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Das Erbe von Bayview Village

In einer kleinen Fabrik im nördlichen Teil von Toronto werden Träume
 konserviert. Der Jahresumsatz beträgt volle sieben Milliarden Dollar. Davon gehen
drei Milliarden an Electronic Dreams, die berühmte Firma aus Los Angeles, die per
Eilpost Empfindungen und Gefühle in Binär Codes verwandelt, um aus diesen wiederum
freundlicherweise in trauter Form von Lust und Unlust mehr Wert für die Menschen
zu schöpfen. Mehr Genuss. Mehr Zeit. Mehr Sinn. Mehr Glückseligkeit:
höhere Umsätze für Herz und Geschäft.

Von Vasile V. Poenaru
(24. 12. 2022)

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Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com


geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

 

   Bayview Village wird selbstredend mit beträchtlichen Gewinnen an der Börse gelistet. Noch vor wenigen Jahren war da nichts, und jetzt ist da was. Ein schlafkundiger Italiener, Don Torontone, Stammgast bei Ristorante, kam irgendwann einmal an einem frühen Vormittag auf die Idee, als er merkte, dass die meisten Leute schon bald nach der Einwanderung in das Land der Großen Seen all ihre vielen entsprechend großen oder eben kleineren hausgemachten Träume aus der lieben alten Heimat prompt aufgeben und dafür ohne weiteres und so ganz und gar vorbehaltlos kaufen, was immer ihnen an modernen Nahrungsmitteln des Gemüts dargeboten wird. Überregional zusprechende Ideale, verschwommene oder aber ganz klare Maßstäbe, vernünftige Erwartungen, einfühlungsreiche Utopien und vielfältig offenbarende Ontologien wurden in Hülle und Fülle über das Land, ja über den gesamten Kontinent vertrieben, egal ob bekömmlich oder unbekömmlich. Das lässt sich womöglich ändern, hatte sich der schlafkundige Italiener gedacht.

Gesagt, getan. Kaum war sein Frühstück verdaut, sah er sich nach zumutbaren Sinnen um, und zwar nicht nur im Bereich des Sinnlichen. Bald entwickelte er aus ein paar wenigen herumliegenden Semen nur dürftig interpretierter Traumstrukturen seine neue Werkstatt für individuell zurechtgeschnittene Halbschlaf-Semantik. Unmittelbar neben dem Restaurant. Denn Essen hat ja auch immer so was auf sich, meinte der Unternehmer. Von dem, was sich tut, wenn einer nicht wacht, lässt sich ein guter Teil in dasjenige integrieren, was einer tut, wenn er wacht.

The rest is history. Die vielversprechende Vorstellung greifbarer Transzendenz, das großzügig daliegende Rohmaterial, die billige Arbeitskraft und die reichlich vorhandenen Absatzmärkte sorgten für Schlagzeilen. Und dann gelang auch bald der Durchbruch in die Chamber of Commerce. Jetzt ist das Traum-Business voll etabliert, wo es doch ganz am Anfang noch durchaus unwahrscheinlich klang. Selbst in konservativen Reihen lässt man sich nun die technologische Phantasie von Don Torontone gerne gefallen. Die Automaten bieten eine breite Auswahl an Optionen. Und die Verbraucher nehmen sie wahr. So wie die Leute in Japan etwa Luft kaufen.

   Die Träume von Bayview Village dauern nicht lange, doch sie sind immerhin mehr als fünf Jahre lang haltbar. Das heißt, man kann sich eine Traumkonserve jetzt kaufen und erst in fünf Jahren öffnen, um etwas zu genießen, was streng genommen nicht da ist. Meist handelt die Traumware von einer besseren Welt. Deswegen wollen sie die Kunden in der Regel natürlich sofort. Als Konservierungsmittel dienen fingierte Elemente der Wirklichkeit, die aber dem virtuellen Inhalt der Träume nichts anhaben, so der Hersteller.

Was die Herstellungsprozedur anbelangt, besteht eigentlich so gut wie kein Problem. Die Träume werden immer früh am Morgen aufgefangen und gleich verarbeitet. Im Handumdrehen legen sie den Weg von Human Dreams zu Silicon Dreams zurück. Dann hat man sie immer frisch zur Hand, wenn sie vonnöten sind. Dann kann man sie langfristig aufbewahren. Dann kann man sie kurzerhand verkaufen. Die Nachfrage lässt nie ab, wobei es freilich mit der ganzen Sache immer ein bisschen nach oben oder nach unten geht. Wenn zum Beispiel der Krieg ausbricht, bestellt das Militär einen ganzen Haufen. Und wenn die Wahlen kommen, dann können die Kandidaten nicht genug davon kriegen.

