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Botond Nagy, ein Philosoph des Bildes

Trotz seiner erst 26 Jahre hat Botond Nagy schon 14 Werke kreiert, darunter
Inszenierungen nach Shakespeare, Gombrowitz, Tennessee Williams, Strindberg, Beckett
und Ibsen. Nagy ist ein dynamischer Künstler, der an wichtigen Theaterhäusern in Rumänien
arbeitet. Er hat sich vom Erfolg nicht blenden lassen, kümmert sich weiterhin um seine
berufliche Weiterentwicklung, nimmt an Workshops und an Festivals teil.
Wer ist Boty, wie er im Freundeskreis genannt wird?

Von Oltița Cîntec
(04. 02. 2020)

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(c) FITPTI

Oltița Cîntec
oltitacintec [at] gmail.com

Oltița Cîntec ist Theaterkriti-
kerin, Kuratorin mehrerer Festi-vals der darstellenden Künste
in Rumänien, Fachberaterin
und Koordinatorin von Thea-
terprojekten, Autorin zahlrei-
cher Bücher über das zeit-
genössische Theater. Ihre Arti-
kel und Studien wurden in
wichtigen Theater- und Kultur-
zeitschriften im In- und Aus-
land veröffentlicht, unter ande-
rem in Critical Stages, Collo-
quium Politicum, Euresis,
Philologica Jassyensia,
DramArt, Observator Cultural,
Scena.ro, Teatrul Azi. Drei-
fache Nominierung für den
UNITER-Preis für Theaterkri-
tik (2007, 2012, 2019).
Derzeit ist sie Präsidentin
der Internationalen Vereini-
gung für Theaterkritiker-
Rumänien (AICT.RO).

 

 

 
(c) Dragos Dumitru

Botond Nagy

 

 

 

"Die Arbeit [an Hamlet
rework
, Anm.] war unser
künstlerisches Manifest,
unsere Art, alles in Frage
zu stellen. Weil die Schule
zuallererst ein Ort der
Krise sein muss, an dem
man auf seine innere
Stimme hören soll."

 

 

 

 

 

"Ohne Musik kann ich
nicht arbeiten, kann ich
nicht existieren. Sie weckt
meine Aufmerksamkeit
und macht mich verletz-
lich. Ich höre viel Musik
und habe immer eine
Wiedergabeliste im Kopf,
sobald ich die Richtung
einer Inszenierung spüre."

 

 

 

 

 

"Ich liebe es, die Darstel-
ler zu entdecken. Eines
fordere ich immer von
ihnen: Auf die Schau-
spieltechnik zu verzich-
ten! Denn alles ist
echtes Leben."

 

 

 

 

 

"Ich betrachte mich als
Führer, als Person, die
ein Gleichgewicht bewah-
ren muss und es vor
allem schaffen soll, eine
Atmosphäre der Kreativität
zu erzeugen."

   Nach Abschluss der Theaterklasse der Kunsthochschule "Plugor Sandor" in Sfântu Gheorghe entschied sich Boty für die Regieklasse von Bocsárdi Lázsló an der Universität der Künste in Târgu Mureş (2012-2015), wo er auch einen Masterabschluss machte. Schon in den Gymnasiumsjahren hatte er die Gelegenheit, beim Reflex Festival (Intendant ebenfalls Bocsárdi) Werke bekannter Regisseure wie Krystian Lupa, Michael Thalheimer, Jan Klata oder Dusan D. Parizek zu bestaunen. Weitere Vorbilder für Boty waren die Arbeiten von Yves Klein und die Modenschauen von Alexander McQueen sowie Andrei Tarkovski. "Ein wichtiges Treffen war das mit Tompa Gábor, der für mich wie ein Vater ist", sagt Boty und fährt fort: "Außerdem stehen mir die Offenheit, Leidenschaft und Poetik von Pippo Delbono nahe. Ich verfolge die Arbeiten von Ricci/Forte, Luca Silvestrinis Protein Theater, Dimitris Papaioannou, Peeping Tom, Jan Lauwers, François Chaignaud, Kirill Serebrennikow, Gaspar Noé und Yorgos Lanthimos."

Sein Nonkonformismus zeigte sich schon während des Studiums, als er unkonventionelle Plätze der Stadt als Spielorte bevorzugte. Seine Abschlussarbeit war eine Shakespeare-Überarbeitung. Hamlet rework kündigte seine Vorliebe für Klassiker an. Die Produktion wurde für einen Club in einer ehemaligen Textilfabrik in Târgu Mureş gemacht, ein Ort der Underground-Szene, ästhetisch anspruchsvoll und von einem Publikum frequentiert, das für innovative Formen offen ist. "Wir haben im Januar, nachts bei -23 Grad Celsius, geprobt. Bei der Premiere konnte nur ein Teil des Saals für das Publikum beheizt werden. Die Arbeit war unser künstlerisches Manifest, unsere Art, alles in Frage zu stellen. Weil die Schule zuallererst ein Ort der Krise sein muss, an dem man auf seine innere Stimme hören soll. Mit vielen Mitgliedern des damaligen Teams arbeite ich noch heute zusammen: Rancz András, bildender Künstler und Erőss László, Licht-Designer. Wir sind auch enge Freunde", erzählt der junge Regisseur.

