Im Echo meiner inwendigen
Zeitmuschel verewigt: das Bergland, die Höhlen, die Suppe. Die Schäferhunde,
die Büffel, die Karabiner. Die lieben Winde im brausenden Karpatenbogen: the
story, the whole story and nothing but the story.
Apuseni: die
Westlichen [Berge]
Right into the action.
"Der Sturm hat uns das Zelt weggerissen. Ja, ich bin allein. Bitte? Warum
ich allein unterwegs bin? Was heißt denn hier unterwegs! Aber nein doch!
Oisa i bin, genauer g’sogt mir san … Wir, ja wir sind … Wie meinen?
Ach so! … Bin i ja goa net. I bin net alleene. Ja im Moment scho, ober halt
net alleen unterwegs."
Mein Bruder Robert hatte
sich aus lauter Aufregung im Flow of Language verfangen. Und den Flow of
Language gibt es ganz bestimmt! Sonst hätte er sich ja nicht darin verfangen
können.
Und dann wurde es gleich
wieder dramatisch weniger dialektal. Easy does it. "Ich meinte,
allein im Zelt. Nicht allein am Berg."
Der Donner riss ihm
förmlich die Worte aus dem Mund und schleuderte sie mit voller Kraft ins
ungeheure Irgendwo des herumlungernden Karpatengeistes. Es hatte kaum eine
Sekunde zuvor geblitzt. Uns schauderte.
Donnerwetter nochmal!
"Insgesamt? Zu dritt. Wir
sind zu dritt. Die anderen zwei gingen Wasser suchen." Robert keuchte. Sehen
konnten wir ihn immer noch nicht. Er war, so schien
mir, ziemlich übergeschnappt. Draußen wütete der
Sturm ungeniert weiter. "Die zwei anderen sind nun aber schon verdammt lange
weg. Ich glaub, sie haben sich verirrt."
Er lag nicht ganz falsch.
Wir hatten nämlich auf dem Rückweg von der Quelle (die wir auch tatsächlich,
danke, danke, danke, mir hoam nur unsere grandiose Pfadfinder-Pflicht getan,
selfie here, selfie there, in no time gefunden
hatten) wegen des Unwetters (heftiger Wind, Sintflut-Regen und dichter
Nebel) zunächst das Zelt verfehlt und waren direkt auf die Wetterstation
gestoßen, in deren Nähe wir unser Wigwam vor einer halben Stunde
aufgeschlagen hatten. Vom Blitz wurden wir Gott sei Dank nicht getroffen,
als uns sozusagen das Erhabene im Schillerschen Sinne in the blink of an
eye auf dem höchsten Gipfel des Apuseni-Massivs
in all seiner Erhabenheit widerfuhr.
Aber "verirrt" ist dabei
freilich viel gesagt. Die Meteorologen bestanden nämlich darauf, uns gleich
was Leckeres aufzutischen – und diesem Angebot konnte einer logischerweise
bei dem Wetter schlecht widerstehen.
Wir sahen Robert
nun teilweise. Durch die halb offene Küchentür. Er wirkte ziemlich
zermürbt. Claudiu hatte sich gerade schon wieder den Mund vollgestopft. Die
herzhafte Gemüsesuppe, die uns die netten Herrschaften auf der Wetterstation
(Gipfel: Vlădeasa – rund 1800
Meter hoch) freundlicherweise servierten, mundete ihm offensichtlich. Mir
auch. Aber ich konnte trotzdem recht schnell eine Pause einlegen, um das
Mysterium der "anderen zwei" zu lösen: "Wir sind’s!"
Und fast hätte ich schon
weiter gesprochen: "Ich bin’s! Bin Faust! Bin
deinesgleichen!" Warum mir das Goethe-Zitat in den Sinn kam, weiß ich
nicht mehr. Bestimmt hab ich’s aber damals gewusst, wenn ich mich nicht
irre: jedenfalls war es ein dramatischer, ja ein theatralischer, ein
prägnanter Moment. Ein Augenblick, dem einer irgendwie hätte sagen wollen,
dass …. Ja, dass …
Oder eben auch nicht.
"Ach! …Da seid ihr ja!"
Problem gelöst. "Aber das Zelt ist weg. Und unsere Siebensachen hat sich der
Sturm auch geschnappt!"
Mein Zelt? Weg? In die vier
Winde getragen? Weit ins Weite verweht? Out of sight?
