
Oltița Cîntec
oltitacintec [at]
gmail.com
Oltița Cîntec ist
Theaterkriti-
kerin, Kuratorin mehrerer Festi-vals der darstellenden Künste
in Rumänien, Fachberaterin
und Koordinatorin von Thea-
terprojekten, Autorin zahlrei-
cher Bücher über das zeit-
genössische Theater. Ihre Arti-
kel und Studien wurden in
wichtigen Theater- und Kultur-
zeitschriften im In- und Aus-
land veröffentlicht, unter ande-
rem in Critical Stages, Collo-
quium Politicum, Euresis,
Philologica Jassyensia,
DramArt, Observator Cultural,
Scena.ro, Teatrul Azi. Drei-
fache Nominierung für den
UNITER-Preis für Theaterkri-
tik (2007, 2012, 2019).
Derzeit ist sie Präsidentin
der Internationalen Vereini-
gung für Theaterkritiker-
Rumänien (AICT.RO).

(c) Dragos Dumitru
Botond Nagy
"Die Arbeit [an Hamlet
rework, Anm.] war unser
künstlerisches Manifest,
unsere Art, alles in Frage
zu stellen. Weil die Schule
zuallererst ein Ort der
Krise sein muss, an dem
man auf seine innere
Stimme hören soll."
"Ohne Musik kann ich
nicht arbeiten, kann ich
nicht existieren. Sie weckt
meine Aufmerksamkeit
und macht mich verletz-
lich. Ich höre viel Musik
und habe immer eine
Wiedergabeliste im Kopf,
sobald ich die Richtung
einer Inszenierung spüre."
"Ich liebe es, die Darstel-
ler zu entdecken. Eines
fordere ich immer von
ihnen: Auf die Schau-
spieltechnik zu verzich-
ten! Denn alles ist
echtes Leben."
"Ich
betrachte mich als
Führer, als Person, die
ein Gleichgewicht bewah-
ren muss und es vor
allem schaffen soll, eine
Atmosphäre der Kreativität
zu erzeugen."
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Nach
Abschluss der Theaterklasse der Kunsthochschule "Plugor Sandor" in Sfântu Gheorghe
entschied sich Boty für die Regieklasse von Bocsárdi Lázsló an der
Universität der Künste in
Târgu Mureş
(2012-2015), wo er auch einen Masterabschluss machte. Schon in den
Gymnasiumsjahren hatte er die Gelegenheit, beim Reflex Festival (Intendant
ebenfalls Bocsárdi) Werke bekannter Regisseure wie Krystian Lupa, Michael
Thalheimer, Jan Klata oder Dusan D. Parizek zu bestaunen. Weitere Vorbilder für
Boty waren die Arbeiten von Yves Klein und die Modenschauen von Alexander
McQueen sowie Andrei Tarkovski. "Ein wichtiges Treffen war das mit Tompa
Gábor, der für mich wie ein Vater ist", sagt Boty und fährt fort: "Außerdem
stehen mir die Offenheit, Leidenschaft und Poetik von Pippo Delbono nahe.
Ich verfolge die Arbeiten von Ricci/Forte, Luca Silvestrinis Protein
Theater, Dimitris Papaioannou, Peeping Tom, Jan Lauwers, François Chaignaud,
Kirill Serebrennikow, Gaspar Noé und Yorgos Lanthimos."
Sein Nonkonformismus zeigte sich schon während des
Studiums, als er unkonventionelle Plätze der Stadt als Spielorte bevorzugte.
Seine Abschlussarbeit war eine Shakespeare-Überarbeitung. Hamlet rework
kündigte seine Vorliebe für Klassiker an. Die Produktion wurde für einen
Club in einer ehemaligen Textilfabrik in
Târgu Mureş gemacht, ein Ort
der
Underground-Szene, ästhetisch anspruchsvoll und von einem Publikum
frequentiert, das für innovative Formen offen ist. "Wir haben im Januar,
nachts bei -23 Grad Celsius, geprobt. Bei der Premiere konnte nur ein Teil
des Saals für das Publikum beheizt werden. Die Arbeit war unser
künstlerisches Manifest, unsere Art, alles in Frage zu stellen. Weil die
Schule zuallererst ein Ort der Krise sein muss, an dem man auf seine innere
Stimme hören soll. Mit vielen Mitgliedern des damaligen Teams arbeite ich
noch heute zusammen: Rancz András, bildender Künstler und Erőss László,
Licht-Designer. Wir sind auch enge Freunde", erzählt der junge Regisseur.
Vom Underground zum Mainstream
Dann
begann Boty in den Staatstheatern zu arbeiten. Im Figura Studio von Sfântu
Gheorghe inszenierte er Das Sandmonster von Székely Csaba. Mit 21
Jahren brachte er im Jahr 2015 Miss Julie mit Szenen aus Tarkovski beim Theater
"Tamasi Aron" in Sf. Gheorghe auf die Bühne. Das Projekt kündigte seine Affinität
für den Film an, zu dem er eine besondere Beziehung entwickelte. Zahlreiche
visuelle Hinweise auf Pasolini und Tarkovski sind in seinen Werken zu
finden. Es folgte All Over Your Face beim Kreations- und
Versuchs-Reaktor in Klausenburg (2016), eine im Devised-System
erarbeitete Performance, "eine Studie über das Thema der Jugend, über die
Beziehungen, die wir ein Leben lang mitführen".
