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Drei Tage zum Plündern

"Vogelfreiheit" im sowjetisch-amerikanischen Regime-Change-Glossar.
(Malta-Ausgabe: Dezember 1989)

Von Vasile V. Poenaru
(01. 03. 2020)

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   Von alters her gab es früher, als die Würde des Menschen noch durchaus antastbar war, einen Brauch: Der Kopf des Häuptlings eines besiegten Stammes wurde auf einem Spieß herum getragen. Oder, noch besser, ein ungefügiger Präsident eines anderen Staates wird zum Schwein "stilisiert" und zu Weihnachten nach altstalinistischem Ritual geschlachtet. Passt?

Aber natürlich! Und vor seiner rituellen Ermordung wird das Land drei Tage lang zum Plündern freigegeben. Ach was, machen S’ drei Jahre draus. Oder, noch besser, drei Jahrzehnte.

Hoch lebe die Revolution! Schlagt den Kerl zusammen! Zerstört alles, was ihr nicht mitnehmen könnt. Jungs, wir haben drei Tage. Das ist schon seit dem Frühmittelalter eine heilige Tradition aller mehr oder weniger heiligen Raubzüge. Hoch lebe der wissenschaftliche Sozialismus! Und als Ceausescu dann am ersten Weihnachtstag hinterlistig erschossen wurde, hieß es: "Zu Weihnachten braten wir das Schwein." Die Würde des Menschen? Nie gehört.

   Drei Jahrzehnte mussten vergehen, bis die rumänische Öffentlichkeit doch wenigstens in etwa einsah, dass eine derartige, offensichtlich zutiefst psychopathische und menschenverachtende Einstellung weder moralisch noch heldenhaft oder gar demokratisch und  rechtmäßig ist.

"Ja natürlich hab ich geschossen. Schließlich hatten wir eine Revolution. Da ich ein Gewehr in der Hand hielt und da mir klar befohlen wurde zu schießen (Von wem denn bloß? Er war ja Zivilist!), hab ich geschossen. Auf wen? Na ja, halt auf Terroristen und so. Auf die Terroristen, die ich jeweils vor mir sah [i.e. auf unschuldige Passanten]. Wie bitte? Das sollen keine Terroristen gewesen sein? Also für mich waren das Terroristen. Ähem … Nein, Mensch, ich hab ganz bestimmt keine Unschuldigen erschossen. Ich weiß ja schließlich, wie so ein Terrorist aussieht. Verwechslungen sind bei mir total ausgeschlossen. Und ich wurde außerdem dann später nicht als Täter identifiziert. Was heißen will, keiner hat mich dafür angezeigt, das ich auf ihn geschossen haben soll. Der perfekte Beweis meiner Unschuld."

Das war alles nach Ceausescus Flucht. Und die ganze Schuld wurde ihm tunlichst in die Schuhe geschoben. Die ausländischen Medien haben den Blödsinn gedankenlos gekauft. Stichwort Breaking News. Na ja, fake news.

"Alles ist jetzt Privateigentum. Jeder darf zugreifen. Das Strafgesetz ist sooo! … von gestern. Und bitte sehr ab sofort keine Grenzkontrolle. Es lebe die Demokratie. Jetzt wird alles aus dem Land geschleppt, was in den LKW passt. Sooo! … von gestern! Scheiß-Diktator."

   Bringt ihn um! Bringt ihn um! Bringt ihn schnell um! Im Fernsehen wurde gerade angekündigt, uns Revolutionären stehen dort, im Fernsehturm, reichlich Granatwerfer zur Verfügung, die noch nicht eingesetzt wurden. Schnell hin und damit auf die Nachbarhäuser schießen! Scheiß-Nachbarn.

Ach wie vergnügt ist doch das Ende des Staates!

Legen wir Feuer! Diese Gesellschaftsordnung ist schlecht! Jede Gesellschaftsordnung ist schlecht! Und alles, was in den letzten paar Jahrzehnten erwirtschaftet wurde, ist natürlich ebenso schlecht und muss entweder zerstört oder geklaut werden. Gesetzlosigkeit in orbe ultima. Vae victis! Mir ham g’siegt!

