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"Wir sind hier, weil wir Theater lieben"

Interview mit Anna Neamtu, Leiterin der Deutschen
Abteilung
am Nationaltheater Radu Stanca in Hermannstadt.

Von Irina Wolf
(01. 12. 2008)

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IW: Das deutsche Theater ist in Hermannstadt (Sibiu) seit dem 16. Jahrhundert beurkundet. Wie wirkte sich der Einfluss der K & K Monarchie darauf aus?

Neamtu: Als das älteste deutschsprachige Theater in diesem Teil Europas war das Deutsche Theater in Hermannstadt lange Zeit kultureller Anhaltspunkt der hiesigen Deutschen Minderheit. Bemerkenswert ist, dass um 1700 das Hermannstädter Theater Herausgeber eines Theaterwochenblattes ist – wenn man bedenkt, dass in Rumänien zur Zeit nur alle zwei Monate ein Theaterheft erscheint. Das Bestehen eines deutschsprachigen Theaters in Hermannstadt bewirkte, dass Ende des 19. Jahrhunderts die rumänische Gemeinde in Hermannstadt, als Zentralraum der ASTRA (Gesellschaft der Siebenbürger Rumänen), eine Bühne bauen lässt, deren Hauptnutzen das Bespielen durch rumänischsprachige Theatergruppen wird.

IW: Mit dem Dekret Nr. 56771 der kommunistischen Machthaber wurde 1956 die deutsche Abteilung am Hermannstädter Staatstheater gegründet. 2006 feierte die deutsche Abteilung des Staatstheaters Radu Stanca (DAaNTRS) sowohl ihr 50-jähriges Jubiläum als auch 425 Jahre deutsches Theater in Hermannstadt. Welche Änderungen fanden in der DAaNTRS nach der Wende vom Dezember 1989 statt?

Neamtu: Durch die massive Auswanderungswelle nach 1989 verlor die deutsche Abteilung sowohl Schauspieler als auch Publikum. Lange Zeit "überlebten" wir mit einem Ensemble von zuerst 3, später 5 Schauspielern. Es ist Frau Renate Müller Nica (Schauspielerin und zeitweilig auch Leiterin der Deutschen Abteilung) zu verdanken, dass diese Abteilung überlebt hat, und dass wir in den letzten Jahren die jetzt existierende Struktur überhaupt aufbauen konnten. Trotz des kleinen Ensembles hat die deutsche Abteilung konstant zwei bis drei Premieren pro Spielzeit herausgebracht und den Kontakt zum deutschsprachigen Theaterraum bewahrt. Somit fällt es uns, als "junge Generation" , leicht Ihre Arbeit weiterzuführen, vor allem weil wir nun alle Voraussetzungen (Infrastruktur und Belegschaft) eines Theaters zur Verfügung haben. Hierzu sind auch die Bemühungen des Generaldirektors Constantin Chiriac aufzuführen, der die Wichtigkeit eines deutschsprachigen Theaters für Hermannstadt für die Erhaltung des Kulturerbes der deutschen Minderheit im multikulturellen europäischen Kontext der Entwicklung unserer Stadt erkannt hat und somit den künstlerischen Standard der deutschen Abteilung an den der renommierten rumänischen Abteilung herangeführt hat.

IW: Wie setzt sich das Publikum der DAaNTRS zusammen?

Neamtu: Die Deutsche Abteilung am NTRS ist ein junges Ensemble, welches für ein junges Publikum spielt. Über 50 Prozent unserer Zuschauer sind deutschsprachige Jugendliche und Studenten der Hermannstädter Schulen, hinzu kommt noch (durch die seit 2003 eingeführte Untertitelung aller Stücke) ein großer Prozentsatz rumänischer Zuschauer. Ein immer kleiner werdender Anteil unserer Zuschauer besteht aus der hiesigen deutschen Minderheit. Die deutsche Abteilung spielt im Studiosaalformat (d.h. 90 bis 150 Plätze) und war in den letzten Jahren immer zu 90 Prozent ausverkauft.

IW: Welche Autoren werden gespielt?

Neamtu: Wir versuchen eine Brücke zur deutschsprachigen Theaterwelt zu schaffen, indem wir jährlich mindestens einen deutschsprachigen Autor in unserer Spielzeit eingliedern. In den letzten vier Jahren wurden auf der Hermannstädter Bühne Autoren wie Roland Schimmelpfennig, Marius von Mayenburg, Peter Handke aber auch Georg Büchner, Franz Kafka und J.W. Goethe inszeniert. Gleichzeitig wurden auch Autoren anderer Länder inszeniert, wie Aki Kaurismäki, Edward Albee, Axel Hellstenius oder Peter Weiss, demnächst Shakespeare und Lukas Moodysson.

