Was
die im Westen Rumäniens liegende Stadt Temeswar für Theaterliebhaber
besonders attraktiv macht, ist die Existenz von gleich drei staatlichen
Theaterhäusern, die Aufführungen in ebensovielen Sprachen auf die Bühne
bringen: Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Diese Mehrsprachigkeit mag
manchen gepusht und etwas künstlich erscheinen, doch ist sie für die
Temeswarer eine Selbstverständlichkeit und leicht
erklärbar durch das Jahrhunderte
währende Zusammenleben mehrerer Ethnien im Banat.
Das imposante
Kulturpalais, in dem diese drei Spielstätten und nebenher auch noch die
Temeswarer Nationaloper untergebracht sind, befindet sich im Zentrum der
Stadt. Die Geschichte dieses Gebäudes lässt der Fantasie freien Lauf: 1875
von den berühmten Wiener Architekten Ferdinand Fellner und
Hermann Helmer im italienischen Renaissancestil errichtet, wurde es durch
zwei Brände zerstört, sodass die Fassade und der Theatersaal 1920 in
neubyzantinischem Stil neu errichtet werden mussten. Das Resultat ist aus
ästhetischen Gesichtspunkten eher zweifelhaft. Trotzdem wurde das Gebäude
nach der '89er Revolution zu einem Symbol der rumänischen Freiheit, da vom
Balkon des Kulturpalais aus die ersten Reden gegen den Diktator Ceauşescu
gehalten wurden.
Temeswar ist
folglich eine an Theatertradition reiche Stadt. Wie sieht es aber im Jahr
2008 aus? Was bietet die Temeswarer Theaterlandschaft ihrem Publikum
gegenwärtig an?
Spielstätten
Das
Nationaltheater teilt sich einen Saal von beachtlicher Größe (Kapazität: 680
Plätze) mit der Oper. Experimentelles Theater lässt sich hier schwer
inszenieren. Erst seit dem Frühjahr 2008 verfügt das Nationaltheater, zum
ersten Mal in seiner Geschichte, über einen eigenen, den sogenannten "2.
Saal", eine ehemalige Kaserne, die früher als Manege und schließlich als
Sporthalle verwendet wurde. Diesen Saal hat das Bürgermeisteramt
–
in verfallenem Zustand und erst nach langem Zögern
– nunmehr für 49 Jahre dem
Nationaltheater zur Verfügung gestellt. Er soll saniert und als Studiosaal
neu gestaltet werden. Zurzeit präsentiert das Nationaltheater manche seiner
Inszenierungen an Alternativschauplätzen: im Club "Porto Arte" am Ufer des
Bega-Kanals und im Shopping Center "Bega". Dies reflektiert auch das
Interesse der Intendantin Maria-Adriana Hausvater. Sie will die Beziehung
zwischen dem Theater und der Stadt stärken und dieses dem Publikum
näherbringen.
Das Deutsche
Staatstheater Temeswar (DSTT)
– ebenfalls im Kulturpalast situiert
– teilt einen kleineren
Aufführungssaal (Kapazität je nach Inszenierung um die 100 Plätze) mit dem
Ungarischen Staatstheater "Csiky Gergely". Dieser Saal befand sich bis Mitte
2008 in einem kritischen Zustand und wird in der zweiten Hälfte des Jahres
saniert. Dazu besitzt das Ungarische Theater ein improvisiertes Studio mit
einer Kapazität von ca. 50 Plätzen: ein Saal, der früher dem Orchester als
Probenraum diente. Das DSTT musste sich wegen der langwierigen Bauarbeiten
in andere Spielräume retten: dem Militärkasino und dem Shopping Center
"Bega". Eine Umbruchphase also, speziell wenn man daran denkt, dass die
Intendantin des Nationaltheaters erst seit drei Spielzeiten und die beiden
Intendanten des Deutschen bzw. des Ungarischen Theaters erst seit Ende 2007
im Amt sind.
Das Nationaltheater "Mihai
Eminescu" Temeswar
Das
Temeswarer Nationaltheater (TNT) ist seit drei Spielzeiten vor allem auf
Gegenwartsdramatik, experimentelles Theater und junge sowie namhafte
Gastregisseure fokussiert. Autoren wie David Mamet, Neil LaBute, Hanoch
Levin, Botho Strauß, Igor Bauersima kamen in den letzten Jahren hier zur
Geltung. Ferner soll der erfolgreiche Regisseur Radu Afrim in der Spielzeit 2008/2009 einen Text der deutschen
Autorin Dea Loher inszenieren.