Out of reach? Alles hin? O, du lieber Augustin! … Unmöglich! Ich war mir
ziemlich sicher, dass Robert übertrieb, denn alles, was mal weg ist, ist ja
streng genommen nicht ganz, ganz weg, sondern bloß … anderswo. Es muss einer
nur danach suchen.
Stichwort Aufgehobenheit
der Nacht. Cherchez la tente. Dans la nuit. Et la femme tout de suite. Aber
bitte nicht die Tante! La tante, das bedeutet Zelt. Englisch: tent.
Und tatsächlich lag, wie
wir dann im Laufe des Abends erfreulicherweise feststellen sollten, alles
irgendwo in Umfang von dreißig Metern herum. Das Prinzip der Zuhandenheit
des Zeugs bestätigte sich hiermit ein weiteres Mal über allen Gipfeln, über
allen Wipfeln usw. usf.
Das Gebirgler-Gesetz ach!
in der Brust. Welch kategorischer Imperativ! Welch meteorologischer
Aperitif! Die G’schichte unserer Lebendigkeit – so wie sie ist und wird.
Unser Zeug war da.
Sonnenklar.
In Umfang von dreißig
Metern. So ähnlich hatte es schon der vor zweitausend Jahren in Dazien nach
dem Rechten schauende Hohepriester Deceneu formuliert, der sich übrigens
angeblich auch bestens in Sachen Höhlensysteme auskannte. "Gebt mir eine
Höhle, und ich heb euch das Ding an sich aus den Angeln!"
Ich: Schatten meiner
selbst. Und zugleich meines Selbst. Ja. Gebt mir ein Ich.
Nach und nach brachten wir
dann so ziemlich alles in die trockene – und gut geheizte –
Wetterstation. Das Zelt war eigentlich Gott sei Dank mehr oder
weniger heil und intakt, so dass wir bald wieder Mut schöpften. Am nächsten
Tag schien die Sonne und wir konnten es recht gut trocknen. Besser gesagt,
leidlich. Der Proviant hatte keinen Schaden genommen.
Na ja, abgesehen von den
Broten … Ich glaube, es waren ihrer insgesamt zwei trocken geblieben. Nicht
genug für zwölf Tage. O mei, o mei! Klugerweise hatten wir freilich auch
noch wasserdicht verpacktes Maismehl mit dabei.
Im großen Ganzen sind wir
also – vor allem eben auch dank des herzhaften Beistands der drei
Meteorologen, die uns angesichts unserer Not auch kostenlos auf der
Wetterstation übernachten ließen – glimpflich davongekommen. Und das
Allerwichtigste: Am nächsten Tag waren wir wieder guter Dinge und
entschlossen (nach einer kurzen Debatte) wie geplant weiter zu machen.
Ein paar Zeltstangen mussten freilich
zurechtgebogen (dabei aber wohlgemerkt nicht etwa versehentlich
gebrochen) werden. Kein Problem für starke Männer. Stichwort Aluminium.
Auf! Hinaus ins weite
Feld! Ein ozeanisches Gefühl im Apuseni-Gebirge.
Das Zelt hatte ich mir auf
einer Messe in Wels gekauft. Von meinem Taschengeld. Einfach so. Der Vater
fand das anfangs zwar nicht ganz so geil (die Brüder schon), doch er
genehmigte den Ankauf nach einigem Hin und Her. Und puff! … Sieh einer an!
Ich war rund tausend Schilling ärmer – und ungemein stolz auf meine
prächtige Anschaffung. Blau wie der Himmel. Wie die
Freiheit. Wie die Donau.
Okay, nicht wie die Donau.
Wie die Veilchen.
Robert und Toni waren auch
stolz auf mich. Darauf, dass ich trotz meines sprichwörtlichen Geizes
(Onkel-Dagobert-Mentalität oberösterreichischer Art und Weise) aus der
sprudelnden Pracht des schönen Augenblicks heraus diesen abenteuerlichen wie
kostspieligen Gedanken gefasst hatte und mein Vorhaben auch lobenswert
zielstrebig und diplomatisch durchsetzte, indem ich das bei einem derartigen
Unterfangen naturgemäß unabdingbar nötige Okay der Elternschaft einzuholen
vermochte.
Mein
Zelt. Meine Alpen. Meine Zukunftsprojekte.
Mein kontinuierlicher Tagtraum. Über allen Gipfeln. In allen Wipfeln. Ich
war keine zehn Jahre alt. Die Karpaten hatte ich noch nie gesehen.
Biwakieren for future.
