichen Profiteure der Wende mit demselben diebischen Blick, der jetzt freilich auch unverkennbar mörderische Züge annahm. "Und wenn schon, dann führt sie … na ja, Sie wissen schon, ebenfalls zum Genossen. Er hat alles höchstpersönlich gemacht. Die Schulden beglichen, den Sparkurs angeordnet, die geistige Vaterlandsverteidigung ad absurdum getrieben: a one-man show." Und in seiner Paranoia bildete sich der Diktator ein, dass ihn jemand erschießen wolle. Totaler Schwachsinn, wenn Sie mich fragen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

"Genosse Diktator, niemand will Sie ermorden. Vertrauen Sie uns. Alles wird gut."

Na ja, es wurde bis zuletzt wohl doch nicht alles gut. Was aber nicht heißen will, der Diktator habe recht gehabt. Denn er hätte sich ja auch irren können, wenn ich mich nicht irre.

Was hoams g’sogt? Total irre! Recht hoams. Des is Politik. Die Politik der Rechthaberei. O mei! …

   Recht und Gerechtigkeit, das ist immer so ein Thema. Bei Friedrich Dürrenmatt etwa tritt die schlimmstmögliche Wendung durch Zufall ein. Mais la réalité dépasse la fiction. In der rumänischen Wende-Wirklichkeit trat die schlimmstmögliche Wendung denn auch keineswegs etwa durch Zufall ein. Das war alles peinlichst berechnet. Teuflisch geplant. Abertausende Tote als Kollateralschaden einer grandiosen Inszenierung. Die Tele-Revolution mit Pommes, Spießbraten und Bier bequem von der Couch aus erleben: was für ein geiles Programm!

Bist du nicht gut, dann geh!

Dies ist die Story des (in den Siebzigern mit allen denkbaren Ehren des Westens überhäuften) seligen Diktators Nicolae Ceausescu, der 1989 gemeinsam mit seiner (un)gnädigen Frau Diktatoren-Gemahlin an "Bleivergiftung" (Stichwort Killer-Kommando) verunglückte; die Story des allerersten unter massiver Anwendung der Medien ausgeübten und aufgemöbelten Staatsstreichs in der ganzen Geschichte der Menschheit; die Schilderung eines Meuchelmordes, anhand dessen sowohl die tatsächlich nachweisbare als auch vor allem die erfundene historische Schuld des von den Ereignissen der Stunde überholten Regimes einem einzigen Menschen (okay, zwei Menschen: dem Diktator und seiner Frau) zugeordnet wurde. Eine Mär vom Aufstieg und vom Fall. Engelhaft verteufelt. Ein äußerst anschauliches Beispiel des negativen Messianismus; auch kalendarisch kreativ-makaber inszeniert: zu Christi Geburtstag. Ein kommunistisches Wintermärchen. Mit seinem Fluch, mit seinem Segen.

Der Führer als Erlöser, der (zur großen Erleichterung seiner Helfershelfer, nennen wir sie mal vorläufig die vielen Ludendorffs) die volle Verantwortung übernimmt. Wie bei den großen Pharaonen und Königen und Häuptlingen der dunklen Zeiten musste der beliebteste Sohn des Vaterlandes, also klar, an Schmeicheleien von Seiten der eifrigen Untertanen hat’s nicht gefehlt, die Große Reise aber keineswegs etwa allein antreten. Über tausend weitere Opfer wurden gleich mal mit ermordet. Volle 64.000 hätten es wohl laut Plan seien sollen.

Fake news? Ja doch! Verkauft sich wunderbar!

   Die im August 2018 weit über das politische Über-Ich des Homo draculiens draculiens hinweg voll und ganz zur Schau getragene Zerrissenheit der rumänischen Gesellschaft, die repressive "state of mind" der Ordnungskräfte, die tiefgreifende moralische Unbeholfenheit der "neuen", innerhalb wie außerhalb des Karpatenbogens hinterhältig gekrümmten Zeit, das ist alles auf die hierzulande in den letzten drei Jahrzehnten trotz aller demokratischen Bestrebungen eines Teils der Gesellschaft nicht zur Reife gekommene Wende zurückzuführen. Schuld daran ist die Große Lüge der glorreichen Revolution, ja die Annahme, dass überhaupt eine glorreiche Revolution stattgefunden habe bzw. dass diese siegreich gewesen sei.

Zerstückelt man aus methodologisch-wissenschaftlichen oder sagen wir mal aus staatsrechtlich-ermittlungstechnischen Gründen den 22. Dezember und nimmt man alle an diesem vorweihnachtlichen Tag entscheidenden Fakten zweckmäßig unter die Lupe, so sieht man "auf diesem Bild" (wörtlich: auf diesem Bildschirm, dem Bildschirm der "Ereignisse", die den Rumänen wie den restlichen "Fernsehguckern" dieser Welt einem ausgeklügelten Manipulationssystem gemäß systematisch unter der Marke "the Real Deal" gespeist wurden) die aus einem Meer von Zusammenhängen (in der "Nacht der Generäle" durch die rumänische Armee verursachtes Blutbad, Massenproteste am Vormittag, Abwendung der Securitate-Führung von Ceausescu und Abzug der Securitate-Truppen vom Palast des Zentralkomitees der RKP am frühen Nachmittag, Ceauesescus von seinen Armee-Generälen, die ihn noch bald genug oder besser gesagt nicht bald genug ebenfalls verraten sollten, organisierte Evakuierung per Hubschrauber, dann der infolge des Securitate-Treubruchs zeitnah erfolgte militärische Staatsstreich (keineswegs gegen das System, sondern vielmehr gegen eine Person gerichtet: gegen die Person des Führers), der Jubel der Demonstranten über den vermeintlichen "Sieg der Revolution" und schließlich am Abend die unter faulen Losungen und der schleunigst aus dem Ärmel der "Revolution" hervorgezauberten Erfindung von unheimlichen "Terroristen" von den Putschisten betriebener Staatsterror) zusammen geflickte Mär der Revolution. Eine grandiose Inszenierung. Und jetzt, anno 2019, wissen wir jedenfalls genug, um zu sagen: eine dubiose Inszenierung.


