Am
18. Februar 2019 feierte das rumänische Radiotheater sein neunzigjähriges
Bestehen. Von Anfang an wurden dafür spezifische Ausdrucksmittel
festegelegt, etwa in punkto Regie,
Hörspielsprecher oder Bildgestaltung, die in einen jeweils eigenen Klangraum
übertragen werden müssen. Durch seine breite Adressierbarkeit hat sich das Radiotheater
schnell als beliebte Kunstform durchgesetzt. Dazu hat auch das erklärte
Ziel beigetragen, wichtige Literaturwerke bzw. Theaterstücke für das Radio
zu adaptieren und zu erzählen. Zwei Richtungen für die Gestaltung von
Audio-Drehbüchern haben sich inzwischen etabliert: zum einen die
Radioadaption eines vorhandenen Dramas, zum anderen das Schreiben von
eigens für den Ton konzipierten Originaldrehbüchern. Im letzteren Fall wird
der Ton zum Bedeutungsträger und eilt oft als Vermittler der Geschichte dem
Wort voraus.
Unabhängig von der Art des Drehbuchs haben
Radioautoren in den letzten Jahrzehnten Erfahrungen aus der Filmbranche
übernommen (Regisseure sind in der Regel gleichzeitig Drehbuchautoren),
wodurch Texte für das Radio nach dem Vorbild der Filmdrehbücher kreiert
werden. Parallel dazu wird die dazugehörige Tonkommunikation (Atmosphäre und
Musik) entwickelt. Es geht nicht mehr darum, eine Geschichte abzubilden,
sondern den Hörer in Raum und Atmosphäre der Tonhandlung eintauchen zu
lassen. Mein hier vorliegender Beitrag zielt darauf ab, die Innovationswege und
Erneuerungsmittel von drei rumänischen Künstlern – Mihnea Chelaru, Ilinca
Stihi und Attila Vizauer –, die einen wichtigen Beitrag zur international
anerkannten Genredynamik geleistet haben, zu präsentieren.
Der mehrfach für seine
Radioproduktionen ausgezeichnete Regisseur und Toningenieur Mihnea Chelaru
bevorzugt es schon im Vorfeld, das Tonmaterial nach den Prinzipien des
Filmdrehbuchs in als Orchesterpartituren polyfon konzipierte Richtungen zu
lenken. Weitere wichtige, konsequent eingesetzte Konzepte sind der
filmschnittähnliche Charakter der Szenen und der methodische Wechsel
zwischen den Erzählebenen, um der Produktion Rhythmus und Dynamik zu
verleihen. Darüber hinaus ist Chelaru ein Regisseur, der sich mit der
realistischen Interpretation von narrativen Themen befasst. Dementsprechend
wird das Mikrofon zu einem einzigartigen Schalter zwischen Realität und der
Gedankenwelt der Charaktere. Die der Musik entlehnte Technik des Leitmotivs
treibt die Überlappung von Zeitebenen voran und unterstützt das Weben von
Erzählsträngen.
Ilinca Stihi ist eine
vielschichtige Künstlerin, die ebenso wie Mihnea Chelaru an der Universität für
Filmregie ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Sie ist zugleich
Drehbuchautorin und alleinige Schöpferin ihrer Radioshows, vom Drehbuch bis
zur Nachverarbeitung des Tons. Stihi verwendet oft literarische Quellen als
Vorwand für eine Klanginterpretation, die über den Rahmen des Originaltextes
hinausgeht. In Stawrogins Geständnis signiert Doina Papp die
Dramatisierung des letzten Kapitels von Dostojewskis Roman "Die Dämonen".
Das Hörspiel verstärkt Stawrogins schlechtes Gewissen. Die Produktion
verfolgt einen narrativen Ansatz, der auf der literarischen Quelle basiert.
Jedoch liegt der wahre Anlass in der Suche nach den Verantwortlichen für die
unschuldigen Opfer repressiver Regime. Das Lied "We are young" war der
Ausgangspunkt für "Black Bible of William Blake", in der die Beziehung der
neuen Generation zur Welt untersucht wird. Ilinca Stihi erzeugt ein
einheitliches Klanguniversum, in dem Ton und Wort verschmelzen.