Urfahr-Style. What’s not to like? Gezeltet hatten wir dabei schon als
Kleinkinder. An der Adria. In Dubrovnik. Von Linz aus gut erreichbar.
Sozusagen gleich um die Ecke. Aber natürlich hatten sich damals die Eltern
um alles gekümmert. Wir Kinder schauten uns das Ganze als zwar begeisterte,
doch passive Zuschauer an – und mussten köstlich lachen, wenn die Eltern,
tja, Regen, Regen, Regen, während der Überschwemmung des Camping-Platzes
(uns hatten sie bereits vorsorglich im VW-Kombi verstaut) time and again
in den von ihnen gleich nach der vor ein paar wenigen Tagen erfolgten
Ankunft selber geschaufelten Graben strauchelten, den sie ja nun, da
alles überschwemmt war, nicht mehr sehen konnten. Und sie mussten
halt das Zelt wieder unter Sintflut-Umständen abbauen. It’s called
parenting.
Wer dem Hochwasser eine
Falle stellt, fällt selber hinein. Wobei der Graben natürlich lediglich für
normalen Regen konzipiert war, und nicht für das Unwetter des Jahrhunderts.
Als wir dann Jahre später, Messer und Schaufel am
Gürtel, in eigener Regie durch die "Wildnis" wanderten bzw. im Gebirge
zelteten, sollten diese bewegten Bilder aus unserer frühen Kindheit noch oft
genug in uns wachgerufen werden. It’s called
brotherhood.
Home, sweet home. On the
move. Es war ein Dreipersonen-Zelt. Man konnte freilich auch mal ruhig fünf
Mann reinquetschen, ohne dass es allzu eng wurde. Die
Rucksäcke verstauten wir dann unter der Zeltplane.
Zweimal sollte unsere
gesamte Fünfer-Familie jeweils eine Woche lang am Meer bzw. im Gebirge darin
übernachten. Ansonsten war es ein echtes "Kinderzelt"– oder sagen wir mal
ein "Jugendlichen-Zelt", kam es doch dann vor allem später, in unserer
Bergsteiger-Zeit, zum Einsatz.
Die restliche Ausstattung,
die jeweiligen Bahnkarten und den Proviant stellten uns die Eltern jedes Mal
gerne zur Verfügung. In meinem Zelt ließ es sich bestens schlafen – und
unter Umständen auch Karten spielen und kochen, soweit der Regen nicht mehr
aufhören wollte. Was ja mal dann und wann der Fall war. This is the way the
world works.
Ja, einen kleinen Kocher
schleppten wir auch mit. Und Brenngas. Just in case.
In zeltos veritas, hatte
schon Tacitus postuliert. Oder: Tents don’t lie. Das Zelt war hoch genug zum
Sitzen, bot dem Wind dafür jedoch auch eine ziemlich große Angriffsfläche,
was uns damals, auf dem eingangs bereits erwähnten höchsten Gipfel der
Apuseni, ziemlich zu schaffen machte.
Und so fing denn auch eine
der zentralen Wanderungs-G’schichten meiner Jugend an: die Durchquerung des
Apuseni-Massivs. Achtzig Kilometer. Eine Berghütte.
Ein paar wenige Wanderer. Ein paar Schäfer. Hundi
Eins, Hundi Zwei, Hundi Drei. Gassi all over. Gutes Gebiss.
Viele Höhlen. Die
sogenannten Apuseni-Höhlen. Und wir? Drei Höhlenmenschen, die Taschenlampe
stets zur Hand. How about it?
Ich war siebzehn. Don
Claudiu (guter Junge, redlich und zäh, leidlicher
Bergsteiger), der mit mir auf dem Gymnasium die Bank drückte und sich dann
zehn Jahre später noch als Pate meines Sohnes Theo einen Namen machen
sollte, war wieder mal mit von der Partie. Und Robert auch. Toni durfte
arbeiten. Das ist eben nunmal die Härte des Lebens. Und für uns "freie
Bergsteiger"? Die grüne Seite.
Wir wanderten den ganzen
Tag und schwenkten unseren Hut. Der Vater hatte uns zur Stärkung
Bergsteiger-Blutwurst auf den Weg mitgegeben, die Mutter ihren
Super-Karpaten-Zwieback gebacken und den restlichen Proviant
zusammengezaubert. Dreizehn Stunden im Zug und dann gleich zwanzig Kilometer
den Berg rauf. Direkt ins Gewitter. Ende gut, alles gut.