Die Sowjetunion hat uns ja militärische Hilfe zugesagt. Wurde im Fernsehen verkündet. Hurra! Öffnet die Grenzen. Mir moch’n ein Export-Business! So … Alles auf den Lastwagen. Der ist übrigens ebenfalls geklaut. Ach, wie vergnügt ist doch das Ende des Strafgesetzes!"

"Brav so", antworteten die Drahtzieher der Dezember-Morde. "Stimmt. Das Strafgesetz gilt nicht mehr. Es gilt nur das Naturgesetz. Ihr seid allesamt Schweine."

   Die überwältigende Mehrheit wählte im Mai 1990 wohlgemerkt keineswegs etwa die Kandidaten der frischen, neu geschmiedeten, westlich orientierten Parteien (zum Beispiel die Liberalen oder die Bauernpartei, die in Anlehnung an die Zwischenkriegszeit mit freilich recht fragwürdigen Argumenten von sich behaupteten, "die historischen Parteien" zu sein), sondern die alten kommunistischen Dinosaurier, die das Land auch nach den Dezember-Morden im Würgegriff hielten. Als Propagandamedium diente nach wie vor das Fernsehen.

Und, Hand aufs Herz: Die überwältigende Mehrheit hätte 1990 unter den Gegebenheiten (wirkungsvolle Propaganda der hinterlistigen Neokommunisten und – das wird oft außer Acht gelassen – die durchaus berechtigte Angst der benommenen Wählerschaft vor der dann ja in der Tat bald genug eingetretenen Arbeitslosigkeit, Altersarmut, rasant wachsenden sozialen Ungerechtigkeit und allgemeinen Korruption im katastrophalen Umfang) wahrscheinlich sogar den "verhassten" Ceausescu gewählt, wäre dieser nicht zu Weihnachten ermordet, sprich den neuen Göttern geopfert worden, die, das kann man gar nicht oft genug sagen, den alten Göttern verdammt ähnlich waren.

Oder verdammt nochmal! … I’ve seen the enemy: It’s us.

Und wenn einer jetzt, dreißig Jahre später, feststellen darf, in welch verheerendem Maße das Land gleich nach den Dezembermorden 1989 (und dann leider Gottes bis dato kontinuierlich) heruntergewirtschaftet wurde, fällt es ja auf einmal gar nicht mehr so schwer, Verständnis für all die vielen Nostalgiker aufzubringen.

In den Umfragen ist Ceausescu wieder "in". Mal als Zweiter nach König Mihai, mal als Zweiter nach Brâncusi, dem begnadeten Bildhauer.

Eine Revolution kann man den Rumänen nicht zumuten, hatten Bush und Gorbachov auf Malta richtig erkannt. Erst recht nicht jetzt, da doch die Staatsschulden beglichen wurden. Das muss man von außen her in die Wege leiten.

   Vor wenigen Tagen war Ceausescu auf dem Parteikongress im Amt bestätigt und anschließend von der Menge bejubelt worden. Im kommunistischen Sinne, versteht sich. Alles auf Kommando. An sich ekelhaft und blöd. Aber immerhin. Jubel ist Jubel.

Dieselbe Masse hat dem Präsidenten dann auch am 21. Dezember ergeben zugejubelt, bevor sie (was mittlerweile belegt ist) mittels psycho-technologischer Terrormittel derart in Panik gebracht wurde, dass sie die Flucht ergriff.

Also kein spontaner Volksaufstand? Nein, natürlich nicht. Das wäre im sozialistischen Rumänien unmöglich gewesen.

Später wurde dann die Mär in die vier Winde gesät, "das Volk" habe sich gegen den "verhassten" Diktator erhoben.

Genug mit dem ganzen Unabhängigkeits-Talk. Genug mit dem Blödsinn, dass große Länder und kleine Länder je tatsächlich auf Augenhöhe verhandeln könnten. Dass die internationale Wirtschaftsordnung je gerechter wird. Zuerst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral. Brecht aktuell. Dem großen Cousin im Westen sollte es recht sein. "Sorry, Nick. It’s not personal. It’s just business."