The Great American Dream; The Self-Made Man; Universal Happy End; Small Business is Small Business is Small Business; Einstein the Easy Way; The Meaning of It All: Das kann man auf vielen Konserven lesen. Das sind die markanten, dieimposanten Großprodukte. Behörden und Körperschaften haben dafür viel übrig. Doch es sind die Träume hübscher Frauen, die sich am besten verkaufen. Jede Frau möchte da gerne mit drin sein, sozusagen im Mittelpunkt der Begierde, wenigstens im Nachhinein. Jeder Mann will es gerne gewesen sein, wenn eine Frau davon träumt. Kraftkerle und Nostalgiker lassen gleichermaßen den Beutel zucken, sobald es darum geht, bewährte Erlebnisse neu zu erleben. Aber manchmal sind sogar Albträume durchaus gefragt. Auch gibt es zum Beispiel Extra-Träume für Schlafwandler.

   Als das lukrative Geschäft mit der Phänomenologie der Psyche internationale Aufmerksamkeit erregte, zogen die Journalisten in Schwärmen her. Einer von ihnen ließ sich sogar in der Gegend nieder, um die muntere Produktion in all ihrer Weite Schritt für Schritt zu dokumentieren. Er schrieb darüber eine wohldokumentierte Dissertation, in der alles in Zusammenhang mit Jung gedeutet wird. Don Torontone aber beteuerte, weder er noch irgendeiner seiner Mitarbeiter habe irgendetwas mit Jung zu tun, was freilich an der These selbst wenig änderte.

Dream the dream. Was könnte schöner klingen? Recht und billig erscheint diese Begierde selbstredend einem jeden. Verhältnismäßig preiswert waren schon von Anfang an etwa die Träume von einer besseren Zukunft, denn ihre Herstellung erfolgt gewöhnlich reibungslos und beansprucht nur wenig Material. Einen wichtigen Absatzmarkt für integrierte Träume macht vor allem Europa aus. Die Zeit verläuft in der neuen Welt nämlich anders als in der alten Welt. Wenn zum Beispiel die Leute in Deutschland gerade erst aus dem milden Abendschlaf des alternden Kontinents aufwachen und, die Börse im Sinn, zu einer tüchtigen Portion Haferflocken (oder lieber Spiegeleier mit Schinken?) greifen, dann stürzt man sich in Kanada schon mit voller Wucht auf ein reichliches und leider keineswegs kalorienfreies Mittagessen, und die wohldurchblätterte Zeitung, aus der das komprimierte Weltgeschehen der vergangenen sechs Stunden verstohlen durchblickt, liegt bereits längst im Papierkorb mitsamt ihren ansprechenden Leitartikeln über gut vermarktete Illusionen und Revolutionen.

Das richtungsweisende Wirrwarr an der Wall Street ist schon fast zu Ende. Auf der Autobahn nach Buffalo beginnt sich der Stau zu bilden. In Queens Park gähnt man, all die politischen Täuschungsbilder und privaten Alltagsträume sind längst fertig geträumt. Einfache Ideen wurden bereits zu Ende gedacht, wichtige Entscheidungen präventiv getroffen, noch bevor es sich die Welt träumen ließ. Das nennt man internationale Konjunktur.

   Don Torontone ist jetzt tot. Bevor er aber starb, hatte er noch gerade rechtzeitig seinen letzten Traum konservieren lassen. Da er im Schlaf hinschied, meinen viele, sein letzter Traum sei mehr als nur ein Traum, und in der Tat war die Datei ziemlich groß. Die Leute von Electronic Dreams mussten sie so sehr komprimieren, dass die realen Konservierungselemente aus der Wirklichkeit mit den virtuellen Traumelementen aus der Einbildungswelt spontan verschränkt wurden, was irgendwie den Tod des Italieners bis auf Widerruf aufhebt, weil ja nun sozusagen sein mutmaßliches Ende aus mehrfacher Perspektive voller Lebendigkeit in der Konserve steckt.

The Philosophy of Canned Dreams: Heute ein Thema für den Massentourismus und zugleich zum ausgesprochen dankbaren Fach der Traumbewältigung. Wenn der Fünfundachtziger die Sheppard Avenue East entlangfährt, steigen fast alle Insassen bei Bayview Station aus. Sie wollen sehen, wo ihre Träume herkommen. Sie wollen sehen, woraus sie gemacht werden. Sie wollen sehen, ob bzw. inwiefern Wirklichkeit und Einbildungskraft einander generieren.

