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Theater in Iaşi: Weiblich, männlich oder...?

Willkommen in Iaşi, lieber Besucher! Du bist wohl von weit her angereist, denn meine
Heimatstadt liegt 20 Kilometer westlich der Grenze zur Republik Moldau und etwa 400 km
Luftlinie nördlich von Bukarest. Ach, ich habe vergessen, mich vorzustellen: Ich bin das
Internationale Festival für junggebliebenes Publikum (FITPTI). Vor sechzehn Jahren kam ich auf
die Welt. Anfang Oktober bin ich sieben Tage lang besonders aktiv. So bot ich auch dieses
Jahr mehr als 150 Veranstaltungen an 20 Orten, darunter Sprechtheater, Performances, VR-
und Radiotheater, Lesungen, Buchvorstellungen, Ausstellungen, Workshops, Konferenzen,
Debatten. Mit diesem vielfältigen Angebot fügt meine Mutter, die Theaterkritikerin Oltiţa
Cîntec, künstlerischen Anspruch sowie Unterhaltung bestens zusammen und
begeistert auch mit Aufführungen im Freien das Publikum.

Von Irina Wolf
(10. 12. 2023)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.



 


(c) Luceafarul Theater

"Setz dich hin oder falle"
(Regie: Cristi Avram)

 




(c) Luceafarul Theater

"Die riesige Rübe"
(Regie: Evers / Schwarz)

 

 


(c) Luceafarul Theater

"Unruhe"
(Regie: Bobi Pricop)

 

 


(c) Luceafarul Theater

"Seaside Stories"
(Regie: Radu Afrim)

 

 


(c) Luceafarul Theater

"Das Erwachen der Seele"
(Regie: Fire Theatre)

 

   Dieses Jahr setzte sie sich mit dem gesellschaftlich besonders wichtigen Thema der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern auseinander und trug somit zur kulturellen Aufarbeitung bei. Unter dem Motto "weiblich – männlich" stellte sie die aktuelle Thematik der Gleichberechtigung von Mann und Frau ins Rampenlicht. "Frauen sind in der Dramatik allgemein unterrepräsentiert; in der Theaterbranche arbeiten im Durchschnitt deutlich weniger Frauen" – so meine Mutter. Außerdem besagt eine Statistik über Geschlechterungleichheit in Rumänien, dass vor einem Jahr 42 Frauen an den Folgen häuslicher Gewalt starben und weitere 40.000 Opfer von Aggressionen wurden.

Kein Wunder also, dass mein Angebot Titel wie Schmutzwäsche muss in der Öffentlichkeit gewaschen werden umfasst. Nur drei Zuschauer pro halber Stunde hatten Zugang zum Raum voller Wäscheleinen, an denen weiße Kleidungsstücke mit in Rot abgedruckten Aussagen von Opfern aufgehängt waren. Das kurze Flanieren durch die ausgestellte "schmutzige" Wäsche vermittelte einen guten Eindruck vom Missbrauch, dem diese Frauen ausgesetzt waren. Das anschließende Gespräch mit einer der drei Schauspielerinnen gab einen guten Einblick in die Erfahrungsberichte. Die nur 20-minütige performative Installation (Regie: Anda Drăgan) der Theatergruppe Amalgam aus Klausenburg, entstanden in Zusammenarbeit mit dem FILIA-Zentrum, entstand über eine kollektive Dramaturgie, die von realen Geschichten inspiriert ist.

Von einem realen Ereignis spricht auch das 2018 im britischen Breach Theater uraufgeführte Stück Es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr. Dabei handelt es sich um den Prozess gegen Agostino Tassi wegen der Vergewaltigung der Barockmalerin Artemisia Gentileschi, der 1612 für Aufsehen sorgte, und in dessen Verlauf Gentileschi mit Daumenschrauben gefoltert wurde, um die Richtigkeit ihrer Aussage festzustellen. Die packende Dramatisierung des Breach Theaters verknüpft Gerichtsprotokolle mit Geschichte, Mythen und zeitgenössischen Perspektiven, um zu zeigen, wie wenig sich die Gesellschaft in den letzten vier Jahrhunderten verändert hat. In der rumänischen Produktion des freien ACT-Theaters aus Bukarest (Regie: Alexandru Mâzgăreanu) tauschen drei Schauspielerinnen ständig die Rollen und spielen sowohl weibliche als auch männliche Charaktere. Welcher Film konnte dann mein Programm zur Geschlechterparität vervollständigen? Claudia Müllers Dokumentarfilm Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen war die richtige Wahl meiner Mutter.

