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Thirty years a zombie

Vorwort des redlichen Toronto-Scouts

Diesen Brief hab ich Anfang Juni in "Area 51" gefunden. Ich glaube natürlich kein
Wort von dem, was drin steht, doch es ist meine patriotische Pflicht, diese sogenannte
Dracula-Bulle zwecks ihrer ja hoffentlich bald zu erfolgenden wissenschaftlichen Widerlegung
in den so wundersam kreativen Raum unserer Geschichtsschreibung zu stellen.


V
on Vasile V. Poenaru
(01. 07. 2019)

...


   Okay, Bulle … Na ja. Also fix is bekanntlich nix. Aber die g’schätzten drei grünen Haberer from outer space, die sich noch einige Zeit in der näheren Umgebung der "Area" zu schaffen machten, moch’n ma amoa’s Licht an, leuchte, mein Stern, leuchte, bevor sie sich dann wieder, bye, bye, earthlings, God bless! and take care, auf ihr schickes Raumschiff beamen ließen, meinten, die Schrift sei echt.

"Wahrlich! Schriftos echtos!" Und neben dem Brief stand seltsamerweise eine Flasche Rotwein anno 1989. Revolution pur! Entkorken wir sie doch gemeinsam! 

Für freie Wahrheit, geile Demokratie und virtuelle Wirklichkeit!
Am zum Teil fiktiven Wesen soll die ganze Welt genesen!

Denn schon die alten Haberer sagten:
"Oisa wiss’n ’S wos? In vino veritas!" 


Gutachten des geschätzten Harvard-Haberers

   Also jetzt mal unter uns: Es hat keinen Sinn, das länger zu verschweigen: Der Genosse ist wieder "in".  Ich hab die Dracula-Bulle durchaus studiert (mit heißem Bemühen), seinen hochgelahrten klassisch-romantischen Vampiren-Brief, in dem doch zugleich so viel Sturm und Drang mit drin steckt. Der redliche Toronto-Scout leistete volle Arbeit. Und die g’schätzten drei grünen Haberer from outer space haben recht: Die Bulle ist authentisch. Meine Frau meint das übrigens auch. Und sie kommt aus Kentucky. Jetzt unterrichtet sie ebenfalls an der Harvard. Toll, nicht?

Dreißig Jahre nach Tian’anmen meldet sich also ausnahmsweise endlich mal der gute selige Diktator Nicolae Ceausescu aus seinem selbstverschuldeten Exil in den Wirren des Dark Web zum Wort. Manche sagen ja, er habe sich in Wirklichkeit eigentlich die ganze Zeit bei den alten Nazis on the dark side of the moon aufgehalten.

Die spinnen natürlich.

Andere behaupten, die Amerikaner standen 1989 immer noch hinter ihrem Ceausescu und versuchten sogar, ihn im Dezember aus den Händen der pro-sowjetischen Putschisten zu befreien. Mit gut sechshundert Kampfhubschraubern. Hip, hip! … Ma man! Alles für "unseren Mann in Bukarest"!

Die spinnen auch.

Und andere wiederum sagen, das sei nun alles wurschtegal. Besonders die Wiener. Namentlich die Wiener Polizei, die im Dezember 1989 so freundlich war, prompt zu bestätigen, dass sich der selige Bruder des Diktators, Marin Ceausescu, das Oberhaupt der Rumänischen Wirtschaftsmission in Wien, an Ort und Stelle, also in der schönen Schattenstadt der Spione, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wohl selbst erhängt haben wird. Denn es wollte sich eben kein geständiger Mörder einfinden, so Kripo-Inspektor von und zu Hanswurst. Na von mir aus Augen zu. Aber ohne von und ohne zu.

   Und nach Mördern suchen tun ma net. Und die Geldspur hamma leider angesichts der international gebotenen, tja, also angesichts der …  Wos? Welche Geldspur? Wos? Wos?

"Es gab keine Geldspur. Es gibt keine Geldspur." Und schon wurden die Ermittlungen eingestellt. Im Dickicht dichten die Dichter. Sie verarbeiten, sie retuschieren, sie überliefern die Mär, das Märchen vom spontanen Volksaufstand. Eine neue Geschichtsschreibung, ja, warum nicht, eine bessere Geschichtsschreibung, Freunde, will ich euch dichten!

"Hü-hott!", weiß es der Fiaker auf den Punkt zu bringen. "Mir müssen uns nur arrangieren."

