Heinrich
Steinfests siebter Krimi führt in sämtliche Sphären: ins Erdinnere,
auf die Erdoberfläche und in die Lüfte, und das mit einem Spin, der einen
schwindelig werden lässt. Den Ausgang nimmt die Geschichte allerdings
beschaulich in einem adretten Einfamilienhaus vermutlich in Wien, wo sich
der Zoologe Georg Stransky fragt, wie er eigentlich zu seinem Glück gekommen
ist und warum er eine Saat ernten darf, die er nicht gesät hat. Die Frage
hat ihre Tücken. Ausreichend Zeit, eine Antwort zu finden, bleibt ihm nicht,
denn ein Apfel, der durch die Fensterscheibe segelt, verpasst der Idylle ein
Ende.
Der Apfel ist – wie man
seit Schneewittchen weiß – natürlich vergiftet und der frugale Tod damit zum
Beißen nah. Stransky verleibt sich die verbotene Frucht ein, die Anästhetika
tun ihre Wirkung und die Vertreibung aus dem Paradies nimmt ihren Lauf:
Stranksy wird entführt und das Spiel kann beginnen.
Gamemaster ist bei
Steinfest nicht Gott, womit die Moral als Spielregel ausgedient hat. Die
Fäden im Spiel mit realen Charakteren ziehen zwei gleichstarke Frauen, die
selbst im Bösen Züge einer Maria lactans tragen und im Guten an den
barmherzigen Samariter erinnern. Männer spielen eine untergeordnete Rolle.
Frauen haben das Sagen: Mit magischen Eigenschaften wie Kochen oder Denken
ausgestattet, schlagen sie selbst bis an die Zähne bewaffnete
Spezialeinheiten des Militärs in die Flucht.
Heinrich Steinfest hat ein
ausgesprochenes Händchen für Figurenzeichnung, was er etwa bei seiner
Ermittlerin Lilli Steinbeck beweist, die die Männerwitze aus den Amtsstuben
vertreibt. Über verbissene Feministinnen heißt es, dass sie
"emanzipiert wie versteinerte Eier [sind], die man also nicht mehr
auszubrüten braucht". Über die überforderte Mutter eines Schrei-Babys ist zu
lesen: "In der Mitte dieser häuslichen Ordnung, vor
dem Hintergrund eines schwach errötenden Morgenhimmels, stand eine junge
Frau, eine weiße Windel über die eine Schulter, das schreiende Kind über die
andere gelegt. Eine Gewichtheberin des Lebens."
Was einem Steinfest nicht
bietet, ist eine tarierte psychologische Realistik. Dazu ist sein Erzähler,
der mit aberwitzigen philosophischen Einschüben aufwartet und in einer
Fußnote auch einmal die Figuren korrigiert, viel zu mundfertig und
unverfroren. Gemäß der inneren Logik des Buches sind die meisten Figuren auf
eine Eigenschaft fokussiert: Unverwundbarkeit, Spürsinn,
Undurchschaubarkeit.
"Die
feine Nase der Lilli Steinbeck" ist – wenn solche Parallelisierungen erlaubt
sind – 3D-animierten Kampf- und Strategiespielen nachempfunden, wo es gilt,
eine Aufgabe zu bewältigen, ein Menschenleben zu retten. Spiele wie Tomb
Raider werden im Text auch tatsächlich erwähnt. Die klassische
Ausgangsposition hierbei lautet: Gut gegen Böse. Es gibt verschiedene Welten
und die Figuren haben wechselnde Tools, die sie situationsbedingt nützen:
Hubschrauber, Segelboote, Flugzeuge, verschiedene Waffen und Verkleidungen.
Es gibt wichtige Spieler und bloße Randfiguren ("Für
die zwei Männer im Flugzeug freilich war das Spiel vorbei. […] Sie zählten
nicht, diese Figuren") – da erübrigt sich auch die im realen Leben
unabkömmliche Ethik des "Jeder ist gleich". Die
Charaktere selbst befragen ihren Fiktionalitätsstatus und empfinden sich als
Teil eines Spiels.
Je weiter man mit der
Lektüre voranschreitet, desto mehr fühlt man sich an Filme wie
"eXistenZ" erinnert, wo man einem Mindfuck erliegt,
das heißt allmählich nicht mehr weiß, auf welcher "Wirklichkeits-"/Virtualitätsebene
man sich befindet. Es wird immer toller, immer skurriler, immer globaler,
wie die exotischen Schauplätze, die Waffen mit internationalen Dichternamen
(Verlaine, Pessoa) zeigen. Die Erde ist ein Spielbrett einer very happy few,
die ohne ersichtlichen Grund eine Schnitzeljagd im Reality-Format initiiert.
Souverän und immer
überraschend spannt Steinfest den Bogen von den plumpen Dodos bis zu einem
geheimen französischen Marsprogramm, überzeugt im Großen wie im Detail. Die
Figuren gewinnen aus dem Plot und der Plot wiederum aus den Figuren, und das
Ergebnis ist wirklich lesenswert, temporeich und sprachlich sehr originell.
Und gerade weil hier so untertourig gefahren wird, erweist sich manche
Bemerkung über den Sinn des Lebens auch für den Leser als weiterführend. Und
sei es nur, dass man sich zu überlegen beginnt, ob der eigene Beruf der
richtige ist oder das Heil nicht doch eher in der Zoologie, in der Giftkunde
oder im Polizeidienst liegt.
Zuerst erschienen im Online-Buchmagazin
des Literaturhauses Wien. |