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Wenn wir über das Internet, den Cyberspace nachdenken, wird
häufig in Kategorien
Von
Rüdiger Lohlker |
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Eine Vorbemerkung erscheint notwendig: Wenn wir auf einer Tagung über "Scham und Blick" über die im Titel angesprochenen Themen reden, bewegen wir uns im Felde von öffentlichen Diskursen, die eher als eine soundscape denn als eine visuelle Landschaft konstituiert werden. Audiokassetten, aber auch Audiodateien, sind für die Konstitution von Bewusstsein, von ethischen Codes u.a. in zeitgenössischen arabischen Gesellschaften weitaus bedeutsamer als es in Europa wahrgenommen wird. Nichtsdestotrotz, visuelle Eindrücke sind gleichfalls bedeutsam. Wenn wir über das Internet, den Cyberspace nachdenken, wird häufig in Kategorien wie dem inhärent demokratisierenden Charakter des Cyberspace reflektiert (à la The Well). Die Video- und Textbytes, mit denen wir im Folgenden konfrontiert werden, dementieren solche Vorstellungen in erschreckender Weise, zeigen uns den Cyberspace als Sphäre der Propaganda des Grauens. Zustimmen könnten wir angesichts dessen diesen Worten: "Eine gleichermaßen starke wie anfechtbare Definition des Cyberspace wäre: 'Alles, was vorstellbar ist, kann realisiert werden.'" Die Anfechtbarkeit der Definition mag als Zeichen für Hoffnung aufrecht erhalten werden. Dieses globale Medium wird – auch in dieser Form – lokal angeeignet. Diese lokale Aneignung ist im transkulturellen Vergleich interessant. Gerade im Bereich transkultureller Forschung kann das Internet als Instrument der Forschung dienen, das Einblicke in die unterschiedliche Konstruktion von Wirklichkeit ermöglicht. Ein Beispiel werden wir im Folgenden sehen. Zuerst gilt es allerdings, den Konzepten Scham, Beschämung und Ehre nachzugehen. Bei der Konstruktion der Beschämungsakte, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, ist die gender-Dimension von Bedeutung: "Vorwiegend junge Männer fühlen sich durch die Machtpolitik Israels und der USA gedemütigt und um ihre Zukunft beraubt. Der Verlust von Land, Respekt vor dem Islam und vor ihrer eigenen Männlichkeit werden oft vermengt." Diese Verwirrung der Geschlechterrollen wird nun in spezifischer Form genutzt, um Scham zu erzeugen:
Besonders gravierend wirkt dies angesichts der Konstruktion von Sexualität im arabischen Raum, die der libanesische Soziologe Hisham Sharabi so beschreibt:
Konfrontieren wir diese Beschämungsvorgänge mit Ehrvorstellungen im arabisch-türkischen Raum. Geben wir noch einmal Hisham Sharabi das Wort, der das Charakteristikum gängiger Ehr- und Schamvorstellungen arabischer Gesellschaften so beschreibt:
Werner Schiffauer beschreibt diesen pragmatischen Begriff der Ehre und Scham im türkischen Kontext:
Kommen wir nun zu dem Material, in dem wir sehen können, in welcher Form sich die Situationen gestaltet haben, in denen solche Scham empfunden wird. Abu Ghraib Das irakische Gefängnis Abu Ghraib ist durch eine Vielzahl von Videofilmen, Videostills und Fotos zu einem Symbol der Unterdrückung des irakischen Volkes durch die USA und ihre Alliierten geworden. Darüber sind die Misshandlungen und Tötungen unter dem Baath-Regime im Irak an den Rand gedrängt worden. Diese Untaten sind – und das dürfte für uns von Bedeutung sein – nicht in der Form bildlich dokumentiert worden, in der es unter US-Ägide geschah. Einige Beispiele, die wir in arabischsprachigen