
Foto: Lutz Keiss
Susanne
Rehm
ist freiberufliche Kultur-
managerin und Regisseurin.
Sie studierte Theaterwis-
senschaft in Bochum und
Dublin. Seit über zehn Jahren
arbeitet sie für diverse Theater-
ensembles und Kulturinitiativen,
viele davon aus dem Bereich
des freien Theaters. Seit
2003 ist sie vermehrt im
internationalen Kontext tätig.
Die ersten Kontakte mit
rumänischem Theater hatte
sie Festival für rumänische
Dramatik 2007 in Temeswar.
In Rumänien spielt der
Text (und mit ihm der
Dramatiker) noch immer
eine zentrale Rolle bei
der Theaterarbeit.
Buchtipp

Hans-Thies Lehmann.
Postdramatisches Theater.
Verlag der Autoren, 2005,
506 S. ISBN: 3886612848.
Ist die Ehrfurcht vor
oder die Verliebtheit in
den Text zu groß, vertraut
das Ensemble zu sehr
darauf, dass der Text
schon alles zum Ausdruck
bringen mag, bleiben
vielleicht sogar die
szenischen Ideen aus?
Buchtipp

Günther Jeschonnek.
Freies Theater in
Deutschland.
Klartext, 2007, 518 S.
ISBN:
389861767X.
Überhaupt habe ich
das Gefühl, dass das
Theater in Rumänien
durch starre Förder- und
Finanzierungsstrukturen
daran gehindert wird,
sich zu bewegen.
Buchtipp

Christel Hoffmann,
Annett Israel (Hg.).
Theater spielen mit
Kindern und Jugendlichen:
Konzepte, Methoden
und Übungen.
Juventa, 2008, 280 S.
ISBN: 3779910616.
Auch das Deutsche
Staatstheater in Temes-
war hat seit einiger Zeit
einen Theaterpädagogen,
ein Schritt, der hoffentlich
von vielen anderen
Theatern und kulturellen
Institutionen nachge-
ahmt wird.
|
Anders
als die anderen Autoren dieses Schwerpunkts bin ich keine Insiderin oder
Kennerin des Theaters in Rumänien, meine Kontakte mit rumänischen
Theaterkünstlern und Inszenierungen waren bisher eher punktuell und
haben mir nur einen ersten Einblick ermöglicht. Mein Ausgangspunkt beim
Betrachten der Produktionen ist vom zeitgenössischen Theater geprägt,
so wie wir es in Deutschland antreffen.
Die Inszenierungen und Begegnungen, die ich
erleben durfte, haben mich anfangs oft fragend zurückgelassen. Ich sah
einige herausragende Inszenierungen, in der Mehrzahl von jungen
Regisseuren und Ensembles. Aber auch eine große Anzahl von Stücken, die
auf mich ästhetisch uneinheitlich wirkten. Oft hatte ich das Gefühl, die
Produzierenden wollten innovative Elemente nutzen, wollten sich szenisch
den Tendenzen und Strömungen annähern, die auch in anderen Ländern auf
der Bühne vorherrschen. Dabei blieben sie jedoch bei der Imitation
stecken und fanden keinen eigenen Zugang, so als hätten sie kein
wirkliches Anliegen, das sie mit der gewählten Form zum Ausdruck bringen
wollten.
Ich fragte mich, wie dieser Eindruck bei
mir entstand. Im Folgenden möchte ich Ihnen einige meiner Antworten
vorstellen:
Und immer der Text
S eit den 60er Jahren zeichnete sich in
Deutschland eine Tendenz ab, das Drama nur noch als Teil einer
Inszenierung zu betrachten, der gleichberechtigt neben den Komponenten
Zeit, Raum, Material und Körper steht. So manche Theater-Produktion
verzichtet bis heute ganz bewusst auf den für die Bühne konzipierten
Dramentext und greift stattdessen auf epische, wissenschaftliche oder
journalistische Texte zurück. Durch diese Entwicklung verliert auch die
Person des Dramatikers an Gewicht und Wichtigkeit. Das Prozesshafte, das
Performative ist sowohl auf als auch hinter der Bühne in den Vordergrund
gerückt.