Vom Underground zum Mainstream

   Dann begann Boty in den Staatstheatern zu arbeiten. Im Figura Studio von Sfântu Gheorghe inszenierte er Das Sandmonster von Székely Csaba. Mit 21 Jahren brachte er im Jahr 2015 Miss Julie mit Szenen aus Tarkovski beim Theater "Tamasi Aron" in Sf. Gheorghe auf die Bühne. Das Projekt kündigte seine Affinität für den Film an, zu dem er eine besondere Beziehung entwickelte. Zahlreiche visuelle Hinweise auf Pasolini und Tarkovski sind in seinen Werken zu finden. Es folgte All Over Your Face beim Kreations- und Versuchs-Reaktor in Klausenburg (2016), eine im Devised-System erarbeitete Performance, "eine Studie über das Thema der Jugend, über die Beziehungen, die wir ein Leben lang mitführen".

Sein Regieprogramm setzte sich mit Hedda Gabler am Nationaltheater "Radu Stanca" in Hermanstadt (2018) fort, einer mutigen zeitgenössischen Version von Ibsen. Eigentlich widmete sich Boty mehreren Stücken des Autors, bei dem er "die Tiefen stiller und verborgener Gewalt, die immer in unserer Seele lauern", entdeckt. Botys Hedda ist eine ausgewogene Mischung aus kindhafter Weiblichkeit, Nachlässigkeit, Engagement, Hartnäckigkeit und Kraft. Die szenische Umsetzung bedient sich mehrerer Zeiten und Epochen: Jorgen Tesman, Heddas Ehemann, reist ironischerweise in einem Raumschiff, dafür wird die Protagonistin im Prolog von einer bizarren Figur im Barockkostüm begleitet. Auch die breite Palette der akustischen Stile und vielschichtigen Rhythmen unterstützt die verschiedenartigen Epochen. Musik ist ein wesentliches Element von Botys Produktionen, denn er gesteht: "Ohne Musik kann ich nicht arbeiten, kann ich nicht existieren. Sie weckt meine Aufmerksamkeit und macht mich verletzlich. Ich höre viel Musik und habe immer eine Wiedergabeliste im Kopf, sobald ich die Richtung einer Inszenierung spüre."

Szenisches Umschreiben von Klassikern

   Während sich die meisten jungen Regisseure nur für zeitgenössische Autoren und Texte interessieren, widmet sich Boty den großen Dramatikern der Theatergeschichte. Sein Interesse für die Klassiker ist den Gymnasiumsjahren zu verdanken, als in der Theatergeschichte-Klasse über Pirandello, Beckett und Ionesco Aristoteles Poetik unterrichtet wurde. Für jedes Projekt arbeitet Boty mit einem Dramatiker zusammen, vor allem mit der Dichterin Kali Ágnes.

In Yvonne, das er an der Deutschen Abteilung des Nationaltheaters "Radu Stanca" in Hermannstadt 2019 inszenierte, ist der Text stark komprimiert. Yvonne basiert auf "Yvonne, die Burgunderprinzessin" von Witold Gombrowicz. Boty schlägt eine radikale Inszenierung vor, in der viel Blut und Urin fließen, in der eine Sexszene explizit gezeigt wird. Das stieß beim Publikum auf geteiltes Echo, das Format des Regieplans ist jedoch einheitlich definiert. Yvonne handelt von Unterschieden und Unverträglichkeiten, und macht dabei Gebrauch von vielen Intertextualitäten. Ein Derwisch im schwarzen Anzug und rotem Futter, ein durch Haltung und Gangart angekündigter Richard III, eine Ansage über einen Prinzen Dänemarks, Trumps Stimme im Off – sind alles Verweise auf generische Formen des Bösen, die physisch in ikonischen Charakteren ihren Ausdruck finden.

Arbeitsmethode

   Was die Arbeitsweise mit den Schauspielern betrifft, sagt er: "Ich liebe es, sie zu entdecken. Eines fordere ich immer von ihnen: Auf die Schauspieltechnik zu verzichten! Denn alles ist echtes Leben."

Das visuelle Universum spielt eine Hauptrolle in all seinen Werken. Dies war besonders in Nora bemerkbar (Ungarisches Staatstheater in Klausenburg, 2019). Die neuen Technologien geben dem Text eine zusätzliche Bedeutung, wirken sich jedoch nicht auf diesen aus. Zentrale These der Produktion ist es, den von Ibsens beschriebenen Vorgang mit einem komatösen Zustand, aus dem Nora aufwacht, zu vergleichen. Die unterschiedlichen Phasen und inneren Metamorphosen werden durch die digitale Ausstattung veräußerlicht. Das verleiht dem Ganzen ein traumartiges Flair.

Boty glaubt nicht an Machtverhältnisse, an einen Diktator-Regisseur. Er ist aber auch kein Anhänger des Devised-Theaters. Seine kreative Strategie basiert auf drei Begriffen: Neugier, Freiheit, Präzision. Dazu erläutert er: "Sie müssen wechselseitig sein, um den künstlerischen Dialog zu unterstützen. Aber ja, ich betrachte mich als Führer, als Person, die ein Gleichgewicht bewahren muss und es vor allem schaffen soll, eine Atmosphäre der Kreativität zu erzeugen. Das bringt auch autoritäre Entscheidungen mit sich. Für mich ist es aber notwendig, in einem Team zu arbeiten, weil ich niemals an ein individuelles Theater glauben werde!"
 

Aus dem Rumänischen von Irina Wolf

(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache,
Teil des Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)

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