So richtig korrekt
geklettert sind wir dabei eigentlich eher selten. Und nur zweimal mit echter
Bergsteiger-Ausrüstung. Einmal in den Alpen und einmal in den Karpaten. Aber
jeweils lediglich einen kleineren Fels. Unter Anleitung. Und natürlich von
einem zertifizierten Alpinisten irgendwelchen Grades gesichert.
Ob’s der Messner war? Ja
vielleicht auch nicht.
Immerhin hatten wir aber
stets ein etwa zehn Meter langes Gurtband und ein paar Karabiner dabei.
Damit sicherten wir einander über jeweils kleinere Strecken, wenn wir mal
wieder – was oft vorkam – von der markierten Route abwichen bzw. leichtere
Bergsteiger-Routen in Angriff nahmen. Um zu sehen, was sich rundherum noch
so alles tat und ob das Gesetz der Schwerkraft denn auch immer noch voll und
ganz zur Geltung komme. Heutzutage wird mit gutem Grund dringlich davon
abgeraten, das Seil am Karabiner zu befestigen. Damals war es gang und gäbe.
"Lesen statt klettern",
forderte bekanntlich der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher, mit dem
ich mich dann Jahre später selbstredend in einem stimmungsvollen Wirtshaus
in good old Toronto gemütlich über dieses und jenes – "Wie kommt einer wo
an, wenn er wo ankommt?" – unterhalten durfte. Und die Schweiz ist von
Tunneln durchlöchert. Und Rumänien von Höhlen. Und wer seinen Mann stehen
will, trinkt Palinka.
Palinka linka linka.
Uns jedoch war damals,
in deep Western Romania, beides gleichermaßen wichtig. Und das Latschen.
Und das Quatschen. Denn so wird eine gute Karpatensuppe gemacht. Now am I
right or am I right?
Sorry. Das war der
Wichtigtuer im Autor. Der ist nämlich, Hand aufs Herz, auch immer mit dabei.
Wie ein Marktschreier. Mir geht es aber, mir ging es schon damals um nichts
als die Story, um ein in sich stimmiges Erlebnis mit Kopf und Fuß: um die
Sagkraft der Karpaten.
Das Gurtband hielt unser
Gewicht. Freilich spürte man, wie es gedehnt wurde, wenn sich einer abseilen
ließ. Und dass es durch das Reiben am Fels zu Schaden kommen könnte, war
auch eine Überlegung. Aber echte Seile ließen sich außerhalb des
Bergsteigervereins eben nicht auftreiben, wiewohl wir, diese Vorstellung
hatte man nun eben mal im Hinterkopf, total echte Bergsteiger waren. Und der
Berg war unser Freund.
Und das Klettern hatten
wir uns in den Alpen angewöhnt. Es gehörte sozusagen zur Hoamat. Zum
heimeligen Gefühl der Geborgenheit, der Brüderlichkeit, des Aufbruchs: des
munteren, rotweißrot rückblickenden Erwartungshorizonts
eines jedweden tirolerischen Gebirglers im oberösterreichischen
Stadtkind, das, wie unsereiner, die famosen Bergsteiger aus
dem Linzer Becken, den tirolerischen Gebirgler in sich trug und somit beides
war: Bergmensch und Stadtkind. Ach ja, und Höhlenmensch. Und Höhenmensch.
Die Bande meiner Kindheit. Gurt-Bande in orbe ultima. Hoamat zum Mitnehmen.
Helme hatten wir übrigens
auch nicht.
Those were the days, my
friend. Jedermannsrecht, was das Zeug hält – soweit man sich nicht erwischen
ließ. Wir waren Experten im Feuer-Machen und Wasser-Finden – wie es die
fernen Urfahren in ihrer Zeit, der Vorgeschichte, gewesen sein mochten. Den
Kocher verwendeten wir normalerweise nur, wenn es regnete und wir im Zelt
kochen mussten. Morgens gab’s frischen Tee, abends gutbürgerliche Suppe im
grünen Wald. Ein lustiges Leben.
Unser Aufenthalt? Stets
vergänglich. Stets ein Gleichnis. Stets ein Ereignis. Nicht einmal die
steifen Insel-Lords mit ihrem famosen union jack and the five o’clock
stiff upper lip hatten’s in ihrer britischen Chamber of Lords
fürstlicher als wir, the self-made time catchers
im ewig-geilen österreichisch-rumänischen Sherwood, das uns da, um es
schon wieder mit dem Dichter in mir zu sagen, irgendwie wunderlich hinan
zog.