Onlinemedien finden können, machen sich zum größten Teil das Bildmaterial westlicher Medien zunutze: http://majdah.maktoob.com/vb/showthread.php?t=1997 www.wlamen.com/vbb/showthread.php?t=5041 www.swalif.net/softs/swalif12/softs148600 www.alanbaaalalamia.com/mlf56.htm Betrachten wir eine dieser Bildsequenzen im Detail: www.albasrah.net/images/iraqi-pow/iraqi-pow1.htm Diese Sequenz zeigt, neben dem Neuigkeitswert anderen Bildern gegenüber, die Behandlung eines irakischen Gefangenen durch US-Soldaten. Die offene Gewaltsamkeit, in den Blutspuren zu erkennen, wird kombiniert mit der gezielten Entblößung des Gefangenen in der Öffentlichkeit, dem Treten mit Füßen auf ihn, selbst dem Sitzen auf den Gefangenen – und das Ganze im triumphalistischen Gestus. Wir bemerken also schon hier ein in der arabischen Öffentlichkeit völlig unangemessenes Zeigen von Nacktheit. Diese Sequenz wird übergeleitet in Bilder, die die politisch und militärisch Verantwortlichen zeigen. Die folgenden Sequenzen konzentrieren sich auf Aspekte wie offene Gewaltanwendung, Nacktheit, entwürdigende Positionen, die u.a. Bereitschaft zu homosexuellem Verkehr signalisieren sollen, auch Animalisierung der Gefangenen und folgerichtig auch den Einsatz von Hunden. Zwar wird in entsprechenden US-Handbüchern, geschöpft aus afghanischen Erfahrungen, der Einsatz von Hunden gegen muslimische Gefangene empfohlen, allerdings scheinen angesichts der Wirkung wild gewordener Hunde auf alle ihnen ausgesetzten Menschen solche Essentialisierungen nur der Konstruktion des orientalischen 'Anderen' der westlichen/US-amerikanischen Männer und Frauen zu dienen. Beachten müssen wir insbesondere den orangefarbigen Overall, Standardbekleidungsstück für Gefangene, der immer wieder auftaucht. Die folgenden Sequenzen heben sexuelle, insbesondere wieder homosexuell konnotierte Bilder hervor. Bekannt geworden sind auch die Haufen nackter Menschen mit dazu posierenden WächterInnen. Besonders herausragend in der Rezeption der Ereignisse von Abu Ghraib war die Rolle der Protagonistinnen, die als Gefängniswächterinnen tätig waren (Lynndie England, Sabrina Harman), auf diesen Bildern. Eine völlige Umkehrung der etablierten Geschlechterrollen, die als besonders massiver Akt der Beschämung wahrgenommen wurde. In welch hohem Maße dies wirkt, zeigt die Häufigkeit einschlägiger Szenen in einem video- und bildorientierten Forum: www.watein.com/4images/thumbnails.php Wir sehen auch gegen Genitalien gerichtete Aggression auch außerhalb des Gefängnisses, was uns zeigt, dass sich der visuelle Komplex Abu Ghraib auch über andere Bilder schiebt. Gerade die Rolle von Soldatinnen führt zur Aufnahme entsprechender Bilder in Onlineforen. Die bereits gezeigten Sequenzen werden in anderer Bildauswahl immer neu belebt – selbst noch einige Jahre später. Gesteigert wird dies in in Textform wiedergegebenen Geschichten, in denen berichtet wird, dass eine amerikanische Soldatin (!) einen der älteren (!) Gefangenen gezwungen habe, Frauenkleider anzulegen. أبو غريب والشرف السليب
Dreifache unangemessene Handlungsweise: 1.) Eine Frau als Unterdrückerin eines Mannes, 2.) eine Missachtung eines älteren Mannes, 3.) ein Mann wird in eine Frauenrolle gezwungen. Das integrierte Bild verweist auf religiöse Dinge als Bezugnahme: eine Gebetskette – die zudem häufig von älteren Männern ostentativ benutzt wird. Eine Zwischenbemerkung: Die politisch fatalen Folgen zeigen sich, wenn Abu Ghraib als Symbol für die Hohlheit der westlichen Propaganda für Demokratie benutzt werden kann. الديمقراطية الأمريكية.. أبوغريب نموذجا
