"Eine jahrtausendealte Perversität, in die die
Menschheit vernarrt ist,
und deshalb
so tief in sie vernarrt ist, weil sie in ihre Verlogenheit
so tief vernarrt
ist."
(Thomas Bernhard über das
Theater in seinem
Stück Der Theatermacher)
Wer
das alte Gebäude bei Hausnummer 126 im Zentrum Bukarests, auf einer der
bekanntesten Hauptstraßen, der Calea Victoriei betritt, braucht nicht lange
nach dem Eingang des Theaters zu suchen. Eine sympathische junge Dame
empfängt die Besucher und gewährt nach einem kurzen Blick auf die
Theaterkarte Einlass. Geht man den schmalen Gang entlang und steigt den
engen Treppengang hinunter, tut sich ein Kellerraum mit etwa 100 Sitzplätzen
auf, die auf drei Seiten von einer vier mal sechs Meter große Bühne umgeben
sind. Das ist die 1998 eröffnete Spielstätte des Theater Act, des ersten
selbstständigen Projekttheaters in Rumänien.
Eigentlich
begann alles schon im Jahr 1995, als eine Handvoll rumänischer Theaterleute,
unterstützt von Schauspielern aus England und den USA, beschlossen, das
erste unabhängige kulturelle Unternehmen in Rumänien zu gründen: die Theater
Act Stiftung. Ziel der Stiftung war es, eine eigene Spielstätte für
Theater-, Musik-, Film- und Tanzaufführungen zu etablieren.
In der damaligen
Theaterlandschaft Rumäniens, hundertprozentig dominiert von den staatlichen
Theatern, wurde somit ein erster Schritt in Richtung alternatives,
eigenständiges Theater gesetzt. Seitdem entstanden im ganzen Land zahlreiche
freischaffende Theatergruppen, wie zum Beispiel das erste Cafétheater
(Teatrul Luni/Green Hours), das erste Theater im Dachboden eines Caféhauses
(Teatrul Arca/La Scena), Teatrul Inexistent, Teatrul Fara Frontiere,
Compania independenta Of-Of, Compania independenta de teatru D'Aya (alle in
Bukarest), das Teatrul Imposibil Klausenburg, das Teatrul 74 Neumarkt,
Aualeu/Teatrul de Garaj si Curte Temesvar, Teatrul Joint Kronstadt und
Teatrul Pi Buni Piatra Neamt. Jedoch haben die wenigsten von ihnen ihre
eigene Spielstätte.
"Das Theater Act
ist meine Antwort auf das, was ich mir unter Leben vorstelle, auf das, was
ich auf dieser Welt für das Wichtigste erachte", beschreibt Marcel Iures,
weltweit bekannter rumänischer Schauspieler, Präsident der Stiftung sowie
Direktor des Theaters, sein Unternehmen.
Im Jahrzehnt
seines Bestehens wurde publikumsnahes, lebendiges Theater in 1300
Aufführungen, davon 50 Premieren, geschaffen. Von Anfang an war eines seiner
grundlegenden Ansätze, Unterhaltung auf hohem Niveau, Vergnügen und
Aufklärung zu vereinen. Die Nähe zwischen Zuschauerraum und Bühne sowie die
Abwesenheit eines Vorhanges zwangen sowohl Schauspieler als auch Publikum,
ihr Verhalten zu ändern. Es entstand eine Intimität zwischen den beiden, die
einen besonderen Reiz darstellt.
Das Theater Act
veranstaltet eigene Produktionen, unterstützt Koproduktionen mit anderen
autonomen Theatergruppen und gibt diesen gleichermaßen die Möglichkeit,
Gastspiele mit eigenen Produktionen auf der Bühne des Theaters aufzuführen.
Darüber hinaus wird das Programm ergänzt durch eine Reihe von
Autorenlesungen, Musikabenden und Buchpräsentationen. Weitere Aktivitäten
sind Künstlergespräche und Rundfunksendungen.
Moderne,
zeitgemäße Dramatik und Literatur wurden von Anfang an im Theater Act
unterstützt. Für viele Schauspieler, Bühnenbildner und heute bekannte
Regisseure der neuen Generation (wie zum Beispiel Gianina Carbunariu und
Radu Afrim) bot das Theater Act das erste Podium ihrer künstlerischen
Entfaltung.
2002 führte es,
als erstes rumänisches Theaterunternehmen, ein Programm zur Förderung der
Gegenwartsdramatik in Form eines "Textmarktes" ein: Texte aus der
deutschsprachigen zeitgenössischen Dramatik wurden in Form von Leseabenden,
gefolgt von Publikumsdiskussionen, vorgestellt. Der Erfolg war so groß, dass
es zu Aufführungen mehrerer Stücke kam, wie zum Beispiel Die
Präsidentinnen von Werner Schwab, Reise ins Glück von Franz Xaver
Kroetz, Feuergesicht von Marius von Mayenburg und Top Dogs von
Urs Widmer.