Dem g’schätzten Räuber Hotzenplotz soll’s recht sein.  Er ist mit von der Partie, komme, was wolle. Freiheit und Demokratie!, beteuert er lautstark. Sein großer Sack steht wie immer bereit.

Das Motto? "Die unsichtbare Hand!" Er macht es sich auf der Landstraße bequem, während das Land naturgemäß in die Sackgasse mündet. It’s the economy, stupid!, greift der g’schätzte Herr Räuber Hotzenplotz Billy Clintons Spruch wohlgemerkt out of context auf. Ein kleiner Schritt für den Unternehmer, ein großer Quantensprung fürs Unternehmen. Dulce et decorum est pro … Pro, pro, pro. Ach was! Dulce et decorum est. Mein Privateigentum ist mein Heiligtum, klar? Wie bitte? Wo ich das geklaut habe? Das ist eine private Information. Meine ureigene Privatsphäre. Menschenrechte! Comprende? Die Deutschen haben gesagt, meine Menschenrechte seien heilig. Und jetzt fahr ich übrigens mal nach Deutschland. Da ist gut sein!

   Der Hotzenplotz hat nach der Wende hüben wie drüben Geschäfte gemacht. Er mag die Freizügigkeit. Er mag die österreichischen Absatzmärkte für sein walachisches Holz. Er mag die nach der Wende tunlichst geschaffene Wüste in Oltenien, auch Olteniens Sahara genannt. Er mag seinen in redlicher Gaunerarbeit erworbenen Reichtum. Und er mag natürlich die Korruption. Ohne Korruption kein Business. Ohne Business keine Freiheit. Ohne Freiheit kein BMW. Ohne BMW keine GmbH. Keine Demokratie, keine Haberer-Orgie. The Wealth of Nations.

"This is the end", singt der Minnesänger. "Und am End’, am End’, am End’ … ja am End’ is olles wurschtegal. Puff! Vorbei. Verpfuscht. In die Geschichtsbücher verbannt. The end. The end. The end."

"Fürwahr! This is the end, beautiful friend! Aber nicht für mich!", frohlockt Dr. Hotzenplotz. "Für mich beginnt jetzt das schöne Leben, die Freie Marktwirtschaft, die geile Demokratie, das Big Business des kleinen Mannes an der Hecke. Wegelagerer, das war ja früher mal ein respektierter Beruf. In meiner Kultur ganz normal. Was soll denn jetzt auf einmal so falsch daran sein? Es nimmt sich halt ein jeder, was er kann. Das ist die unsichtbare Hand. Adam Smith. It’s the economy. This is the way the world works. Außerdem braucht Europa eine stattliche Wüste. In jedem noch so kleinen Sandkörnchen der neu gezeitigten Rumänischen Sahara wird das ganze Kontinuum des Daseins aus den Angeln gehoben. Klar? Business! Business! Business!"

"The end. The end. The end. Ach wie vergnügt ist doch mein Ende …" Zeit zum Sterben? Der Minnesänger hat eben keinen Sinn für die global markets und die neuen Haberer.

   "Wo ist denn mein Bewässerungssystem?", will nun auf einmal Seine Exzellenz der Selige Diktator erstaunlicherweise wissen. 

"Geklaut, Boss. Nach Ihrem Tod. Sorry, Genosse Diktator. Sämtliche Röhre. Wie alles andere auch. Wir sagen aber gern, dass Sie es gewesen seien, der sich damit aus dem Staub gemacht habe. Im wörtlichen Sinne. Denn jetzt gibt es hierzulande Staub in Hülle und Fülle. Stichwort Sahara. Rumäniens Sahara. Rumänien als Sahara. Regime change. Tja, die grüne Seite eines Verfassungssystems. You know, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Malta!"

"Ach so! Passt. Hmm … Alles runtergewirtschaftet? Das ist ja noch schlimmer als in meinem Albtraum. Whatever. Ich bin eh längst tot. Ihr könnt mir ruhig alles in die Schuhe schieben."

Für einen, der sich dreißig Jahre lang als gottverdammter Zombie auf der dunklen Seite des Mondes aufgehalten hat, scheint der selige Erz-Diktator der tristen Figur ja trotz allem, was man ihm nachdichtete, seine Fassung eigentlich recht gut bewahrt zu haben. 