 Bemerkenswerterweise ist Ceausescu (aus seiner Sicht) für die Freiheit, die Unabhängigkeit und die Souveränität Rumäniens gestorben, nicht aber für die Demokratie. Gerade darin zeigt sich denn auch vielleicht am besten sein ausgesprochen unzeitgemäßes Selbstverständnis: anhand der Tatsache, dass er das zeitgenössische Narrativ der internationalen Ordnung selbst dann noch gegen den Strich bürsten wollte, als dies nirgends (also selbst im Westen nicht)mehr Mode war, ja als dies gar nicht mehr machbar erschien und ihn weder in Washington, DC noch in London, Paris oder Berlin irgend jemand mehr dafür bejubelte und beklatschte.

Irgendwie trabte seine antisowjetische, patriotische Rosinante weiterhin zielbestrebt und unbeirrt auf die Windmühlen zu, die es in Wirklichkeit kaum mehr gab, ja die es, so hieß es nun im Nachhinein, eigentlich wohl kaum je gegeben habe.

All die Glorie, all die Anerkennung der Siebziger: hin. Die wohlklingende Utopie einer gerechteren internationalen Wirtschaftsordnung: hin. Hin auch die Illusion, dass in dieser unserer Welt der Big Players die "Kleinen von den meinen" (Mephisto, Faust I) noch was zu sagen hätten. Dass sie der weltweiten Akkumulation von Reichtum und Macht entgegen wirken könnten.

Jetzt galt nur noch das Eine: Der Diktator hat seine Schuldigkeit getan. Der Diktator muss sterben.

   Dass sich die Massen gegen den Diktator erheben, war also ausgeschlossen. Sie mussten angestachelt, organisiert und dann geführt werden. Sie mussten auch kapieren, dass die Sowjetunion bereit war, einzumarschieren (na ja, bereit war sie schon seit 1968; dies schien lediglich der passende Augenblick zu sein). Wie viele tausend gutgebaute sowjetische "Touristen" mit im Spiel waren, ist umstritten. An der Grenze manövrierten jedenfalls die "brüderlichen" Militäreinheiten. Sie hatten zwanzig Jahre lang gewartet. No pressure.

Gorbachov hörte sich in in Achtzigern eigentlich verdammt offen und progressiv an. Und die Sackgasse, in der seine Vision 1991 enden sollte, war für die meisten noch nicht sichtbar (wohl aber für den widerspenstigen rumänischen Staatspräsidenten). Gorbachov wollte nun den Sozialismus reformieren. Einen neuen, einen besseren Sozialismus, Freunde, wollte er nun dichten. Aus dunklen Thesen und Dogmen die lichte Wirklichkeit beschwören.

Im Nachhinein wissen wir natürlich, dass sein Versuch dann bald scheiterte und er seinerseits das Opfer eines militärischen Staatsstreichs werden sollte. Freilich wurde Gorbachov aber im Unterschied zu seinem rumänischen Amtskollegen nicht ermordet.

Dafür, dass er nicht an eine Rettung des Sozialismus durch Gorbachovs Reformen glaubte, wurde Ceausescu übrigens weltweit als allergrößter Depp abgestempelt. Und die neokommunistischen oder eben auch quasi-liberalen Regierungen, die dann nach Ceausescus Ermordung die Geschicke der Nation leiteten, waren bis auf den heutigen Tag ausnahmslos so erbärmlich (und haben das Land durch Habsucht, Feigheit und Inkompetenz so sehr ruiniert), dass Ceausescu ja schon fast als Prophet gelten dürfte. Seine Warnungen hatten den Nagel auf den Kopf getroffen.

   Nicolae Ceausescus Sozialismus und sein Bestreben nach Unabhängigkeit und Souveränität seien, so Iliescu nach dem leider am ersten Weihnachtstag des Jahres 1989 an Ceausescu und seiner Gemahlin verübten Meuchelmord in Targoviste, nicht wissenschaftlich gewesen. Mehr noch, Ceausescu, das verräterische Schwein (Ist er auch wirklich tot? Ja dann wollen wir mal …), habe nichts mit dem wahrhaften Kommunismus (also mit dem Oberkommando der UdSSR) am Hut gehabt.

Ein anti-sowjetisches Schwein. Auf den Spieß damit!