In einem Penthouse bei Bayview Mews wohnte früher einmal eine junge Polin. Sie genoss das Leben in der wohletablierten Nachbarschaft aus vollen Zügen. Eines Tages aber öffnete sie gleich zwei Träume auf einmal. Die Polizei suchte vergeblich nach Anhaltspunkten ihres Verbleibs. Doch die griechische Wahrsagerin an der Ecke wusste zu berichten, sie sei der Polin neulich während der Meditation mehrere Male "drüben" begegnet, als sie die Träume von Männern interpretierte, die wissen wollten, was Liebe sei.

   Ein Inder mit dem Laptop unterm Arm meinte, dass die Frau ganz einfach deswegen nicht mehr da ist, weil unsere Wirklichkeit keinen ontologischen Bestand hat. Auch der Chinese aus dem Reisebüro nebenan vertrat diese Idee, indem er zu bedenken gab, sie sei bloß aufgewacht (Gibt es uns denn überhaupt?), aus dem nur erträumten diesseitigen Reich geschieden, um "drüben" wirklich zu sein. Wir haben eben zu viele Konserven hergestellt, fügte er gelassen hinzu. Das Gleichgewicht zwischen Traum und Realität sei geschädigt.

Ein spanisches Liebespaar drängte sich zum Factory Outlet, um volle drei Kisten zum ermäßigten Preis zu erstehen, die der Mann, ein stattlicher Don mit Vollbart (und natürlich auch voller Schulden), dann prompt in seinem Kombi verstaute. Ein Deutscher hatte seinen Traum noch kaum zu Ende erlebt, und schon wollte er, das Würstchen in der Hand, den nächsten öffnen. Ein Schweizer schaffte sich im Handumdrehen eine Franchise an, um Zeit zu konservieren. Und Geld. Der Schweizer vermarktete seine Uhren nun schon seit mehr als fünfundvierzig Jahren. Den Puls der Zeiten hatte er folglich seit je gleichsam unwillkürlich gemessen, und immer war dann alles in einem allmächtigen Augenblick eingefangen.

Wie sich später herausstellte, hatte die Polin den letzten Traum des Italieners gekauft. In seinem letzten Traum aber hatte der Italiener geträumt, er sei der Vater eines unehelichen Kindes, und dieses Kind würde die Fabrik von ihm erben. Zwar war die Polin selber kein uneheliches Kind, doch nachdem sie den Traum öffnete, war sie sich dieses Umstandes nicht mehr vollkommen bewusst, so dass sie unwillkürlich einem Prozess der Identifikation mit dem Traumkind des Italieners erlag. Als sie dann nicht mehr aufwachte, wollte sie die Fabrik. Und als sie dann schließlich doch wieder aufwachte, wollte sie die Fabrik umso mehr.

   Freilich war sie aber weg, als sie aufwachte. Im Eiltempo kamen die Ermittler direkt aus Ottawa. Ein Inspektor mit virtueller Erfahrung, drei sprachlich begabte Linguisten und fünf besessene Psychoanalytiker machten sich ans Werk. Alle Bedeutungsstrukturen wurden in Seme zerlegt, die Seme gefiltert und ordentlich archiviert. Dann begann die Interpretation.

Der Inspektor sah sich die Traumszene an. Es war nichts mehr da, was auf einen Anhaltspunkt gedeutet hätte. Am Boden der Konserve klebten noch ein paar Erinnerungen, doch sie waren eher vage. Im Süden der Stadt glänzte ein CN-Turm, der ziemlich echt aussah. Nebenan wucherten Kräne, eifrig daran bestrebt, eine neue Stadt zu errichten: SuperCity sollte ein senkrechtes Modell aus Spiegelkraft und Silikon-Glut werden. Der Inspektor schrieb sich auf, was ihm wichtig schien, und wanderte durch die noch nicht existierende SuperCity. Es war wie gesagt nicht das erste Mal, dass er virtuelle Umstände recherchierte. Am nächsten Tag ging er aufs Revier und registrierte alle normalen Befunde unter der Rubrik Normal. Die seltsamen Sachverhalte aber bekamen den Vermerk Merkwürdig darauf gestempelt.