Thirty years a zombie. Das passt nicht nur zu ihm, dem im Hinterhof der Geschichte offensichtlich aus Überlegungen der großen Weltpolitik heraus ermordeten rumänischen Staatspräsidenten, sondern für viele, die damals daran glauben mussten, ja es passt zur Geschichte jener Zeit im weitesten Sinne und auch zur ausgesprochen prekären "kreativen" Geschichtsschreibung der Wende. Dabei ist und bleibt die Vergangenheitsbewältigung an sich in rumänischen Landen höchst unerwünscht. Ihr naht euch wieder, unbegreifliche Geister …


Dracula-Bulle des Erz-Haberers

   Ich bin ein Ober-Vampir aus dem adligen Geschlecht des Dracula. Das will ich ja gerne zugeben. Blutrünstig war ich jedoch nie. Ich hab immer mit unserem guten heimischen Rotwein vorlieb genommen. And now let’s talk business.

Helmut Schmidt, den ich gern zu meinen Freunden zähle, hat für das von der chinesischen Volksarmee im Juni 1989  unter den Demonstranten prompt angerichtete Massaker Verständnis gezeigt. Die Demonstranten hätten schließlich, so Altkanzler und Elder Statesman Schmidt, die Autorität  der Staatsgewalt herausgefordert. Den Soldaten stand halt nichts als scharfe Munition zur Verfügung.  Und … na ja.

Jenes Massaker war also, wie man Schmidts öffentlichen Bemerkungen zur Causa Tian’anmen entnehmen durfte, lediglich eine Frage der Logistik. Der moralische Aspekt musste den Kürzeren ziehen. Eine sehr diktaturfreundliche Standortbestimmung. Darauf werde ich noch bald genug in eigener Sache zu sprechen kommen. 

Und da haben sie, die chinesischen Soldaten, naturgemäß auf die Demonstranten geschossen, erklärte Schmidt auch im Fernsehinterview. Gutheißen konnte er das Massaker zwar nicht, doch man müsse die ganze Angelegenheit im Kontext der spezifischen kulturellen und sozialpolitischen chinesischen Gegebenheiten differenziert betrachten.

Offenbar ging ihnen die Munition erst recht spät aus.

   Anders gesagt, was die Chinesen machen, ist ihre Sache. Wir dürfen uns nicht anmaßen, ihnen zu sagen, was sie tun und lassen sollten bzw. was moralisch sei und was nicht. Und wenn sie nun viertausend oder auch mal hunderttausend Demonstranten einfach über den Haufen schießen, dann ist das an sich weder gut noch schlecht. Wir betrachten das Massaker differenziert. Die Staatsgewalt könne unmöglich das Gesicht verlieren, so Helmut. China ist China. Das hat einer angeblich mal richtig zu begreifen. Kultur! Kultur! Kapiert?

Klar. Differenziert. Kapiert. Passt. Einen schönen Tag noch! Und Rumänien ist Rumänien.

Schließlich haben wir Europäer es ebenfalls öfters genauso getrieben. Ich meine, früher. Vor den Menschenrechten. Und mir ham uns nie geniert.

Blicke ich jetzt zurück, so ist mir alles sonnenklar. Ich war damals ja schon seit fast fünfundzwanzig Jahren an der Macht. Und auf eins verstand ich mich, um es mal mit Wilhelm dem Zweiten zu sagen: aufs Regieren. Wir denken hier oben natürlich wesentlich anders als ihr da unten. Und es stimmt, dass ich den Diktator-Job bald mal meinem Sohn vererben wollte. Als aufgeklärter Despot hat einer eben Sonderrechte. Und jetzt zitiere ich bitte schön Friedrich den Großen: Räsoniert, so viel ihr wollt, aber gehorcht! Zitat zu Ende. Aufklärung, Jungs! Auf, auf!

Das ist nun mal so. Das war schon immer so. Das wird auch immer so bleiben. Bis dass der Tod uns … Ach was! Der Tod kann mich mal!

   Meine Frau hat sich unbedingt als große Wissenschaftlerin feiern lassen wollen. Ich nicht. Nun gut, ein Diplom vom Bukarester Polytechnikum hab ich mir freilich zustecken lassen, aber das war’s dann schon wieder. Ich hab ja nie etwa groß behauptet, ich sei Ingenieur von Beruf oder so. Magister. Oder Doktor gar. Irre!

Nein, ganz im Gegenteil. Ich war schon immer ein political animal. Politics junkie würde man heute wohl dazu sagen. 