Ganz anders in Rumänien. Der Text (und mit
ihm der Dramatiker) spielt noch immer eine zentrale Rolle bei der
Theaterarbeit. Die neuen Autoren, die die rumänische Geschichte und
Gegenwart angriffslustig und pointiert beschreiben, werden (zurecht)
international gefeiert. Auch bei den Umsetzungen für die Bühne dreht
sich weiterhin alles um den Text, um das, was der Autor sich wohl beim
Verfassen der Zeilen gedacht haben mag.
Bei einem solchen Ansatz rücken jedoch die
Interpretation des Regisseurs und des Ensembles, aber auch Raum-, Zeit- und
Inszenierungskonzepte, die die Vorgänge auf der Bühne strukturieren,
automatisch in den Hintergrund. Ist die Ehrfurcht vor oder die
Verliebtheit in den Text zu groß, vertraut das Ensemble zu sehr darauf,
dass der Text schon alles zum Ausdruck bringen mag, bleiben vielleicht
sogar die szenischen Ideen aus, die auch ein guter Text braucht, um zu
einem Knüller auf der Bühne zu werden.
Mir als Rezipientin mit geringen
Rumänischkenntnissen, die sich den Zugang zu den Aufführungen über die
Bildsprache und Handlungen auf der Bühne erschließt, bleibt das
Verständnis bei solchen Inszenierungen automatisch verwehrt.
Und immer das Geld
I n der Bundesrepublik bildete sich seit den
siebziger Jahren neben den Stadt- und Staatstheatern eine vielfältige
freie Theaterszene aus. Hier wurden neue ästhetische Ansätze und
Arbeitsweisen erprobt, die mit der Zeit in den Kanon der
institutionalisierten Theater Einzug hielten. Über viele Jahre forderten
diese Ensembles eine Unterstützung durch die öffentliche Hand ein. Heute
gibt es fast überall in Deutschland freie Theaterkompanien, die über
vielfältige Wege gefördert werden. Freie Theatergruppen sind Ergänzung
zu, Konkurrenz von und in manchen Orten auch kostengünstiger Ersatz für
die festen institutionalisierten Theaterhäuser.
Der grundlegende Unterschied zwischen
freiem und institutionalisiertem Theater sind heute die flachen
Hierarchien und die wechselnden Zusammenarbeiten. Denn nicht nur die
Schauspieler auf der Bühne werden meist stückbezogen engagiert, nein,
auch Bühnenbildner, Kostümbildner und Techniker werden nach Bedarf
gebucht. Darüber hinaus besteht eine rege Fluktuation von Künstlern vom
freien Theater zu festen Bühnen und zurück. Oder Projekte freier Gruppen
werden von festen Häusern engagiert. Bekanntestes Beispiel derzeit sind
sicherlich die Künstler von Rimini-Protokoll.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Freies
Theater ist nicht vom Prinzip her besser, es belebt nur das Geschäft und
hat in Deutschland und anderen Ländern so manche Innovation
vorangetrieben, die in den Strukturen der Stadttheater nicht möglich
gewesen wäre.
In Rumänien fließt der staatliche und
städtische Etat für Theater noch immer fast ausschließlich in die Stadt-
und Staatstheater. Es gibt einige erfolgreiche freie Theatergruppen, die
mit sehr guten Aufführungen auf sich aufmerksam gemacht haben. Sie
haben, wie ihre freien Kollegen anderswo, Innovationen versucht und sich
auf die Suche nach neuen Formen begeben. Nur langsam bekommen diese
Gruppen öffentliche Anerkennung und, noch wichtiger, finanzielle
Förderung. Allzu oft reiben sich die engagierten Künstler dieser
Kompanien zwischen Broterwerb und künstlerischer Arbeit auf.