Die rumänische Genozid-Mär zwischen Fake News, Horror-Serie und Self-Fulfilling Prophecy

   So gut wie alles, was in den zehn Tagen, die Rumänien erschütterten (also ungefähr vom 16. 12.1989 bis zum 26.12.1989), von verschiedenen zum großen Teil selbsternannten Mediensprechern, Fernsehredakteuren, Putschisten und den natürlich ebenfalls prompt hergelaufenen Straßendieben, Gaunern und Opportunisten jeglicher Art allen voran die Großen Tiere und Profiteure der alten Regierung, die jetzt auf einmal schon immer insgeheim gegen Ceausescu geflüstert haben wollten und sich in der "Stunde der Wahrheit" mit beträchtlichem patriotisch-revolutionären Gehabe dazu bereit erklärten, vorläufig mal kurz die Macht zu übernehmen, denn für alle Verbrechen der Vergangenheit habe ja das Diktatoren-Paar gebüßt, weg ist weg, nicht wahr? Es lebe das Volk und der wahrhafte Kommunismus! Die russische Armee steht uns bei! Spasiva! Der Führer war soo! … ein Schwein, jetzt liegt er in Ketten, Gott sei Dank, jetzt können wir’s sagen, spucken wir ihm doch alle ins Gesicht, and, while we’re at it, spucken wir uns auch gleich mal selber ins Gesicht, rette sich, wer kann, und klaue ein jeder, was er kann, denn Wende, das kommt von Wendehals, right? war erstunken und erlogen.

Und noch eh die Nacht vergangen dieses blut’gen Dezember, war … wa-wa-wa! … ta-ta-ta-ta! … ra-pa-pa-pa, ra-pa-pa-pa … Alle Jahre wieder … so ein Schwein! Schlachten wir doch unseren Führer! Nichts für ungut, ehemaliger Genosse, Großfürst und Gebieter!

Kehrt mit seinem Segen bei uns Menschen ein, / Geht auf allen Wegen … Oder halt! Nein, auf allen Umwegen. Hmm … Nein! Das ist keine echte Christmas Story. Das ist keine echte Revolution. Hier scheint alles verkehrt abzulaufen. Bevormundung-Alarm! Leute! Man führt uns in die Irre! Wie bitte? Das ist schon längst wohlbekannt? Egal! Es lebe die Revolution! Schreiben wir Geschichte!

Einen Bleistift! Einen Bleistift! Und ich brauch schon wieder mal mein Radiergummi.

Ein Blick ins tiefere Seelenleben der glorreichen Haberer und Genossen, die im Dezember an die Macht kamen. "Die neuen Götter heißen uns, die Schandtat unverzüglich in blindem Gehorsam zu vollbringen." Im blinden Gehorsam den neuen Gebietern gegenüber, versteht sich. Fortgeschrittene Staatspolitik … Na ja, Seele: Das ist viel gesagt.

In Acht und Bann! Der Kerl ist vogelfrei.

   Der Genosse hat ausgedient. Schlitzen wir ihm den Bauch auf! Braten wir ihn an! Sowas gibt Mut und Kraft zu jeder Zeit. Kochen wir ihn! Beißen wir zu! Junge, Junge, was für prächtige Backzähne wir haben! Freiheit! Demokratie! Free Enterprise! Trinken wir sein Blut! Lecker! Die bestmögliche Transsubstantiation! Erlösung pur! Vater unser, der du bist … Ein Opfer auf dem Altar des, auf dem Altar der … hmm, auf wessen Altar? Verdammt nochmal! Wissen wir denn eigentlich, was wir da machen? Wissen wir, hinter wem wir herlaufen? Wessen Parolen wir wiederholen? Wessen Gedanken wir hegen, im Sinn haben?

Habe den Mut, dich deines Verstands … Unsinn! Wir haben keinen Mut. Wir haben Angst. Wäre es wenigstens halbwegs in Ordnung, das Ganze trotzdem Aufklärung zu nennen? Schließlich sind wir’s gewohnt, uns an die althergebrachte, an die jahrhundertelang eingetrichterte Sklavenmoral zu halten. Gebt mir einen Stützpunkt, und ich hebe die Erde aus den Angeln! Sagt mir, wer der neue Boss ist, und ich sage weiterhin Jawohl, mein Führer! Richtung Neuer Boss. Total aufgeklärt. Hoch lebe die Revolution! Und um uns ja keine Blöße zu geben: Hoch lebe die Gegenrevolution! Wir haben Angst. And that’s a fact.

Schreibblockade: Mir fällt nichts mehr ein.Das meiste, was ich nieder kritzele, ist sowieso abgeschrieben. Ich bin bloß ein Kopist. Ich kann zwar machen, was ich will, aber nie und nimmer wollen, was ich will. Echt trübsinnig. Ach was, wir sind alle bloß Kopisten!

Wer war zerschossen und gefangen? That is the question.

