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Vom 29. September bis 7. Oktober fand in Bukarest die vierte
Ausgabe des
Von Irina Wolf |
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Ein Tisch, ein paar Stühle, ein alter Sessel, ein alter Fernseher. Vor allem erkennt man die kommunistische Zeit aber an den dicken Pullovern und Mützen, mit denen bekleidet sich die Familie in der Wohnung bewegt. Es ist der 26. Januar 1978, Nicolae Ceauşescus Geburtstag. Sein Porträt hängt hoch an der Wand, von wo er lächelnd auf die Familienmitglieder herabblickt. Dünne Wände sind der Beweis der ständigen Überwachung des Privatlebens durch die Geheimpolizei Securitate. 1978 ist auch der Titel der Performance, die im Ungarischen Staatstheater "Csiky Gergely" in Temeswar im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas 2023 vom slowenischen Regisseur Tomi Janežič inszeniert wurde. Basierend auf persönlichen Geschichten der Schauspieler und des Regisseurs, erzählt diese generationsübergreifende Dokumentarfiktion von der kommunistischen Zeit der 1970er-Jahre. Die in einer rumänischen Wohnung beginnende Handlung verknüpft zahlreiche lokale und globale Ereignisse, die Temeswar mit Janežičs Heimatstadt Nova Gorica verbinden, wo die Produktion während der Kulturhauptstadt Europas 2025 gezeigt wurde. Einst gehörten beide Städte zum selben Land: der österreichisch-ungarischen Monarchie. So reicht die Geschichte noch weiter zurück bis zum Ersten Weltkrieg und der Schlacht am Isonzo, in der einst Tausende ungarischer Soldaten kämpften. Die Inszenierung basiert auf der Identität Temeswars, der Stadt von großer Bedeutung zur Zeit der Revolution von 1989. Ebenfalls in Temeswar wurden während des kommunistischen Regimes wegen der Nähe zur jugoslawischen Grenze illegale Grenzübertritte sowie der Schmuggel von Produkten wie Seife und Kaffee begünstigt. Es ist eine ambitionierte Multimedia-Performance, die Schauspiel, Live-Musik und Video umfasst. In Temeswar findet die Aufführung in drei verschiedenen Räumen des leerstehenden Gebäudes der ehemaligen Fakultät für Wasserbau statt, wobei die genaue Raumaufteilung entscheidend ist. Daher konnte der letzte Teil in Bukarest nicht gespielt werden. Stattdessen griff der Regisseur oft in das Geschehen ein, gab Anweisungen an die Schauspieler, lieferte Erklärungen und sang sogar in einer Szene zusammen mit den hervorragenden Künstlern. Dieser komplex geregelte Mechanismus deckte bedeutende geschichtliche Ereignisse anhand persönlicher Geschichten auf. 1978 war Teil der vierten Ausgabe des Ungarischen Theaterfestivals (BukFeszt), das vom 29. September bis 7. Oktober in Bukarest stattfand. Ziel war es, dem Publikum der Hauptstadt, dessen Entfernung zu den ungarischen Theatern landesweit beträchtlich ist, die Möglichkeit zu geben, die Werke dieser künstlerisch anspruchsvollen Theatergruppen zu entdecken. Die diesjährige Ausgabe wurde vom MASZIN-Verband organisiert, dem sechs der neun ungarischen Theater Rumäniens angehören. BukFeszt hat sich die Förderung des interkulturellen Dialogs, die Unterstützung künstlerischer Vielfalt und die Präsentation der wichtigsten ungarischen Theaterproduktionen der Saison in Bukarest zur Aufgabe gemacht. Alle Aufführungen wurden auf Rumänisch übertitelt. Das Programm umfasste Inszenierungen klassischer Autoren (Bulgakows Der Meister und Margarita und Kohlhaas nach Heinrich von Kleist – beide aufgeführt von der Theatergruppe "Harag György" des Nordtheaters Satu Mare, Kafkas Der Prozess – aufgeführt vom Theater "Tomcsa Sándor" in Odorheiu Secuiesc) sowie zeitgenössische Werke von Matei Vișniec, Florian Zeller und Alexandru Popa. Ein Fest des Rhythmus Der vielversprechende junge Regisseur Bélai