Sein Regieprogramm setzte sich mit Hedda Gabler am
Nationaltheater "Radu Stanca" in Hermanstadt (2018) fort, einer mutigen
zeitgenössischen Version von Ibsen. Eigentlich widmete sich Boty mehreren
Stücken des Autors, bei dem er "die Tiefen stiller und verborgener Gewalt,
die immer in unserer Seele lauern", entdeckt. Botys Hedda ist eine
ausgewogene Mischung aus kindhafter Weiblichkeit, Nachlässigkeit,
Engagement, Hartnäckigkeit und Kraft. Die szenische Umsetzung bedient sich
mehrerer Zeiten und Epochen: Jorgen Tesman, Heddas Ehemann, reist
ironischerweise in einem Raumschiff, dafür wird die Protagonistin im Prolog
von einer bizarren Figur im Barockkostüm begleitet. Auch die breite Palette
der akustischen Stile und vielschichtigen Rhythmen unterstützt die
verschiedenartigen Epochen. Musik ist ein wesentliches Element von Botys
Produktionen, denn er gesteht: "Ohne Musik kann ich nicht arbeiten, kann ich
nicht existieren. Sie weckt meine Aufmerksamkeit und macht mich verletzlich.
Ich höre viel Musik und habe immer eine Wiedergabeliste im Kopf, sobald ich
die Richtung einer Inszenierung spüre."
Szenisches Umschreiben von
Klassikern
Während
sich die meisten jungen Regisseure nur für zeitgenössische Autoren und Texte
interessieren, widmet sich Boty den großen Dramatikern der
Theatergeschichte. Sein Interesse für die Klassiker ist den Gymnasiumsjahren
zu verdanken, als in der Theatergeschichte-Klasse über Pirandello, Beckett
und
Ionesco Aristoteles Poetik unterrichtet wurde. Für jedes Projekt arbeitet
Boty mit einem Dramatiker zusammen, vor allem mit der Dichterin Kali Ágnes.
In Yvonne, das er an der Deutschen Abteilung des
Nationaltheaters "Radu Stanca" in Hermannstadt 2019 inszenierte, ist der
Text stark komprimiert. Yvonne basiert auf "Yvonne, die Burgunderprinzessin"
von Witold Gombrowicz. Boty schlägt eine radikale Inszenierung vor, in der
viel Blut und Urin fließen, in der eine Sexszene explizit gezeigt wird. Das
stieß beim Publikum auf geteiltes Echo, das Format des Regieplans ist jedoch
einheitlich definiert. Yvonne handelt von Unterschieden und
Unverträglichkeiten, und macht dabei Gebrauch von vielen Intertextualitäten.
Ein Derwisch im schwarzen Anzug und rotem Futter, ein durch Haltung und
Gangart angekündigter Richard III, eine Ansage über einen Prinzen Dänemarks,
Trumps Stimme im Off – sind alles Verweise auf generische Formen des Bösen,
die physisch in ikonischen Charakteren ihren Ausdruck finden.
Arbeitsmethode
Was
die Arbeitsweise mit den Schauspielern betrifft, sagt er: "Ich liebe es, sie
zu entdecken. Eines fordere ich immer von ihnen: Auf die Schauspieltechnik
zu verzichten! Denn alles ist echtes Leben."
Das visuelle Universum spielt eine Hauptrolle in all
seinen Werken. Dies war besonders in Nora bemerkbar (Ungarisches
Staatstheater in Klausenburg, 2019). Die neuen Technologien geben dem Text
eine zusätzliche Bedeutung, wirken sich jedoch nicht auf diesen aus.
Zentrale These der Produktion ist es, den von Ibsens beschriebenen Vorgang
mit einem komatösen Zustand, aus dem Nora aufwacht, zu vergleichen. Die
unterschiedlichen Phasen und inneren Metamorphosen werden durch die digitale
Ausstattung veräußerlicht. Das verleiht dem Ganzen ein traumartiges Flair.
Boty glaubt nicht an Machtverhältnisse, an einen
Diktator-Regisseur. Er ist aber auch kein Anhänger des Devised-Theaters.
Seine kreative Strategie basiert auf drei Begriffen: Neugier, Freiheit,
Präzision. Dazu erläutert er: "Sie müssen wechselseitig sein, um den
künstlerischen Dialog zu unterstützen. Aber ja, ich betrachte mich als
Führer, als Person, die ein Gleichgewicht bewahren muss und es vor allem
schaffen soll, eine Atmosphäre der Kreativität zu erzeugen. Das bringt auch
autoritäre Entscheidungen mit sich. Für mich ist es aber notwendig, in einem
Team zu arbeiten, weil ich niemals an ein individuelles Theater glauben
werde!"
Aus dem Rumänischen von
Irina Wolf
(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache, Teil des
Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)
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