Eingeordnet werden die Bilder auch in den Kontext anderer visueller Aggressionen. In einem ägyptischen Artikel wird über neue Bilder aus Abu Ghraib, aber auch über die Veröffentlichung der Muhammad-Karikaturen 2005 gehandelt. Guantanamo Das Bildprogramm, das sich mit dem orangefarbigen Overall in Abu Ghraib verknüpfen lässt, setzt sich fort in den Beschreibungen der Lage der Gefangenen in der US-Marinebasis Guantanamo. Auch hier dominierte zuerst die Abbildung von Gefangenen in orangen Overalls. http://vb.6rbqtr.com/showthread.php?t=15754 http://arabic.cnn.com/2003/world/12/4/hicks.guantanamo/index.html http://muntada.islamtoday.net/showthread.php?t=4480&page=28 www.marhba.com/forums/showthread.php?t=1969 www.amnestyusa.org/magazine/i/guantanamo.jpg http://medfan2003.jeeran.com/guantanamo.jpg Auch über die bloße Dokumentation wirkt das icon des orangenen Overalls: http://bukah.files.wordpress.com/2007/01/guantanamo.jpg
Gezielt genutzt wird in schrecklichster Weise das in Abu Ghraib begründete Bildprogramm dann in dem von Abu Mus'ab az-Zarqawi begründeten Genre der Köpfungsvideos. Das Opfer wird ebenfalls in einem orangefarbigen Gefangenenoverall präsentiert, bevor er ermordet wird. http://window777.jeeran.com/Berg_B5.jpg Nicholas Berg http://arabi.ahram.org.eg/arabi/ahram/2004/10/16/86.jpg Ermordung einer koreanischen Geisel Die somit erzeugte Erniedrigung des nichtmuslimischen Gefangenen durch die Ankoppelung an eine Bildproduktion, die die Erniedrigung und Beschämung von muslimisch-arabischen Gefangenen zeigt, wendet sich aber gegen ihre Urheber. Gerade die Entehrung des Opfers wird von der arabischen Öffentlichkeit als unangemessen, als unehrenhaft rezipiert und führt dadurch zu einem Ende dieser grausigen Videoproduktionen. Dieser Effekt zeigt uns, dass die skizzierten Videodiskurse ihre Adressaten in der arabischen Öffentlichkeit haben, weniger in der Weltöffentlichkeit. Die urban-medial vorgeprägte Weltwahrnehmung wird gezielt zur Produktion von Beschämung und Gefühlen der Ehrverletzung eingesetzt und kann damit den gewünschten Effekt verstärken, ist aber nicht das Hauptziel des Bildprogramms. Ein weiterer Aspekt dieser letzteren Videoaufnahmen zeigt sich in der Kopfhaltung des Opfers vor der Enthauptung, die an das Schlachten von Tieren am Ende des Fastenmonats Ramadan gemahnt, eine Codierung, die von der arabischen Öffentlichkeit offensichtlich unbewusst als Entehrung religiöser ritueller Handlungen begriffen wurde. Allerdings wird sie immer wieder aufgegriffen: In einem Posting des in Schweden ansässigen Administrators der Onlineforen von Arab Online vom November 2006, in dem die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh bejubelt wird, heißt es: "Man sagt, er wurde abgeschlachtet wie ein Schaf." www.gn4me.com/gn4me/content_img/party103540.jpg Vorbereiten auf die Schlachtung Der Vorgang des Schlachtens www.vialls.com/italy/images/sgrena100b.jpg Die Parallele Das letzte Bild, das wir betrachten, stammt von einer jihadistischen Website, die inzwischen offline ist. Es zeigt deutlich die Intensität, mit der sich das Bild des blutbefleckten Schwertes/Messers in das jihadistische Imaginäre eingeschrieben hat. M.a.W.: Ein bestimmtes Bildprogramm mag gescheitert sein, die Komponenten sind aber weiterhin vorhanden und aktualisierbar:
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