Das war sehr wissenschaftlich! Der echte Sozialismus. Der pure, der wahrhafte, der eigentliche wissenschaftliche Sozialismus. "Genossen!" So begann Iliescus sogenanntes  postkommunistisches bzw. neokommunistisches Zeitalter. Die Revolution war – aus seiner Sicht – vollbracht. In den ersten Tagen und Wochen der Neuen Ordnung (also nach der Ermordung der Staatspräsidenten) telefonierte Iliescu jeweils dreimal täglich mit Gorbachov. Und dann teilte er dem Rat der Nationalen Rettung (dessen Namen übrigens die Russen erfunden hatten) immer mit: "Gorbachov will dies und das und dies und das."

"Zeter und Mord, Genozid, Fluchtversuch" und dergleichen mehr. Straßenkämpfe im widerspenstigen Rumänien, Ermordung des Staatspräsidenten und die Machtübergabe an eine sowjetisch-hörige Regierung. Super!

Was für eine ausgeklügelte Staatsstreich-Kabale!

Und wenn nicht gleich alles klappt, sollten sogenannte "Revolutionäre" im Namen des Volkes prompt um eine sowjetische militärische Intervention ersuchen. Das haben sie auch.

   Malta. Interessensphären. Regime change. "Okay. Von mir aus kannst du mit Rumänien machen, was du willst", hatte Bush auf Malta gesagt. "Passt. Und du hast freie Hand in Panama", erwiderte Gorbachov.

"Wow! Sehr nett", freute sich Bush der Ältere. "Aber mit Genossen Nicolae Ceausescu haben wir früher immer gut zusammengearbeitet. Bitte nicht umbringen. Und seinen Bruder Marin auch nicht. Der ist jetzt in Wien. Dem haben wir ja für den Fall der Fälle Asyl zugesichert. Dieses Versprechen muss auch eingehalten werden." Eine Frage der Realpolitik.

"Aber natürlich! Großes Bärenehrenwort, Kumpel! Das wird ein ganz sauberer Staatsstreich. Präsident Ceausescu und sein Bruder Marin lassen wir ungeschoren, egal, wie groß das damit verbundene Risiko nun eben mal ist, dass die Kerle dann auspacken und unsere gesetzwidrige Einmischung in Rumänien auffliegt. Genosse Bush, Sie müssen dabei freilich auch bedenken, dass mir die KGB und vor allem eben auch die GRU im Nacken stehen. Die verflixten altstalinistischen Geheimdienste sind unglaublich eigenwillig. Versuche ich sie zu zügeln, dann leiten die Kerle übernächstes Jahr vielleicht sogar einen Staatsstreich bei mir zu Hause in die Wege. Und dann muss ich dran glauben. Schließlich bereitet die GRU diese heldenhafte Aktion gegen Rumänien schon seit zwanzig Jahren vor. Dies ist der Augenblick der Rache. Klar, für 1968. Und für die ganze Unabhängigkeitspolitik der Rumänen. Die Lage ist schwierig. Ich bin ja ganz Feuer und Flamme für meine Perestroika und für internationale Zusammenarbeit, den Geheimdiensten hingegen passt das nicht so recht ins Konzept."

Darauf Bush: "Hmm … Na dann gut, Genosse. Tu Er, was Er nicht lassen kann. Jedem sein eigener Spielplatz. And off to Panama I go! Ta-ta! My Panama! Vor uns papers. Hinter uns papers. Verdammt! Überall papers. They’re going tu bury us in paperwork. Ich eil’!"

   Um künftigen Ermittlungen vorzubeugen, ging’s gleich mal mit der Schmähkampagne gegen den Diktator los. Und mit dem systematischen Terror gegen sein Volk, das ihm treu geblieben war. Dabei wurden gern mal auch die primitiven Instinkte der übelsten Sorte in den Reihen des "Volkes" geweckt und befürwortet, ja vor allem durch das in jenen Tagen (und, wenn auch nicht im gleichen Maße, in den folgenden Jahren) intensiv missbrauchte Instrument des Rumänischen Fernsehens systematisch gefördert und gefordert. Wer damals jemanden loswerden wollte, richtete einfach den Zeigefinger auf ihn, und die Soldaten der Rumänischen Volksarmee, an deren Händen noch das Blut ihrer Opfer aus Timisoara und Bukarest klebte, schlugen den vermeintlichen Terroristen gerne nieder. Oder sie schossen den "Scheiß-Terroristen" kurz über den Haufen: "Seht ihr? Wir stehen von nun an wirklich auf der Seite des Volkes. Tod den Terroristen!"