Der Übergang von einer Klangebene zur anderen bezieht sich auf die Technik
der unendlichen Wagnermelodie. Die Szenen sind nicht abgegrenzt, die
Tonebenen werden miteinander verknüpft, wodurch der Ideenzusammenhang, trotz
der Fragmentierung des logischen Erzählstrangs, zueinander hergestellt ist.
Daraus ergibt sich ein akustisch dichtes und stimmiges Schallgebilde. Ein weiteres Beispiel für
die umfassende Integration des Zuhörers in den Klangraum ist im Übrigen die Produktion
"Vele" (Originaldrehbuch von Ilinca Stihi), die um ein immersives
3D-Surround-Soundsystem erweitert wurde.
Attila Vizauer wechselte
aus der Theaterregie zum Radiotheater. Dadurch brachte er die traditionelle
Sichtweise eines osteuropäischen Regisseurs mit, innerhalb der Texte gern
wie metaphorische Zwiebeln betrachtet werden, deren sinnstiftende Hüllen
sich im Kontext ihrer jeweiligen Bedeutung einzeln "abschälen" und
untersuchen lassen. Im Radiotheater ist er
eher daran interessiert, neue Ausdrucksmittel der Aussprache am Mikrofon zu
finden. In diesem Sinne stellte "Platons Dialoge. Kriton" eine große
Herausforderung dar. Das Ergebnis verdeutlichte, dass die Interpretation
bedeutender philosophischer Texte am Mikrofon einer archäologischen Arbeit
ähnelt. Das setzt eine aufmerksame Untersuchung der Details und eine enge
Zusammenarbeit mit den Schauspielern voraus. Dadurch erhält der Tonraum im
Hintergrund nur eine minimalistische Formgestaltung. Entscheidend ist es,
den Sinn der Ideen der Lektüre zu offenbaren. Durch diese besondere Art der
Wortbehandlung will der Regisseur den Zuhörern universelle Ideen der
europäischen Kultur signalisieren.
Die gleiche Technik ist in der
Produktion "Orpheus' Reise" wiederzufinden. In diesem Fall wurde das
Radiodrehbuch vom gesamten Team erarbeitet. Orpheus' Mythos wird von den
Schauspielern in einer erfundenen Sprache erzählt. Die Wörter sind mit
der von Mădălin Cristescu komponierten Tonpartitur verwoben. Der Regisseur
überträgt die Bedeutung der Worte in die Energie, mit der sie ausgesprochen
werden. Die Tiefe der Tonebenen wird am Mischpult erzeugt. Sie ist
gleichwertig mit Orpheus' Reise in die Unterwelt. Durch das speziell für die
Kopfhörer erzeugte binaurale Ergebnis wird ein vollkommenes Eintauchen des
Zuhörers in das Klanguniversum erreicht. In diesem Fall besteht das
Drehbuch nur aus Dialogen in der vom Regisseur erfundenen Sprache. Die
Vielzahl der Klangebenen und -strukturen ist im Drehbuch nicht festgehalten.
Diese entsteht in der Postproduktion, durch Experimentieren. In dieser
Produktion sind die Beiträge des Regisseurs und des Toningenieurs nicht mehr
strikt unterscheidbar. Im Gegenteil, Regie und Sounddesign verschmelzen
harmonisch zu einem Ganzen. Und das wird sich auch in den weiteren
Radiotheateraufnahmen nicht ändern.
Von Anfang an machten die
Aufzeichnungsbeschränkungen im Radiotheater das Mikrofon zum Spielpartner
des Schauspielers. Dennoch gehört dies immer mehr der Vergangenheit an, da
sich mit der Zeit große Veränderungen im Aufzeichnungsprozess ergeben haben.
Das aus dem Kino exportierte Modell rückt den Schauspieler aus dem Studio
hinaus. Heutzutage wird an den Orten aufgezeichnet, an denen die Handlung
tatsächlich stattfindet: in Wohnungen, Wäldern und Büros, oder auf Straßen,
und, soweit möglich, zu den im Drehbuch festgelegten Uhr- und Jahreszeiten.