Epilepsie – das unerwünschte Tabuthema

   Zu meiner Geburtstagsfeier gibt es immer eine Premiere, und das in meinem Zuhause: im Kinder- und Jugendtheater "Luceafărul". Diesmal beschloss meine Mutter, sich einem schwierigen Thema zu nähern. Setz dich hin oder falle heißt die äußerst informative und zugleich emotionale Show über Epilepsie nach dem gleichnamigen Roman von Bogdan Munteanu, der selbst an dieser neurologischen Erkrankung leidet. Cipri, die Hauptfigur, spricht über die Bedeutung der Wahrnehmung und der Akzeptanz einer Diagnose wie Epilepsie – ein Tabuthema in der rumänischen Gesellschaft. Sowohl Cipri als auch die Zeugen seiner Krisen nehmen die Realität verzerrt wahr. Manche wissen nichts über "Epi" – wie der Autor seine Krankheit zu nennen pflegt, andere wissen zu viel. Das Ensemble überzeugt mit Wandlungsfähigkeit, Intensität und Humor. Nichts wirkt statisch in dieser temporeichen zeitgenössischen Regiearbeit von Cristi Avram, die geschickt Videoprojektionen, Live-Musik, Choreografie, Licht- und Schattenspiele miteinander verknüpft.

Internationale Erstaufführungen

   Nun etwas Lustiges – das Leben ist ernst genug! Ich selbst bin ja minderjährig und freue mich über Kinder- und Jugendtheater. Meine Mutter legt daher jedes Jahr besonderen Wert darauf, internationale Erstaufführungen für mich einzuladen. Insbesondere drei davon begeisterten meine Gäste in diesem Jahr. The Key Theatre aus Israel brachte mit Pocht nicht auf den Bären die Geschichte eines sanften Riesen, der sein ganzes Leben im Zirkus unter der Grausamkeit seines Meisters leidet. Ein entzückendes nonverbales Puppenspiel über Träume, Albträume und Hoffnung auf ein Leben in Freiheit.

Die Geschichtenerzählerin und Puppenspielerin Bronia Evers und die Komponistin und Musikerin Martina Schwarz aus Großbritannien widmeten sich dem klassischen Märchen Die riesige Rübe. Immer wieder haben die beiden auf vielfältige Weise Kinder und Erwachsene zugleich zum Mitmachen animiert, um Rosie zu helfen, die Rübe zu pflanzen und zu ernten, aus der sie eine Laterne für das Festival des Lichts schnitzen will. Eine hinreißende Geschichte in einem handgefertigten Bühnenbild aus gefilzter Wolle, bestückt mit aus Holz geschnitzten und aus Textilien gefertigten Puppen.

Schlichtweg bezaubernd wirkte Der Hotelpage der Hilarilar-Gruppe aus Spanien. Ob im Theatersaal, Park oder Kaffeehaus, schafften es die menschliche Rezeptionistin, der eine Glocke auf dem Kopf sitzt, zusammen mit ihren verträumten Marionetten die Zuschauer in das goldene Zeitalter der großen Hotels, in der Hotelpagen beim Glockenklang aufsprangen, zurückzuversetzen.

