
(c) Sorin Tanase
Gianina Cărbunariu
"Ich probe gerne im Thea-
ter, weil dies eine Zusam-
menarbeit und einen stän-
digen Gedankenaustausch
mit allen Teammitgliedern bedeutet, aber wenn ich
nur im Proberaum bleiben
müsste, hätte ich wahr-
scheinlich nicht weiter
Regie geführt."
Buchhinweis

Modreanu, Cristina.
"Gianina Cărbunariu,
the
Director-Playwright"
The Routledge Companion to
Contemporary European
Theatre and Performance.
UK. Edited by Ralf Remshardt,
Aneta Mancewicz, 2023.
"Ich bin daran interessiert,
dass sich ein Schauspieler
oder eine Schauspielerin
vom Thema des von mir
vorgeschlagenen Projekts
angezogen fühlt, sich offen
für einen Dialog zeigt,
Meinungen vertritt, die
ich mit Argumenten unter-
mauern kann und somit
in den Prozess eingebun-
den wird."
"Der Arbeitsprozess mit
internationalen Teams ist
immer spannend: Jeder
Teilnehmer muss die Kom-
fortzone verlassen, alle
Antennen ausfahren, eine
gewisse Aufmerksamkeit
und Geduld mitbringen,
aber die gesamte Anstren-
gung wird durch die Freude
an gemeinsamen Erkun-
dungen belohnt."
"Während der Pandemie
zeigten wir Shows an der
Theaterfassade, die von
Tausenden von 'Gelegen-
heitszuschauern' bewundert
wurden. Wir haben junge,
talentierte Grafikdesigner
und Bühnenbildner ein-
geladen, die visuelle Iden-
tität des Theaters neu zu
erfinden. Alle Projekte
wurden mit einem kleinen
Team realisiert, das enorme
Arbeit geleistet hat."
"Regelmäßig kam es zu
von Politikern verursachten
Skandalen, die über
bestimmte kuratorische
Entscheidungen empört
waren." |
Irina Wolf: Von
Beginn Ihrer Karriere an haben Sie sich auf Inszenierungen der von Ihnen
verfassten Texte konzentriert. Ihre Arbeiten basieren auf Interviews oder
Archivrecherchen zu aktuellen sozialpolitischen Themen sowie zu offenen
Fragen, die mit der rumänischen und europäischen Vergangenheit in
Zusammenhang stehen. Warum haben Sie diese Arbeitsweise ausgewählt?
Gianina Cărbunariu:
Der Hauptgrund liegt darin, dass ich mich von bestimmten Begegnungen, von
Recherchen, vom Untersuchungsprozess des Sachverhalts in verschiedenen
Epochen und Orten, von Interviews und Dokumentenprüfung inspiriert fühle.
Ich probe gerne im Theater, weil dies eine Zusammenarbeit und einen
ständigen Gedankenaustausch mit allen Teammitgliedern bedeutet, aber wenn
ich nur im Proberaum bleiben müsste, hätte ich wahrscheinlich nicht weiter
Regie geführt. Dieses Pendeln zwischen Realität und Fiktion hat mich immer
herausgefordert – zumal das Endergebnis eine Fiktion ist. Ich mache kein
Dokumentartheater, obwohl die Recherche ein wichtiger Teil des
Arbeitsprozesses ist, vielleicht die längste. Manchmal dauern die
Dokumentationsphasen monatelang bis zu einem Jahr, während die Proben sich
normalerweise nicht über die für eine Produktion vorgesehene Standardzeit
von 6 bis 8 Wochen erstrecken. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für die
Proben. Auf jeden Fall ist die von mir gewählte Arbeitsweise sehr intensiv.
Sie gibt mir die Möglichkeit, bestimmte gesellschaftliche Fragen auf
persönliche Art zu formulieren und meine künstlerischen Ausdrucksmittel neu
zu erfinden. Jedes Projekt ist verschieden, weil ich an jedes Thema anders
herangehe. Es ist so, als würde ich immer bei Null anfangen. Es ist wie eine
Reise, bei der es einen Entwurf gibt, aber immer unbekannte Bereiche,
Nuancen und neue Perspektiven auftauchen.
Irina Wolf: Was
interessiert Sie am meisten an der Arbeit mit Schauspielern?
Gianina Cărbunariu:
Ich habe sowohl im In- als auch im Ausland mit Schauspielern jeden
Alters zusammengearbeitet, mit jungen Absolventen, aber auch mit
Schauspielern, die bereits eine bemerkenswerte Karriere hinter sich
hatten. Ich bin immer beeindruckt von Menschen, die großen Respekt vor
dieser nicht einfachen Tätigkeit haben, die Teamgeist und Großzügigkeit
gegenüber den anderen Mitarbeitern – sowohl Künstlern als auch Technikern –
zeigen. Ich bin daran interessiert, dass sich ein Schauspieler oder eine
Schauspielerin vom Thema des von mir vorgeschlagenen Projekts angezogen
fühlt, sich offen für einen Dialog zeigt, Meinungen vertritt, die ich mit
Argumenten untermauern kann und somit in den Prozess eingebunden wird. Nicht
selten sind seine/ihre in Improvisationen besprochenen Lebenserfahrungen
Teil der Inszenierung. Dann wird die Produktion noch mehr "ihre", "unsere".