Als mich mal in den späten Achtzigern der Dings fragte, wie hieß er denn gleich, der von der britischen Zeitung, ob es stimme, dass ich beruflicher Revolutionär sei, hab ich das eingeräumt. Die Revolution war, ist und bleibt mein Beruf. Meine Berufung.

Jetzt mögt ihr euch gleich fragen, was damals denn noch eigentlich im guten Rumänien zu revolutionieren gewesen sei. Eine Antwort geb ich euch nicht. Das ist mein Recht als Staatsoberhaupt. Soweit ihr aber die Volksversammlung einberuft, steh ich euch jederzeit gern Rede und Antwort. So … Man schreibt also das Jahr 1989.


Rewind
:

Volksversammlung? Okay. Putschisten? Not okay.

Dieser verflixte Gorbachov behauptet, er wolle den Kommunismus retten. Ich glaube nicht, dass er den Kommunismus retten wird. Ich glaube, er wird ihn unwillkürlich zerstören. Und dann kommt wieder der primitive Kapitalismus. Und alle leben auf Pump, bis die Blase platzt. Und dann kommt die Krise und alle klagen und besinnen sich auf meinen Sparkurs. Gürtel fest!

Das bewegte mich damals.

Ich hab die Auslandsschulden beglichen. Als Einziger weit und breit, ja, als einziger Schuldner überhaupt. Der Protest der Scheiß-Wucherer war gewaltig. Die Lehmann Brothers, die Panama Brothers, die Loan Shark Brothers, die Alligator Brothers und die Cayman Brothers haben gleich allesamt geschrien, dann können sie ja gleich dicht machen mit ihrem Big Toxic Assets Business. Ihre faulen Papiere, hab ich ihnen ihnen darauf entgegnet, können sie von mir aus  selber fressen. Ich falle auf euern Blödsinn nicht rein!

Und sieh einer an! Ich war jetzt nicht mehr "Ceausescu: our man in Bucharest", sondern der blutrünstige Diktator, der keinen Respekt vor dem Wucherkapitalismus und der alten internationalen Wirtschaftsordnung hat. Der blutlechzende Vampir. Der Erzfeind.

Aber ich kriegte mein Vaterland aus der Zinszange raus. Wie bitte? Ich sei es ja schließlich auch gewesen, der den Schuldenberg anhäufte? Mag sein, aber davon sprechen wir jetzt nicht. Warum nicht? Dazu äußere ich mich bitte sehr nur vor der Volksversammlung.

   Jetzt werden sich viele denken, dies sei hundsgemein von mir. Das machen wir aber eben alle so. Wir Politiker. Wir Staatsmänner. Wir sind ja keine Lämmer. Wir sind Wölfe.  Steppenwölfe. Werwölfe. Vampire und Haberer san ma. Oder Kröten. Doch dazu sag ich vorerst nichts mehr.

Auf einmal haben alle meine ausländischen Freunde, von den Amerikanern bis zur gnädigen Genossin Frau Queen, behauptet, ich sei wahnsinnig. Erstens gehe es eben mal nicht ohne die Ausbeutung der Entwicklungsländer und der Dritten Welt, und zweitens wolle mir niemand den Garaus machen. Das habe mein Nachrichtendienst falsch abgelauscht, Ehrenwort, und auf Malta habe es lediglich (jeweils im Flüsterton, versteht sich) geheißen, den neuen, frischen, so sehr wohltuenden Fahrwind der Demokratie und Neuverschuldung bereite man von Ungarn aus.

Also nicht den Garaus machen, sondern etwas von Ungarn aus machen wollten sie. Nur, was? Vielleicht wollten sie mir ja von Ungarn aus der Garaus machen.

"Bald wird mein liebes Land endlich in der Tat unabhängig und souverän, verdammt nochmal! Was den Kerlen freilich nicht ins Konzept passt. Deswegen wollen sie mich ja auch umlegen." Das dachte ich mir im Dezember 1989. Und am ersten Weihnachtstag haben sie mich dann auch wirklich gekillt. Als Strafe und Demütigung für mein ganzes Volk. Und damit ich nicht auspacke.

   Nicht nur mich. Gut tausend weitere Menschen haben sie erschossen, da sie nun schon mal so richtig in Schwung gekommen waren. The killer instinct. Für die hundert, die während meiner Herrschaft getötet wurden, muss ich wohl oder übel die geschichtliche Verantwortung übernehmen, wiewohl mich jedoch wohlgemerkt ein gewiefter Anwalt bestimmt aus der Schlinge rauskriegen würde. Ich hab ja befohlen, auf die Beine zu schießen. Und mein Befehl hatte gelautet, die Soldaten sollen jeweils nur dann schießen, wenn sie angegriffen werden. 