Die Linguisten stellten bemerkenswerte Zusammenhänge fest, welche die computergesteuerte Bearbeitung des Testaments nahelegte. Sie staunten lange, denn im Text gab es Leerstellen, die immer wieder neu interpretiert werden konnten. Dann machten sie sich daran, Begriffe zu erläutern. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle Begriffe erläutert wurden. Don Torontone war übrigens ein ausgesprochener Stilist gewesen.

   Die Psychoanalytiker analysierten den Traum. Bald kam ein Krankenwagen, der sie in die Anstalt bei Wonderland einfuhr, da die Speicherkapazität ihrer ungenügend vernetzten Gehirne überfordert war. Sie erholten sich aber schnell und schrieben darauf gleich sehr lange Beiträge für internationale Kongresse, weil sie spürten, dass sie nun sozusagen hands-on experience mit dem ganzen Ding hatten, ohne davon streng genommen mehr zu begreifen als vor ihrem kollektiven Nervenzusammenbruch.

Die Beiträge der Psychoanalytiker wurden in Großauflagen herausgegeben und mit stattlichen Preisen versehen. Die Linguisten durften an der Festschrift zu Ehren des epochemachenden Italieners mitwirken. Der Inspektor wurde befördert, geadelt und pensioniert. Er war dem Objekt der Ermittlung sehr nahe gekommen. Und er hatte einen ganzen Haufen sonderlicher Prinzipien sauber klassifiziert.

Wahrheiten kann man nicht zählen, vor allem weil sie ja schon aus ihrer rein begrifflichen Veranlagung heraus in der Regel so unbestimmbar sind und einen jedweden überindividuellen Ansatz der Beständigkeit scheuen. Historische Wahrheiten aber lassen sich angesichts ihrer überwältigenden Ausstrahlungskraft ungleich schärfer anpacken, und deswegen gibt es denn schließlich auch so viele Historiker, deren Steckenpferd es ist, die großen, meist verdammt detailreich überlieferten Momente der Weltgeschichte zu zählen, von denen sie dann oft genug mit Begeisterung, mitunter sogar mit bemerkenswerter kreativer Begabung erzählen. Auch bei Bayview Village wurde ein interdisziplinär ausgebildeter Historiker angestellt, der die Größe der ontologisch-semantischen Produktionsstätte in ihrer unheimlichen Immanenz und zugleich in ihrer irgendwie ausgesprochen erbaulich stimmenden Transzendenz erfassen sollte. Der Historiker interpretierte die Ausweglosigkeit der Vergangenheit und entwarf mögliche Wege in die Zukunft. Seine Anschauungen wurden unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender philosophischen Systeme behutsam verpackt und mit einem entsprechenden Gütesiegel versehen.

   Ein Traum Club wurde gegründet. Die Fans besuchten Bayview Village jeden Dienstag, weil es dann immer auch Veranstaltungen mit bedeutenden Träumern gab. Sie stellten Fragen. Sie lasen Antworten. Sie kauften sich die Festschrift zum ermäßigten Preis. Am Lautsprecher wurde gesagt: "Vorurteile ab! VR-Mindset on! Das ist eine andere Welt. Falsch eingestiegen?"

Das Testament des Italieners hing lange Zeit groß vor dem Eingang. Manche behaupteten freilich, es sei ja gar kein Testament, sondern bloß ein Manifest. Andere wiederum wollten darin grundlegende hermeneutische Sachverhalte erkannt haben. Hier ist der vollständige Text:

"Mit Wahrheiten kann man jederzeit handeln. Ich zum Beispiel habe mir gestern drei Wahrheiten gekauft, weil man ja sagt, drei sei eine wichtige Zahl, mehr noch, die Zahl aller guten Dinge. Der erste Satz besagt, dass es mich gibt. Der zweite, dass es mich gegeben hat. Und der dritte, dass es mich geben wird. Von meiner kleinen Subjektivität als individuelle Gefühls- und Gedankenfabrik bis zur großen kollektiven Subjektivität kategorischer Imperative der Vernunft gibt es darüber hinweg nicht mehr viel.

   Natürlich weiß ich inzwischen, dass es mich strenggenommen nicht gibt, dass es mich nie gegeben hat, dass es mich nie geben wird. Aber angesichts all der vielen heutzutage ziemlich preiswert verfügbaren Schichten des Seins ist auch dieser tragisch-faktische Umstand nur vorübergehend. Wichtig bleibt eins. Ich habe die Gleichung gefunden, aus der die Dinge hervorgegangen sind. Sie ist sehr einfach. Alles, was ist, ist sehr einfach.