Ein gewisser Gelu-Voican Voiculescu, ein abenteuerlich wirkender Kraftkerl, der Ende Dezember zunächst immer mit seinem Che-Guevara-Gehabe hinter dem Ehemaligen Hohen Tier Ion Iliescu stand, den die guten sowjetischen "Genossen und Freunde" nach der Evakuierung ("Alles wird gut, Genosse Präsident! Wir tun Ihnen ja nichts …") des unbequemen und unfügsamen Präsidenten Nicolae Ceausescu angesichts der Tatsache, dass er, Iliescu, ihnen, den sowjetischen Drahtziehern, Gefolgschaft geschworen hatte, freundlicherweise mit den rumänischen Landen belehnten, war sozusagen als von den miesen Putschisten erkorener Todesengel gemeinsam mit dem aus grotesk lächerlichen Hampelmännern bestehenden und mit einem herrischen, ja ausgesprochen erniedrigenden Peitschenhieb herbei gezauberten "Richterausschuss" (dessen Mitglieder dann tatsächlich allesamt auf das Kommando der "Emanation der Revolution" alle zehn Seiten des Protokolls der sogenannten Gerichtsverhandlung in blanko unterschrieben und dann auch nie gelesen haben; das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen; wer wird denn so! …  blöd sein; Meister Mephisto hat’s ihnen gedankt: "Und jetzt die Seele, bitte schön! Den Verstand hab ich ja schon …") nach Targoviste entsandt worden.

Die rumänische Stichfrage der Wende: San ma deppert oder san ma blöd?

   Aber er trinkt jeden Tag frisches Blut. Und wenn er mal nicht ganz so gut drauf ist, vergiftet er in der Regel das Trinkwasser oder jagt Staudämme in die Luft. Ist das nicht offensichtlich? Schaut ihn euch doch mal an. Er sieht ja genau so aus wie Caligula. Anno 1968: allein gegen die Sowjetunion und deren Satellitenstaaten? Ist ja klar: ein feiges Schwein.

"Ich will, dass ihr sowohl den Staatspräsidenten als auch seine Frau in einer Viertelstunde zum Tode verurteilt!", befahl der Ur-Putschist Voiculescu dem eingeschüchterten Lakaien-Richter-Ausschuss. Die Lakaien nickten ängstlich.

Der Staatspräsident sollte umgebracht werden. Egal unter welchem Vorwand. "Wir hatten uns auch überlegt, einfach zu sagen, er sei beim Fluchtversuch erschossen worden."

Die Hampelmänner zitterten vor Angst. In Voiculescus herrischem Befehl spürten sie die kriminellen Triebe der Putschisten, ihre Skrupellosigkeit, ihre garantierte und im Fernsehen verkündete sowjetische Rückendeckung.

"Die Schweine befinden sich jetzt in unserer Macht", sprach Voiculescu auf die gefügigen Hampelmänner mit Richterrobe ein. "Denkt gar nicht erst daran, wer sie sind und was sie darstellen. Behandelt sie einfach wie gemeine Verbrecher. Und wenn jeder von euch diese zehn Seiten hier in blanko unterschreibt (nee, das sind nur so … halt zehn Seiten, die wir dann noch bald genug voll schreiben werden, alles hat seine Richtigkeit, stoi paroi, macht euch keine Gedanken, ihr feigen untertänigen Depppen, räsoniert so viel ihr wollt, doch gehorcht; euer Präsident hat nicht gehorcht; unterschreibt einfach brav, das könnt ihr doch, oder?) lassen wir euch laufen – und, soweit euch die neuen Götter günstig gesinnt sein sollten, werdet ihr vielleicht sogar mit ein Stückchen Rumänien belehnt."