Das Erfassen der Stimmen in Umgebungen, die der Akustik des im Drehbuch
beschriebenen Raums möglichst nahe kommen, ist eine raffinierte Methode, um
der Stimme das im Radiotheater fehlende Bühnenbild zuzuordnen und die
Dynamik des Raums passiv wahrzunehmen.
Diese Arbeitsweise setzt einen
Schauspielereinsatz in kurzen Sequenzen voraus, gruppiert nach dem
Aufführungsort und nicht nach der Chronologie der Handlung. Dies erfordert
Schnelligkeit und gute Konzentration der Schauspieler. Mit leicht
handhabbarer Spannung erzeugt der Regisseur kurzfristig schauspielerische
Energie. Alle drei vorgestellten Regisseure verlangen vom Schauspieler eine
realistische filmähnliche Interpretation, die zu feinen Nuancen verarbeitet
wird. Das Mikrofon agiert ähnlich einer Videokamera, um die Modulation der
Stimme in den Vordergrund zu rücken.
Die Klangraumarchitektur
ist das Ergebnis der Arbeit des Tontechnikers. Auch sie nähert sich der
Filmmusik als dynamischer Partner der Handlung an. Die
Mehrkanal-Bearbeitungssoftware ermöglicht komplexe Klangstrukturen und eine
Klangtiefe, die sich auch bei einer einfachen Stereowiedergabe bemerkbar
macht. Die durch die binaurale Ausstrahlung oder das
3D-Surround-Soundsystem erzeugte akustische Strahlkraft ist ein erfolgreicher Ersatz für
das fehlende Bild, wobei die Vorstellungskraft des Zuhörers häufig in der
Lage ist, ein Gefühl der Raumanwesenheit zu erzeugen, welches stärker ist als das
Bild. Hinzu kommt auch die musikalische Leitung, die in den letzten
Jahrzehnten ebenfalls radikal überdacht wurde.
Musikalische Illustration im
traditionellen Sinne ist zu einem Klischee geworden, das man meiden sollte.
Regisseure bevorzugen heute eher Originalmusik, welche für eine bestimmte Produktion
speziell komponiert wird, oder greifen auf musikalische Themen zurück, die
für verschiedene Instrumente oder Rhythmen neu interpretiert und neu
transkribiert werden. Die Schauspieler leisten einen wichtigen Beitrag. Ihre
Stimme wird oft für die musikalische Qualität oder, im Gegenteil, für
unvollkommene, grobe, im Falsett simulierte Interpretationen der mit der
Figur verbundenen musikalischen Themen verwendet. Um Ilinca Stihi zu
zitieren: "Musik hat nicht länger die Rolle, nur Emotionen zu erzeugen,
sondern hat eine eigene Bedeutung erlangt."
Die Leidenschaft der drei
hier porträtierten Regisseure, neue Ausdrucksformen zu erforschen und
rumänische Künstler mit der internationalen Szene zu synchronisieren, hat
2013 zur Gründung des internationalen Radiotheaterfestivals Grand Prix
Nova geführt. Es wird von Radio Romania organisiert und ist der
Innovation gewidmet. Gab es am Anfang nur zwei Sektionen (Radio Drama und
Short Forms), hat sich der Umfang des Festivals während seiner acht Auflagen
durch eine Vervielfältigung der Bereiche gesteigert. Die 2017 ins Leben
gerufene Sektion der binauralen Produktionen erkennt den Beitrag dieser
speziellen Technologie zur künstlerischen Umsetzung an. Grand Prix Nova ist
eine Visitenkarte der Redaktion des Nationalen Radiotheaters, bietet aber
auch ein Umfeld zur Anregung von Experimenten und Innovationen im Bereich
des Radiotheaters an, das mit dem Online-Podcast, unabhängig vom Programm
der Radiosender, eine Wiedergeburt erlebt.
Aus dem Rumänischen von Irina Wolf
(Dies ist eine
Kurzfassung des Artikels, welcher in der Zeitschrift
"Studien und Recherche in Kunstgeschichte. Theater, Musik, Film",
Band 14 (58), 2020, veröffentlicht wurde – eine multidisziplinäre
Zeitschrift
des Instituts für Kunstgeschichte der Rumänischen Akademie.)