Freilich waren wir dabei
immer noch verhältnismäßig verwöhnte Stadtkinder, die die Kälte nicht so gut
aushielten. Wir zelteten naturgemäß nur im Sommer. Im Frühling, im Herbst
und im Winter suchten wir uns zum Übernachten möglichst geheizte (bzw.
heizbare) Schutzhütten oder bemannte Berghütten aus.
Die Bande der Karpaten.
Aber der eiskalten Winde raues Gesicht war uns sozusagen doch a bisserl zu
rau. Ergo: Cum grano salis.
Immerhin empfanden wir uns
in den Bergen sozusagen stets als Reinhold Messner, Robin Hood, Wildtöter,
Winnetou und Old Shatterhand in einem. Als
Abenteurer, Pfadfinder und Entdecker. Der bestirnte Himmel über uns, die
frische Luft und die selbstgekochte Maggi-Suppe in uns. Das Allerwichtigste
war allerdings eins: Wir hielten zueinander. Unus pro omnibus, omnes pro
uno.
Die Wölfe heulten im
Walde. Warte nur, balde …
Die erste Apuseni-Nacht
hatten wir also (auf der Wetterstation – welch Gefühl der Geborgenheit!) gut
überstanden. Am zweiten Tag ging’s bis zu einer gemütlich aussehenden
Lichtung im grünen Wald – welch lustiges Wanderer-Leben! Das Zelt war,
obwohl es tagsüber stundenlang in der Sonne hatte trocknen dürfen, noch
immer einigermaßen nass. Ausgeschlafen wurde trotzdem. Alles paletti.
Westrumänien? The place to be.
Offensichtlich hatten
wir – um es schon wieder mal metaphorisch auszudrücken – mitten drin in der
Transhumanz gezeltet, denn wir wurden irgendwann, die Sonne war schon längst
aufgegangen, Amsel, Drossel, Fink und Star zwitscherten ungeniert im Walde,
von einer fleißig einher weidenden Schafherde geweckt.
"Bäh! … Bäh! … Bäh! …" Die
Schafe stolperten über die Pflocken, der Hund lächelte freundlich
(er hatte sich offensichtlich die Zähne geputzt), der Schäfer wollte
ein Foto und in uns machte sich schon wieder mal das ozeanische Gefühl der
Berge breit. Ich fotografierte den jungen Schäfer mit seinem Hund. Das Foto
wurde ein paar Wochen später von mir höchstpersönlich im ureigenen
Labor entwickelt und dem lieben Cioban ("Schäfer" auf Rumänisch) in
sein entlegenes Dorf geschickt. Ob er’s alsdann auch entsprechend an
bedeutender Stelle im Schlafgemach aufbewahrte, ist uns nicht bekannt.
Nachdem der
Karpaten-Bursch mit seiner vorzüglich ernährten Herde (Bio-Gras und frische
Luft) weg war, frühstückten wir kurz – und machten uns dann bald wieder auf
den Weg Richtung Pades. So heißt die gemütliche, mit einem passablen
Restaurant und einer Reihe von Gästezimmern ausgestattete Berghütte, von der
aus so gut wie alle "Expeditionen" zu den Höhlen der Apuseni starteten. Die
Hunde, auf die wir ein paar wenige Stunden später stießen, waren allerdings
nicht so freundlich wie der von mir vormittags gemeinsam mit seinem Herrchen
fotografierte Herr Wuffi. Wir flüchteten uns Gott sei Dank gerade noch
rechtzeitig auf einen Fels, wo wir (Stichwort: Auszeit bzw. Hunde-Zeit)
ausnahmsweise mal ganz besonders ergiebig zu Mittag aßen, und zwar so lange,
bis die bissigen Vierbeiner sich eine andere Beute aussuchten und wir wieder
vom Fels runter konnten.
Gegen Abend erreichten wir
eine Sennhütte, die an einem kleinen Fluss lag. Die Schäfer herrschten ihre
Hunde an ("Marsch zurück! Nicht beißen! Gute Menschen. Keine Diebe. Apropos,
ihr seid doch keine Diebe, oder? …") und unterbreiteten uns in knappen
Worten den lukrativen Vorschlag, abends gegen Frischkäse und Milch beim
Eintreiben der Schafe zu helfen. Wir schlugen das Zelt am anderen Ufer des
Flusses auf. Danach … na ja: Frischkäse und Milch.