   Die internationalen Presseagenturen haben die Fake News der windigen Gesellen, die sich wie Aasgeier auf Ceausescus Überreste stürzten, nicht gecheckt, sondern der Welt bereitwillig als bare Münze feilgeboten. Von den Rumänen hätte man ja damals streng genommen nicht so viel erwarten können, von "uns" westlichen Recken der vermeintlich objektiven Berichterstattung, aber schon.

"Ihr naht euch wieder, windige Gesellen", dichtet mein Freund, der Geheimrat, in etwa. Und sieh einer an! Was hamma da? Die Medien mit ihrem unüberbietbaren Geschick, Fake News im Handumdrehen in Real News umzuwandeln. Hauptsache, der Mist hört sich spannend an. Nichts für ungut, Jungs, aber alle Journalisten, die sich im Dezember 1989 missbrauchen ließen und die Fake News der Haberer fahrlässig verbreiteten, heben jetzt bitte mal kurz die rechte Hand und sagen: "Guilty as charged."

Prolog im Fernsehen: Die Mär vom rumänischen Genozid (von der jeder auch nur einigermaßen informierte Player natürlich wusste, dass es sich um eine miese, wohlgemerkt im Voraus ausgeklügelte und disseminierte Lügengeschichte handelte) schien damals nun mal recht gut ins Konzept der Schlagzeilen zu passen. Der Führer war angesichts des internationalen Drucks sozusagen in allerletzter Sekunde oder, na ja, eigentlich ein paar Sekunden zu spät schließlich doch noch von seinen (wohlgemerkt ebenso kriminellen)Lakaien fallen gelassen worden, des Genozids "überführt", für vogelfrei erklärt, beschimpft, misshandelt und unter Heranziehung bewährter Methoden (Blei) sicherheitshalber auch gleich mal mundtot gemacht worden. Denn sonst hätte er bestimmt ausgepackt.

Und dann haben sie, die abscheulichen Lakaien des Diktators (und nunmehr die neuen Herren im Lande, ach, wie gut sich alles fügt! Freiheit und Demokratie! Und lasst den Rubel rollen! Aber bitte in unsere Richtung! Europe, mon amour!) ihr Bestes getan, dazu beizutragen, dass der wirkliche Tatbestand wenigstens im Nachhinein an die Anklage ("Genozid", 64.000 Tote usw.) angepasst wurde. Denn ohne corpus rea tun ma keinen Schritt.

   Die gesamte "Anklage" wurde aus Fake News zusammengebastelt bzw. aufs Grobschlächtigste aus der Luft gegriffen. Vor allem den für die Massaker in Timisoara und Bukarest verantwortlichen Generälen (die Ceausescu bis zu seinem Sturz blindlings ergeben waren) und den sonstigen an den Dezember-Morden unmittelbar beteiligten Offizieren der rumänischen Armee lag nach der Vollführung des unter sowjetischer Schirmherrschaft verübten Staatsstreichs sehr daran, die Angelegenheit schnell zu vertuschen und die Schuld für die Morde auf die Securitate zu schieben. "Pardon! Das waren nicht wir. Das waren die Kollegen. Lässt sich doch leicht umdrehen. Wo stecken denn bloß die Regisseure? Ach, da sind sie ja! Alles bestens. Wir sind die Guten. Gegen uns liegt nichts vor. Vernichten wir die Beweise!"

Die rumänische Justiz (Klartext: eine recht erbärmliche Justiz) hat die Dezember-Morde (die nun schon fast dreißig Jahre zurück liegen; ergo: Schwamm drüber; ist uns alles egal; wir wissen ja nicht einmal mehr, wer vorgestern ein Tor geschossen hat; wer wird sich denn jetzt noch daran erinnern wollen, wer 1989 wen aufs Korn nahm bzw. ob Ceausescu ein italienischer Renaissance-Maler oder eben ein rumänischer Diktator bzw. unser Lamm, unser Schwein, tja unser Erlöser war) übrigens nie klären können bzw. wollen. Denn diese Justiz hält die Augen offen. "Wär ja auch blöd, sie zu schließen, gell?"

Dabei hätte man nur nachfragen müssen, denn sämtliche Einsätze der rumänischen Truppen wurden genau dokumentiert; nur war den Rumänen nach Ceausescus Hinrichtung die Tatsache, dass die  eigene Armee wenige Tage zuvor einfach blindlings auf Kommando ("Wir haben nur Befehle ausgeführt.") die Demonstranten in Timisoara und Bukarest massakriert hatte, wohlgemerkt so peinlich, dass sie es dann nach dem auf den Befehl der neuen Gebieter, Genossen und Götter an ihrem "vielgeliebten Führer" verübten Vatermord lieber auf einen imaginären Krieg gegen imaginäre Terroristen ankommen ließen, in dem jeder so lange auf Krähen schoss, bis dann am Ende die sogenannte "Ehre" der Armee wieder intakt war. Und tausend Mann lagen tot am Boden. Collateral damage. Opfer des Tricks. Und die sie erschossen haben: "Helden der Revolution". Geld und Ruhm. Erlogen und erstunken.

Die Armee ist mit uns! Ein Slogan jener Tage. Ebensogut hätte man sagen können: Die Killer sind mit uns!

   Feigling, Mörder, Held, Opfer, Täter oder von jedem ein bisschen? Verteidigungsminister Vasile Milea, der 1989 den Befehl für die Massaker in Timisoara und Bukarest  erteilte (und dann am 22. Dezember angeblich Selbstmord beging), wurde später in grotesker Anerkennung seiner Treue zu Ceausescu und dessen totalitärem Regime post-mortem befördert und zum Helden der "Revolution" stilisiert. Grotesker geht's nicht. Oder doch: Man könnte ja Ceausescu höchtspersönlich ebenfalls post-mortem zum "Helden der Revolution" erklären. Da Ceausescus Befehl gelautet hatte, unter Achtung der gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen nur im Falle eines Angriffs und nur auf die Beine zu schießen, mag er immerhin im Nachhinein etwas menschlicher anmuten als seine "heldenhaften" Helfershelfer. Viele der Killer haben sich dann nach der Wende Zertifikate als "Held der Revolution" zustecken lassen. Diese mit beträchtlichen materiellen Vorteilen verbundenen Zertifikate gibt es bis auf den heutigen Tag. Tausende wurden freilich mittlerweile als erschlichen und ergaunert aberkannt.