Zu den Spielleitern, die dem Nationaltheater neue Impulse gegeben haben,
gehören in erster Linie Alexander Hausvater, Radu Apostol, Alexandra Badea
und Radu Afrim. Afrims in der Spielzeit 2007/2008 entstandene Inszenierung
"Die Krankheit der Familie M." von Fausto Paravidino wurde zum
Nationaltheaterfestival nach Bukarest eingeladen und für den Kulturpreis
Europa nominiert.
Das
zurzeit wohl
wichtigste Theaterevent der Stadt
ist das vom TNT organisierte "Festival der rumänischen Dramatik". Das
Festival existiert bereits in der XIV. Auflage und fördert seit drei
Spielzeiten konsequent die rumänische Gegenwartsdramatik. Neben aktuellen
Theatertexten und neuen Konzepten des Regieführens bietet es seinen
Besuchern auch die Möglichkeit, Konzerte und Workshops zu besuchen sowie an
Diskussionen teilzunehmen. Fakt ist, dass der Verschiedenartigkeit keine
Grenzen gesetzt werden: gewagtes experimentelles Theater, elitäre
Inszenierungen, aber auch viel Unterhaltungs- und Konsumtheater treffen hier
aufeinander. Jedem Geschmack wird etwas Passendes geboten. Das TNT hat,
soviel steht fest, in den vorangegangenen Spielzeiten rumänienweit an
Sichtbarkeit gewonnen. Es wird auf Festivals eingeladen und gelegentlich
entstehen gewagte Projekte und Produktionen von beachtlicher Qualität. Und
das nach Jahren, in denen das schwerfällige Mammut TNT von der rumänischen
Theaterszene beinahe übersehen wurde. Nebenbei erwähnt:
Wer gegenwärtig mehr über anstehende
Projekte und über die Künstler des Nationaltheaters erfahren will, kann
dafür die hauseigene Zeitschrift "atent" nutzen.
Das Ungarische
Staatstheater "Csiky Gergely" Temeswar
Ebenso
wie das Deutsche
Staatstheater Temeswar besteht auch
das Ungarische Theater seit 1953 als selbstständige öffentliche
Kultureinrichtung mit festem Ensemble.
In seine jungen, talentierten und
engagierten Künstler setzen das Haus,
aber auch die Temeswarer Theatergänger
große Hoffnungen. Zu den größten Fürsprechern des Ensembles gehört naturgemäß auch der
neue Intendant Attila Balázs, selbst ein äußerst begabter Schauspieler, der
zuvor jahrelang fest am Theater angestellt war.
Das Ungarische
Theater richtet sich vorwiegend an die ungarische Minderheit, bietet jedoch
auch dem rumänischen Publikum die Option einer Übersetzung mittels
Kopfhörern. Im Ungarischen Theater trifft sich ein bunt gemischtes
Publikum, fast alle Alters- und Gesellschaftsschichten sind vertreten. Aus
diesem Grund besteht das Repertoire aus Texten der ungarischen Dramatik,
Kindertheater, Klassikern der Weltliteratur, aber auch aus Musicals. Vor
allem ungarische Regisseure inszenieren hier. Ein für das Ungarische Theater
sehr wichtiger Name ist mit Sicherheit Victor Ioan Frunză, der jahrelang am
Theater inszeniert und das Ensemble stark geprägt hat.
Zu den
erfolgreichsten Produktionen der letzten zwei Spielzeiten gehören die
Rockoper "István, der König" (Regie: Vas-Zoltán Iván), "Was geschah mit der
Frau?" von Kiss Csaba nach Tschechow (Regie: Mátyás Zsolt Imre) und "Die
Zeit kommt" von Line Knutzon (Regie: László Sándor). Im Frühjahr
2009 veranstaltet das Ungarische Theater ein "Euroregionales Theaterfestival" in
ungarischer Sprache, das 2008 bereits seine zweite Auflage erlebt hat.
Kürzlich wurde auch eine Partnerschaft mit dem "Jászai Mari"
Theater
aus Tatabánya unterzeichnet.