Am nächsten Tag hätten wir
dann eigentlich laut (revidiertem) Plan Pades erreichen sollen. Doch
unterwegs regnete es schon wieder so heftig, dass wir uns nach etwa einer
Stunde entschlossen, zur Sennhütte zurückzukehren. Dabei wurden wir auch
noch von einer Büffelherde gejagt, was sich wohl nicht sehr heldenhaft
anhört. Doch die Büffel sahen, soweit ich mich besinne, ganz und gar nicht
freundlich aus. Ob es sich wohl wirklich, aber auch wirklich um Vegetarier
handelte? …
Wir latschten in aller
Eile über den Fluss (die Büffel blieben auf der anderen Seite) und
erreichten wieder die Sennhütte – allerdings nicht ohne zuvor intensiv von
den zähneknirschenden Schäferhunden angebellt zu werden, die inzwischen
total vergessen zu haben schienen, dass wir doch Freunde, ja mehr noch, die
lieben Arbeitskollegen vom Vortag waren.
"Fish are friends, not
food." Im übertragenen Sinne: "Nicht beißen! Gute Menschen. Keine Diebe."
Wir durften in einer
kleineren Hütte (ungefähr 100 Meter von der Sennhütte entfernt) übernachten,
die wir uns mit ein paar Mäusen und zwei Pilgern aus deutschen Landen
teilten, die ebenfalls in der Sennhütte vor dem Unwetter Zuflucht gesucht
hatten. Ein Matratzenlager oder etwa gar Betten gab’s da natürlich nicht.
Dafür aber immerhin Tannengeäst. Darauf ließ es sich trefflich schlafen. Und
wir richteten eine prächtige Feuerstätte ein. Und als wir merkten, dass es
ins Feuer regnete, richteten wir eine andere, noch prächtigere Feuerstätte
ein.
Unter dem Geäst: Mutter
Erde. In urtümlicher ums karpatenmäßig lodernde Lagerfeuer unsere zunehmend
trockeneren Klamotten. Die furchteinflößenden Büffel jenseits des Flusses,
Wuffi I, Wuffi II und Wuffi III? In die Marschhöfe zurückgejagt. Nicht
schlecht.
Am nächsten Tag erreichten
wir – mit zweitägiger Verspätung – endlich das vorläufige Ziel unserer Reise:
Pades. Vor der Hütte standen so an die hundert Zelte. Und mit unserem waren’s
dann sozusagen geschätzte hunderteins.
Die meisten Zelte gehörten
allerdings keinen "echten Wanderern", sondern faulen Autotouristen. Denn zu
Pades führte eine Schotterstraße. Wanderer, die – so wie wir – über den Berg
kamen, waren eher selten. Wir hatten unterwegs außer den beiden Deutschen ja
auch nur noch vier Tschechen getroffen. Ahoi! …
Im Restaurant bestellten
wir – in der Hoffnung auf Brot, denn unsere Brote waren wie gesagt durch
das Gewitter der ersten Nacht fast alle durchnässt und somit ungenießbar
geworden – je eine Portion Würstchen. Sauerkraut gab's nicht. Dafür aber
Bier.
"Würstchen mit Brot? No
problem! Hamma in Hülle und Fülle." Und dann keine fünf Minuten später:
"Bitte schön! Würstchen mit Senf. Wie bestellt." Das Brot war alle. That’s
life.
Eine Woche lang haben wir
die Höhlen der Westkarpaten sozusagen inbrünstig erforscht – im unbeständigen
Schatten einer wundersam rückkoppelnden Sennhütten-Sehnsucht, die wir in uns
trugen, die wir bis auf den heutigen Tag in uns tragen, einer Sehnsucht, die
nie ganz erlosch und zugleich doch nie ganz wirklich war. Die Zukunft ließ
sich da recht gut erhaschen. Und das Licht der Taschenlampen ging uns
während all der unterirdischen Erkundungen keineswegs aus. Und tief unten in
der underworld sahen wir bisweilen das Ding an sich in trauter
Erhabenheit herumlungern. Und wenn wir ihm gesagt hätten: "Verweile doch! Du
bist so schön! …"
Ach!
Jetzt ist die Zukunft da.
Jetzt jagen wir der Vergangenheit hinterher. Die Westkarpaten sind zu einem
Mikropunkt zusammengeschrumpft, zu einem Nano-Dingsbums, einem winzigen
Salzkörnchen in der Hexenküche. "Du musst verstehn!"
Dann und wann lodert das
Feuer auf, das die Suppe zum Kochen bringt.
What’s cooking?
Dies dürfte denn auch die eigentliche
Frage deep inside the story sein. Denn eine gute Karpatensuppe ist
immer noch eine gute Karpatensuppe. |