Mehr als die Hälfte der Rumänen soll, so manche Umfrage, nicht von ungefähr die Meinung vertreten, Ceausescu sei ein guter Führer gewesen, und 43 Prozent der Wählerschaft würden ihm jetzt ihre Stimme geben (wenn er noch da wäre, versteht sich); und zwar nicht nur deswegen, weil sich die Leute im Osten wie im Westen unter Umständen gern vertrotteln lassen; aber eben auch deswegen. Aber Zombies kann man ja nicht wählen, oder?

Der in der ersten Phase seiner Regierungszeit vom Westen bejubelte Präsident Nicolae Ceausescu hatte in der zweiten Phase seiner Regierungszeit leider Gottes viele Jahre lang an einer Krankheit gelitten, die es jetzt in ihrer ausgeprägten Form wohl nur noch in Nordkorea gibt: an der Persönlichkeitskult-Sucht, mit der er sich Anfang der siebziger Jahre ansteckte, wenn ich mich nicht irre. Dass es für ihn an der Zeit war, zu gehen, darauf hatten sich die Russen und die Amerikaner geeinigt. Nur hätte sich das, wenn die Führung der rumänischen Armee Rückgrat bewiesen hätte, wohl wie in den anderen osteuropäischen Ländern blutlos ereignen können. Doch Rumäniens Verteidigungsminister Vasile Milea, ein absolut treuer Gefolgsmann seines Führers und Gebieters, erteilte der rumänischen Armee den Befehl, friedfertige Demonstranten zu massakrieren. Dass jetzt viele von ihm behaupten, er sei ein Held gewesen, ist unfassbar und zeigt auf, wie dürftig es in Rumänien um die praktische Vernunft bestellt ist.

   Fake news all over, wie der Minnesänger einst sagte. In Wirklichkeit gab es natürlich keine sechshundert US-Kampfhubschrauber mit der geheimen Mission, Ceausescus Leben zu retten. Auch nicht for old time’s sake. Die Zeiten, da Ceausescu unser Mann in Bukarest war, lagen weit zurück; weit zurück lag auch das Echo des riesigen Jubels, dessen er in seinen besten Jahren von Seiten des Westens Anteil hatte. Es gab keinen Genozid, aber immerhin einen ruchlosen Diktator. Dass Ceausescu das Trinkwasser vergiften lassen habe und dass seine Schergen die Blutvorräte der Krankenhäuser in die Luft gejagt hätten usw., stimmte ebenfalls nicht. Es gab keine Securitate-Einheiten, die ihn befreien wollten. Ganz im Gegenteil, denn gerade die Nachrichtendienstoffiziere wussten ja besser als alle anderen, dass die Tage des Führers seit geraumer Zeit gezählt waren, weswegen sie sich vorsichtig zurückhielten.

Schauen wir mal durch die Zeitlinse. Man schreibt das Jahr 1989. Ceausescu ist in Wirklichkeit schon seit zwei Jahren ein toter Mann. Gorbatschow soll es einmal so formuliert haben: "Niculai wird nicht mehr lange leben." Wie hatte er es denn bloß erraten? …

Warum nach Ceausescus Gefangennahme tausend Menschen sterben mussten, darüber will die rumänische Justiz bis heute keine klare Antwort. Warum Ceausescu sterben durfte, will erst recht keiner so genau wissen. Die Meinung, Ceausescu musste dran glauben, weil er schon 1968 die Sowjetunion "verraten" hat und sich auch sonst immer wieder einfach nicht kleinkriegen ließ, verbreitet sich zunehmend vor allem auch deswegen, weil die rumänische Wirtschaftsleistung nach der Wende (die übrigens unter den Leuten nicht nur "militärischer pro-sowjetischer Staatsstreich", "Revolution" und dergleichen mehr, sondern bezeichnenderweise gerne auch nicht von ungefähr "Zerstörung der Volkswirtschaft" bzw. "unverhältnismäßige Ausbeutung (Plünderung) der Ressourcen" genannt wird) einbrach und es heute unzähligen Rumänen schlechter geht als zu Ceausescus Zeiten (manche lassen es sich dabei aber natürlich beträchtlich besser gehen). Nur erfolgte die Umverteilung naturgemäß eher nach dem Prinzip Fressen als nach dem Prinzip Moral.

   Homo homini lupus. Fledermauso fledermausi gugus (Achtung: Schwiitzerdeutsch-Alert). Hesses Steppenwolf (der eigentlich, den Verdacht werde ich nicht los, ein Werwolf war, ein schwäbischer Werwolf der gutmütigeren Sorte) und Draculas Jungs rumänischer Ausdrucksweise lechzen diesseits wie jenseits der Zeitgeschichte nach Blut. Wir sind allesamt ein Zombie-Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und … na ja, also irgend etwas müssen die vielen Vampire der Vergangenheit ja auch trinken.