Irina Wolf:
2014 waren Sie mit Solitaritate, einer Koproduktion des Nationaltheaters
"Radu Stanca" aus Hermannstadt (Sibiu) und des Avignon-Festivals in Avignon
vertreten. Nach Silviu Purcărete in den Jahren 1992-1993 war es die erste
Präsenz eines rumänischen Künstlers im offiziellen Festivalprogramm (im IN).
Wie hat Sie das geprägt? Welche weiteren Erfahrungen oder internationalen
und nationalen Begegnungen haben Sie bzw. Ihren Arbeitsstil beeinflusst?
Gianina Cărbunariu:
Das Avignon-Festival bringt Theaterleute aus der ganzen Welt zusammen und
verschafft den Künstlern im IN große Sichtbarkeit. Für jemanden wie mich,
die lange Zeit in der freien Szene "am Rande" des rumänischen Theatersystems
gearbeitet hat, bedeutete es auch eine Bestätigung, die in Rumänien
schwieriger zu erlangen war. Die Entscheidung, "am Rande" zu arbeiten, war
in meinem Fall kein Zufall. Ich glaube nicht, dass mich das Avignon-Festival
besonders geprägt hat. Es hat meine Arbeitsweise nicht beeinflusst, aber es
war definitiv ein Moment wichtiger Begegnungen für eine junge Künstlerin,
und diese Verbindung mit dem Festival blieb bestehen. Ich kehrte zurück ins
IN in eine Folgeausgabe des Festivals als Autorin des Textes The Tigress,
der von einer schwedischen Theatergruppe am Royal Dramatic in Stockholm
aufgeführt wurde.
Da ich mich viele Jahre lang dafür entschieden hatte,
parallel zum staatlichen Theatersystem in Rumänien tätig zu sein und dabei
Unabhängigkeit zu gewinnen, war es wichtig, meine Arbeiten stets
einem internationalen Publikum zu präsentieren. Und ich hatte diese Chance,
direkt nach Abschluss meines Regiestudiums an vielen renommierten
Theatertourneen oder Festivals teilzunehmen, wie etwa in Ungarn, Frankreich, Polen,
der Slowakei, Slowenien, Russland, Kanada, Portugal, Spanien, Österreich,
Belgien, Deutschland, England, Griechenland, der Schweiz, Tschechien,
Serbien usw. Die erste Erfahrung machte ich in meinem letzten Studienjahr,
als ich 2004 mit Stop the Tempo, einer von mir geschriebenen und
inszenierten Produktion zur Biennale "New Plays from Europe" eingeladen
wurde. Ich kehrte auch in den folgenden Auflagen zurück, entweder als
Künstlerin mit einer eigenen Inszenierung oder als "Patin" – d.h. als
rumänische Beraterin der deutschen Kuratoren. Diese Biennale europäischer
Dramaturgie, die fast ein halbes Jahrhundert lang existierte (zuerst in Bonn
und dann in Wiesbaden), war wahrscheinlich das interessanteste
Theaterfestival, das ich je besucht habe, mit einem äußerst mutigen und
großzügigen kuratorischen Konzept. Die Biennale beeinflusste mich durch
Treffen mit anderen Künstlern und war auch ein Vorbild für meine zukünftige
Kuratorenarbeit.
Weitere relevante Erfahrungen sammelte ich in europäischen
Projekten, an denen ich beteiligt war: als Künstlerin ("Cities on
Stage/Villes en Scène"-Projekt", "BeSpectative", "Hunger for Trade", "For
Sale"), als Künstlerin und Co-Produzentin ("Parallel Lives – 21st Century
Through the Eyes of Secret Police") und in den letzten Jahren als
Produzentin und Mitglied des künstlerischen Projektausschusses ("Unlock the
City!" und "Future Laboratory"). Jedes dieser Projekte bedeutete einen
Gedankenaustausch mit Künstlern und Kuratoren aus verschiedenen Ländern, aus
verschiedenen Generationen, mit Experten aus verschiedenen Gebieten, mit
Menschen und Realitäten. Es bedeutete auch den Aufbau beruflicher und
menschlicher Verbindungen, die mir Hoffnung gaben, etwas gemeinsam aufbauen
und sich gegenseitig unterstützen zu können. Ich weiß nicht, ob diese
Kooperationen meinen Arbeitsstil direkt beeinflusst haben, aber der Dialog,
die Konfrontation von Perspektiven, die unterschiedlichen Herangehensweisen
haben mir auf jeden Fall geholfen, meinen Horizont zu erweitern und mir
immer wieder neue Fragen zu stellen.