IW: Welchen Stellenwert hat das Gegenwartstheater in der DAaNTRS?

Neamtu: Die deutsche Abteilung hat ein junges Zielpublikum, deswegen ist es uns wichtig, den Kontakt zum jungen, zeitgenössischen Theater zu bewahren. Auch die deutsche Abteilung in Hermannstadt verfügt über ein junges Ensemble. Wenn man sich die Autoren ansieht, an die wir uns in den letzten Jahren herangetastet haben, möchte ich behaupten: wir spielen Gegenwartstheater. Es ist uns wichtig, künstlerisch hochwertiges Theater anzubieten, sowie eine Form, an die wir auch glauben bzw. glauben können. Unsere Inszenierungen entfernen sich teils vom Text bzw. Sprechtheater, wir arbeiten sehr viel mit Tanz und Originalmusik, mit Licht und Videoeffekten. Um jedoch ein breites Publikum zufriedenzustellen, bringen wir jedes zweite Jahr ein klassisches Stück, meist Inszenierungen namhafter Gastregisseure (siehe Serban Puiu – Prinz Friedrich von Homburg, 2006, oder aber Urfaust – Ingrid Gündisch 2004).

IW: Gibt es internationale Kooperationen?

Neamtu: Internationale Kooperationen der deutschen Abteilung fanden bis vor Kurzem auf Tourneeaustauschbasis statt, sprich: wir luden Gastspiele nach Hermannstadt ein und schickten im Gegenzug eine unserer Produktionen ins Ausland. 2007, als Hermannstadt Kulturhauptstadt Europas war, trat die deutsche Abteilung zwei Partnerschaften auf Produktionsbasis an – die Straßentheaterproduktion "City Myth", zusammen mit Antagon TheaterAktion Frankfurt am Main und "Eine stürmische Nacht" von I.L. Caragiale, eine Koproduktion mit Komödienherbst Niederösterreich. In diesen beiden Projekten haben Schauspieler der deutschen Abteilung konkret mitgespielt, beide Vorstellungen sind sowohl in Hermannstadt als auch im Ausland erfolgreich aufgeführt worden. 2008 kam dann ein konkretes Partnerschaftsangebot seitens des Hessischen Landestheaters Marburg. Im Rahmen der Städte- und Universitätspartnerschaften Hermannstadt-Marburg soll nun eine Theaterpartnerschaft mit einem dauerhaften Austausch an Produktionen aufgebaut werden. Der Beginn wurde durch zwei Auftritte des Hessischen Landestheaters Marburg in Hermannstadt im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals Sibiu 2008 gesetzt. Auch in den kommenden Spielzeiten planen wir im Rahmen einer dreijährigen Partnerschaft mit dem Theater Oberhausen gemeinsame Projekte, in Richtung gemeinsame Inszenierungen, Regisseurenaustausch und Autorenaufträge von beiden Seiten.

IW: Woher rekrutieren Sie Ihre Schauspieler (Schauspielschule, Laientheater)?

Neamtu: Alle Schauspieler der deutschen Abteilung haben ein Fachstudium an unterschiedlichen Schulen absolviert: Klausenburg (3), Bukarest (2), Neumarkt (2), Hermannstadt (2), Temeswar (2), Freiburg (1), Tokyo (1), Ulm (1). Seit 2003 gibt es an der Theaterschule in Hermannstadt jeweils zwei Plätze pro Studienjahr für deutschsprachiges Schauspielstudium, von wo wir nun junge Schauspieler rekrutieren. Gelegentlich greifen wir für Statistenrollen auf Schüler der Jugendtheatergruppe des Brukenthal Gymnasiums (Leiter Franz Kattesch, Schauspieler der deutschen Abteilung) zurück.

IW: Wie ist die Schauspielausbildung in deutscher Sprache in Rumänien?

Neamtu: Meines Erachtens nach gibt es in Rumänien eine deutschsprachige Schauspielausbildung an der West-Universität in Temeswar. Hermannstadt hat, wie erwähnt, seit 2003 an der Lucian Blaga Universität – Fakultät für Sprachen und Künste – Fachrichtung Schauspielkunst, zwei Plätze für deutschsprachige Schauspieler. Es handelt sich dabei um eine rein rumänische Ausbildung (Professoren der Bukarester Theateruniversität und Schauspier des NTRS), die mit Deutschkursen an der hiesigen Universität unterstützt werden.