Marcel ist zusammen mit Réka Takács auch Autor des Stücks, das auf Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" basiert. Darin wird die wahre Geschichte des gleichnamigen Pferdehändlers Kohlhaas erzählt, eines ehrlichen Bürgers, der Anfang des 16. Jahrhunderts von einem anderen Dorfbewohner mit einer erfundenen Steuer belastet wird. Im Kampf um Gerechtigkeit nimmt Kohlhaas das Gesetz selbst in die Hand. Das rechteckige Podium in der Bühnenmitte mit seinem transparenten, mit Neonröhren beleuchteten Boden verwandelt sich abwechselnd in einen Boxring, in ein Fechtfeld oder in einen Gerichtssaal. Alle Schauspieler sind stets auf der Bühne präsent, sei es auf dem Podium oder auf dessen Seitenrändern, wechselt vor den Augen der Zuschauer ständig Rollen, Genres und Kostüme – mit Ausnahme des Protagonisten. Die Geschichte wird von zwei Erzählern vorangetrieben. Passende Musik und kunstvoll choreografierte Tanzeinlagen untermalen gekonnt die zentralen religiösen, sozialen und politischen Themen. Der Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit, Individuum und Kollektiv, Minderheit und Mehrheit, Held und Masse erscheint aktueller denn je. Dasselbe Duo – Marcel Bélai und Réka Takács – kreierte auch eine Adaption von Kafkas Der Prozess. Eine ganze Schar von Figuren betritt die Bühne durch zwei an den Seitenwänden eingebaute Aufzüge oder durch Fenster im Hintergrund: ein Angestellter auf Rollschuhen, eine sadomasochistische junge Frau, Fräulein Bürstner, die Tante, der im Rollstuhl sitzende Anwalt und Maler Titorelli mit Laurence-Fishburne-Aussehen. Verschiedene Lichtnuancen signalisieren mal die traumhafte, mal die groteske oder die karnevaleske Seite der Geschichte oder verdeutlichen einfach, dass sich das Gesehene ausschließlich in Josef Ks Vorstellung abspielt. Eine stimmige und überzeugende Demonstration zeitgenössischen Theaters, voller einprägsamer Bilder und einladender Musikpassagen, in der Absurdität zum Spiegel der gegenwärtigen Realität wird. Auf der Suche nach dem Glück Mit Das Geheimnis des Glücks führte das Festival das Publikum auch in intime Gefilde. Mit viel Humor untersucht Autor Alexandru Popa in seinem viel gelobten Stück die Dynamik in modernen Paarbeziehungen, in denen der Schein trügt und verborgene Wahrheiten letztendlich ans Licht kommen. Inszeniert im Udvartér Theater in Târgu Secuiesc von Árpád Tóth, demontiert der Text auf subtile Weise Klischees über die perfekte Liebe und unzerbrechliche Freundschaften, um sie in einem spannungsgeladenen Spiel authentischer Emotionen neu zu erfinden. Eine Inszenierung in einem klassischen Ambiente, perfekt gespielt von drei Akteuren, die sich seit ihrem Studium sehr gut kennen. Die nonverbale Performance Die Glücksjäger des "Nagyvárad Ensemble" des Szigligeti Theaters in Großwardein war eindeutig einer der Höhepunkte des Festivals. Basierend auf Darren Aronofskys Film "Requiem for a Dream" und Milán Füsts Text "Die Unglücklichen" schuf Regisseur Györfi Csaba eine intensive physische Produktion, die die Grausamkeit menschlicher Beziehungen thematisiert. Alle Figuren (Drogenabhängige, Alkoholiker, Prostituierte) sind in einer imaginären Welt gefangen, aus der sie trotz aller Bemühungen keinen Ausweg finden. Die beunruhigende Musik und die treffend gewählten Kostüme unterstreichen die Geschichte, die sich in einer einfachen, dämmrigen Wohnung entfaltet. Mit diesem Aufführungsmarathon stand der kulturelle
Herbst in Rumäniens Hauptstadt ganz im Zeichen der ungarischen
Theatermacher. Das Festival BukFeszt hat sich Schritt für Schritt einen
festen Platz in der rumänischen Kulturszene erobert, hat an Sichtbarkeit und
Medienpräsenz zugelegt und das Interesse des Publikums gewonnen. |