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Orphan Black: die vielen Ichs der Tatiana Maslany

Klonen-Familie als unbehagliches Kulturmodell.

Von Vasile V. Poenaru
(23. 01. 2020)

...


   Bis 2018: True patriot love in all thy sons command. Ab 2018: True patriot love in all of us command. Heimat bist du großer Söhne und Töchter. Die kanadische Nationalhymne macht es in Sachen Gender der österreichischen nach.

Und das ist gut.

We are family. I’ve got all my sisters with me. Die Kanadierin Tat Maslany spielt im Serienfilm Orphan Black so viele Klone, dass einer gar nicht mehr gut mitzählen kann. Sie spielt sie geradezu unglaublich differenziert. Und dennoch handelt es sich dabei letztendlich streng genommen jeweils um die eine Person: um dieselbe Person (also um die Schauspielerin), wenn man sich auf der Ebene der Realität bewegt, und um die gleiche Person, das heißt um ein wohlgemerkt jeweils anderes Individuum derselben "Marke", ja um ein jeweils anderes Individuum mit dem gleichen Erbgut: um Klone; um gleichwertige Kopien ohne Original.

Six degrees of separation aus einer kanadischen Perspektive. Ein starkes Stück. Eine zutiefst zeitgenössische Heldin, die zugleich in viele Rollen schlüpft. Ein Menschenskind der echten Verbundenheit, des Zusammenseins, des Common Canadian Narrative, eines Verständnisses der Welt und des Daseins, dem wir uns verschreiben.

  Alles klar: Themenkomplex DNA, Stichwort Vermehrung. Vervielfältigung. Intelligent Design. Original versus Kopie. Urtümlichkeit. Anpassung. Zusammenhalt. Überleben.

No more, no less.

Wie viele Seelen wohnen, ach! in meiner Brust? Wie viele sind wir denn eigentlich letztendlich? Und – last but not least: Wer san ma denn genau? O je! Nun ist's geschehen. Was geschehen ist? I said the I-word! Or did I?

Identität. Kein leichtes Thema.

Es wird hier mit den künstlerischen Mitteln der Fiktion in den Vordergrund der Betrachtungen gerückt. Dass dabei die Ernsthaftigkeit des mithilfe so vieler Frauenfiguren (die immer wieder auf dieselbe eine Frau zurückzuführen sind) an den Mann gebrachten Themenkomplexes voll und ganz durchblickt, ist kein Zufall, sondern Kunst.

Von Six degrees of separation zu einem durch Mark und Bein gehenden facettenreichen nagelneuen Neu-Ich, einem Ich, in dem freilich schon alles vorgegeben, vorprogrammiert, als programmatische Gewachsenheit eines ins Unendliche reflektierten Designs, als pure Geworfenheit des schönen Augenblicks prophezeit ist? Verweile doch! Du bist so schön!, würden wir Poeten sagen, wenn … okay, also wir Poeten, das ist jetzt viel gesagt. Denn wir leben ja nicht mehr in poetischen Zeiten, und erst recht nicht im Zeitalter der Poesie.

   Wir leben im Zeitalter der genetischen Manipulation. Eine kanadische Schauspielerin aus good old Regina vermag diese Gegebenheit so verdammt gut zu modellieren, dass unsere großen Geister der Zeitlosigkeit schier daran ihre Freude hätten, würden sie sich etwa mal nur so, sagen wir mal aus dramatischen, philosophischen, psychologischen und/oder erkenntnistheoretischen Gründen in aller Muße die vielen Ichs der Tatiana Maslany anschauen. Und Fichte … Keine Sorge, der meldet sich gleich.

Diese erfolgreiche Klon-Show ist zutiefst schauerlich; zutiefst unwahrscheinlich; und unter anderem wohl vor allem eben auch gerade vermittels ihrer ausgesprochen prägnant inszenierten Unwahrscheinlichkeit einer diesseits von Mythos und Tathandlung in die Wege geleiteten, eher irgendwie intuitiv-unbewusst ansprechenden dramatischen Appell-Struktur verbunden, so wie wir sie beispielsweise in Dürrenmatts Dramen vorfinden.

Die Handlung ist gekonnt fingiert. Sie ist grotesk. Sie steht im Zeichen des Zufalls. Und im Zeichen einer aus dem Geiste der Ausdruckskraft, der Tanzkunst und der Musik gezeitigten Schauspielerin kanadischen Schlages, die sich in vorzüglicher (und dementsprechend preisgekrönter) Art und Weise darauf versteht, all die vielen möglichen Welten, die als virtuelles Material einer zumutbaren Realität um sie herum schweben, mit einem Schlag einzufangen und ihnen den Hauch tatsächlicher Wirklichkeit einzuflößen. Denn so wird ein Ich gemacht. Ein Ich, in dem man ja eigentlich, das wird einem langsam klar, selber mit stecken könnte.

Die Anschaulichkeit der seit Urzeiten (und zwar besonders seit der Romantik) ja immer wieder auftretenden Thematik des Doppelgängers: Wurde sie je so überzeugend aus so vielen verschiedenen Richtungen her in Angriff genommen, die im Prozess des überwältigenden Paradigmen-Zusammenbruchs auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen sind?

Wohl kaum.