Nationale Highlights

   Ernst ging es wieder zu in Unruhe von Iwan Wyrypajew. Regisseur Bobi Pricop nutzt den hervorragenden Text des russischen Dramatikers und konzentriert sich auf die Charaktere. Die Handlung spielt in New York, in der Wohnung der berühmten amerikanischen Schriftstellerin polnisch-deutscher Herkunft, Ula Richter. Die für den Nobelpreis nominierte, zurückhaltende und diskrete Person gibt dem polnischen Journalisten Krzysztof Zieliński ein wichtiges Interview. Das Interview hat eine doppelte Bedeutung: Für Krzysztof kann es ein Sprungbrett zu einer Karriere in New York sein, der Medienhauptstadt der Welt und dem Paradies für jeden Journalisten, und für Ula stellt es eine außergewöhnliche Gelegenheit dar, die Wahrheit zu sagen oder vielleicht Verwirrung zu stiften und so einen persönlichen Mythos zu schaffen. Unruhe ist eine Show über die Beziehung zwischen Kunst und Leben, zwischen Liebe und Gott. In dem minimalistischen blauen Bühnenbild wird jede Reaktion und jede Emotion des bemerkenswerten Ensembles des Odeon-Theaters aus Bukarest verstärkt.

Ganz anders Seaside Stories, eine Abfolge von Geschichten mit unterschiedlichen Charakteren aus Badeurlauben am Meer. Nicht umsonst hat die Produktion des Staatstheaters aus Constanţa 2023 den UNITER-Preis gewonnen. Regisseur Radu Afrim schafft es auf der Bühne und auf den riesigen Bildschirmen im Hintergrund, Fragmente, verfasst von sieben verschiedenen Autoren, sowie zwei seiner eigenen Texte (Prolog und Epilog) auf wundersame Weise zusammenzubringen. Es ist gerade die Vielfalt der Autorenansätze und die Mensch-Meer-Interaktion sowie der Rückgriff auf Erinnerungen und passende Musik, die dafür sorgen, dass sich die Zuschauer sofort in die Charaktere hineinversetzen können und in die Konvention der Show eintauchen.

   Für volle Säle sorgte auch das Bukarester Komödientheater mit Die Heirat von Nikolai Gogol (Regie: Andrei und Andreea Grosu) sowie eine humorvolle Comedy-Show von und mit Pavel Bartoş. Milchig von Flobo Studio Bukarest passte perfekt zum diesjährigen Thema "weiblich – männlich". Die Sammlung von Skizzen über männliche und weibliche Schicksale sorgte für Lacher, entlarvte aber mit Ironie und Sensibilität Stereotypen, denen wir im Alltag begegnen: die Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft, Beziehungen, Identität. Schwungvolle Liedtexte und Rap-Akkorde, die die Sketch-Comedy-Show begleiteten, regten zum Nachdenken an.

Musikalisch ging es auch in der Produktion des Klassischen Theaters aus Arad zu, dessen Marionettenabteilung mit Die Musikgeschichte für Kinder (und ihre Eltern) eine unterhaltsame und lehrreiche musikalische Reise von Mozart über David Bowie bis Amy Winehouse für die ganze Familie zeigte. Unterschiedliche Musikgenres, stilisierte Disco-Kugeln, Marionetten, die Musiklegenden wie Elvis Presley, Maria Tănase und Janis Joplin zum Leben erweckten, machten die Aufführung in der Regie von Cristian Ban zu einem unvergesslichen Erlebnis.

   Seit sechzehn Jahren bereichere ich das Theaterangebot in unserer Stadt. Durch beeindruckende Inszenierungen und inspirierende Aufführungen wird Iaşi zum Schauplatz für spannende Momente und Geschichten, die uns berühren. Schlichtweg überwältigend war die Show der Fire-Theatre-Mime-Gruppe aus Bulgarien, die zu später Stunde unter dem Sternenhimmel gezeigt wurde. Das Erwachen der Seele sprach von den Herausforderungen, Gefahren, Ängsten, Illusionen, von denen sich die Seele befreien muss. Eine funkensprühende Feuershow, in der die Kraft des Feuers sich mit pyrotechnischen Effekten noch steigern ließ. Mit ausverkauften Vorstellungen und Standing Ovations wurde ich gefeiert. Auf mein nächstes Geburtstagsfest bin ich schon jetzt gespannt!

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