Das Deutsche
Staatstheater Temeswar
Das
DSTT, das 2008 sein 55. Jubiläum feiert, verfügt ebenfalls über ein
vielfältiges Publikum: Schüler (vor allem der deutschsprachigen Schulen in
Rumänien), Studenten, Vertreter der deutschen Minderheit ebenso wie
rumänischsprachige Besucher (da die Vorstellungen mittels Kopfhörer simultan
ins Rumänische übersetzt werden). Der neue Intendant, Lucian Vărşăndan,
ist bemüht, alle
Publikumsschichten zufriedenzustellen. So besteht das Repertoire des DSTT
aus deutschen Klassikern, Kinder- und Jugendtheater, Liederabenden und
Gegenwartsdramatik. Zu den wichtigsten Spielleitern, die das Ensemble und
den Geist des Theaters in den letzten Spielzeiten stark geprägt haben,
zählen Alexander Hausvater und Victor Ioan Frunză. Ihre Inszenierungen wurden
auf zahlreiche Festivals eingeladen und erhielten verschiedene Preise. Für
Theaterliebhaber sind zurzeit "Das Urteil" von Barry Collins, (Regie:
Alexander Hausvater) und "Feuergesicht" von Marius von Mayenburg (Regie:
Radu Alexandru Nica) zu empfehlen.
Gegenwärtig
besteht dank der
Unterstützung durch das Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart sowie
durch die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg (die
die Projekte des Theaters konsequent fördern),
eine enge Verbindung zu Deutschland. So wird
beispielsweise eine Partnerschaft mit der Badischen Landesbühne Bruchsal
ermöglicht, die bereits seit 2004 besteht. Im Rahmen dieser Partnerschaft
konnte 2007 die Produktion "Kamikaze" entstehen, ein beeindruckendes Stück
der rumänischen Gegenwartsdramatikerin Alina Nelega, das von Gavril Cadariu
inszeniert wurde.
Seit
einigen Jahren hat das Deutsche Staatstheater Temeswar ein
theaterpädagogisches Angebot, das rumänienweit einzigartig ist. Außerdem ist
es, was Gastspiele und
Tourneen betrifft, das aktivste
Temeswarer Theater. So werden jährlich mehrere Tourneen in Siebenbürgen und
Abstecher nach Arad, Lugosch und Reschitza unternommen, also vor allem zu
Städten, wo es noch Vertreter der deutschen Minderheit und deutschsprachige
Schulen gibt.
Deutsch ist für
die meisten Schauspieler des DSTT nur Zweitsprache. Dies stellt ein Problem
dar, weil so mehr Arbeit für die korrekte Aussprache aufgewendet werden
muss. Zum Teil kann dies aber durch konsequente
sprecherzieherische Betreuung
wettgemacht werden. Daran anknüpfend hat die Theaterleitung kürzlich damit
begonnen, Workshops für das Ensemble zu organisieren, sodass die
Schauspieler sich auch angemessen weiterentwickeln können. Einen
beträchtlichen Gewinn stellt
für das auffallend junge Ensemble die
Verpflichtung des erfahrenen deutschen Schauspielers Georg Peetz dar, der
seit 2004 in Temeswar lebt und zahlreiche Hauptrollen in den meisten
Glanzinszenierungen des DSTT spielte. Er übernahm auch eine wichtige Rolle
in Hausvaters vielsprachiger Inszenierung "Athénée Palace Hotel" am
Nationaltheater. Derartige Kooperationen zwischen den drei Theaterhäusern
entstanden in den letzten Spielzeiten immer wieder: Öfters agierten
Schauspieler der einen Einrichtung in Produktionen des anderen
Theaterhauses, was spannende, verlockende Konstellationen entstehen lässt.
Alternative Angebote
Neben
den bislang vorgestellten Häusern gibt es in Temeswar noch das staatliche
Kindertheater "Merlin" sowie einige freie Gruppen. Von diesen sei hier nur
das "Auăleu – Teatru de Garaj
şi Curte"
("Auăleu – Garage und Hoftheater") erwähnt, das seit 2005 besteht und seine
Projekte durch Eigenfinanzierung realisiert. Alles in allem verfügt die
Stadt jedenfalls über ein abwechslungsreiches, vibrierendes Theaterangebot,
und eins steht fest: Die Temeswarer Theaterszene lebt!