Die
ins Mikrofon gesprochenen Worte stammen unter anderem von Carlos Drummond De
Andrade, Eugénio De Andrade, Jacques Prévert, Rainer Maria Rilke. Von
überall im Theatersaal strömt Delbonos hypnotische Stimme. Bitter, zärtlich,
fiebrig, deprimiert, mysteriös. Dasselbe gilt auch für die Bühne, die in
einer ebenso geheimnisvollen, roten Farbe gehalten ist. Ein alleiniger
weißer Baum ragt auf der leeren Bühne zur Decke empor. Das Rot spricht von
der Fado-Musik, die in ein Blutmeer des Leidens verwandelt wird. Die Liebe,
die über den Tod hinausgeht, nimmt die Form eines ausgetrockneten Baumes an.
Dieses einprägsame visuell-akustische Bild habe ich vom Theater Palamostre
in Udine mitgenommen.
Die Auftritte des
bekannten italienischen Künstlers gehen über den Theaterbereich hinaus.
Pippo Delbono ist eine Welt für sich. Eine Welt, die er mit Großzügigkeit
auf der Bühne offenbart. Jede Wunde, jeder Schmerz, das Leiden, die
Depression, der Tod, die Intimität. All das wird in einer zugleich
ausgefallenen und wunderschönen Performance über Leben und Tod auf die Bühne
gebracht. Seine Shows resultieren normalerweise aus einem schockierenden
Ereignis. Das Publikum wird Zeuge einer in die Geschichte verstrickten
Biografie. Der Künstler schafft es, den Zuschauern ein Gefühl von Freiheit,
Improvisation, Unberechenbarkeit zu vermitteln, aber niemals zufällig, alles
ist gut durchdacht.
Amore
ist ebenfalls aus einem Schock geboren: dem Tod eines geliebten Menschen.
Und aus der Depression, die die Pandemie verursachte. Portugal ist der
Ausgangsort, an dem Pippo Delbonos Suche auf den Spuren eines Wortes
beginnt: Die Liebe, die nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein Seelenzustand
ist. Ein echtes Zahnrad des menschlichen Organismus, das alles bewegt, zum
Zusammenstoßen bringt und neu aufbaut, alles was wir sehen, fühlen und
wonach wir uns sehnen.
Amore
ist eine musikalisch-poetische Reise durch eine äußere Geografie – neben
portugiesischen Künstlern treten auch Musiker und Tänzer aus Angola und Kap
Verde auf – und eine innere Geografie, jene der Seele. Die traurige
Fado-Musik klingt einmal wie der Takt einer Parade, dann wie eine langsame
Prozession, göttlich gesungen von Aline Frazao, Pedro Jóia und Miguel Ramos.
Was diese gefühlsbetonte Show zusammenhält, sind der Gesang und die Musik,
die Stimmen und die Stille. Abwesenheit, Distanz und Nostalgie sind die
Hauptdarsteller.
Die
Auftritte von Pippo Delbono erzeugen im 21., von Technologie geprägten
Jahrhundert beim Zuschauer eine Katharsis. "Das Theater ist banal geworden.
Die Welt ist banal geworden", sagte Pippo Delbono vor einigen Jahren auf
einer Konferenz. "Wir haben etwas Wesentliches verloren. Wir haben exklusive
Kulturen geschaffen, die keine Alternativen mehr bieten. Ich bin kein
Revolutionär. Aber die Kunst ist sehr gealtert."
Elegant in einen weißen
Anzug gekleidet, erhebt sich der Künstler von seinem Tisch, von wo aus seine
Stimme das Publikum bezauberte, und geht auf die Bühne zu. Er legt sich
langsam auf den Boden unter den weißen Baum. Die Rhythmen des Fado schließen
die berührende Geschichte ab. Nach Amore fühlt man sich glücklich.
Denn eine Stunde lang ließ man sich auf den Wellen eines roten Meeres
treiben.