"Damage control!", brüllten die kriminellen Generäle der rumänischen Armee, als The Big Boss, "der Genosse", der beliebteste Vampir des Vaterlandes, dingfest gemacht wurde. "Wir brauchen schnell damage control! Was haben wir denn bloß angestellt! Jetzt werden wir all die Morde, gut zweihundert sind’s allein in Timisoara, Cluj und Bukarest gewesen, zu verantworten haben. Verdammt! Das geht uns an den Kragen. Doch wir haben ja nur die Befehle des "Genossen" ausgeführt."

Und nach sehr kurzem Überlegen kam schon der rettende Gedanke: "Ach was, schießen wir einfach weiter. Auf die Menschen oder eben nur so drauflos. Und wenn dann wer fragt, sagen wir, es sei uns ganz so vorgekommen, als hätten wir einen verflixten Terroristen gesehen oder so. Einen Haberer, verstehen Sie? Besser, Hunderte. Und wenn all unsere Dezembermorde aufgedeckt werden, sagen wir, das seien nicht wir gewesen, sondern die Securitate-Leute. Denn schließlich sind die ja ebenso große Dreckskerle wie wir. Mann ist Mann. Uniform ist Uniform. Wolfsfell ist Wolfsfell. Total austauschbar. Bert Brecht.

Ein vortreffliches Szenario. Die schlimmstmögliche Wendung fürs Land, die bestmögliche Wendung für uns. Zeter und Mord! Zerbomben wir doch gleich mal ein paar historische Bauten in Bukarest und sagen dann, das war die Securitate! Wir waschen unsere Hände im Blut der Unschuldigen, ähm … Berichtigung: In Unschuld! In Unschuld! Möge der selige Vampir, Gevatter Ceausescu, unser vielgeliebter aus göttlicher Vorsehung zu Weihnachten in die ewigen Jagdgründe beförderter Super-Diktator die Schuld für alle Gräueltaten übernehmen, die wir je verüben werden. Wir haben euch doch immer geliebt … Will heißen Die Armee steht zum Volk! Na ja, also jedenfalls von nun an. Ähm … Howgh!"

   Die Protokolle der "Gerichtsverhandlung" wurden von den Beteiligten natürlich in blanko unterschrieben. "Recht und Gesetz? Wos? Nie gehört. Wie bitte? Was i von Beruf bin? Na Rechtsanwalt. Unterschreiben können ma. Sogar leidlich. Und das wärs dann schon wieder. Servus! Ach ja, und Es lebe die Revolution! Erschießen wir das Schwein!

Sieh einer an! Die GRU-Bosse (sowjetischer Militär-Geheimdienst) sind hier! In unserer Kommandozentrale! Alles klar! Nein, wir leisten keinen Widerstand. Zu Befehl, Genossen und Großfürsten des GRU! Wir machen alles, was Sie befehlen! Als erstes die Offiziere des rumänischen Nachrichtendienstes verhaften und dämonisieren? Passt. Krieg ich jetzt den versprochenen Mercedes?"

Womit sich unsere heldenhaften sowjetisch-hörigen Deppen, die im verbrecherischen Schwung der Gerichtsmaskerade mit einer sonst wohl in diesem absolut grotesken Ausmaß nie gelungenen Nibelungentreue alles in blanko unterschrieben haben, später noch brüsten sollten, sei das doch, so die Logik der Jasager, ein Ausdruck des Mutes gewesen. "Habe den Mut, immer untertänigst Ja zu sagen und alles a priori zu unterschreiben, soweit du dabei hoffen darfst und kannst, sagen wir mal von einem x-beliebigen durch den Dreck seiner Herren und Gebieter kriechenden Zivilisten in einen heldenhaften General der rumänischen Armee umgewandelt zu werden." Kant auf Rumänisch. Oder Kafka. Mitsamt Ungeziefer. "Ich hab euch doch immer geliebt."

Okay, dieses Zitat passt nicht.
Na und? Dann passt es um so besser!

Das war so. Zuerst wurde die Entscheidung getroffen, den Diktator in ausgesprochen menschenverachtender Art und Weise zu ermorden. Dann wurde das Killer-Kommando ausgewählt. Und der Hinrichtungsplatz. Dann wurde dem Gerichtshof befohlen, den Diktator ganz schnell des Genozids zu überführen. Dann wurde das Protokoll von allen Verantwortlichen (allen Ernstes) in blanko unterschrieben. Dann wurde "der Genosse" ermordet. Dann wurde alles Mögliche zu den Unterschriften der ganzen Bande hinzugedichtet.

Dieser Fall ist klar, lieber Herr Kommissar, auch wenn sie andrer Meinung sind: Genozid. Und mittlerweile wurde intensiv versucht, anhand allerlei im Fernsehen verbreiteter Fake News einen Bürgerkrieg anzustacheln, um der Dichtung Wahrheit zu verleihen. Die Würde des Menschen? Super-unantastbar!

   Ceausescus sogenannter "Verteidiger" bei der Diktatoren-Beschimpfung ist übrigens aus lauter Eifer noch ärger über ihn hergefallen als die Staatsanwaltschaft; als Belohnung dafür, dass er seinen Kunden, den er doch nach bestem Wissen und Gewissen hätte verteidigen sollen, mit großem Eifer beleidigte und verleumdete, wurde er alsdann natürlich in allen Ehren in die Armee aufgenommen (so eine Armee kann dergleichen Schurken gut brauchen, klar; Geld und Ruhm; Geld um Ruhm und keiner weiß warum) und das ist jetzt aber nicht übertrieben zum General ernannt. In der Tat die schlimmstmögliche Wendung. Es würde sich einer schier vor Lachen schütteln, wenn die ganze Mär denn nicht so sehr zum Weinen wär.

Am End’ is olles … Na ja, Sie wissen schon. Umasunst.
Welch ein trefflicher Wahlspruch!