Unter uns: Ich bin kein Heiliger. Und dass ich nach so vielen Jahren voller Schmeicheleien von Seiten meiner eifrigen Lakaien a bisserl an Größenwahn litt, kann man mir nicht verdenken. Aber wer behauptet, ich sei noch härter gewesen, als die Zeiten, die ich erlebte, hat keine Ahnung von Duden und Blasen. Die Untertanen hatten’s im Schnitt besser, als ich noch lebte. Fragt sie doch! Fragt die Untertanen. Statistisch betrachtet schneide ich mittlerweile nämlich schon wieder verdammt gut ab.

Was gab’s denn vor uns? Demokratie? Damit ich nicht lache! Die gute Zwischenkriegszeit war in Wirklichkeit sehr ungerecht. Wollte sich die brutal und skrupellos unterdrückte Arbeiterklasse organisieren und etwa streiken, so eröffnete die Polizei kurzerhand das Feuer. Nur wenige Jahre zuvor wurde ein Bauernaufstand  aufs Unmenschlichste niedergemetzelt. Menschenrechte? Nie gehört. Ich saß im Knast und träumte gemeinsam mit ein paar weiteren politischen Poeten von einer gerechten Welt. Und in Leinwand eingebunden? Der Kommune Mitgliedsbuch.

   Wer mir das Buch gegeben hatte und warum ich überhaupt dort herumstand, gehört nicht hierher. Mit Recht und Gerechtigkeit ist das ja immer so ‘ne Sache. Nach den schrecklichen Fünfzigern, in denen überall im Ostblock der stalinistische bzw. post-stalinistische Terror wucherte, kamen die hoffnungsvollen Sechziger. Und ab 1965 hatte Gott sei Dank ich das Sagen. Ich leitete in Sachen "kapitalistisches Ausland" trotz des ausdrücklichen Verbots der Russen sofort meine Annäherungspolitik ein. Dialog, das war mein Leitwort. Ich hab Weltpolitik gemacht. Ich war, international betrachtet, engagiert und innovativ. Zu Hause erstarrte meine Ideologie allerdings nach und nach zum gängigen Afterdienst des kommunistischen Mittelalters.

Sorry. Aber ich hab dann in den Achtzigern die Blase klar gesehen. Die westlichen Banker Brothers sagten, ich sei total geisteskrank. Sie sagten, der Scheiß-Diktator (also ich) habe die Auslandsschulden seines Landes beglichen, was ja wahr ist, wozu er auf Sparkurs gegangen sei, was ebenfalls wahr ist, und auf Sparkurs gehen, das sei an sich schon eine riesige Schweinerei, wo doch jeder Mann, jede Frau, jede GmbH und jeder Staat in der Konsumgesellschaft dem Prinzip der Toxic Assets Shark Brothers gemäß verpflichtet sei, in aller Ewigkeit Zinsen und Zinseszinsen auf einen kontinuierlich anwachsenden Schuldenberg zu zahlen, was nun aber nicht wahr ist. Ich hab die Toxic Assets Shark Brothers und ihre verflixte Faultier-Papier-Körperschaft von Anfang an als  Gefahr für die Weltwirtschaft empfunden. Es regnete nur so mit Krediten und Leerverkäufen. Die Zinszange klapperte feuertrunken. Wie eine Klapperschlange klapperte sie.

Und später, als die Blase, die ich voraussah, platzte und die Krise, die ich kommen sah, tatsächlich kam, sagten sie von den Griechen, die Faulenzer mögen gefälligst auf Sparkurs gehen, um doch wenigstens einen wenn schon noch so winzigen Teil der Zinseszinsen zahlen zu können.

Denn, so hieß es auf einmal, ohne Sparkurs tut sich nix. "Und mir ham scho’ immer g’sogt: Sparkurs! Sparkurs! Sparkurs!" Ach was! Leck mi!

   Alle Wirtschaftswissenschaftler und Staatsmänner machten sich daran, meine Thesen aus den Achtzigern zu zitieren, ja viele lernten sie sogar auswendig, ohne freilich die Quelle anzugeben. "Dann also wie gesagt: Sparkurs! Aber ein bisschen dalli bitte! Ja, die Italiener auch! Pronto! Andiamo! Andiamo! Wird’s bald! … Schneller! … Und die Spanier! Und die Iren! Go, go, go! Ale, ale, ale! … Sonst kommt die Frau Bundeskanzlerin mit der Knute, ihr depperten Haberer!"