Ich habe mir sagen lassen, dass es eine
ganze Weile dauerte, bis die freien Gruppen von den festen Häusern als
künstlerisch gleichberechtigt akzeptiert wurden. Dass sie zum nationalen
Theatertreffen nach Bukarest eingeladen wurden, spielte hier sicherlich
eine wichtige Rolle. Erfolgreiche Regisseure und Schauspieler freier
Gruppen kamen bald auch in den Stadt- und Staatstheatern unter. Die
Gegenbewegung, dass auch Künstler der großen Häuser zu den freien
Gruppen wechseln, ist meines Wissens kaum zu erkennen; ich nehme an, das
hat finanzielle Gründe. Für viele Mitarbeiter der Theater ist es bereits
mit Festanstellung schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Überhaupt habe ich das Gefühl, dass das
Theater in Rumänien durch starre Förder- und Finanzierungsstrukturen
daran gehindert wird, sich zu bewegen. Ohne Bewegung aber kann nichts
Neues entstehen. Wer ein vitales, kreatives Theater möchte, muss die
finanziellen Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Und immer wieder Neues ...
" Die Kinder sollen ins Puppentheater!".
"Die Jugendlichen interessieren sich nicht für das Theater!",
"Schulaufführungen gibt es nicht". Solche und ähnliche Äußerungen sind
mir in Rumänien immer wieder zu Ohren gekommen.
Was dabei außer Acht gelassen wird, ist,
dass jede gesellschaftliche Institution, die überleben möchte, die
jungen Menschen braucht. Sie sind nicht nur die Zuschauer der nächsten
Jahrzehnte, sondern auch die Macher, die Schauspieler und Regisseure der
Zukunft. Wer als junger Mensch den Zugang, die Faszination für das
Theater nicht erlebt, wird dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch als
Erwachsener nicht mehr nachholen.
In Deutschland und vielen anderen
europäischen Ländern ist es das Kinder- und Jugendtheater, das viele
Veränderungen und ästhetische Versuche im Theater vorangetrieben hat.
Das junge Publikum ist weniger voreingenommen, hat weniger Vorurteile,
wie etwas zu sein hat. Die Themen für Kinder und Jugendliche finden sich
leicht da, wo sich Künstler auf eine Begegnung auf Augenhöhe einlassen.
Dabei geht es nicht um Belehrung, sondern um Verstehen.
Inzwischen gehört es in Deutschland fast
schon zum Standard, dass Theater nicht nur FÜR junge Menschen
produzieren, sondern die Theaterpädagogen auch Projekte MIT jungen
Amateuren realisieren. Kreativität, Kunst und kulturelle Bildung werden
dabei in den Dienst der individuellen Entwicklung der Beteiligten
gestellt.
Auch das Deutsche Staatstheater in Temeswar
hat seit einiger Zeit einen Theaterpädagogen, ein Schritt, der
hoffentlich von vielen anderen Theatern und kulturellen Institutionen
nachgeahmt wird.
Schlusswort
A n
anderer Stelle in dieses Schwerpunkts spricht Irina Wolf vom Urknall des
rumänischen Theaters, von dessen Entstehung aus der Asche, einem Phönix
gleich. Setzen wir die Geburtsstunde des neuen rumänischen Theaters mit
der Rückkehr der Exilanten Anfang der 1990er Jahre an, so ist es im
Moment ungefähr 15 oder 16 Jahre alt, also mitten in der Pubertät. Und
wie ein pubertierendes Kind muss es sich die eigene Identität noch
schaffen, muss es neue Wege ausprobieren, Scheitern und eine eigene
Persönlichkeit finden. Viel wurde schon erreicht, noch viel mehr ist zu
erhoffen. Mich persönlich fasziniert die rumänische Theaterszene trotz
aller Fragen immer wieder von Neuem und ich hoffe, noch viel davon zu
sehen und zu hören. | |