Epilog in Sachen Wende-Münchhausen, Mörder-Moral, Erlösung durch den Führer,Staatsterror, Angstmanagement und Demokratie-Kur

   Ein paar Monate nach der Wende, also im Frühjahr 1990, war ich zufälligerweise schon wieder mal in angemessener Begleitung am Fuße unserer guten alten Karpaten unterwegs. Und wie es sich denn manchmal sogar an nobleren Orten so fügt, wenn einer sich auf die unfeineren Exemplare der Subspezies sapiens sapiens (also doppelt, dabei aber jeweils nur a bisserl sapiens) einlässt, sah ich einen fettleibigen Kraftkerl walachischen Schlages, der nach einem letzten tüchtigen Schluck tatkräftig rülpste und sich alsdann in vorbildhaft revolutionär-demokratischer Art und Weise daran machte, zu leiern. "Ole, ole, ole, ole, Ceausescu ist nicht mehr da! …" Und dann musste der Bier-und-Bratwurst-Held natürlich gleich noch einmal rülpsen. Worauf sein Sohn die einschlägige Frage stellte:


- Warum habt ihr ihn denn umgebracht, Vati?

- Hör mal gut zu: Wenn ich mir ein Bier kaufen will, geh ich jetzt dorthin, wo das Bier billiger ist. Alles klar? Billiges Bier, nicht teueres Bier! Das nennt man Freie Marktwirtschaft. Jetzt samma frei. Alle Genossen san frei, seit der Genosse weg ist.

- Ach so. Und konntest du denn früher nicht dort einkaufen, wo das Bier billiger war?

- Doch, aber …

- Aber?

- Ach! Du verstehst das nicht. Ich weiß, ich weiß … Du kannst nichts dafür. Bist einfach nicht groß genug. Dir fehlt die Einsicht. Und der Mut.

- Der Mut?

- Der Mut, dich deines Verstandes zu bedienen. Checkst du das?

- Ja, Vati.

- Brav so! Denn jetzt hamma die unsichtbare Hand.

- Aha. Die hab ich bisher noch nicht gesehen.

- Genau. Du kannst sie gar nicht sehen. Niemand kann sie sehen. Adam Smith. Die unsichtbare Hand. Das ist nun mal so, verstehst du?

    - Ich verstehe. Nur …

    - Lass sein. Du checkst das nicht.

    - Doch! Doch! Nur, warum habt ihr ihn denn umgebracht?

- Kurzum, wir haben ihn kaltgemacht, weil er uns kaltgemacht hat. Genozid! Beyond a reasonable doubt. Klar? Es gibt uns gar nicht mehr. Wir sind allesamt Zombies [was bei Draculas Nachkommen wohl nicht Wunder nimmt]. Nach seinem Tod hat der Genosse die Volkswirtschaft auf den Hund gebracht. Das machte übrigens einen der vier Anklagepunkte aus. Wir ahnten, dass er das nach seinem Tod tun würde und haben ihn schon im voraus dafür erschossen. Wir haben ihn aufs Korn genommen, weil er die Sowjetunion und den Kommunismus verraten hat. Checkst du das?

    - Ja, Vati.

    - Guter Junge. Guter Junge. 1968 hat sich das feige Schwein lautstark gegen den Einmarsch sowjetischer, bulgarischer, ungarischer ostdeutscher und polnischer Truppen in die Tschechoslowakei gestellt. Sowas vergibt man nicht. Dies war die Stunde der Rache.

    - Ja, Vati.

    - Und weil er schon so lange an der Macht war. Leute, die auch dann noch an der Macht festhalten, wenn sie unzeitgemäß geworden sind, muss man loswerden. Außerdem ist das bei einem Staatsstreich immer so. Der Präsident wird umgelegt. Hat man ihm übrigens klar erläutert. Viermal. Auf Russisch.


   Die Leute hatten sich halt bestens mit Ceausescu und seinen Mannesmannen arrangiert. Als er dann weg war, arrangierten sie sich schnell mit den neuen Herren im Land und wählten prompt die alten Lakaien des Führers an die Macht, an deren Händen noch das Blut der vom rumänischen Militär aus absoluter Treue zum Führer in blindem Gehorsam ermordeten Demonstranten in Timisoara und in Bukarest klebte. Dem Pöbel verkauften sie die Notlüge, es handle sich dabei allein um das Blut des Diktators. Und die Leute wählten die alten Handlanger.

In der Hoffnung, dass alles beim Alten bleibe. Denn 1989 und 1990 waren die Rumänen nicht bereit, eine neue Gesellschaftsordnung in Kauf zu nehmen. Sie hatten Angst vor grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen. Angst davor, in der kapitalistischen Welt nicht konkurrenzfähig zu sein. Sie wählten die Vergangenheit, ohne zu ahnen, dass Rumäniens Kurs längst auf höherer Jalta-Malta-Ebene entschieden wurde und es nun, ob sie, die ewig bevormundeten Schildbürger eines Lakaien-Staates mit alteingesessener balkanischer Mentalität, es nun wollten oder nicht, Richtung Europa gehen sollte. Sie wählten das, was ihnen das kleinere Übel zu sein schien, das ihnen jahrzehntelang Vertraute, und nicht die neuen politischen Parteien, von denen sie ja so gut wie nichts wussten.

Das klingt auf Anhieb extrem blöd, ist aber doch wenigstens in etwa nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es damals in Rumänien keine privaten Fernsehsender gab und dass alle Menschen ihre Informationen tagtäglich von dem einen staatlichen Fernsehsender bezogen, den Ceausescus Helfershelfer bzw. "Erben" nach wie vor fest in der Hand hielten. Eine triste Karikatur, von der nichtsdestoweniger mit Nachdruck behauptetet wurde, es handle sich um eine "Emanation der Revolution". Zitat zu Ende. Romania over and out.