Das hat sich die ganze Bande zu Herzen genommen. Allen voran der "Anwalt". Das Einzige, an das er während der Diktatoren-Beschimpfung dachte, war, den neuen Herren und Gebietern untertänigst zu Diensten zu sein. Als kleines Dankeschön wurde ihm dann ein Knochen zugeworfen: ein Generalrock.

   Im Jahre 1968, als Ceausescu es wagte, ganz allein der Tschechoslowakei beizustehen, sind fünf Kolonnen in das "brüderliche Land" eingefallen: die sowjetische, die bulgarische, die ungarische, die polnische und freilich  auch die ostdeutsche. Fünfhunderttausend Mann stark.

Die Amerikaner jedoch, so das Gerücht, wollten 1989 Ceausescu retten. Dessen Bruder Marin, der als Chef der rumänischen Wirtschaftsmission in Wien jahrelang streng geheime gemeinsame militärische Projekte mit den Amerikanern abgewickelt hatte, war von Seiten der Amerikaner für den Fall, dass die Russen davon erfahren, mitsamt seiner Familie Asyl zugesichert worden. Doch dazu sollte es nicht kommen. Marin verunglückte Ende Dezember wohl an derselben Krankheit wie sein Bruder Nicolae: Kabale. Nein, kein Spur Liebe. Nur Kabale.

"Nicht ihr seid es, die uns eine Ehre erweisen, sondern wir, die wir extra aus Bukarest her geflogen sind, erweisen euch [dem Diktatoren-Ehepaar] die Ehre unserer Anwesenheit."

So begann Ceausescus "Anwalt" seinen Blödsinn von einer Hasstirade. Nichts für ungut, aber am 25. Dezember ist wohl tatsächlich der übelste Abschaum der Bukarester Rechtsanwaltskammer am Tatort Targoviste eingeflogen, um der Ermordung des Staatspräsidenten einen wenn noch so dünnen, einen wenn noch so unglaubwürdigen Hauch von Legalität anzudichten.

   Ceausescu lag ja 1989 schon seit geraumer Zeit falsch, darüber ist man sich einig, doch das Wenige, was er in Targoviste vor der Kamera sagte, war schlüssig und folgerichtig. Seine Peiniger hingegen drückten sich weder schlüssig noch folgerichtig aus. Eine Rechtfertigung für den politischen Mord lieferten sie erst recht nicht. Dazu hätten sie den Mut aufbringen müssen, sich ihres Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen.

Ion Iliescu, der nun als aufgeklärter Despot im Sinne der Perestroika über die rumänischen Untertanen herrschen sollte, beschuldigte Ceausescu vor laufender Kamera, "den wissenschaftlichen Sozialismus" verraten zu haben, wohingegen er, Herr Ion Iliescu, "gerade mit Gorbachov telefoniert" habe, der "sehr schöne Dinge" über das sagte, was "wir" jetzt unternehmen (Projekt Meuchelmord: erfolgreich abgeschlossen; Projekt Staatsterror und Diversion: in Gang) "und auch sehr geschickt auf gewisse Provozierungen regiert hat. Sie haben ja gehört, was Genosse Ceausescu beim Prozess gesagt hat. Dass hier irgendwelche internationale Spionageagenturen verwickelt gewesen seien. Weiß der Kuckuck, was für Agenturen das gewesen sein sollen …"

   Als höchste Motivation, sich für die Ermordung des Staatspräsidenten hinzugeben, wurde dem Hinrichtungskommando laut einem seiner Mitglieder gesagt, gut sechshundert US-Kampfhubschrauber der sechsten, im Mittelmeer stationierten amerikanischen Flotte befänden sich auf Kurs, um Ceausescu und seiner Frau das Leben zu retten. "Wir", das waren also die Putschisten, handeln aus sowjetischem Befehl. Und die Amerikaner stehen wohl wie immer hinter Ceausescu. So die Mär. Und die hat als psychologisches Druckmittel durchaus gewirkt, gab doch das Killerkommando (laut Fernsehinterview) aus genau diesem Grund superschnell Feuer. "Bringen wir den Genossen schnell um, bevor die Amis kommen." Eventuell könne man dann ja auch sagen, er habe sich selbst erschossen. Schweine tun das oft.
 


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