Den Griechen wollten die TeuTo Brothers als Strafe dafür, dass sie nun, in den späten Nullerjahren, meinen genialen April-Thesen (sorry, Bescheidenheit ist ja nicht mein Ding; ich leide wie gesagt schon seit den frühen Siebzigern an Größenwahn) aus den späten Achtzigern nicht Folge leisteten, sondern ganz im frühkapitalistischen Geiste dem 15. Imperativ der Ludwig Brothers fronten, ja, nach mir die Geldschwemme, zunächst das Pantheon und dann wenigstens zwei, drei mittelgroße Inseln beschlagnahmen, worauf die Griechen erwiderten, dass sie dann aber, da es offensichtlich hart auf hart ginge, Entschädigungen für die von den ja nicht ganz so menschenfreundlichen TeuTo Brothers während des Zweiten Weltkriegs verübten Gräueltaten verlangen. Dabei waren das aber gar nicht die TeuTo Brothers, sondern die TeuTo Cousins.

Frau Merkels Bild haben die Griechen dann (natürlich mit Schnurrbart) retuschiert, so dass sie nun leider Gottes wie Herr Hitler aussah.

Ich fand das alles geschmacklos.

Aber dann hat sich Frau Merkel das internationale Image wieder bald aufpolieren lassen, indem sie eine Million Zuwanderer ins Land ließ. Ja, zusätzlich. Das war nett von ihr. Freilich gibt es derzeit so ungefähr eine halbe Milliarde Menschen, die gern nach Deutschland ziehen würden. 

   Von wegen keine Obergrenze! In Kabul allein haben sich 2015 gleich mal eine Million Afghanen schnellstens einen Pass ausstellen lassen. Richtung Almania! … Passt. Abzocke! Nein, inwiefern bzw. ob sie überhaupt die westliche Kultur gelten lassen wollen, haben sie nicht gesagt. Ich bin in dieser Hinsicht, das nebenbei, ganz der Meinung meines Freundes Helmut Schmidt.

Dass die CDU Merkel nun wegen ihrer dilettantischen Flüchtlingspolitik fallen ließ, bedauere ich zutiefst, besonders weil wir ja beide den größten Teil unseres Lebens im Kommunismus verbrachten und somit sozusagen einen gewissen gemeinsamen Ossi-Hintergrund aufweisen, was ich allerdings keineswegs abwertend meine. Und einen gemeinsamen Erwartungshorizont haben wir auch. Einen gemeinsamen rückblickenden Erwartungshorizont.

"Die Lage ist beschissen", sagte Schmidt im einschlägigen  Interview. Und ich kann ihm wie gesagt nur beistimmen. Politiker mit Diktatur-Hintergrund halten sich gut im Sattel.

Freilich war es blöd, dass ich 1989 versuchte, mich mit den restlichen drei verbliebenen Dinosaurier-Kommunisten der alten Garde zusammenzutun, worüber sich dann später nach meiner Ermordung alle lustig machten, doch aus meiner Perspektive betrachtet erschien das im gegebenen Kontext als durchaus folgerichtig. Und ich war wohlgemerkt immer noch ganz derselbe. Zugegeben, etwas unzeitgemäß, doch immerhin.

   Derselbe Mann. Dasselbe Gedankengut. Dieselben Ideale. Dieselben Charakterschwächen und Charakterstärken, ja dieselben gottverdammten Ängste, Wahlverwandtschaften und inneren Veranlagungen. Da hab ich mich naturgemäß  unwirsch gefragt: "What the hell’s going on? Warum hat mich das Abendland auf einmal nicht mehr lieb? What’s up?"

Genau. Ich hab mir die Frage bezeichnenderweise auf gut Englisch gestellt. Nicht auf Russisch. 