IW: Wie steht es um die deutschsprachigen Regisseure in Rumänien?

Neamtu: Deutschsprachige Regisseure in Rumänien ... kann man an einer Hand zusammenzählen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die deutsche Abteilung mit einem hauseigenen deutschsprachigen Regisseur bevorzugt: Radu Alexandru Nica (seit 2003 dabei). Wir arbeiten auch öfters mit namhaften rumänischen Regisseuren, die Deutsch als Arbeitssprache nutzen, wie Vlad Massaci, aber auch mit Regisseuren, die die deutsche Sprache nicht sprechen: Puiu Serban, Marius Olteanu, Istvan K. Szabo, Michael Devine. Einmal pro Spielzeit laden wir Gastregisseure aus Deutschland ein. Es haben hier inszeniert: Clemens Bechtel, Luisa Brandsdörfer, Andreas Kloos, Ingrid Gündisch.

IW: Das Internationale Theaterfestival Hermannstadt (FITS) ist ein besonderes Ereignis, welches großteils dazu beigetragen hat, dass Hermannstadt 2007 zur Europäischen Kulturhauptstadt - zusammen mit Luxemburg - gewählt wurde. Wie präsentierte sich das DAaNTRS bei der Jubiläumsauflage 2008, der 15. Auflage des FITS?

Neamtu: 2008 wurden zwei der Produktionen der laufenden Spielzeit gezeigt: Das kalte Kind von Marius von Mayenburg (Regie Istvan K. Szabo) und Wer hat Angst vor Virginia Woolf (nach Edward Albee, Regie Serban Puiu). Dies sind zwei sehr unterschiedliche Stücke von der Inszenierung und vom Zielpublikum her, die ja auch von der Mannigfaltigkeit unseres Angebots zeugen sollen. Zudem wurde eine Filmdiskussion über Elling (von Axel Hellstelnius, Regie Vlad Massaci) in der Kulturbörse angeboten sowie alle bestehenden Inszenierungen in der Kulturbörse vorgestellt. Als Folge dieser Präsenz erhielt die deutsche Abteilung drei konkrete Auftrittsangebote – in Marburg, Lüneburg und Chisinau (Rep. Moldau).

IW: Im Juni 2008 fand in Hermannstadt die "Aufführungsbörse" statt. Was bedeutet dieses Event für das DAaNTRS und für die rumänische Theaterwelt?

Neamtu: Die Hermannstädter Kunst und Kulturbörse findet seit 10 Jahren im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals in Sibiu statt. Mitveranstalter der Börse in den letzten sieben Jahren ist die deutsche Abteilung durch die jeweilige Leitung. Die Kulturbörse ist ein Vermarktungsangebot speziell für die rumänische Theaterwelt und sollte auch als solche aufgenommen und genutzt werden. Wir bieten eine Präsentationsplatform für künstlerische Produkte aus und in Rumänien an, als Event einzigartig in diesem Teil Europas. Erst 2008 bekam die Hermannstädter Kulturbörse die dazugehörige Medienaufmerksamkeit durch eine etwas aggressivere Vermarktung im Vergleich zu den bisherigen Auflagen. Es wurde in diesem Jahr auch eine Rekordzahl an Teilnehmern – 30 mit Präsentationsständen und weitere 75 mit Materialien im Börsenheft – registriert, sowie eine Rekordzahl von 40 ge- und verkauften Events. Für die deutsche Abteilung, als Teilnehmer dieser Veranstaltung, bedeutet die diesjährige Kulturbörse ganz konkret drei verkaufte Produktionen im Ausland und der Wunsch, auch im nächsten Jahr dabei zu sein.

IW: Was haben Sie sich als Leiterin der DAaNTRS für die Zukunft vorgenommen?

Neamtu: Ich leite nun die deutsche Abteilung im vierten Jahr, sehe es eventuell auch als Abschlussjahr. Für mich hat die deutsche Abteilung in den letzten Jahren einen konkreten Weg eingeschlagen, ein junges dynamisches Team bietet ein junges dynamisches Theater. Es wird viel herumdebattiert, ob nun das Bestehen einer deutschen Abteilung als solcher im heutigen Rumänien noch einen Sinn hat. Dazu kann ich nur eines erwidern: Wir sind hier, weil wir Theater lieben und weil wir Theater als künstlerische Äußerungsform gefunden haben. Die deutsche Abteilung bietet, wie es die Inszenierungen der letzten drei Jahren beweisen, hochwertiges Theater an. Die Wahl der Sprache in der wir spielen, weil wir mittlerweile nur noch von einer Wahl sprechen können, ist letztendlich egal.
 


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