Jedes Stück aus
dem Repertoire des Theaters ist auf ein eigenes Publikum abgestimmt. Für
Kleinkinder steht die Geschichte über die Sehnsucht eines Pinguins
auf dem Programm, erzählt von der
vielseitigen Künstlerin Ada Milea. An Erwachsene,
die auf den Sitzkomfort der staatlichen Theater verzichten können und die
sich zwischen den engstehenden Sitzreihen im Saal wohl fühlen, richten sich
unter anderem Stücke von David Mamet, Terrence Mc Nally, Neil La Bute und
Edward Albee. Das Theater Act ist jedoch nicht auf amerikanische Dramatik
spezialisiert, sondern orientiert sich ganz allgemein an der Moderne.
Weitere gespielte Autoren sind Thomas Bernhard, Hideki Noda und Yevgeni
Grishkovets. Die rumänische Gegenwartsdramatik ist derzeit nur wenig präsent
durch Radu Macrinici und Alina Nelega.
In der
Spielstätte, wo im Zuge von Renovierungsarbeiten auch kommunistische Relikte
gefunden wurden, wird heute "Amalia atmet tief ein" gespielt. Der beim
Heidelberger Stückemarkt im Jahr 2007 preisgekrönte Text von Alina Nelega
lässt den Kommunismus in einem einzigartigen Monolog Revue passieren. Die
Regisseurin Mariana Camarasan und die Bühnenbildnerin Alexandra Penciuc,
beide Absolventinnen des UNATC (Staatsuniversität für Theater- und Filmkunst
Bukarest) 2007 beziehungsweise 2008 nutzten meisterhaft den Raum, der sich
für Stücke mit kleiner Besetzung besonders eignet und realisierten eine
erstklassige Aufführung. Die Darstellerin Cristina Casian, die damit 2007
ihr Schauspiel-Abschlussdiplom bei UNATC belegte, erhielt dafür 2008 den
UNITER (Verband der rumänischen Theater) Preis in der Kategorie Debüt.
Ein weiterer
Höhepunkt des Repertoires ist "Der Theatermacher" von Thomas
Bernhard. Das Stück ist mit über 250 Aufführungen in sieben Jahren eines der
meistgespielten der rumänischen Theaterszene nach 1990. Alexandru
Dabijas Inszenierung besticht durch eine beeindruckende Analyse des heutigen
Rumänien, reflektiert aber auch den Status des Schauspielers. Dazu der
Regisseur anlässlich der Premiere des Stücks 2001:
"Ich glaube nicht, dass
es einen günstigeren Zeitpunkt in der rumänischen Kunst gibt, um über den
Schauspieler zu sprechen. Ich glaube auch, dass es keinen besseren
Schauspieler gibt, um über das Nichts zu sprechen, als den aktuell
arriviertesten rumänischen Schauspieler."
Dabija meint damit Marcel Iures,
der den Bruscon spielt. Iures wurde für diese Rolle 2002 mit dem UNITER
Preis für besten männlichen Hauptdarsteller ausgezeichnet. Für UNATC
Studenten bildet die Auseinandersezung mit dem Stück das erste Seminar ihres
Studiums.
Ein besonderer
Schwerpunkt des Theaters Act umfasst den Bereich Jugendtheater. Ein
umfangreiches Projekt zur Rehabilitierung des Interesses für das Theater in
den Bukarester Gymnasien geht ganz besonders auf die Bedürfnisse der Schüler
ein. Schon 2005 begann das Theater Act eine Zusammenarbeit mit verschiedenen
Bukarester Bezirksämtern, um den Jugendlichen die Sprache des Theaters zu
vermitteln. Monatlich werden vier attraktive Stücke, geeignet für Fünfzehn-
bis Achtzehnjährige, aufgeführt, gefolgt von inhaltlichen Diskussionen mit
den Künstlern (Professoren oder frische Absolventen des UNATC).
Viele
Jugendliche erleben im Theater Act ihren ersten Theaterbesuch und es kommt
nicht selten zu Konflikten. Da manche den Theater- mit dem Kinosaal
verwechseln, gibt die Theaterleitung am Anfang der Aufführung eine kurze
Einführung über die Umgangsformen im Theatersaal.
Das Theater Act
hat etliche Male im In- und Ausland gastiert und mehrere Preise erhalten.
Seit Längerem wird es als etabliertes Theater, als Aushängeschild der
rumänischen Theaterszene angesehen. Die größte Anerkennung kam 2007, als
während des FNT (Nationales Theaterfestival) ein eigenes Modul dem Phänomen
Theater Act gewidmet wurde. In dem Jahrzehnt seines Bestehens hat das
Theater Act durch seine Aufführungen den Publikumsgeschmack kultiviert und
für anspruchsvolle Unterhaltung gesorgt.