Ach! Ich kann mich noch bestens darauf besinnen! Als ich zum zweiten oder dritten Mal als geladener Gast im Weißen Haus vorstellig wurde (ich war übrigens, was jetzt weitgehend vertuscht wird, der erste kommunistische Staatschef, der sich von den Amerikanern einladen ließ, wie ich denn auch wohlgemerkt der erste kommunistische Staatschef war, der  klugerweise diplomatische Beziehungen zu Israel und zur BRD aufnahm, worüber die Russen so richtig in Rage gerieten, bevor es mir dann schließlich nach und nach der gesamte Ostblock gleich tat), sagte ich meinem Freund Jimmy, dass ich es gut finde, dass große und kleine Länder jetzt auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch kommen, selbst wenn sie, wie in unserem Fall, doch sehr verschiedene Gesellschaftsordnungen aufweisen. Jimmy Carter bot mir damals an, die rumänische Wirtschaft an der Börse zu listen. Ich hab mich dann die ganze Nacht mit meiner Frau darüber unterhalten. Da unsere Wirtschaft jedoch auf dem freien global market angesichts der offensichtlichen Rückständigkeit des gesamten Ostblocks im Vergleich zum Westblock kaum konkurrenzfähig war, ließ ich bis zuletzt schweren Herzens davon ab. Ich hab mir die Entscheidung keineswegs leicht gemacht, doch, na ja, die Verhältnisse, die waren halt nicht so. Really. Da hat der Brecht recht.

Vielleicht hätte ich ja, geostrategische Überlegungen hin und her, auf Jimmys Angebot eingehen sollen. Das ist heutzutage aber leicht gesagt. Ich war jedenfalls (auf Einladung dreier amerikanischer Präsidenten) insgesamt viermal in den Staaten. Und dort hab ich mich auch wirklich mit allen getroffen, die was zu sagen hatten. Und auf unbequeme Frage der Journalisten ließ ich mich auch ein. Wie viele Neukönige haben mir das nachmachen können?

   Also auf dem Mond läuft nach wie vor alles bestens, doch bei euch, auf Erden, ist, wie ich sehe, schon wieder mal die Hölle los. Wie dem auch sei: Das schafft ihr schon, Genossen! Oder vielleicht auch nicht.

Was auf jeden Fall bleibt, sind die Ideale. Gute Ideale. Meine Ideale. Vorzüglich virtuell. Es lebe das freie, souveräne und unabhängige Rumänien! Es lebe die Utopie! Es lebe die dunkle Seite des Mondes! Und die drei g’schätzten grünen Haberer aus dem erhabenen Reich des Konjunktivs!

Vom heutigen Standpunkt heraus betrachtet sieht es übrigens ganz so aus, als habe sich seit den Achtzigern die Ungleichheit weltweit verdreifacht. Die reichsten 400 Amerikaner verfügen über mehr Kohle als die ärmsten hundertfünfzig Millionen. Das hat ein Berkeley-Wirtschaftsexperte kürzlich berechnet. Ich wittere förmlich den nächsten Crash.

Die jetzige Situation ähnelt derjenigen der Zwanziger. Ja, der Situation vor der Great Depression. Na ja, egal. Wie gesagt, ihr schafft das schon. Und ich flieg also jetzt mal wieder kurz zurück zur dunklen Seite des Mondes. Adolf von Bayern und Leopold von Belgien haben zu einem mörderischen Fest eingeladen. Dieses Jahr ist es schon zum dritten Mal Halloween. Friedrich der Große hält die Rede. Und ein paar Päpste und Gegenpäpste sprechen uns allesamt heilig. Sich selber übrigens auch.

De Gaulle und viele seiner kolonialen Mittäter sowie auch ein Haufen Engländer werden anwesend sein. Und Stalin und seine Mannen. Und Petain. Und Kim. Und der gute alte Etzel… Ach, die Liste ist echt lang! Lauter schwere Burschen.

   Ich bin dort oben auf dem Mond eigentlich der Einzige, der hier unten auf Erden keinen Mord begangen hat. Die Klub-Mitgliedschaft verdanke ich allein den Fake News, mit denen mich die Lügenpresse nach dem Staatsstreich bedachte.

Wer nicht klein beigibt, wird dämonisiert. Ist ja klar. Ein Neffe von Goebbels hat mich gleich zum blutrüstigen Monster verklärt, als ich behauptete, die Würde Rumäniens sei unantastbar. Ach ja, Goebbels ist jetzt übrigens auch auf dem Mond. Er arbeitet immer noch. Als Special Consultant in Dark Matters.

