"Die Premiere von Die Nashörner
stellt zweifellos einen absoluten Meilenstein in der Geschichte des
Nationaltheaters 'Marin Sorescu' aus Craiova dar", so dessen Generaldirektor
Mircea Cornişteanu. Als Mitglied der Europäischen Theatervereinigung ist die
1850 gegründete Institution keine Unbekannte im deutschsprachigen Raum, zumal sie bereits in den 90er Jahren mit zwei Produktionen bei den Wiener
Festwochen gastierte. Des Weiteren bereichert das seit 1994 alle zwei Jahre
stattfindende Shakespeare-Festival mit hochkarätigen Inszenierungen das
Kulturangebot der rund 200 km südwestlich der rumänischen Hauptstadt
gelegenen Industriestadt Craiova. So etwa auch mit von Robert Wilson
2008 und 2012 im Rahmen des Festivals gezeigten Produktionen. "Es ist Mircea
Cornişteanu zu verdanken, dass er eine dieser Gelegenheiten ergriff und den
amerikanischen Künstler überzeugte, in Craiova Regie zu führen", sagt der
Schauspieler Ilie Gheorghe, der eine Sonderrolle in Wilsons Inszenierung
einnimmt.
Auch für den
"größten amerikanischen Regisseur", wie ihn Ionesco selbst nannte, war dies
im doppelten Sinne eine Premiere. Bereits 1971, während des ersten Treffens
der beiden Künstler in Paris, begann der Dramatiker Pläne für eine
Inszenierung zu schmieden. Bis zur Umsetzung sollten jedoch 43 weitere
Jahre vergehen. Denn erst 2014 traute sich Wilson, Regisseur, Bühnenbildner
und Lichtdesigner zugleich, Ionescos Herausforderung anzunehmen. "Für mich
zeichnen sich seine Werke durch folgende Merkmale aus: ganz gewiss das
Absurde, aber auch ein unglaublicher Sinn für Humor", sagt der Amerikaner
über den rumänischstämmigen Dramatiker.
Als einer der
Begründer des absurden Theaters widmet sich Ionesco auch in Die Nashörner
der Darstellung des orientierungslosen Menschen in einer sinnfreien Welt.
Immer mehr Personen verwandeln sich in einer erfundenen Gesellschaft
plötzlich zu Nashörnern. Bis auf den gelangweilten und alkoholsüchtigen
Protagonisten namens Behringer, wird jeder allmählich von der "Rhinozeritis"
infiziert. Letztendlich nimmt Behringer, als einziger Überlebender, den
Kampf als Verteidiger der Menschheit auf.
Seit seiner
Entstehung gab es zahlreiche Interpretationen des Stückes: sowohl als Kritik
an sämtlichen totalitären Regimen (wie Nationalsozialismus und Stalinismus)
als auch an Massenbewegungen, die unreflektiert den jeweiligen Trends
folgen. Gerade in der heutigen Zeit sind solche Themen wie
Entindividualisierung und Verantwortungslosigkeit besonders spürbar. Jedoch
lassen sowohl Ionesco als auch Wilson alle Deutungsmöglichkeiten offen, wie
es auch Letzterer immer wieder in seinen Interviews unterstreicht: "Die
Aufgabe des Künstlers ist es, Interpretationen zu vermeiden. Seine
Verantwortung ist es, Fragen zu stellen. Ich mache Kunst". So ist auch in
seiner neuesten Inszenierung die Sinndeutung dem Zuschauer überlassen.
Wie jede
Robert-Wilson-Bühnenfassung rückt auch Die Nashörner das Visuelle in
den Vordergrund. Jede einzelne Szene besticht durch ein ebenso schlichtes
wie eindrucksvolles Bühnenbild. Ein paar Sessel, fünf Tische und gleich
viele Glühbirnen bilden das Straßencafé; riesige Papierstapel und stehende,
umgefallene, ja sogar hängende Stühle
–
in verschiedenen Formen und Größen
–
das Büro. Ein Stuhl mit einer markanten Lehne, angedeutete winzige Türen
oder riesengroße Fensterflächen auf der ansonsten leeren Bühne
–
die Wohnungen. Eine Flut surrealistischer Bilder wie von René Magritte. Dazu
im Hintergrund eine gewaltige Projektionswand und eine fein durchdachte
Geräuschkulisse. Auf Knopfdruck gehen Lichter an und aus, ausgeklügelte
Farben, Muster oder Bilder entstehen auf der Projektionsfläche. Ein durch
den Wald marschierendes Nashorn fällt die ohnehin toten Baumstämme, einen
nach dem anderen. Kitsch oder Kunst? Und überdies die großartigen,
statuenhaft agierenden Schauspieler mit clownesk geschminkten Gesichtern.
Stummfilmästhetik ohnegleichen, in der sich vervielfachte Buster Keatons
zeitlupenartig bewegen. Dies alles sind Wilsons symbolträchtige
Markenzeichen. Alles in allem komisch-burlesk, sonderbar-grotesk, dennoch
poetisch.
Obgleich Worte
nur Nebenrollen in Wilsons Inszenierungen spielen, wird in Die Nashörner
überraschenderweise viel Text gesprochen. Ilie Gheorghe gebührt nicht nur
die Sonderrolle des Logikers, des Repräsentanten der rational denkenden
Figuren aus Ionescos Stück. Ja, er liest sogar den gesamten Text des Werkes
vor. Die Darstellung des Absurden verdoppelt durch das Absurde selbst, als
Monolog. Eine frische, betörende und provozierende Inszenierung.
Die dem Stück
jahrzehntelang zugewiesene politische Interpretation wird von Wilson zur
Gänze beseitigt. Stattdessen widmet sich der Regisseur eher Ionescos Humor,
und das auf
originelle Art und Weise. Vor allem in Erinnerung bleiben aber die Bilder
einer fremden, berührenden Schönheit. Nicht zuletzt die lächelnden
Köpfe, die bis zum Hals in der Rampe stecken und als Erheiterung zum Auftakt
sowie als Entreacts agieren. "Unglaublich, unglaublich", murmeln sie ab und
zu.
Dieser Bericht war nur dank der großzügigen Unterstützung
des Rumänischen Kulturinstituts Bukarest und Wien möglich.