Mit dieser Erkenntnis scheide ich hin, gleite ich über in die unsagbare Pluralität von Zusammenhängen, die wir ja ansonsten gewöhnlich unser nannten. Ich weiß: Wenn ich auf die Waage gehe, wird jeder Trieb gewogen, der mir je hätte widerfahren können, jeder Gedanke, den ich je hätte hegen können, jeder Traum, den ich je hätte träumen können. Die bestmögliche Wahrheit muss immer die vollständige Statistik aller individuellen Ereignisse an sich und für uns bedenken. Ich werde aber jetzt meinen Gedankenzug nicht zu Ende bringen, sonst wäre ja alles eins. Denn in jedem Wort steckt Liebe. Und in jeder Liebe steckt das Wort.

Wer wir sind. Was wir werden. Diese unwesentlichen Fragen gehen mich herzlich wenig an. Dass sie überhaupt gestellt werden, finde ich ehrlich gesagt ausgesprochen überflüssig. Was wir wollen, darauf kommt es an. Unser Wille zur Existenz hat diese Welt ermöglicht, die wir schöpfen.

   Die Idee einer Selbstsetzung des Daseins finde ich freilich untragbar. Es ist vielmehr so, dass die Spontaneität an sich den sogenannten Dingen inne liegt und dass die schiere Unwahrscheinlichkeit unserer sogenannten dinglichen Existenz im Schatten großartiger mathematischer Relationen der aufschlussreicheren Identitätsparadigmen harrt, die wir ahnen."

Alles klar.

"Warum sollten wir vor dem Tod zurückschrecken, wo doch das Leben so schön ist?", hatte Don Torontone einst auf einem Kongress in New York, New York von sich gegeben. "Gut so!" jubelte ihm die Menge entgegen, obwohl die meisten den Widerspruch erfassten. An dem Tag ging der kanadische Dollar nach oben. Die Börse reagiert nämlich empfindlich auf solche Dinge.

Don Torontone hatte natürlich alles ursprünglich auf Italienisch geschrieben. Durch vollautomatisierte Weisheit-Algorithmen wurde es dann jedoch gleich ins Englische übertragen. Allem Anschein nach ist der Sinn des Ganzen immerhin weitgehend beibehalten worden. Verloren ging lediglich die Gleichung. Nur war die eben leider sehr wichtig.

Meist las jedoch sowieso keiner das Testament. Das ging wie bei Schillings Werken. Tagsüber träumte man vor sich hin. Abends stürzte sich immer ein Haufen Menschen in die Sheppard-Busse, um zurückzugelangen: in die Alltagswelt. Oder aber sie drängten zur U-Bahn, den wohlpräparierten Mythos von der Unsterblichkeit der universalen Konservenseele im Rucksack. Irgendwann legte sich dann schließlich der Wirbel.

   Die Fabrik wurde umgebaut. Ein Neffe der hübschen Polin führt jetzt das Geschäft. Der neue Erbe, President & Chief Executive Officer, ein gewisser Pan Roncesvalles, hatte einst in Las Vegas gearbeitet. Er wusste, dass man im Leben halt immer auf sein Glück bauen muss, um voranzukommen. Er wusste aber auch, dass sich das Glück eines jeden irgendwann einmal wendet. Die Opportunität lag da, und er hat sie wahrgenommen. So leicht werden Geschäfte gemacht. Seine Rechtsanwälte haben die Richter davon überzeugt, dass er der rechtmäßige Erbe des Italieners sei. Er hatte ein terminologisch treffendes Protokoll erstellen lassen, das unter anderem in Zukunft dem Verschwinden von Träumern vorbeugen soll. Die Rechtsanwälte des Italieners freilich vertraten die Meinung, dass Don Torontone rechtmäßig gar nicht gestorben sei und folglich keine Erben haben könne, weil im Schlaf Erlebtes eben keine legale Wirksamkeit habe. Aber der neue Inhaber ließ sich da nichts vormachen, zumal der alte Inhaber ja nicht mehr da war.

Er hat sogar eine Pressekonferenz veranstaltet. Das Thema: "Bayview Village – die SuperCity im nördlichen Teil von Toronto. Drah di amoi um!" Ab und zu spricht der neue Gemütshersteller auch vor der Kamera. Sein Traum sei es, eines Tages eine ganz große Denkfabrik zu gründen, in der grundlegende Gedankenzüge zwecks ihrer ungehemmten weltweiten Verwendung produziert werden sollen. Wirklichkeit durch Einbildung erobern: Jeden Tag spiele er mit der Idee.

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