"Wenn wir die Rumänen international isolieren und dann durch massive Einschüchterung dazu bringen, die Ehre ihres Staatspräsidenten wie die Schweine, die sie ja sind, zu besudeln, dann ist endlich auch der ganze Unabhängigkeits-Talk Schnee von gestern. Ist der rumänische Staat erst einmal enthauptet, haben wir mit den zurückgebliebenen 23 Millionen Deppen leichtes Spiel. Wir lassen uns einfach als neue Götter anbeten. Das Land wird geplündert, die Bevölkerung versklavt." Und so weiter.

"Denkt gar nicht erst daran, was das Amt des Staatspräsidenten repräsentiert", sprach Goebbels Neffe auf die Lakaien ein, die er gegen mich und mein Amt hetzte. "Meuchelmord? Supercool! Der Kerl ist vogelfrei. Bringt ihn einfach um. Ihr seid ja eh allesamt nichts als mörderische Schweine. Und euer Land wird nie souverän sein. Wir machen eine schöne Sahara draus. Freiheit und Demokratie, ihr lumpigen Penner! Was das zu heißen hat, bestimmen wir."

   Ach, der Goebbels spinnt, dachte ich mir. Meine Landsleute können unmöglich so blöd sein, auf die Masche reinzufallen. Na ja, die Landsleute haben mich überrascht. Sie sind darauf reingefallen. "Stupid people", sagte Silviu Brucan, einer der Putsch-Drahtzieher mit begrenzter Haftung und unbegrenzter Moskau-Deckung in einem Fernsehinterview. Eine Deppen-Nation.

Interessensphären, sag ich doch immer. Interessensphären. Und in erster Linie war das ja alles nur die Retourkutsche für 1968. "Euer Einmarsch in die Tschechoslowakei ist so was von verkehrt!", hab ich den Russen vorenthalten. Mir fehlte nicht der Mut, mich meines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Können die jetzigen Hampelmänner das von sich behaupten?

Natürlich reicht es aber langfristig nie, sich lediglich auf seinen eigenen Verstand zu verlassen. Dies war mein Hauptproblem. Im Nachhinein sonnenklar. Doch ich will jetzt nicht gleich den ganzen Tag lang klagen wie der g’schätzte Nibelungendichter in seinem nebligen Nibelungen-Dickicht. Denn ich bin ja wie gesagt kein historischer Poet, sondern eben ein politischer Poet. Und Regieren geht vor Studieren. Und machmal sind die eigenen Gedanken eben auch mal mittelmäßig oder sogar total beschissen. Der Einzelne kann nichts dafür. Ich wasche meine Hände in Unschuld.

Brrr! … Kein Warmwasser? Haben die Russen schon wieder unsere Gasvorkommen angezapft?

   Aber hallo! 1968! Ich als Erz-Haberer aller Rumänen hoch im Sattel! Als Erz-Haberer der freien Welt! Der russischen Übermacht zu Trotz. Für mein vielgeliebtes Vaterland! Für die Arbeitsmänner der Tschechoslowakei. Für Meinungsfreiheit und sozialistische Vielfalt. Ein Athlet der Unabhängigkeit und Souveränität! Indeed zu Schutz und Trutze. "President Ceausescu, you rock! The free world owes you a great debt of gratitude."

My pleasure. My pleasure. Noch ein Foto? Gern! Like me on Facebook!

Instagram! O mei! … Die haben mich wirklich mal alle lieb gehabt!

Jenes Kapitel steht. Und meine Auslandspolitik bis in die späten Siebziger, nein, bis in die frühen Achtziger. Im internationalen Spiel hab ich fleißig mitgemischt. Die g’schätzten grünen Haberer from outer space wissen Bescheid. Und die höheren Wesen von Alpha Centauri, die wir ahnen. Nur das zählt. Sind jene Wesen bei mir (aber ja doch, Genosse Haberer), geh ich mit Freuden zum Sterben und zu meiner Ruh. Und ich will immer noch meine Volksversammlung.

Wie bitte? One to beam up? I’m coming. I’m coming … Abrakadabra-Haberer!

Der Weltraum ist geil. Und edel und gerecht. Und alle Genossen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. Wie ich schon good old Jimmy sagte: auf Augenhöhe. Back in the day. Herr Ober! Wenn ich bitten darf … Oder ist das jetzt alles nur ein Traum?

   Trauert immer nur brav um mich weiter, liebe Genossen und Freunde. Ich hab einen Blick in die Glaskugel gewagt: Es kommen härtere Tage. Und falls euch das immer noch nicht klar sein sollte: Diese Loan-Shark-Zinszange ist eine falsche Schlange. 

And off to the moon I go!
 


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