Way out. (was hier heißen will: weit weg)

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, genau in Erfahrung zu bringen, wer wann wo auf wen geschossen hatte, nur, so genau wollten es die neuen alten Machthaber ja auch nicht wissen.

   Es sollte Jahre dauern, bis es zu einer tatsächlichenWende kam. Der politische Wille zur Vergangenheitsbewältigung war halt 1989 nicht da. Kein Wunder, wenn man die Tatsache in Betracht zieht, dass die vorliegenden Beweise Richtung politische Klasse (und Militärs) wiesen. Die Mörder von gestern hatten nach wie vor das Sagen. So vertuschten sie denn die Beweise.

Es wurden wie gesagt sogenannte Revolutionszertifikate verkauft. Ein rumänisches Ding. Ein Ding, das seinesgleichen sucht. Jeder, der ein derartiges Zertifikat auf dem schwarzen Markt erstand oder sonst wie ergaunerte, durfte sich als Held der Revolution feiern lassen. Geld, Ländereien usw. You name it. Und Steuern müssen die Helden der Revolution natürlich nie zahlen.

Ursprünglich waren diese Zertifikate ja für die Opfer gedacht, aber Rumänien ist nun mal Rumänien, um es kurz zu halten. Natürlich fanden sich genug Trottel, die im Dezember nach der Ermordung des Diktators auf Kommando (Klartext: schon wieder mal lakaienhaft untertänig) "Ceausescu ist zu Weihnachten das beste Schwein!" brüllten, wie sich denn auch ein paar Monate später, im Juni 1990, genug Trottel fanden, die ebenfalls in diesem Sinne auf Kommando "Tod den Intellektuellen!" brüllten, indes sie Jagd auf alle machten, die irgendwie gescheit aussahen. Groteskerweise taten sie 1990 Letzteres mit der Billigung und unter dem aktiven Mitwirken der wenige Wochen zuvor demokratisch gewählten Regierung, in der die alten kommunistischen Dinosaurier steckten, die im Dezember ihren bisherigen Gott, "den Genossen", verloren hatten und nun Feuer und Flamme für Glasnost waren.


Bubenstreich-Tagesschau

(Rumänisches Fernsehen
das Sprachrohr des nach Ceausescus Entmachtung von den Putschisten gegen das Volk gerichteten Staatsterrors)

"Alles wird gut. Die sowjetische Armee ist marschbereit."

"Das Trinkwasser wurde vergiftet."

"Die Armee möge schnell kommen und die Wohnblocks um den Fernsehturm so lange unter Panzerbeschuss nehmen, bis sie stürzen."
 

Die Proklamation von Timisoara, das einzige Dokument mit revolutionären Charakter, das es in jenen Tagen gegeben hatte, wurde bezeichnenderweise totgeschwiegen. Noch hofften die Genossen Putschisten, es trotz der antikommunistischen Stimmung in Timisoara wie geplant bei einer rumänischen Perestroika belassen zu können und das Machtmonopol der RKP aufrecht zu erhalten, Gott erhalte unseren Führer. Tja, und ein paar Monate später wurden sie dann in neuen Kleidern wieder an die Macht gewählt.

Güllen den Güllenern!


Fiktiver Dialog, der demhistorischen Tatbestand aber sehr nahe kommen dürfte:

- Wehe euch! Das wird ein Genozid! Aber wenn ihr euren Präsidenten des Genozids überführt, dann, na ja, also dann muss es ja keinen Genozid mehr geben. Wenn ihr das Schwein schlachtet und auffresst (seid ja selber auch welche), wird alles wieder gut.

- Zu Befehl, Genosse Kommandant! Jawohl! Alles klar. Dann ermorden wir ihn eben. Wegen Genozids. Wegen eines Almost-Genozids. Denn es kam zwar nicht dazu, aber was wär gewesen, wenn … ja wenn. Wir nennen das dann Gerechtigkeit. Nein, Rache. Rache des Volkes. Der Führer muss sterben, damit wir leben können. Rom hat einen schändlichen Kaiser! Entschuldigung. Das war Dürrenmatt. Rumänien hat einen prächtigen Erlöser! Einen prächtigen Erlöser! Sein Blut ist super-gut! Und uns fehlte nie der Mut!


Ross und Reiter nennen:

"Wir werden unser Land gegen eine jedwede Aggression verteidigen!" (Ceausescu, 1968, nach dem Einmarsch sowjetischer, bulgarischer, ungarischer, ostdeutscher und polnischer Truppen in die Tschechoslowakei)

"Die Russen sind schlimmer, als es die Faschisten waren!" (Ceausescu, 1968)

"Fünfhundert Arbeiter mit Knüppeln, und das Problem wäre gelöst. So wie in den guten alten Vierzigern, als wir … Ach so! Classified. Sorry." (Ceausescu, 1989, leicht fingiert)

"Das würden sich die Kerle gefallen lassen: dass ihnen einer auch die andere Wange hinhält wie Jesus Christus." (Ceausescu, 20.12.1989, leicht redigiert)

"Fünfhundert Millionen für die Stadt, fünfhundert Millionen für die Einwohner". (die alte Dame)