Ich denke, dass mich die Arbeit mit internationalen
Teams, deren gemeinsame Sprache, Englisch oder Französisch ist, immer
inspiriert. So wie bei den Produktionen, die ich als Regisseurin an Theatern
in Deutschland, Spanien, Italien oder Polen gemacht habe, als ich mit
Schauspielern aus diesen Ländern und mit internationalen
Kooperationspartnern (Bühnenbildnern, Musikern, Choreografen, Dramatikern)
gearbeitet habe. Der Arbeitsprozess ist in diesem Zusammenhang immer
spannend: Jeder Teilnehmer muss die Komfortzone verlassen, alle Antennen
ausfahren, eine gewisse Aufmerksamkeit und Geduld mitbringen, aber die
gesamte Anstrengung wird durch die Freude an gemeinsamen Erkundungen
belohnt. Ich arbeite gerne an Produktionen in Sprachen, die ich nicht
spreche, weil es ein Prozess ist, der eine andere Art von Fokus erfordert.
Irina Wolf:
Nach sieben Jahren als Leiterin des Jugendtheaters (TT) in Piatra Neamţ
haben Sie diese Position aufgegeben – ein äußerst seltener Fall in der
rumänischen Theaterszene. Wie würden Sie rückblickend Ihre siebenjährige
Tätigkeit in Piatra Neamţ beschreiben?
Gianina Cărbunariu:
Es war eine wichtige Etappe für mich, vor allem, da ich in die Stadt
zurückkehrte, in der ich geboren bin: TT ist der Ort, an dem ich das Theater
entdeckt habe, und dieser Erfahrung habe ich viel zu verdanken. Ich hatte
das Gefühl, dass ich etwas zurückgeben muss. Es war nicht einfach, aber ich
glaube, ich habe fast alles geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Ich
betrachtete diese Arbeit vor allem als ein künstlerisches Projekt: der
Institution eine künstlerische Ausrichtung zu verleihen durch
zeitgenössische, kollaborative, gemeinschaftliche, nationale und
internationale Koproduktionen. Gleichzeitig ein Theaterfestival zu
kuratieren, das Begegnungen ermöglicht
–
zwischen lokalen Zuschauern und
Künstlern sowie zwischen Theaterleuten aus dem In- und Ausland mit
unterschiedlichen künstlerischen Ansichten und diversen Weltanschauungen. In
dem von mir geleiteten Theater habe ich in sieben Jahren nur zwei Mal
inszeniert, da meine Aufgabe darin bestand, anderen rumänischen oder
ausländischen, insbesondere aufstrebenden Künstlern, einen Raum zum Ausdruck
zu bieten.
Zusätzlich zur Theatersaison und zum Festival haben wir
zahlreiche Programme sowohl in Piatra Neamţ
als auch in der umliegenden Region realisiert, wobei in vielen Projekten
wirtschaftlich und sozial benachteiligte Kategorien von Menschen einbezogen
wurden. Während der Pandemie zeigten wir Shows an der Theaterfassade, die
von Tausenden von "Gelegenheitszuschauern" bewundert wurden. Wir haben
junge, talentierte Grafikdesigner und Bühnenbildner eingeladen, die visuelle
Identität des Theaters neu zu erfinden. Alle Projekte wurden mit einem
kleinen Team realisiert, das enorme Arbeit geleistet hat, mit sehr
bescheidenen Budgets und in einem konservativen, oft sogar feindseligen
politischen Kontext. Regelmäßig kam es zu von Politikern verursachten
Skandalen, die über bestimmte kuratorische Entscheidungen empört waren, von
denen sich einige sogar der Theaterpädagogik widmeten. Als Gewinn dieser
hitzigen öffentlichen Diskussionen ist das Eingreifen der Theaterbranche zu
verzeichnen. Auch kam die Solidarität anderer Künstler (Schriftsteller,
bildende Künstler, Musiker, Choreografen) und des jungen Publikums aus
Piatra Neamţ zum Ausdruck. So haben wir bewiesen, dass man dem Druck der
Politik widerstehen kann.
Mein Ansatz basierte auf der Idee, "am Rande" des
rumänischen Theatersystems, aber in Zusammenarbeit mit wichtigen
europäischen Institutionen in Projekten zu arbeiten, die der Gemeinde Piatra
Neamţ gewidmet sind: dem
Postwest-Projekt (initiiert von der Volksbühne Berlin), dem "Unlock the
City!"-Projekt (Projektleiter: Piccolo Teatro Milano) oder "Zukunftslabor"
(Projektleiter: Théâtre de la Ville Luxembourg). Mein Management-Projekt
"Teatrul Tineretului – CO-Creative Laboratory" hatte klare
Zielformulierungen: die Latte hochlegen, ein Theater fernab des Zentrums und
ausgestattet mit wenigen Ressourcen auf die internationale Landkarte
bringen, die Loyalität des lokalen, meist jungem Publikums in einem
wirtschaftlich benachteiligten Gebiet mit äußerst prekärem kulturellen
Angebot gewinnen.
Irina Wolf:
Vielen Dank für das Interview!
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