Besonders
visionär zeigte sich Andrei Măjeris Mammut-Inszenierung von Meister
Manole. Der Gründungsmythos des Klosters Curtea de Argeş
in der Walachei, der angeblich ein menschliches Opfer für den Kirchenbau
verlangte, diente als Inspirationsquelle für zahlreiche Schriftsteller. Auch
der
Philosoph und Wissenschaftler Lucian Blaga
schrieb ein Theaterstück gleichen Namens, das seine Uraufführung 1927 in der
Schweiz feierte. Andrei Măjeri versteht es sehr gut, Blagas schwierigen Text
für die Bühne zu adaptieren. Der junge Regisseur, der auch für die
musikalische Untermalung verantwortlich zeichnet, vereint auf beeindruckende
Weise Tradition und Moderne. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in der
ansonsten feudalen Welt die Boten des Herrschers von Frauen mit
Maschinengewehren verkörpert werden oder die Einmauerung der Frau des
Bauarchitekten Manole durch Projektionen von QR Codes dargestellt wird. Auch
die von Lucian Broscăţean
entworfenen Kostüme unterstützen die Wirkung der visionären Inszenierung.
Eine von Ştefana und Ioan Pop-Curşeu
kuratierte Ausstellung unter dem Titel "Visionen und Zeugnisse aus dem
Ersten Weltkrieg" versetzte den Betrachter um hundert Jahre zurück. Diese
umfassende Sammlung von Büchern, Dokumenten, Briefen, Militäruniformen und
-objekten ermöglichte es, ein Bild der Kriegserfahrung der Menschen aus
Siebenbürgen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Dass die
Ausstellung einen Widerhall in der berührenden szenischen Lesung Briefe
von der Front fand, spricht für das gut durchdachte Konzept der
Festivalintendanten. Die zwischen den Zuschauern an einem langen Tisch
agierenden Schauspieler brachten die Gedanken der Soldaten aus den beiden
Weltkriegen sowie Passagen aus den Briefen der in Afghanistan eingesetzten
rumänischen Kämpfer in einer herzbewegenden Collage.
Einen
erheiternden Beitrag leistete die Produktion
Liebesgeschichten auf den ersten Blick. Basierend auf Texten von
bekannten rumänischen Schriftstellern wie Gabriel Liiceanu, Adriana Bittel,
Ioana Pârvulescu, Radu Paraschivescu und Ana Blandiana, wurde "das schönste
Gefühl der Welt" in den Fokus gestellt. So konnte sich mancher Zuschauer in
seine Jugend zurückversetzen und Erinnerungen an das Gefühl der ersten Liebe
wachrufen.
Die zum Generalthema ausgerufenen "Visionen" des
Festivals fanden einen bemerkenswerten Ausdruck auch in der rumänischen
zeitgenössischen Dramatik. M.I.S.A. Părut heißt der Text von Alexa
Băcanu, der im "Schöpfungs- und Versuchsreaktor", einer Spielstätte der
Klausenburger Off-Szene, gezeigt wurde. Darin wird der sogenannte
Transzendentale Meditations-Skandal, der seit Anfang dieses Jahrhunderts
rund um Guru Gregorian Bivolaru europaweit für Aufruhr gesorgt hat,
behandelt. Mit einfachen Mitteln nähert sich die Inszenierung von Dragoş
Alexandru Muşoiu dem ernsten
Thema auf zugleich berührende und unterhaltsame Weise.
Dass sich der "Schöpfungs- und Versuchsreaktor" zu einem
ernst zu nehmenden Theaterbetrieb gemausert hat, beweist eine weitere
dokumentarische Theaterproduktion, die im Festivalprogramm gezeigt wurde.
Miracolul de la Cluj (Das Klausenburger Wunder) berichtet auf originell
interaktive Weise über das Anfang der 1990er Jahre bekannt gewordene
betrügerische Caritas-Pyramidenspiel.
Zu
den denkwürdigen Aufführungen gehörte unter anderem Mihai Măniuţius
dynamische Inszenierung von Molières Der Bürger als Edelmann am
Klausenburger Ungarischen Staatstheater. In ebenso grotesken wie
schwungvollen Tanzschritten zeigt Miklós Bács als Monsieur Jourdain, dass
die vor 350 Jahren entstandene gesellschaftliche Satire bis heute nichts an
Aktualität verloren hat. Der riesige Weltglobus, den die Hauptfigur auf
ihren Schultern trägt, steht geradezu sinnbildlich für den zeitgenössischen
"Menschenflug durch den Sternenhimmel".
Mit zwei aussagestarken Texten – Clown gesucht
und Über das Gefühl von Elastizität, wenn man auf Leichen tritt –
bestätigte Matei Vişniec
erneut, dass er der am meisten gespielte zeitgenössische rumänische
Dramatiker ist. Außerdem wurde das Festival durch ein umfangreiches
Rahmenprogramm ergänzt: Buchpräsentationen, Vorträge und Konferenzen fanden
großen Anklang beim Publikum. Das breitgefächerte Angebot präsentierte ein
nuanciertes Panorama der rumänischen Kultur.