   Am besten, wir werden an dieser Stelle gleich mal ein paar Fragen los, die das kollektive Bewusstsein anbelangen, das da aus den Wirren der Identität und der Einbildungskraft auf einen zukommt: Wie weit ist es von den gruseligen Mythen des genetisch zunehmend manipulierten Alltags bis zur gemächlichen Illusion absoluter Selbstheit? Wie weit von Gottfried Wilhelm Leibniz' emsigen Nullen und Einsern bis zu Ray Kurzweils urplötzlicher Singularity, einer schauerlichen Erscheinungsform des technologischen Fortschritts, die wir noch bald genug erleben werden (bzw. die wir schon seit geraumer Zeit erleben dürfen, ohne uns dessen voll und ganz gewahr geworden zu sein)?

Die Antwort liegt in einer komplexen Anschauungsweise der Dinge als Hort virtueller Begebenheiten geborgen, der wir uns – wenigstens teilweise – bereits allesamt längst hingegeben haben.Was hier gestaltet wird, ist vor allem unser Verständnis der eigenen Identität – und unsere Weltanschauung.

Es dreht sich alles um das Fürwahrhalten (ja, wagen wir es nur immer ruhig, den Begriff zu verwenden) bzw. um das Bewahrheiten einer hochgradig unbehaglichen und dabei doch stets immer auch verdammt verlockenden Utopie, der – noch – wahnsinnig anmutenden Utopie des sich selbst setzenden, des sich selbst definierenden, des sich selbst aus sich heraus entwickelnden, des sich selbst mit Sinn und Zweckmäßigkeit belehnenden Individuums.

Und in diesen unseren Zeiten korporativistischer Allmacht, in denen von der kleinsten Bakterie im Reagenzglas bis zu den größten, weit in die fernen irrealen Gefilde des Konjunktiv II verbannten Gespinsten alles patentierbar ist, werden derartige Fragestellungen auf einmal wieder verdammt aktuell. Eigentlich recht glaubwürdig.

Aus aktuellem Anlass ein philosophisches Intermezzo

   Was für eine Tathandlung vermögen denn die vielen Ichs der Tatiana Maslany, die man doch, um es mit Goethe in Anlehnung an Fichte zu sagen, selber in die Welt gesetzt hat, zu vollbringen? Wie wird das Über-Ich ständig gegen den Strich gebürstet? Inwiefern greift da der Horizont des Überlebenden über die beiden absoluten Meilensteile der biologischen Existenz – Geburt bzw. Tod – hinweg?

Diese beiden absoluten Meilensteile in ihrer zumutbaren Relativität erfassen: eine Herausforderung für die Frau auf der Straße, für die Frau im Geschäftsleben, für die Frau im Labor. Es wird hier dabei so manches neu definiert.

Etwa die Liebe. Das Ich. Das Über-Ich. Unsere Instinkte.

Unsere Begrifflichkeit. Eine kanadische Perspektive. Eine kanadische Rhapsodie.

Wie wird der Brandung entgegen gerudert? Ja wird denn überhaupt tatsächlich der Brandung entgegen gerudert? Oder wird vielmehr bloß gegen die Brandung angerudert? Oder würde diese terminologische Überlegung eh keinen Unterschied im großen Getriebe des zugrundeliegenden Narrativs ausmachen?

   Und wie verhalten wir uns zu diesen brenzligen Fragen der zivilisierten, der manipulierten, der mittlerweile weitgehend digitalisierten Menschheit? Wir: boats against the current.

Und der Gentechniker begutachtete alles, was er ersonnen und bewerkstelligt hatte, und sieh einer an! Es war supergut.

Und schlecht war's nicht. That's called self-regulation.

Nur, eigentlich ist es ja freilich gar kein Über-Ich, das sich da langsam, aber sicher in unserer guten alten Hexenküche zusammenbraut, sondern lediglich das moderne kollektive Unbewusste, aus dem sich dann doch noch ein kollektives Bewusstsein entwickeln soll. Nur, wie?

Und Fernsehen ist wohl kaum die Lösung. Doch immerhin.

Sein und Schein, darauf kommt es an. Sein und Schein und die Geworfenheit einer Perspektive: Nur das zählt.

   Tatiana Maslany gilt als Wunderkind kanadischer Sorte; sie gilt als die Kanadierin par excellence. Eine Straße in Regina trägt jetzt ihren Namen. Der stilvoll geklonte, ja sagen wir mal ruhig der unwahrscheinlich überzeugend gefakte Rand dieser zutiefst unbehaglichen Meta-G'schichte unser aller Individuationsängste zeichnet die Mitte eines eher rapide Richtung Dinglichkeit mutierenden Selbstverständnisses, in das unsereiner, homo sapiens sapiens, sich auch mal gerne als cloniens cloniens reinstülpen lässt (oh well, now I said the C-word: clone).

Sie beruft sich übrigens auf nicht ganz so ferne Vorfahren österreichischen Schlages wie auf Vorfahren rumänischen Schlages und auf Vorfahren ukrainischen Schlages usw. Sie kann fließend Französisch. Oui! Sie kann singen. Sie kann tanzen. Sie kann springen. Und sie kann erstaunlich gut in Erfahrung bringen, was diese Welt des Charakterlichen im Innersten zusammenhält. Do setz di nieda!, sagt der Bayer.

Ja, schon wieder. Und wir nehmen brav Platz.

Nur: Akzente setzen – und sich dabei selbst setzen. Geht das? Die Frage ist natürlich rhetorisch gemeint.

"Ja, das geht."
 


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