"Zur Weihnachtszeit isst Ceausescu das beste Schwein." (irgendein Depp am 25.12.1989 nach der Ermordung des Diktators und seiner Frau; im Sprech-Chor von Tausenden wiederholt, die sich gerne vertrotteln ließen und, das nebenbei, eh blindlings alles nachgemacht hätten und der ganze Blödsinn wurde im Rumänischen Fernsehen prompt als eine jener Verhaltensweisen empfohlen, von der man wollen könne, so die Mär, dass sie zum allgemeinen Prinzip werde)

"Ceausescu hat die Sowjetunion verraten." (Mann aus dem Volk; aus dem Volk)

"Ceausescu hat die Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus verraten." (Iliescu, Dezember 1989, nach Draculas Entmachtung)

"Fünfhundert Arbeiter mit Knüppeln, und das Problem wäre gelöst." (Iliescu-Gefolgsmann im Juni 1990, als Studenten und Intellektuelle gegen die kommunistischen Dinosaurier protestierten, die die freien Wahlen gewonnen hatten)

"Tod den Intellektuellen!" (20.000 Bergarbeiter mit Knüppeln, Juni 1990, Bukarest)

"Genossen Bergarbeiter! Marschieren Sie Richtung Stadtmitte und nehmen Sie den Universitätsplatz ein!"(Iliescus Freibrief an die zwecks der Terrorisierung der Bukarester Bevölkerung hergeholten bewaffneten und gewalttätigen Bergarbeiter)

"Dank den Bergarbeitern! Sie haben ihre Pflicht getan!"(Präsident Iliescu, 15. Juni 1990, Bukarest, nachdem die in speziellen Zügen nach Bukarest gebrachten Bergarbeiter "in Reih und Glied" gegen das Bukarester Zentrum ("Kilometer Null" der sogenannten "Rumänischen Revolution") marschierten, die junge rumänische Zivilgesellschaft niederschlugen und Jagd auf Studenten, Brillenträger, Bärtige, in der Juni-Hitze ihres Erachtens "unanständig" gekleidete Jugendliche sowie auch auf all diejenigen Bukarester machten, die ihnen irgendwie verdächtig vorkamen). 20.000 Vampire und Zombies, die aller Welt unter Beweis stellten, dass die Zukunft der Rumänen nicht so greifbar war, wie es kurzfristig den Anschein gehabt hatte. Es gab übrigens auch damals, in den Tagen des Bergarbeiter-Terrors, genug Menschen, die den gewalttätigen Horden der Gegenrevolution Beifall klatschten. Für jede Schandtat, für jede Gräueltat findet sich der Applaus garantiert ein, wenn das Publikum blöd genug und blutrünstig genug ist bzw. geschickt genug in diesem Sinne manipuliert wird. Das ist aber, Hand aufs Herz, nicht nur bei den Rumänen so.

"Stay on the horse, Stay on the horse, Stay on the horse, The future will be yours!" (Bill Clinton, 1992, Bukarest)

"Stay on me, stay on me, stay on me! I am well and alive!" (Ceausescus totgeglaubter Kutschgaul, ebendann, ebenda und in der Kutsche … ha! das darf doch nicht wahr sein! die sogenannte postkommunistische Regierung mit all ihren Helfershelfern und Zombies, wenn ich mich nicht irre; und ich irre mich nicht.)

"Ceausescu, der verhasste Tyrann (na ja, stimmt, bis gestern hatten wir ihn noch 'vielgeliebten Führer' genannt, aber das ist in der Politik nun mal so), hat in seiner Unverschämtheit die Auslandsschulden beglichen! Das verstößt gegen das Prinzip der Lehmann Brothers, der Panama Brothers, der Cayman Brothers und der Alligator Brothers. Genozid! … Genozid! … Wie bitte? Genozid bedeutet was anderes? Alles klar. Wollte sagen: Das hatten wir natürlich gewusst …

Die gute Seite ist: Wir haben gegenwärtig keine Schulden, sondern, ganz im Gegenteil, einen stattlichen Überschuss, Entgelt’s Gott, Genosse Führer. Damit können es sich zehntausend Haberer dreißig Jahre lang prächtig gehen lassen! Mit beiden Händen rein, Jungs! Jetzt sind wir dran! Wir, die Panzerknacker, die nichts knacken müssen, weil wir den Schlüssel haben.

Wir brauchen dringend neue Auslandsschulden für neue Investitionen! Am besten, wir kaufen einfach aufs Geratewohl alles, was die da drüben loswerden wollen. Das Schmiergeld kassiere ich höchstpersönlich von den deutschen Konzernen! Drei Millionen hier, drei da … Es lebe die Demokratie! So viel hätten wir unter dem Scheiß-Diktator nie und nimmer klauen können!

Unsere Stunde ist gekommen!

Nach uns die Sintflut. Oder sagen wir mal Nach mir der Klimawandel. Und die Österreicher haben versprochen, uns unter der Hand sämtliche Wälder abzukaufen. Papierindustrie. Zu Dumping-Preisen, versteht sich! Gott erhalte unseren Kanzler! Wir brauchen jetzt eh keine Wälder mehr. Denn heutzutage sind Steppen Mode. Für uns Steppenwölfe. Für uns Werwölfe, Vampire und Zombies. Heute hamma Coca Cola! Und ich fahr meinen Corolla!

Holla, wir sind längst tot! Bald kommen wir wieder." (beliebiger hergelaufener "Held" bzw. Gauner-Minister mir Revolutions-Zertifikat)

"Wieh! … Ich kann nicht mehr!" (das tote Pferd der rumänischen Wende)



No End In Sight

Hü-Hott, Pferdi! Des schaff’n ma scho’!

schaff’n ma scho’ … schaff’n ma scho’ …

I wish I may, I wish I might.

Jo! … Rumänien hat eine prächtige Blendung!

 

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