Das
vom moldauischen Cartier Verlag veröffentlichte Buch Archipel
ermöglicht auf über 360 Seiten einen einmaligen Einblick in die Literatur
der Republik Moldau. Nicht weniger als 31 Autorinnen und Autoren
verschiedener Generationen und unterschiedlicher Berufsgruppen haben an der
dreisprachigen Anthologie mitgewirkt. Die von Vitalie Ciobanu ausgesuchten
Schriftsteller laden auf eine literarische Reise durch die geschichtlichen
Wandlungen der im östlichsten Teil Europas liegenden Republik ein. Dabei
sind im Almanach alle Literaturgattungen vertreten, von Lyrik, Prosa und
Essay über publizistische Analysen bis hin zu Ragtime-Poetry, Drama und
Interview. Die Auswahl behauptet weder Vollständigkeit, noch folgt sie einer
Chronologie. Es werden traurige Geschichten, heitere Alltagssituationen
beschrieben, verwoben mit poetischen Elementen oder grausamen Schicksalen.
Dazwischen treten immer wieder Texte vornehmlich lyrischer Natur, manchmal
auf Deutsch, vielfach auch auf Englisch oder Französisch.
Trotz der Fülle gelingt
es, ein paar Hauptthemen zu identifizieren: Deportationen während des
"Infernos" des Zweiten Weltkriegs, ideologische Wunden in der
postsowjetischen Republik sowie stetige Identitätssuche. So verweist auch
der Titel des Bandes "aus berechtigt historischen Gründen" auf den
Archipel Gulag, das bekannteste Werk des russischen Nobelpreisträgers
Alexander Solschenizyn. Und man gewinnt in der Tat eine Vorstellung von dem
erlittenen politischen Terror, aber auch von der heutigen Lebenseinstellung.
Wie
erstaunlich es für Ausländer erscheinen mag, dass die rumänische
Bevölkerungsmehrheit in der öffentlichen Sprachverwendung eine Minderheit
bleibt, beschreibt Nicolae Negru treffend in The Future of the Republic
of Moldova: The Need for Balance. Dass die Rückkehr zur rumänischen
Sprache und zum lateinischen Alphabet
–
"our most important national treasure"
–
ein andauernder Kampf ist, zeigt auf ausgesprochen mutige Weise Mihai Cimpoi
in einem Interview, geführt von Ioana Revnic. Auf den zentralen Punkt der
europäischen Verständigung weist
Vitalie Ciobanu bereits im Vorwort
hin: "Wir schreiben und sprechen eine
der siebenundzwanzig offiziellen Sprachen der Europäischen Union
–
die rumänische Sprache –
und möchten mit dieser Ausgabe klar unsere kulturellen und geopolitischen
Bestrebungen zum Ausdruck bringen". Dabei ist nur das Vorwort viersprachig,
also auch im rumänischen Original zu lesen.
Das Besondere an diesem
Buch ist die große Abwechslung, die es bietet. In keinem anderen Band lässt
sich eine solche Vielfalt an "vergessenen Inseln" entdecken, vereint in dem
gemeinsamen Wunsch nach Wiederherstellung der Einheit des "Kontinents der
rumänischen Kultur". Einige Beiträge werfen neue Fragen auf, andere wiederum
regen zum Nachdenken an. Vor allem aber geben viele der beteiligten Stimmen
Anstoß zu weiterer Lektüre. Und das ist ein Beweis für eine Literatur, die
lebt!